Lösung der Wirtschaftskrise, soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz - nicht weniger soll der »Green New Deal« leisten. Frank Eßers über die Vorstellung, dass der Kapitalismus grün wird
Auf den ersten Blick scheinen die beiden
katastrophalen Meldungen keinen Zusammenhang zu haben, die im
vergangenen September über die Nachrichtenticker gingen. Die erste
verkündete den Zusammenbruch der viertgrößten US-Investmentbank Lehman
Brothers - ein Ereignis, das die Wall Street ins Wanken brachte und das
Umschlagen der Finanz- in eine tiefe Wirtschafskrise beschleunigte.
Untergegangen in der Börsenpanik ist die zweite Nachricht, die sich
ebenfalls als historische Zäsur herausstellen könnte: Wissenschaftler
einer schwedisch-russischen Expedition berichteten von ihrer
Entdeckung, dass in einem ausgedehnten Gebiet vor der Küste Sibiriens
der arktische Meeresboden große Mengen des hochgefährlichen
Treibhausgases Methan freisetzt. Mit dieser Entwicklung hatten
Klimaexperten erst in 80 Jahren gerechnet. Da Methan 20-mal
klimaschädlicher ist als CO2, besteht die Gefahr, dass sich die
Erderwärmung beschleunigt.
Umweltkrise und Wirtschaftskrise
Beide Meldungen reichen aus, um zu verstehen, dass wir es mit zwei
ernsthaften Krisen zu tun haben. Beide müssen gleichzeitig gelöst
werden. Dabei Zeit zu verlieren, können wir uns nicht leisten. In den
Chefetagen von Wirtschaft und Politik ist das jedoch noch nicht
angekommen. Milliarden werden in das marode globale Finanzsystem
gepumpt. Sie dienen zur Aufrechterhaltung einer
spekulationsgetriebenen, auf fossilen Energieträgern beruhenden
Marktwirtschaft, die beide Katastrophen verursacht hat.
In diesem Klima haben im vergangenen Jahr verschiedene Akteure das
Konzept eines »Green New Deal« (Grüner neuer Gesellschaftsvertrag)
entwickelt. Die Idee: Durch einen ökologischen Umbau der gesamten
Industrie und den Umstieg auf erneuerbare Energien sollen das Klima
gerettet, neue Arbeitsplätze geschaffen und die Wirtschaftskrise
überwunden werden. Der globalen Armut will man so ebenfalls beikommen.
Angeschoben werden soll der sozial-ökologische Umbau durch staatliche
Investitionen in erneuerbare Energien, die Förderung »grüner« Märkte
und schärfere Regeln für Finanzkapital und umweltschädliche Unternehmen.
Populär geworden ist das Konzept, als im Oktober die UNEP
(UN-Umweltprogramm) die Initiative eines »Global Green New Deal«
ankündigte und daraufhin US-Präsident Barack Obama die Idee aufgriff.
In Deutschland haben Bündnis 90/Die Grünen ihren Europa- und
Bundestagswahlkampf mit dem Label »Grüner New Deal« versehen.
Dass die Bekämpfung von Wirtschaftskrise, Umweltverschmutzung und die
Beseitigung von Armut zusammen angegangen werden sollen, ist die Stärke
des Konzeptes. Denn bisher werden den Banken Milliarden zugesteckt,
angeblich, um die Wirtschaft zu stimulieren. Doch das hat nicht
funktioniert, weil diese das Geld benutzen, um ihre Verluste
auszugleichen.
In der herkömmlichen Energiewirtschaft in Deutschland sind laut
Statistiken des Bundeswirtschaftsministeriums seit 1991 kontinuierlich
und massiv Arbeitsplätze abgebaut worden. Bei den erneuerbaren Energien
hingegen entstehen neue - und das Potential ist groß. In dieser
Hinsicht ist der »Green New Deal« eine großartige Idee: Neue, saubere
Ener- gien schaffen neue Arbeitsplätze.
Doch das Konzept hat auch Tücken. Kann es gegen die große Macht der
fossilen Energiekonzerne und der Ölindustrie durchgesetzt werden? Wenn
man den Grünen, der UNEP oder Obama zuhört, gewinnt man den Eindruck,
ein krisenfreier Öko-Kapitalismus mit menschlichen Ansatz sei in
unmittelbarer Reichweite. Ist dem wirklich so? Um eine Antwort zu
erhalten, lohnt es, den »Green New Deal« in dreierlei Hinsicht unter
die Lupe zu nehmen: 1) Wer soll ihn bezahlen? 2) Mit welcher Strategie
kann er durchgesetzt werden und von wem? 3) Was ist das Ziel?
Wer soll zahlen?
Bezüglich der Finanzierung geben die Initiatoren keine eindeutige
Antwort. Millionen von der Krise Betroffener werden jedoch die Frage
stellen: Werde ich das etwa bezahlen müssen? Klar ist: Ein Umstieg auf
erneuerbare Energien zahlt sich langfristig aus, ist kurzfristig aber
teuer. Wenn die Antwort nicht unmissverständlich lautet: »Konzerne,
Banken und Millionäre sollen zahlen«, wird die Masse der Menschen den
Umstieg ablehnen.
Bei den Grünen spielt eine sozial gerechte Finanzierung eines
ökologischen Umbaus eine etwas größere Rolle als in anderen Konzepten -
zumindest in der Theorie. Aber das verwundert nicht angesichts zweier
großer Wahlkämpfe, in denen die Partei einen Teil des Vertrauens
wiedergewinnen will, das sie in der Zeit der rot-grünen Koalition
verloren hat.
Obwohl die Grünen behaupten, aus ihren »Fehlern« gelernt zu haben, ist
davon nicht viel zu spüren: Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz im Mai
konnte sich die Partei nur ganz knapp für die Forderung nach einem
Mindestlohn entscheiden: 305 Delegierte stimmten dafür und 300 dagegen.
Dass die Grünen mittlerweile auch eine Vermögenssteuer fordern,
allerdings zeitlich befristet, oder höhere Steuern auf
Kapitaleinkommen, wirkt angesichts des Gerangels um den Mindestlohn
unglaubwürdig.
Wie kann der »Green New Deal« durchgesetzt werden?
Ob eine ökologische Wende gelingt, hängt davon ab, welcher Weg
eingeschlagen wird und wer die Akteure sind. In den Konzepten von UNEP,
Obama und den Grünen werden die Karten in den oberen Etagen der
Gesellschaft neu gemischt, zwischen Bossen und Politikern. Der Masse
der Bevölkerung fällt dabei vornehmlich die Rolle zu, an Wahltagen das
Kreuz an der vermeintlich »richtigen« Stelle zu machen und den Akteuren
in Politik und Wirtschaft zu vertrauen. Das wird schief gehen. Denn der
erhebliche Widerstand der fossilen Energiekonzerne und der Ölindustrie
kann so nicht gebrochen werden. Dazu sind sie zu mächtig und haben zu
viel Einfluss in der Politik.
Millionen Wähler haben für Obama gestimmt in der Hoffnung, er würde
sich unter anderem für den Klimaschutz einsetzen. Doch die »Klimawende«
der USA, eines der wichtigsten Wahlversprechen Obamas, droht zu
scheitern. Im Energieausschuss des US-Repräsentantenhauses ist sein
Gesetzespaket zum Klimaschutz bereits abgeschwächt worden. Weite
Verwässerungen bei den Beratungen in Repräsentantenhaus und Senat sind
wahrscheinlich. »Wenn ich sage, wir müssen sehr viel tun, dann fürchte
ich noch viel mehr, dass die USA gar nicht anfangen, etwas zu tun«,
sagte US-Energieminister Steven Chu gegenüber der britischen
Rundfunkanstalt BBC. Ursache sei der starke innenpolitische Widerstand
aus Politik und Wirtschaft.
In Deutschland haben die Wähler bereits ähnliche Erfahrungen gemacht:
1998 trat die rot-grüne Regierung mit dem Versprechen einer
sozial-ökologischen Wende an. Ein Jahr vor dem Scheitern Rot-Grüns
zogen die Umweltverbände in einer gemeinsamen Erklärung Bilanz: »Trotz
einiger guter Ansätze bei der Förderung Erneuerbarer Energien und in
der Agrarwende ist es der Bundesregierung nicht gelungen, den Gedanken
der Nachhaltigkeit als Querschnittsthema in alle Politikbereiche zu
integrieren. Der ›rote Faden der Nachhaltigkeit‹, von dem der
Bundeskanzler gern spricht, wird überhaupt nicht erkennbar.« Von
ökologischer Verkehrspolitik war nichts zu spüren: »Völlige
Fehlanzeige«, so das Urteil der Umweltverbände. Und bei den
Ausgestaltungsregeln des Emissionshandels ließe Rot-Grün die großen
Verschmutzer ungeschoren davonkommen, während »den kleinen Leuten beim
Klimaschutz die Zeche aufgebrummt« werde. Wie es um die »soziale
Wende« unter Rot-Grün bestellt war, davon können nicht nur
Hartz-IV-Opfer ein Lied singen.
Vertrauen in Wahlen und Wirtschaft ist nicht angesagt. Damit sind wir
bisher denkbar schlecht gefahren. Solange das Eigentum der »fossilen«
Konzerne nicht angetastet wird, werden diese ihre Macht einsetzen, um
ein ökologisches Umsteuern zu blockieren. Eine Verstaatlichung oder
Vergesellschaftung der Öl- und Energiekonzerne ist im »Green New Deal«
allerdings nicht vorgesehen.
»Die sozialen Auseinandersetzungen werden sich verschärfen, ein
Rückfall in autoritäre Krisenbewältigung zu Lasten der breiten
Schichten der Bevölkerung ist möglich, aber keineswegs ausgemacht«,
meint Ralf Krämer, ver.di-Wirtschaftsexperte und Mitglied der
Programmkommission der LINKEN, angesichts der Wirtschaftskrise.
Entscheidend für den Ausgang der Auseinandersetzungen sei »der Druck
aus den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen sowie den öffentlichen
Diskursen und von der LINKEN.« Diese Einschätzung ist richtig und gilt
auch für die Umweltkrise. Ohne massenhaften Widerstand gegen alle
Versuche der Herrschenden, die Mehrheit der Menschen für die Umwelt-
und Wirtschaftskrise zahlen zu lassen, wird es keinen »Green New Deal«
geben, der diesen Namen auch verdient.
Im Europawahlprogramm der Grünen klingt es ganz anders: »Es ist jetzt
an der Zeit, einen effektiven Ordnungsrahmen für die globale Wirtschaft
zu schaffen, der die Märkte in den Dienst sozialer und ökologischer
Entwicklung stellt. Denn wir wissen, dass wir für die Herausforderungen
des Klimawandels oder der Bekämpfung der globalen Armut auch auf die
Dynamik und Innovationskraft funktionierender Märkte angewiesen sind.«
In dieser Theorie beschränkt sich die Rolle des Staates darauf, eine
Struktur zu schaffen. In dieser sollen dann die »Marktkräfte« wirken
und alles zum Besseren richten. Dass die Zuversicht in die Märkte in
den letzten Monaten rapide abgenommen hat, ist auch den Grünen nicht
entgangen. Deshalb sieht ihr Konzept zudem ein ökologisches
Investitionsprogramm des Staates vor, dass viele Arbeitsplätze schaffen
soll. Ein Bruch mit neoliberalen Ideen ist damit allerdings nicht
vollzogen. Der »New Deal« der Grünen ist eine widersprüchliche Mischung
aus marktliberalen Ideen, angereichert mit einen Schuss
»Öko-Keynesianismus«.
DIE LINKE bringt mit Recht den Märkten größeres Misstrauen entgegen und
fordert deshalb: »Stärkung und Ausbau des Sozialstaats und sozialer,
kultureller und Gesundheitsdienstleistungen, der öffentlichen
Infrastruktur und Daseinsvorsorge, sowie öffentliche Investitionen für
den ökologischen Umbau. Kernprojekt ist ein groß angelegtes
längerfristiges Zukunftsinvestitionsprogramm, mit dem über eine Million
gute Arbeitsplätze geschaffen werden können.«
Kann es einen »grünen Kapitalismus« geben?
Den Kern der Vorschläge von UNEP, Obama und Grünen bildet die
Vorstellung von einem »grünen Kapitalismus«, in dem die »ökologischen
Potentiale« des Marktes freigesetzt werden sollen. Zutreffend
beschreibt der Politikwissenschaftler Elmar Altvater, was das bedeutet:
»Auch green investment muss freilich lohnend, sprich profitabel für
Anleger gemacht werden. Daher muss ein Überschuss produziert werden,
aus dem die Renditen des ›green investment‹ abgezweigt werden können.
Ohne Wachstum ist dies ausgeschlossen und daher bleibt der grüne
Kapitalismus, wie der schwarze fossile Kapitalismus auch, auf Wachstum
angewiesen.« Natur wird damit zur Ware. Auch für »grüne« Unternehmer
gilt: Getrieben durch die Konkurrenz müssen sie Geld in die Produktion
investieren, um durch den Verkauf von Waren mehr Geld als vorher zu
erhalten. Dieses muss wiederum investiert werden, um erneut für den
Verkauf zu produzieren. Es werden Werte geschaffen, um mehr Werte zu
schaffen, um noch mehr Werte zu schaffen. Ein Unternehmen, dass im
Konkurrenzkampf nicht mithalten kann, geht unter. Ein solches
Wirtschaftssystem ist in jeder Form krisenanfällig.
Wachstum hat auch eine ökologisch relevante »stoffliche« Seite. Es kann
nur aufrecht erhalten werden, indem ununterbrochen mehr Material (Roh-
und Hilfsstoffe, Maschinen, Werkzeuge und andere Arbeitsmittel) und
Energie der Produktion zugeführt werden. Auch wenn jedes Unternehmen
dieser Welt mit den Ressourcen sorgfältiger umgehen würde, fräße das
Wachstum den Effizienzgewinn auf. Denn die Natur kann nicht in dem
Tempo Ressourcen nachliefern, wie sie unter Marktbedingungen verbraucht
werden. Nur eine Wirtschaftsweise, die Charakter und Tempo ökologischer
Kreisläufe berücksichtigt und diesen Rahmen nicht verlässt, ist
nachhaltig. Doch das widerspricht dem Wachstumszwang.
Der Kapitalismus hat sich uneinheitlich und ungleichzeitlich
entwickelt. Armen Ländern stehen reiche gegenüber. Laut
Welthandelsbericht konzentrieren sich vier Fünftel der globalen
Produktion und zwei Drittel der globalen Agrarwirtschaft auf lediglich
15 Länder. Diese Uneinheitlichkeit ist Folge der Tatsache, dass die
Produktionsmittel privat kontrolliert werden und der Realisierung von
Gewinnen dienen. Dort, wo ein Staat Produktionsmittel besitzt, führt
internationale Konkurrenz zu demselben Effekt. Eine »Begrünung« des
Kapitalismus wird daran nichts ändern, weil sich soziale
Ungerechtigkeit aus dieser Wirtschaftsweise selbst ergibt.
Auch in den entwickelten Industrieländern geht die Schere zwischen Arm
und Reich weiter auseinander. Löhne sind auch für ökologisch
orientierte Unternehmer ein Kostenfaktor: Wie hoch diese sind, ob bzw.
wie viel Mitbestimmung der Belegschaft es gibt und ob ein »grünes«
Unternehmen Arbeitsplätze abbaut, wenn die Rendite zu niedrig ist,
hängt von der gewerkschaftlichen Organisierung und der
Durchsetzungsfähigkeit der Belegschaft ab. Die Annahme, dass ein
Solarunternehmer per se zu »seinen« Arbeitern netter ist als ein
Kohleunternehmer, wäre naiv.
Die Krise als Chance
Wie die Produktion hat der Kapitalismus auch die Naturzerstörung
globalisiert. Die Folgen machen vor keiner Grenze halt. Deswegen ist
ein weltweit geplantes Handeln nötig. Doch das Gegeneinander von
miteinander konkurrierenden Unternehmen und Staaten steht dem im Weg.
Konkurrenzkampf und Markt sind mit einer ökologisch und sozial
nachhaltigen Gesellschaft nicht vereinbar. Letztlich führt kein Weg
daran vorbei, die Marktwirtschaft zu beseitigen und durch eine
Gesellschaft zu ersetzen, in der Produktion und Verbrauch durch
Arbeitnehmer und Verbraucher demokratisch geplant und bestimmt werden.
Das ist die Voraussetzung dafür, das Funktionieren natürlicher
Kreisläufe konsequent berücksichtigen zu können.
Soll man dem »New Deal« nun den Rücken kehren? Nein, das wäre ein
großer Fehler und käme den »fossilen Neoliberalen« zugute. Stattdessen
sollten sich Sozialisten in die Debatte einmischen und Aktionen
mittragen. Sie können dabei helfen, eine Massenbewegung aufzubauen, die
den Kampf um jeden Arbeitsplatz und für den Umstieg auf erneuerbare
Energien verbindet. Und sie können ihre ganze Kraft dafür einsetzen,
dass eine solche Bewegung nicht bei Reformen stehen bleibt, sondern
sich die Entmachtung des Kapitals zum Ziel setzt. Hier birgt die Krise
große Chancen für die Linke.
Zum Autor:
Frank Eßers ist Online-Redakteur von marx21.de und aktiv in der LINKEN Berlin-Neukölln.
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