Die Luft ist vergiftet

in (07.09.2010)

Trotz Klimaschutzpaket: Während die Bundesregierung mit aller Macht die Bahn privatisieren will, plant das Verkehrsministerium den Ausbau der Autobahnen. Dass LKWs und PKWs gegenüber öffentlichen Transportmitteln Vorfahrt haben, ist kein Zufall, meint Frank Eßers.

Ein Tempolimit soll es beim Börsengang der Deutschen Bahn (DB) nicht geben, wenn es nach dem Management und der Bundesregierung geht. Kanzlerin Angela Merkel sieht im Börsengang „eine Chance", Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) ist dafür und auch Finanzminister Peer Steinbrück und Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (beide SPD) befürworten ihn. In der Öffentlichkeit sorgt das für Unmut. Denn eine weitere Privatisierung birgt Risiken: höhere Ticketpreise, drastische Stilllegung von Strecken, Lohndumping, weiterer Personalabbau und Einsparungen bei der Sicherheit.

Zwei Drittel der Bevölkerung lehnen einen Börsengang der Bahn ab. Beim SPD-Parteitag im vergangenen Oktober hat das seinen Niederschlag gefunden. Gegen den Willen der Parteiführung fassten die Delegierten einen Beschluss, der das Aus für das bis dahin propagierte Privatisierungsmodell bedeutete.

Die Schiene kommt unter die Räder

Doch die Privatisierungsbefürworter geben weiter Gas. Bahnchef Hartmut Mehdorn und die SPD-Minister Steinbrück und Tiefensee legten kurz nach dem Parteitag eine neue Variante vor: Sie sieht vor, die Infrastruktur der Bahn (Schienen, Bahnhöfe etc.) vom Bereich Transport und Logistik (Personen- und Güterverkehr) zu trennen. In staatlicher Hand soll nur die Infrastruktur bleiben. Transport und Logistik hingegen sollen schrittweise verkauft werden.

Im Kern läuft dieses "Holdingmodell" darauf hinaus, dass sich private Investoren die Rosinen aus dem Unternehmen herauspicken können. Bereiche, in denen vorwiegend Kosten anfallen, sollen beim Staat bleiben.

Eine Privatisierung führt nicht zu einer besseren Bahn, wie die Befürworter des Börsengangs behaupten. Dies lässt sich anhand der Folgen von Bahnprivatisierungen in anderen Ländern wie Großbritannien, Japan oder Schweden nachweisen. Viele Arbeitsplätze wurden vernichtet, Belegschaften sind aufgespalten und dadurch die Gewerkschaften geschwächt worden. Auch der Service hat gelitten: Bahnhöfe und Schalter wurden geschlossen, Ticketpreise erhöht und Strecken stillgelegt. Staatliche Subventionen sind zur Freude der privaten Investoren dennoch weiter geflossen. Das Wachstum des Autoverkehrs wird durch solchen Abbau der Bahn gefördert. Die Alternative zum Börsengang der Bahn, einen preiswerten und flächendeckenden öffentlichen Verkehr, ziehen die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik nicht in Betracht.

Es mag Unbelehrbare in Parlamenten und Chefetagen geben. Doch fehlende Kenntnisse oder Charakterschwächen sind nicht die Ursachen für die globale Benachteiligung umweltfreundlicher Verkehrsmittel. Es sind auch nicht die Menschen, die eine Republik auf vier Rädern fordern. Otto und Emma Normalverbraucher werden die Verkehrswege vorgesetzt. Sie werden nicht gefragt. Das heißt nicht, dass es keine Autofans gibt. Doch die mit dem motorisierten Individualverkehr verbundene Ideologie von "Mobilität" und "Freiheit" ist im vergangenen Jahrhundert in den Industriestaaten von Autokonzernen produziert worden. Die Welt musste erst "automobiltauglich" zugerichtet werden.

Los Angeles - von der Bahnstadt zur Abgashölle

Zimperlich waren die Autoindustrie und mit ihr verbundene Branchen dabei nicht. In einer für den US-Senat verfassten Studie aus dem Jahr 1974 ist dokumentiert, wie General Motors (GM), Standard Oil und der Reifenhersteller Firestone mehrere Jahrzehnte lang schienengebundene Unternehmen in US-amerikanischen Großstädten aufgekauft und abgebaut haben. Als ein drastisches Beispiel wird in der Studie Los Angeles genannt. Laut Bradford C. Snell, Verfasser des Berichtes, war der Großraum Los Angeles im Jahr 1939 "eine wunderschöne Gegend mit (...) einer guten, von Ozeanbrisen angereicherten Luft. Sie wurde von dem größten Straßenbahn- und S-Bahn-System der Welt versorgt".(1)

Dann sorgten GM und Standard Oil dafür, dass Straßenbahnwagen verschrottet, elektrische Oberleitungen abgebaut und Schienen aus dem Pflaster gerissen wurden. Der Snell-Bericht beschreibt, dass die Konzerne Los Angeles auf PKW- und Busverkehr umgestellt haben. Die Busse stellte General Motors her, den Diesel lieferte die Standard Oil Company. Im Erscheinungsjahr der Studie, so Snell, sei "Los Angeles ein ökologisch zerstörtes Gebiet (...) Die Luft ist vergiftet durch die vier Millionen PKWs, von denen die Hälfte von GM stammt und die Tag für Tag 13.000 Tonnen Schadstoffe ausstoßen."

Bis heute hat sich daran nichts geändert. Die Stadt opfert die Hälfte ihrer Fläche dem Autoverkehr. In der "City of Angels" müssen sich die Engel Mund und Nase zuhalten. Laut einem Bericht der "American Lung Association" aus dem vergangenen Jahr ist der Großraum L.A. das städtische Gebiet mit der höchsten Luftverschmutzung in den USA.

Tiefensees "Masterplan"

Die deutsche Autoindustrie demontiert keine Schienen - nicht direkt. Doch ab 1989 machte sich die Regierungskommission Bahn daran, eine Privatisierung der Bundesbahn einzuleiten. "Der Kommission gehörte nicht ein einziges Mitglied aus dem Bereich der Bahn an. Allerdings waren in ihr führende Vertreter der Autoindustrie und der Ölbranche vertreten" (2), so der Verkehrsexperte Winfried Wolf. 1994 ist dann die Bahn in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, deren Anteile (noch) zu 100 Prozent der Staat hält. Seitdem sind mehr als 5500 Kilometer Schienenstrecke stillgelegt und die Hälfte der Arbeitsplätze bei der Bahn abgebaut worden.

Ende 2006 zog der Verkehrsclub Deutschland in seiner Analyse "Ein Jahr Tiefensee: Verkehrspolitik zulasten von Klima und Gesundheit" Bilanz: "Statt eine weitsichtige Mobilitätspolitik für Mensch und Umwelt voranzubringen werden vorrangig Bedürfnisse der einflussreichen Wirtschaftslobby bedient, sei es auf der Straße, dem Wasser oder in der Luft."

Mitte März hat Verkehrsminister Tiefensee den Entwurf "Masterplan Güterverkehr und Logistik" vorgestellt. In diesem wird prognostiziert, dass bis zum Jahr 2025 die Verkehrsleistung im Straßengüterverkehr um 79 Prozent steigen wird. Der LKW-Verkehr über weite Strecken könnte sogar um 84 Prozent zunehmen (3). Die Antwort des Ministers auf diesen Asphalt-Alptraum: Ausbau des Autobahnnetzes und mehr Parkplätze für LKWs an den Tankstellen und Raststätten.
Dass es auch eine "Engpassbeseitigung bei der Schiene" geben soll, beruhigt nicht. Statt schädlichen Verkehr abzubauen, setzt Tiefensee auf mehr Transportwege - vor allem auf die Straße. Das nutzt global produzierenden Konzernen, die Zeche zahlt der Steuerzahler.

Nordseekrabben aus Marokko

In so manchem Produkt stecken hunderte oder tausende Transportkilometer, bevor es beim Verbraucher landet - Tendenz steigend. Der Erfindungsreichtum weltweit agierender Konzerne auf der Suche nach dem billigsten Produktionsverfahren kennt dabei im wahrsten Sinne des Wortes keine Grenzen. Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bringt in seiner Flugschrift "Wahnsinn Güterverkehr" ein einprägsames Beispiel: "Woher kommen die Nordseekrabben? Niemand schält frische Krabben so billig wie marokkanische Arbeiterinnen. Deshalb lohnt sich der LKW-Transport von Husum nach Nordafrika und zurück."

Hierbei wächst die Zahl der zurückgelegten Kilometer schneller als die transportierten Warenmengen. Denn die Transportpreise sind gesunken und der härter werdende Konkurrenzkampf erhöht den Druck auf Unternehmer, auch über Grenzen hinweg die profitabelste Produktionskette zu organisieren.

Mittlerweile ist für Klimaschützer der PKW- und LKW-Verkehr nach der Energiewirtschaft das größte Sorgenkind. Er ist für etwa 15 Prozent der CO2-Emissionen in Deutschland verantwortlich. Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur wuchs in den Jahren 1994 bis 2004 das Autobahnnetz in den neuen EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen um 1000 Kilometer, in den alten Mitgliedstaaten sogar um 12.000. Die Klimaschutzpläne der EU werden so zur Makulatur.

Fossiles Verkehrsregime

Dass durch die Adern des Kapitalismus das schwarze Blut Öl fließt, ist unter Linken und Umweltschützern mittlerweile eine Binsenweisheit. Energiekonzerne werden international dafür kritisiert, dass sie an fossilen Energien festhalten und den Umstieg auf erneuerbare blockieren. Diesem „fossilen Energieregime" entspricht ein „fossiles Verkehrsregime". Es fördert jene Verkehrsmittel, mit denen Konzerne die höchsten Profite machen - sei es durch deren Besitz, die Produktion oder durch den Absatz von Kraftstoffen, die aus Erdöl gewonnen werden. Das sind vor allem der motorisierte Individualverkehr, der Straßengüterverkehr und die See- und Luftfracht. Öffentlicher und nicht motorisierter Verkehr bleiben dabei auf der Strecke.

Jährlich gibt das US-amerikanische Wirtschaftmagazine Fortune die "Fortune Global 500" heraus, eine Liste der 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt. In seinem Buch "Verkehr.Umwelt.Klima" weist Winfried Wolf darauf hin, dass die Branchengruppe "Öl, Auto, zivile Luftfahrt" und die Gruppe "Energie, Versorger" am Umsatz der "Global 500" einen Anteil von 31 Prozent haben. Unter den 10 weltweit umsatzstärksten Unternehmen befanden sich im vergangenen Jahr sechs Erdöl- und drei Automobilkonzerne. Nur ein einziges Unternehmen gehört nicht zum "fossilen Block".

Dass diese Unternehmen so mächtig sind, liegt nicht allein an der historischen und technischen Entwicklung von Verkehr und Energie. Auch die massive Unterstützung durch den Staat erklärt diese Macht nur zum Teil.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass fossile Energien für das Kapital Vorteile haben, die erneuerbare Energien nicht oder nicht in diesem Maße besitzen. Der Politikprofessor Elmar Altvater nennt einige (4) : "Erstens können fossile Energien anders als Wasserkraft oder Windenergie fast ortsunabhängig eingesetzt werden." Die leichte räumliche Trennung von Energiequelle und Energienutzung sei die "Voraussetzung für eine ökonomische Geographie, die sich weniger an natürlichen Gegebenheiten als an Rentabilitätsgesichtspunkten orientiert." Zweitens sind fossile Energien zeitunabhängiger, weil sie (noch) leichter zu speichern sind. Drittens eignen sie sich hervorragend für „Konzentration und Zentralisation ökonomischer Prozesse." Ihre Quellen befinden sich an geographisch eingrenzbaren Orten und können dort leicht von Konzernen oder einem Staat kontrolliert werden. Sie legen auch eine Nutzung in Großkraftwerken nahe. Das ermöglicht Kontrolle durchs Kapital, genauer: die Kontrolle über die Geldbeutel der Verbraucher. Denn diese sind von der zentralisierten Energielieferung abhängig. In Deutschland beherrschen nur vier Konzerne den Energiemarkt: E.on, RWE, EnBW und Vattenfall. Sie besitzen rund 90 Prozent aller Kraftwerke und kontrollieren das Stromnetz.

Auswirkungen und Protest

Auf die Masse der Menschen und ihre Umwelt hingegen hat der fossile Kapitalismus gravierende Auswirkungen: Dürren, Fluten und andere Wetterextreme nehmen durch die sich aufheizende Erdatmosphäre zu. Mehr als 150.000 Menschen sterben weltweit pro Jahr an den Folgen des Klimawandels, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen um den Zugang zu und die Kontrolle von Öl und Gas verschärfen sich, je knapper diese Ressourcen werden. Steigende Armut schließt zudem immer mehr Menschen von einer auf fossilen Energien basierenden Lebensweise aus, ohne dass ihnen jedoch eine Alternative angeboten würde. Je knapper Öl, Gas und Kohle werden, desto höher klettern die Preise - nicht nur für Strom und Gas, sondern auch für Lebensmittel. Jedes Jahr fordert der Verkehr in Deutschland tausende Tote und weit mehr Verletzte. Gesundheitsschädigende Verschmutzungen und Lärm kommen hinzu. Mit dieser Verkehrsstruktur sind zudem enorme Kosten verbunden, die nicht von den verantwortlichen Konzernen getragen werden, sondern zu Lasten der Allgemeinheit gehen.

"Mobilität" und "Freiheit" halten sich unter einem solchen Verkehrsregime in Grenzen. Die Anzahl der von einer Person in einem Jahr zurückgelegten Wege hat sich in Deutschland in den letzen Jahrzehnten kaum verändert. Menschen bewegen sich wie eh und je zur Arbeit und von dort nach Hause. Sie bringen ihre Kinder in die Kita oder holen sie von der Schule ab. Man kauft ein, besucht Freunde oder sucht einen anderen Ort auf, an dem man seine Freizeit verbringt. Was sich allerdings stark verändert hat, ist die Anzahl der Kilometer, die ein Mensch zwischen diesen Orten zurücklegen muss. Sie ist doppelt so hoch wie jene, die vor 40 Jahren von einem Westdeutschen zurückgelegt wurde. Das kostet Zeit und Nerven.

Der Weg zu einer nachhaltigen Gesellschaft, in der Menschen zählen statt Profite, mag weit erscheinen. Doch erste Schritte sind bereits getan. Denn der Protest gegen das kapitalistische Energie- und Verkehrsregime ist international und vielfältig. In Deutschland besteht er zum Beispiel aus den Aktionen des Antiprivatisierungsbündnisses „Bahn für Alle", aus dem Widerstand von Bürgerinitiativen gegen Kohlekraftwerke oder manifestiert sich im bundesweiten Klimaaktionstag. Umweltschützer allein können allerdings die Macht der Konzerne nicht brechen. Dazu bedarf es einer Massenbewegung, in der alle zusammenfinden, die das Profitdiktat des Kapitals ablehnen.

(Dieser Artikel ist erschienen in: marx21 Heft 5, April 2008)

Zum Autor:
Frank Eßers ist Online-Redakteur von marx21.de

Anmerkungen:

1
Zitiert nach Winfried Wolf: Verkehr.Umwelt.Klima - Die Globalisierung des Tempowahns, Wien 2007, S. 126f. Den globalen „Aufstieg des Automobils" beschreibt Wolf sehr detailliert.

2
Winfried Wolf: Die Privatisierung staatlicher Bahnen oder: Nostalgiereisen zurück ins 19. Jahrhundert, in: Gila Altmann u.a. (Hg.): Einmal Chaos und zurück - Wege aus der Verkehrsmisere, Karlsruhe 1998, S. 34

3
Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Entwurf „Masterplan Güterverkehr und Logistik", vorgestellt am 14.03.2008, online unter: www.bmvbs.de

4
Elmar Altvater: Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen, Münster 2006, S. 85ff.

Buchtipp:

Mehr auf marx21.de: