Klima-Imperialismus bestimmt die Verhandlungen in Kopenhagen

in (18.12.2009)

Festhalten an fossilen Energien, Profit-Interessen und Imperialismus durchziehen das Hauen und Stechen zwischen den Staaten beim UN-Klimagipfel. Auf dem Rücken der Ärmsten tragen die Reichen und Mächtigen ihren Konkurrenzkampf aus. Von Frank Eßers

Beim UN-Gipfel in Kopenhagen geht es nicht um Klimaschutz. »Die Verhandlungen über den Klimawandel sind letzten Endes vor allem Verhandlungen über wirtschaftliche Interessen.« Dieser Satz stammt nicht etwa aus dem Munde von einem der 100.000, die am Samstag für ein faires, verbindliches und weitreichendes Abkommen zur Reduktion des Treibhausgasausstoßes in Kopenhagen auf die Straße gegangen sind.

Gesagt hat ihn der indische Verhandlungsführer für den UN-Gipfel, Shyam Saran. Er fügte hinzu, dass die indische Regierung sich nicht in eine Position manövrieren lassen wolle, »die unsere ökonomischen Interessen beschädigt.« Ähnliches hat man in den letzten Tagen auch aus dem Mund von Bundeskanzlerin Merkel gehört. Und die beiden größten Kontrahenten auf dem Gipfel, USA und China, agieren entsprechend.

»Planet not Profit«

Die unerwartete Größe des Protestes in Kopenhagen erklärt sich auch daraus, dass einem guten Teil der Klimaaktivisten klar ist, dass es den Regierungen nicht einfach an »politischem Willen« mangelt, ein wirksames Abkommen zu beschließen. Viele Klimaaktivisten hielten am Samstag auch Schilder hoch mit der Parole »Planet not Profit« (Umwelt statt Profite) - und machten damit deutlich, dass sie sehr wohl wissen, dass die verhandelnden Regierungen auf der Seite ihrer Konzerne stehen. Diese aber machen ihr Geld mit Öl, Kohle und Gas oder sind davon abhängig.

Global sind 13 Billionen US-Dollar an Investitionen direkt an die ölfördernde Industrie gebunden. Auch die Auto-, LKW- und Flugzeughersteller samt Zulieferer, der Straßenbau, Transportfirmen, Zulieferer für Öl-, Kohle- und Gasunternehmen, die Petrochemie, Künstdünger- und Stahlproduzenten und andere sind an das herrschende fossile Wirtschaften gebunden.

Mehr noch: Neun der zehn größten Konzerne der Welt, mit einem Umsatz von hunderten Milliarden US-Dollar, machen ihren Profit im fossilen Sektor. Durch die Adern des Kapitalismus fließt schwarzes Blut: Öl.

Fossiler Kapitalismus: Der »schwarze Block«

Diesem fossilen »schwarzen Block« der Konzerne gegenüber sind erneuerbare Energien trotz gestiegener Umsätze im Nachteil. Denn über die globalen Märkte fließt massiv Kapital zu den Konzernen, die mit Öl, Kohle und Gas Geschäfte machen. Mit fossilen Energien lassen sich höhere Gewinne erzielen. Wegen der weltweit steigenden Nachfrage nach Energie wachsen die Profite dieser Konzerne - und damit ihre Macht.

Hinzu kommt die über die letzten 100 Jahre gewachsene enge Vernetzung zwischen Politik und fossiler Wirtschaft. Letztere hat in diesem Zeitraum eine Machtposition gewonnen, die man nicht mit den Mitteln der Konkurrenz auf den Märkten aushebeln kann. Denn die Märkte sind das Spielfeld der fossilen »global players«.

Spanischer Solarmarkt zusammengebrochen

Zwar ist der Hinweis richtig, dass sich auch mit grüner Energie Gewinne machen lassen und Erneuerbare-Energien-Unternehmen sich am Markt etabliert haben. Aber die Bilanz ist keineswegs so rosig, wie es die Vielzahl an Nachrichten über das Wachstum von Windkraft und Co. nahe legen. In Spanien zum Beispiel ist der »Solarmarkt nach der Deckelung der Förderung fast komplett zusammengebrochen«, berichtete das »photovoltaik-Magazin«. Die Prognosen für die deutsche Branche für das kommende Jahr seien »eher vage«.

Das Handelsblatt schrieb bereits im Frühjahr: »Doch der Preisrutsch für Solarzellen und Überkapazitäten in der Produktion machen der einstigen Boombranche zu schaffen.« Eigentlich sollten sinkende Preise für Solarzellen und »Überkapazitäten« doch eine gute Nachricht sein: Mehr billige und saubere Energie könnte produziert werden. Doch Solarunternehmer zucken dabei zusammen, statt sich zu freuen: Sinkende Preise bei hohem Konkurrenzdruck gefährden ihre Profite - und damit ihr Unternehmen. Auch für »grünes Kapital« gelten die Spielregeln der Marktwirtschaft. Planet AND profit - das funktioniert nicht.

Globale Stromproduktion

Wie sieht das gesamte Bild für erneuerbare Energien aus? Trotz des großen Potentials leider nicht gut. Seit dem Jahr 1990 ist die Produktion erneuerbarer Energien jährlich nur mit einer durchschnittlichen Rate von 1,8 Prozent gewachsen - und entspricht damit der Wachstumsrate der weltweiten Primärenergieversorgung. Das heißt: Es kann keine Rede davon sein, dass erneuerbare Energien den fossilen den Rang streitig machen.

Schlechter noch sieht es bei der Elektrizität aus: Zwischen 1990 und 2005 ist die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien global um durchschnittlich 2,4 Prozent jährlich gewachsen. Das ist zu wenig. Denn damit liegt sie unter der Wachstumsrate der Elektrizitätserzeugung insgesamt, die in dem Zweitraum bei 2,9 Prozent lag.

In anderen Worten: Der Gesamtanteil erneuerbarer Energien an der globalen Stromproduktion ist zwischen 1990 und 2005 gesunken - von 19,5 Prozent auf 17,9 Prozent. Angesichts der Tatsache, dass Strom eine herausragende Bedeutung für alle Bereiche kapitalistischer Wirtschaft hat - und diese Bedeutung gestiegen ist - müssten die oben genannten Zahlen Vertreter eines »grünen Kapitalismus« eigentlich sehr nachdenklich stimmen.

Banken werden gerettet, Arme im Stich gelassen

»Wäre die Welt eine Bank, ihr hättet sie längst gerettet« - dieser Slogan stand auf einem fünf mal sechs Meter großen Banner, das Greenpeace Anfang März an der Fassade der »Hypo Real Estate« in München angebracht hatte. Mehr als 100 Milliarden Euro Staatshilfen und -garantien hat allein dieses Finanzinstitut erhalten. Steuerzahler müssen für Schäden aufkommen, die Bankmanager durch Spekulation verursacht haben.

Besser angelegt wäre das Geld, wenn damit Arbeitsplätze geschaffen, Bildung und der Umstieg auf erneuerbare Energien finanziert würde - und eben die dringend nötigen Anpassungen an den Klimawandel, vor allem in den ärmsten Ländern. Doch davon ist keine Rede.

Nach der Finanzkrise und angesichts der billionenschweren globalen Rettungspakete für Spekulanten können Wirtschaftsverbände und Regierungen nicht mehr glaubhaft behaupten, dass kein Geld für Umweltschutz und Armutsbekämpfung vorhanden sei. Für die Finanzinstitute war es da. Und es wurde dermaßen schnell bereitgestellt, dass Otto und Emma Normalverbraucher sich verwundert die Augen gerieben haben.

Marionetten der Konzerne

Warum also das elende Feilschen auf dem Klimagipfel? Weil das internationale Hauen und Stechen um Märkte und Macht durch die Finanz- und Wirtschaftskrise intensiver geworden ist. Hierin liegt ein weiterer Grund für die scharfen Kontroversen zwischen den Verhandlern. Jeder will, dass der andere zahlt. Hinter der dünnen Fassade der Klimapolitik werden in Wirklichkeit Geld- und Machtfragen ausgefochten. Auf der riesigen Klimademonstration am 12. Dezember hatten sich Aktivisten als Politiker verkleidet, die wie Marionetten an Fäden hingen und hohle Phrasen vom Blatt ablasen. An welchen Fäden hängen sie? An denen der Konzerne.

Den Preis dafür zahlen vor allem die Ärmsten der Armen. Die so genannte dritte Welt kämpft nicht nur mit Armuts- und Hungerkrisen, die durch ein ungerechtes Weltwirtschafts- und Finanzsystem angeheizt werden. Die Herrschenden dieser Welt bürden ihnen zusätzlich die Lasten einer Umweltkrise auf, die von den Reichen und Mächtigen verursacht worden ist.

Reiche werden reicher ...

Anlässlich des Treffens der acht mächtigsten Industriestaaten der Welt vor zwei Jahren in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) stellte der Handelsexperte des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), Michael Frein, fest: »In der G-8-Agenda wird Afrika als eine Art Rohstofflager angesehen«. Die Industrieländer wollten vor allem ihren Zugang zu den Rohstoffen sichern. »Die G8-Politik nützt den Konzernen und schadet den Armen«, sagte er. In Kopenhagen zeigt sich erneut, wie richtig diese Kritik ist.

Laut der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung FAO leiden weltweit mehr als 850 Millionen Menschen an chronischer Unterernährung. Täglich sterben weltweit 25.000 Menschen an Hunger. Seit 1995 ist die Zahl der Hungernden laut FAO um 28 Millionen Menschen gestiegen. Über die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als 1 Euro und 72 Cent pro Tag. Besonders in afrikanischen Ländern südlich der Sahara hat das Elend zugenommen.

Im krassen Gegensatz zur Armut vieler, haben einige wenige ungeheuren Reichtum angehäuft. Die 1000 reichsten Menschen der Welt verfügen über 3500 Milliarden US-Dollar. Die Hälfte davon würde ausreichen, um alle Schulden der Entwicklungsländer zu tilgen. Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung besitzen 85 Prozent des Weltvermögens. Wer zu dieser Gruppe gehört, besitzt im Durchschnitt 40mal mehr als der Weltdurchschnittsbürger. Die Hälfte der erwachsenen Weltbevölkerung hingegen besitzt nur 1 Prozent des Weltvermögens (siehe auch: »Wie die G8 die Dritte Welt zerstören«, marx21.de vom 7. Juli 2007).

... Arme werden ärmer

Kanzlerin Merkel und andere Regierungschefs entwickelter Industriestaaten tun dabei so, als wenn sie bereits genug Entwicklungshilfe leisten würden. Das ist eine Lüge. Das Geld fließt nicht etwa vom reichen Norden in den armen Süden, sondern genau in die umgekehrte Richtung. Nach Angaben der Weltbank strömten im Jahr 2004 über 333 Milliarden US-Dollar an Kreditrückzahlungen aus dem Süden in den Norden. Das war mehr als dreimal so viel wie die kombinierte Entwicklungshilfe aller Industriestaaten zusammen. In Wahrheit ziehen Bosse und Politiker den Ärmsten nicht nur das letzte Hemd aus, sie klauen ihnen auch noch die löchrigen Socken.

Klima-Imperialismus

Wer sich diesem globalen Ausbeutungsregime nicht unterwerfen will, wird von den Reichen und Mächtigen bedroht: mit Entzug von Hilfsgeldern, zusätzlichen Handelshemmnissen. Und wenn das nicht reicht, auch mit Krieg. Für diese kriminellen Machenschaften gibt es einen Begriff: Imperialismus. Der durchzieht auch die Verhandlungen in Kopenhagen.

Kein Wunder also, dass am Montag die Delegierten der »dritten Welt« die Verhandlungen kurze Zeit verlassen haben.

Kanzlerin Merkel hat sich dabei besonders unbeliebt gemacht. Sie hatte die »raffinierte« Idee, Gelder für Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel einfach mit der Entwicklungshilfe zu verrechnen.

Auch der Textentwurf eines Abkommens, der auf dem UN-Klimagipfel als »Dänischer Text« kursierte, zeigt, was Regierungen reicher Länder unter »Gerechtigkeit« verstehen. Im dänischen Textentwurf wird das Kyoto-Protokoll aufgegeben und damit der einzige rechtlich bindende Vertrag, den die Welt zum Thema Treibhausgasreduzierungen hat.

Dem Entwurf zufolge sollen sich Entwicklungsländer verpflichten, ihren Pro-Kopf-Ausstoß von Kohlendioxid bis zum Jahr 2050 auf 1,44 Tonnen zurückzufahren, während den reichen Ländern 2,67 Tonnen pro Kopf erlaubt wären.

EU kein Vorreiter mehr

Lange galt die EU als Vorreiter beim Klimaschutz. Doch derzeit kann keine Rede sein. Vor allem die reicheren westeuropäischen Staaten haben ihren Ausstoß von Treibhausgasen kaum reduziert.

Dass die Kyoto-Reduktionsziele in Europa wohl eingehalten werden, liegt zu einem wesentlichen Teil am Zusammenbruch des ehemaligen Ostblocks. Staaten wie Japan oder Norwegen haben sich zudem mittlerweile höhere Klimaziele gesteckt.

Deutschland wankt

Auch die Bilanz Deutschlands ist keineswegs so positiv, wie die Kanzlerin behauptet: Umweltschützer kritisieren die großen Stromkonzerne, die für mehr als 40 Prozent des Kohlendioxid-Ausstoßes verantwortlich sind. »Auf marginalem Niveau hat ein Umdenken stattgefunden, das reicht aber bei weitem nicht aus, wenn wir die Klimaschutzziele anschauen«, sagte der Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling laut dem Internetportal CO2-Handel.de.

»Neben einem bisher nur geringen Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energiemix der großen Anbieter spielten Wind, Sonne & Co. auch nur eine Nebenrolle bei längerfristigen Investitionsplänen der Branche. Stattdessen seien zahlreiche neue Kohlekraftwerke in Planung, was die deutschen CO2- Reduktionsziele ins Wanken bringe«, berichtete das Internetportal.

Der als enger Vertraute der Kanzlerin geltende Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sieht darin offenbar kein Problem. Im Deutschlandfunk hat er sich nicht nur für Atomkraft, sondern auch für neue Kohlekraftwerke ausgesprochen. Das ist sehr praktisch für RWE, Eon. Vattenfall und EnBW - die großen Energieversorger, die den deutschen Strommarkt kontrollieren. Denn alle vier betreiben sowohl Atom- als auch Kohlekraftwerke.

»Kreativer« Umgang mit der Wahrheit

Der Wirtschaftslobby reicht das noch nicht. Metro-Chef Eckard Cordes forderte in der Bild-Zeitung: »Klimaschutz darf nicht zum Wettbewerbsnachteil der deutschen Industrie werden.«

Der Energieriese RWE wollte es nicht bei einer Mahnung belassen und gab gleich eine Studie in Auftrag. In dieser wird behauptet, ein Vorpreschen der EU und Deutschlands beim Klimaschutz würde 55.000 Jobs kosten. Das ist - höflich formuliert - ein äußerst »kreativer« Umgang mit der Wahrheit. Denn während in der konventionellen Energiewirtschaft in Deutschland seit 1991 kontinuierlich und massiv Arbeitsplätze abgebaut worden sind, entstehen bei den erneuerbaren Energien neue.

Kein Green peace ohne social peace

Wirksamer Klimaschutz ist von den Herrschenden nicht zu erwarten. Dieser würde eine Prioritätensetzung zugunsten von Armen, Lohnabhängigen, Bauern, indigenen Bevölkerungsgruppen und der Umwelt erfordern. Green peace ist ohne social peace nicht zu haben - »Grünen Frieden« gibt es nur mit sozialer Gerechtigkeit. Dem jedoch stehen Profit-Interessen und Konkurrenzkampf von Unternehmen bzw. Staaten entgegen. Eine Erfolg versprechende Agenda für Umweltschutz muss deshalb antikapitalistisch sein.

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