Themeneditorial iz3w 389 (März/April 2022): Rackets & Bandenherrschaft
Manchmal hilft das Kino dabei, die Absurdität der realen Politik zu fassen. Etwa als Nancy Pelosi 2020 während der Debatte um Donald Trumps Impeachment den Gangsterfilm »The Irishman« zitierte: »Streichen Sie auch Häuser an?« Das Telefonat, in dem Trump den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenski mit den Worten »Ich möchte, dass Sie uns einen Gefallen tun« unter Druck gesetzt hatte, erinnerte die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses offenbar an eine Szene aus dem Film. Mit der codierten Begrüßung »Ich hörte Sie streichen Häuser an?« rekrutiert dort der korrupte Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa den Mafia-Killer Frank Sheeran.
Es war wohl die für Trump typische Mischung aus Kraftmeierei und Anspruchsdenken, die Pelosi an Jimmy Hoffa, der von Al Pacino als Narzisst dargestellt wird, denken ließ. Es geht in dem Film um die Verquickung von Politik und Kriminalität: Die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und organisiertem Verbrechen zur Bereicherung in den 1950er-Jahren, die Invasion der Schweinebucht mit Hilfe der Mafia, die Watergate-Affäre. Im Gedächtnis bleibt der Film vor allem dadurch, wie er seine Figuren aus Gewerkschaften, Politik und Mafia interagieren lässt: Hier gibt es keine Überzeugungen, sondern Geschäft; keine Freundschaft, sondern »einen Gefallen tun«, wofür man im Gegenzug etwas will. Politik bedeutet: Er schuldet uns etwas. »The Irishman« trifft damit einen Nerv, weil der Film vor der Kulisse einer Gangstergeschichte auch auf die Krise der liberalen Demokratie des 21. Jahrhunderts verweist. »Streichen Sie Häuser?« Man kann sich vorstellen, dass Viktor Orban (Seite 27) so eine Frage stellt, oder Sebastian Kurz, wenn er bei einem von der ÖVP gekauften Meinungsforschungsinstitut anruft.
Die Schnittstellen zwischen Politik und Verbrechen, sie sind seit jeher ein beliebtes Thema auf der Leinwand. Im realen Leben haben sie weniger unterhaltsame, weil sehr brutale Auswirkungen. Die Kritische Theorie der Frankfurter Schule interessierte sich für diesen Zusammenhang. Mit dem aus der US-Kriminologie stammenden Begriff des »Rackets« wollte Max Horkheimer das Ende der liberalen Phase des Kapitalismus begreifen, die in den Aufstieg des Faschismus und andererseits in die Herrschaft der stalinistischen Bürokratie mündete (Seite 21). Die basale Bedeutung von Racket ist Gewaltkriminalität wie zum Beispiel Schutzgelderpressung. In der Racket-Theorie meint es den Umbau des Staates zum Anhängsel einer Clique oder einer völkisch-faschistischen Gruppe, wie es die NSDAP war. Der Racket entsteht innerhalb der liberalen Ordnung und kann diese ergänzen, beseitigen oder ersetzen. Die Konkurrenz der Kapitale führt zu einer Konzentration von Reichtum; und auch kriminelle oder rechtsextreme Netzwerke kämpfen dabei um die Vorherrschaft. Dabei kann sich die liberale, konkurrenzbasierte und rechtlich vermittelte Gesellschaftsordnung aufheben. Das Kapital bildet Banden.
Horkheimer formulierte diese Überlegungen am Grab des europäischen Liberalismus und bezog sich mit seiner Racket-Theorie vor allem auf den Nationalsozialismus. Seine Gedanken gewinnen heute wieder an Relevanz. In Osteuropa entstehen von Ungarn über Polen, Serbien bis Österreich sogenannte illiberale Demokratien, eine aktualisierte Form der Racket-Herrschaft. Die heutige Krise des neoliberalen Kapitalismusmodells befeuert Privatisierung und Armut. An der Basis der krisenhaften Umbrüche obsiegt Perspektivlosigkeit. Der Produktivitätssteigerung im Globalen Norden steht die Entwertung von Kapital und die Überflüssigkeit von Arbeitskräften in der Peripherie gegenüber. Die kriminellen Banden bieten einen scheinbaren Ausweg. Banden können verschiedenste Formen annehmen, in unserem Themenschwerpunkt geht es unter anderem um Kartelle (Seite 38), islamistische Gruppen (Seite 33) und in Haiti auch um den Zusammenhang von Hilfsgeldern und Korruption (Seite 36). In den abgehängten Zonen der Konkurrenzgesellschaft stellen sie teilweise eine ‚Alternative‘ zum Staat dar. Sie versprechen zudem einen schnellen Weg aus der Armut. Der kolumbianische Film »Birds of Passage«, aus dem unser Titelbild stammt, erzählt eine solche Geschichte vom rasanten Aufstieg einer indigenen Wayuu-Familie durch Drogenhandel. Der Reichtum währt kurz, führt die Familie in eine Blutfehde und letztlich zu Tod und Vertreibung.
Die Beispiele der Netzwerke von Sebastian Kurz oder Donald Trump, aber auch etwa der Wirecard-Skandal in Deutschland zeigen, dass Rackets und Bandenstrukturen beileibe nicht nur ein Problem der Peripherie sind. Auch in der US-Republikanischen Partei bleibt man eng am Gangsterfilm. So wies der Trump-Berater Roger Stone 2019 einen Zeugen, der vor dem Kongress zu möglichen illegalen Praktiken seines Wahlkampfteams aussagen sollte, an: »Mach’s wie Frank Pentangeli«. Der alte Mafioso wird in »Der Pate II« vor den Senatsausschuss geladen – und stellt sich völlig unwissend.
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