Der Alte meldet sich nicht oft zu Wort, und wenn er es tut, brennt es bei den
Konservativen. So auch diesmal: Die verlängerten AKW-Laufzeiten entwickeln sich
gegenwärtig zum Super-GAU für die Regierung Merkel.
Also kommt Ex-Kanzler
Helmut Kohl zur Hilfe: In der Bild hat er einen Artikel veröffentlicht mit dem
Titel »Warum wir die Kern-Energie (noch) brauchen«. Kohl redet nicht um den
heißen Brei herum: »Die Lehre aus Japan muss zunächst einmal sein, dass wir
akzeptieren: Was in Japan passiert ist, ist schrecklich, aber - in aller
Brutalität - es ist auch das Leben. Das Leben ist ohne Risiken nicht zu haben«.
Reaktorkatastrophen wie die in Tschernobyl oder Fukushima als
unvermeidliches Pech? Das ist menschenverachtender Unsinn. Atomkraft gehört ins
Technikmuseum, Abteilung: Kuriositäten.
Kohle und Atomkraft sind
unvereinbar mit erneuerbaren Energien
Kernenergie ist
überflüssig. Um das zu wissen, muss man nicht bei der Antiatombewegung
nachfragen. Es reicht, auf den »Sachverständigenrat für Umweltfragen« zu hören,
auch bekannt als Umweltrat. Er berät die Bundesregierung in der Umweltpolitik.
In seinem Sondergutachten »Wege zur 100 % erneuerbaren Stromversorgung«, das er
im Januar vorgelegt hat, stellt der Umweltrat unmissverständlich klar: »Weder
eine Verlängerung der Laufzeit von Atomkraftwerken noch der Bau neuer
Kohlekraftwerke mit Kohlendioxidabscheidung und -speicherung sind notwendig.«
Seiner Einschätzung nach sind Kohle- und Atomkraftwerke ein Hindernis
für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Ab einem gewissen Anteil regenerativer
Energien an der Stromproduktion sei der Betrieb atomar-fossiler Großkraftwerke
»technisch problematisch«. Sie seien unflexibel und könnten nicht schnell hoch-
oder heruntergefahren werden, um Schwankungen bei Wind- und Sonnenenergie
ausgleichen zu können.
Ein weiteres Problem ist laut Gutachten, »dass
über zunehmend längere Zeitfenster Überkapazitäten im System entstehen«. Diese
könnten »entweder die zeitweilige Abschaltung regenerativer Kapazitäten
erfordern oder zu kostspieliger Unterauslastung konventioneller Kapazitäten
führen und damit die Kosten des Übergangs unnötig erhöhen«. Das Urteil des
Umweltrats könnte für Schwarz-Gelb nicht vernichtender sein: »Eine generelle und
deutliche Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist deshalb mit den
hier vorgestellten Szenarien für den Übergang zur regenerativen Vollversorgung
nicht vereinbar.«
Versorgungssicherheit
Doch ist die Zeit
wirklich reif für die Erneuerbaren? Können sie Atomstrom schnell ersetzen, ohne
die Versorgungssicherheit zu gefährden? Sehen wir uns zunächst die Eckdaten der
deutschen Elektrizitätswirtschaft an: In den letzten zehn Jahren ist der
Atomstromanteil an der Stromproduktion von 29 auf 22,6 Prozent gefallen. Aus
regenerativen Energien stammt bereits ein Anteil von 16,5 Prozent, Tendenz
steigend. Um den Zeitpunkt für den Abschluss des Atomausstieges zu bestimmen,
muss man aber noch berücksichtigen, welche Reserven im nichtatomaren Teil der
Kraftwerksparks vorhanden sind und wie viel Strom Deutschland
exportiert.
An sicheren Reserven sind
zwischen 11 und 13 Gigawatt vorhanden. Zum Vergleich: Die Nettoleistung der acht
derzeit abgeschalteten AKWs beträgt 8,4 Gigawatt. Aufgrund von »Pannen« und
Stillständen lieferten diese Reaktoren in den vergangenen Jahren allerdings real
nur rund 6,5 Gigawatt. Sie sind also leicht ersetzbar und das Potential für
weitere Abschaltungen ist vorhanden. Dass Stromkonzerne trotzdem mit
Preissteigerungen drohen, dient lediglich dem Zweck, Verbraucher zu
verunsichern, die Politik unter Druck zu setzen und einen Atomausstieg zu
verhindern.
Auch der Verzicht auf den Export von Strom würde weitere
Kapazitäten für einen Ausstieg bringen. Im vergangenen Jahr betrug die Menge des
exportierten Stroms 17 Milliarden Kilowattstunden. Das entspricht der Leistung
von zweieinhalb Kernkraftwerken.
Nach einer zurückhaltenden Einschätzung
des Umweltbundesamtes vom 17. März könnten neun AKWs sofort abgeschaltet werden.
Berücksichtigt man allerdings Exportüberschuss und Kraftwerksreserven, ist noch
mehr möglich. Die Grünen gehen von 15 Atomkraftwerken aus, die kurzfristig
ersetzt werden können. Als Zeitpunkt eines vollständiges Ausstieges nennt die
Partei das Jahr 2017.
Auch DIE LINKE plädiert für einen schnellen
Ausstieg. Die Bundestagsfraktion hat bereits im Jahr 2009 ein Konzept zur
Stilllegung der 17 deutschen Atomkraftwerke innerhalb von vier Jahren vorgelegt.
In diesem Zeitrahmen bewegt sich auch das Ausstiegskonzept von Greenpeace,
vorgestellt in der Studie »Klimaschutz: Plan B«. Demnach könnte im Jahr 2015
Atomkraft der Vergangenheit angehören.
Brückentechnologien
Bis sämtliche Energie aus erneuerbaren
Quellen stammt, sind so genannte »Brückentechnologien« notwendig. Kernkraft- und
Kohlekraftwerke gehören nicht dazu. Die »Brücke« kann stattdessen aus einem
dezentralen Netz flexibler Erdgaskraftwerke bestehen. Gas- und
Dampfkombikraftwerke (GuD) könnten innerhalb eines Jahres gebaut werden, haben
einen hohen Wirkungsgrad (= weniger Energieverluste bei der Produktion), können
sich schnell an Laständerungen im Stromnetz anpassen und schnell gestartet
werden. Damit würden sie Schwankungen von Windkraft und Solaranlagen
ausgleichen. Geeignet sind sie sowohl als Grund- als auch als
Mittellastkraftwerke (erhöhter Strombedarf) und sie können auch Bedarfsspitzen
im Stromverbrauch abdecken.
In Frage kommen auch
Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK). Solche Kraftwerke sind in der Lage,
gleichzeitig Strom und Heizwärme zu liefern. Ein Betrieb von Erdgaskraftwerken
mit Biogas ist ebenfalls möglich.
Warum Erdgasanlagen bauen, wenn es doch
bereits Kohlekraftwerke gibt? Weil Erdgas der fossile Energieträger ist, bei
dessen Verbrennung die geringste Menge Treibhausgas entsteht. Will man den
Atomausstieg nicht mit Schädigung des Klimas »erkaufen«, kommen Stein- und
Braunkohle nicht in Frage.
Um beim Klimaschutz voranzukommen, muss in
regenerative Energien und Technologien zu deren Speicherung investiert werden.
Zudem muss das Stromnetz aus- und umgebaut und Energie gespart werden. Ein
schneller Ausstieg aus der Kernkraft könnte als Motor des Umbaus wirken, weil
Atomstrom dann nicht mehr das Stromnetz »verstopfen« würde. Denn im bestehenden
Netz hat Grundlaststrom aus fossilen und atomaren Anlagen faktisch »Vorfahrt«.
Das behindert die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Quellen. Ob ein zügiger
Atomausstieg zu mehr Treibhausgasausstoß führt oder nicht, hängt in erster Linie
davon ab, wie schnell und konsequent solche Maßnahmen eingeleitet
werden.
»Atomstrom hat keine strompreisdämpfende
Wirkung«
Es liegt auf der Hand, dass der Umbau des Energiesystems
Geld kostet. Werden also wieder einmal die Stromkunden zur Kasse gebeten? Wie
eine Litanei wiederholen Atomkraftbefürworter, dass Kernkraft billig sei. Dem
widerspricht der Umweltrat. Dass die Kosten für Atomenergie »langfristig sinken
werden, kann als unwahrscheinlich betrachtet werden«, heißt es in der bereits
zitierten Studie. Während die Kosten für Energie aus atomaren und fossilen
Quellen steigen, würden die für erneuerbare Energien weiter fallen. Der Grund:
Kohle, Erdgas und Uran sind begrenzte Ressourcen. Sie gehen zur Neige. Wind und
Sonne hingegen sind unerschöpflich. Je weiter erneuerbare Energien entwickelt
und je mehr sie genutzt werden, desto preiswerter ist ihre
Produktion.
Mit Recht weist die Bundestagsfraktion der LINKEN darauf hin:
»Atomstrom hat keine strompreisdämpfende Wirkung. Die Preisbildung an der
Strombörse orientiert sich am teuersten Kraftwerk, das zur Deckung des
Strombedarfs zugeschaltet werden muss. So wird vermeintlich billig produzierter
Atomstrom an der Strombörse teuer verkauft. Die Energiekonzerne streichen so
jährlich Gewinne von über 300 Millionen Euro pro AKW ein.«
Atomenergie
wird zudem vom Staat subventioniert. Diese Förderung taucht zwar nicht auf der
Stromrechnung auf, wird aber von den Steuerzahlern aufgebracht: Sie beträgt 3,9
Cent pro Kilowattstunde Atomstrom.
Von den Energiekonzernen wird als
Grund für Preiserhöhungen gerne das Erneuerbare-Energien-Gesetz genannt. Was die
Konzerne nicht sagen: Regenerative Energien senken an der Strombörse den Preis,
wenn viel Strom aus Solar- und Windkraftanlagen produziert wird - eben weil dann
das Angebot steigt. Die Verbraucher haben davon allerdings nichts, weil
Preissenkungen nicht an sie weitergegeben werden.
Früher existierte eine
Preisaufsicht der Bundesländer, die im Jahr 2007 von der damaligen schwarz-roten
Bundesregierung abgeschafft wurde. Seitdem haben es die Energiemonopole
einfacher, ihre Stromkunden zur Kasse zu bitten. Um Abzocke zu mildern und zu
verhindern, dass armen Haushalten der Strom abgedreht wird, fordert DIE LINKE
»eine wirksame Preisaufsicht sowie eine soziale Tarifgestaltung«. Das wäre ein
guter erster Schritt.
Wenn man den Energiekonzernen hingegen weiter freie
Hand lässt, werden zwei Dinge geschehen: Es wird keinen Atomausstieg und keinen
Umstieg auf erneuerbare Energien geben (jedenfalls nicht, bevor der letzte
Krümel Kohle verfeuert ist) - und trotzdem werden die Strompreise weiter
steigen.
Wer den Umstieg zahlen sollte
Um den Umstieg auf
regenerative Energien zu finanzieren, sollten Konzerne, Banken und Millionäre
stärker besteuert werden. Schließlich sind sie die Profiteure der massiven
neoliberalen Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben.
Damit ein Umstieg nicht nur beschlossen, sondern auch unumkehrbar wird,
führt letztlich kein Weg daran vorbei, die Macht der Energiekonzerne zu brechen
- also Stromnetze und Energiekonzerne zu verstaatlichen und darüber hinaus eine
Kontrolle der Energieversorgung durch Verbraucher und die in der
Energieproduktion abhängig Beschäftigten sicher zu stellen.
Warum
Verstaatlichung? Weil der deutsche Strommarkt von nur vier Konzernen beherrscht
wird: Eon, Vattenfall, RWE und EnBW. Sie besitzen die Mehrzahl aller Kraftwerke,
kontrollieren das Stromnetz und diktieren ihren Kunden die Preise.
Und
warum Kontrolle durch Beschäftigte und Verbraucher? Weil Verstaatlichung nicht
ausreicht. Vattenfall ist ein schwedisches Staatsunternehmen und verhält sich
wie ein privates Unternehmen: Der Profit zählt, nicht Mensch und Umwelt.
Ähnliches gilt für EnBW: 45,01 Prozent der Unternehmensaktien gehören seit
Januar dem Land Baden-Württemberg. Weitere 45,01 Prozent sind in Besitz der
Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW), ein Zusammenschluss von
Gebietskörperschaften und Kommunen im südlichen Baden-Württemberg. Kontrolliert
wird die OEW von CDU-Politikern. Seit der Landtagswahl streiten Grüne und SPD
auf der einen und die CDU auf der anderen Seite um die Macht bei EnBW. Ein
Regierungswechsel alleine wird nicht reichen, um die bisherige
Unternehmenspolitik sozial und ökologisch zu gestalten.
In Deutschland
nähmen die Energiekonzerne faktisch den Rang eines Staatsorgans ein, beklagte
der im vergangenen Oktober verstorbene SPD-Bundestagsabgeordnete und Präsident
von Eurosolar Hermann Scheer. Traditionell sind die Verbindungen zwischen
Politik, besonders dem Wirtschaftsministerium, und den Energiemonopolisten eng -
und zwar unabhängig davon, welche Parteien regieren.
Spielfeld dieser
Energiekonzerne sind die Märkte, die blind für wirksamen Umweltschutz und
soziale Gerechtigkeit sind. Um die Macht der Stromriesen zu brechen, ist
massenhafter Widerstand von unten nötig - und der Kampf für eine
nicht-kapitalistische Gesellschaft, die sozial und ökologisch nachhaltig ist.
Zum Autor:
Frank Eßers ist Online-Redakteur von marx21.de. Er
ist aktiv bei »Anti Atom
Berlin« und Mitglied der LINKEN in Berlin-Neukölln.
Zum Text: Der Artikel ist eine Veröffentlichung aus marx21, Heft 20, April/Mai 2011