Zu diesem Heft. Klassenfragen

Die Protestzyklen in den Ländern, die von der Bewältigung der zyklischen Finanzkrisen durch Umverteilung der Folgelasten besonders belastet sind, namentlich in Südeuropa, Lateinamerika, Ostasien und Südasien, werfen die Frage nach der Beteiligung der verschiedenen Segmente der Arbeits‑ und Wohnbevölkerungen auf. Ihre unterschiedliche Betroffenheit vermittelt sich über ihre Einbindungen in die erodierenden staatlichen Wohlfahrts‑ und Sicherheitssysteme bzw. über die Formen ihrer Freisetzung und des Ausschlusses aus diesen Systemen, aber gleichzeitig auch über ihre Stellung im Produktions‑ und Reproduktionsprozess des Kapitals, der sie anzieht, unterordnet oder freisetzt. Die „Reservearmeen“ des Kapitals übertreffen in Ländern wie Spanien oder Griechenland in den nachwachsenden Generationen die Scharen derjenigen, die auf der Gehaltsliste der Unternehmen stehen. Zugleich werden die Grenzziehungen zu den Ausgesteuerten und Überflüssigen fließend. Wie es nach Karl Marx ein Pech ist, Arbeiter_in (des Kapitals) zu sein, so mag es nach der Logik des Kapitals ein noch größeres sein, keine_r sein zu dürfen. Das stellt sich für die Geschlechter und Generationen nochmals je spezifisch dar. Nicht nur die Stellung im Produktions‑ und Reproduktionsprozess des Kapitals, sondern auch die Stellung zu ihm, die Unterwerfung unter seine Disziplin wie der Ausschluss von ihm bilden Strukturmomente der Erfahrung sowie der Handlungsmöglichkeiten und Fähigkeiten. In diesem Raum konstituieren sich die (kollektiven) Akteure in ihren Aktionen zu Klassen. Die gemeinsamen oder differenten Erfahrungen werden bestimmt sowohl durch artikulierbare Interessen wie durch Erwartungen nach Herkommen und Lebensbedürfnissen („moralische Ökonomie“). Diese richten sich sowohl an die herrschenden Klassen wie an den Staat. Allgemein, aber besonders dort, wo, wie Kees van der Pijl in seinem Beitrag schreibt, die herrschenden Klassen mit der Staatsklasse nahezu identisch sind, vollzieht sich die Bildung zur Klasse im Staat und ist immer auch Objekt des Staates. Dies alles steht der einmal erwarteten Vereinheitlichung zu einer allumfassenden Arbeiter_innen-Klasse gegenüber dem Kapital entgegen. Die Globalisierung des Kapitals führt heute eher zur Erhöhung der Heterogenität derjenigen, die ihm den Surplus produzieren. Wie die Analyse des Massakers in der südafrikanischen Platin-Mine von Marikana zeigt, die Peter Alexander, gestützt auf unmittelbar nach dem Ereignis eingeleitete Forschungen, in diesem Heft vorlegt, sind die Auseinandersetzungen zwischen dem transnatio­nalen Kapital und seinen Arbeitskräften dabei notwendigerweise lokal. Zur wichtigen Rolle der Frauen in diesem Kampf sei auch auf den Beitrag von Samantha Hargreaves in Peripherie 132 (2013: 494ff) verwiesen. Zugleich unterstreicht Alexanders Beitrag die anhaltende, ja steigende Bedeutung von Bewegungen von Lohnarbeitenden, die aus einer auf Nordamerika und Westeuropa konzentrierten Sicht von „Dienstleistungs‑“, „Wissens‑“ und gelegentlich gar „Erlebnisgesellschaften“ arg in Vergessenheit geraten ist. Die Sozialforschungsgruppe um den Autor steht auch für die Erkenntnisgewinne, die mit einer gesellschaftlich engagierten Forschungsarbeit zu erzielen sind – Solidarität nicht als Anweisung zum Tragen von Scheuklappen, sondern als Ansporn zum mutigen Fragen und entschiedenen Hinschauen.

Die seit einem Vierteljahrhundert debattierte Globalisierung bedeutet nicht allein die Universalisierung von Kommunikation, die Kontraktion von Raum und Zeit, die rigorose Ausweitung von Warenverhältnissen, die Verallgemeinerung austeritätsorientierter Strukturanpassungsprogramme oder die Deregulierung des Kapital‑ und Warenverkehrs sowie die zyklische Ausweitung der Finanzkrisen. Mit allen diesen Umwälzungen gingen und gehen auch tiefgreifende gesellschaftliche Strukturveränderungen auf globaler, regionaler und lokaler Ebene einher. Dies gilt besonders auch für die Einbeziehung von Milliarden von Lohnarbeitskräften in kapitalistische Betriebe in den Weltregionen, in die ein Großteil der produzierenden Industrie verlagert wurde. Die Lohnarbeit für das Kapital unterliegt bis heute einem gewaltigen Expansionsprozess, vor allem in Ostasien, aber auch in Teilen Lateinamerikas und Südasiens. Damit konstituieren sich in den Kämpfen um Arbeitsbedingungen und Arbeitsdisziplin, zunächst im nationalen Rahmen aus Massen von ländlichen Migrant_innen neue Klassen von Industriearbeiter_innen. Ihre Organisationen entwickeln eine eigene Militanz, die sich sowohl gegen die betriebliche Despotie des Kapitals als auch gegen den diese gewährleistenden Repressionsapparat des Nationalstaats als Klassenstaat richtet. So wehren sich die Arbeiter_innen in der expandierenden Automobilindustrie Indiens und auf den Megabaustellen Brasiliens, deren Kämpfe Jörg Nowak in seinem Beitrag untersucht, gegen die Arbeitsbedingungen und die Arbeitsdisziplin, die ihnen aufgezwungen werden. Wie in den zunehmenden betrieblichen Arbeitskämpfen in den chinesischen Produktionszonen konstituieren sie hier neue Klassen von unmittelbar dem Kapital unterworfenen Arbeiter_innen.

Unverkennbar ist jedoch in diesen Entwicklungen – weit über die regionalen Zentren neuerlicher kapitalistischer Industrialisierung hinaus – auch eine systematische Einbeziehung von Arbeits‑ und Ausbeutungsverhältnissen in kapitalistische Verwertungsstrategien, die deutlich vom klassischen Lohnarbeitsverhältnis abweichen. Dies gilt für Formen persönlicher Abhängigkeit, beispielsweise Schuldknechtschaft oder – faktische wie selbst formelle – Sklaverei, ebenso wie für die mannigfaltigen Formen der Verknüpfung von unmittelbaren Produzent_innen im produzierenden und im Dienstleistungsgewerbe mit dem kapitalistischen Markt und die über ihn organisierte Arbeitsteilung. Diese neue Form der Ausbeutungsverhältnisse wird nach wie vor mit der Chiffre vom „informellen Sektor“ bezeichnet. Ebenso macht es, unterstützt von mikroelektronischer Revolution und Deregulierungspolitik, die rasant verbreitete Flexibilisierung immer schwieriger, etwa von einem Normal­arbeitsverhältnis zu sprechen, das einst einen Anker industriesoziologischer Analysen darstellte. So steht in Indien etwa die Hälfte der Arbeitskräfte des Industriekapitals im sog. formellen Sektor in informellen Beschäftigungsverhältnissen, in denen das Arbeitsrecht keine Gültigkeit hat. Ähnlich wie in europäischen Regionen verschwinden ganze Industrien, etwa die Textilindustrie, in der „Informalität“. An ihrer Stelle entstehen unübersichtliche Sektoren kleiner Warenproduktion, die überwiegend von Frauen getragen werden. Für den Kampf um Arbeitsbedingungen, Einkommen und soziale Sicherung (Gesundheit, Wohnen, Bildung) werden hierdurch Bedingungen gesetzt, die sich von der industriellen Massenarbeit radikal unterscheiden. Während die traditionellen internationalen, männlich dominierten Gewerkschaftsorganisationen an überholten Modellen industrieller Beziehungen und industrieller Arbeit festhalten, verweist Peter Waterman auf neue netzwerkartige Bewegungs‑ und Organisationsformen (u.a. Via Campesina oder Streetnet), die nach seiner Überzeugung ihre Basis bei den peripheren Klassen und nicht zuletzt in der Semiperipherie des Kapitalismus finden müssen. Die Schaffung einer neuen Art von Arbeiter_innen-Internationalismus fordert in seinen Augen das „Zusammenschweißen von internationalen Kämpfen innerhalb des Lohnarbeitsverhältnisses mit solchen, die dieses zu überwinden trachten“.

Die Neuzusammensetzung der Arbeitskräfte des Kapitals betrifft auch die Geschlechterverhältnisse und die Arbeitsverteilung nach Geschlechtern. Die Flexibilisierung der Beschäftigungsverhältnisse vollzieht sich vor allem auf dem Rücken weiblicher Arbeitskräfte, verspricht im Zuge ihrer verstärkten Einbeziehung in formelle und informelle Lohnarbeit aber auch neue Chancen einer, wenn auch subordinierten, Selbstbestimmung. Weiter wäre das gesamte System der Produktion und Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit, das hier angesprochen ist, nicht denkbar ohne jene allermeist unbezahlte Reproduktionsarbeit, die nach wie vor in der überwältigenden Mehrheit der Fälle von Frauen geleistet wird und die die Arbeitskräfte für die breit aufgefächerten Ausbeutungsverhältnisse überhaupt erst bereitstellt. Alle diese hier nur exemplarisch benannten Formen von Arbeitsbeziehungen unter kapitalistischen Verwertungsmustern sind eingebettet in vielgestaltige Migrationssysteme und ihre geschlechtsspezifischen Ausformungen. Dies verändert die Zusammensetzung nicht nur der Wohnbevölkerungen, sondern der Beschäftigten in den formellen und informellen Sektoren gesellschaftlicher Arbeit. Hier entstehen neue Spaltungen zwischen Eingesessenen und Migrant_innen, zwischen „legalen“ und „illegalen“ Arbeitskräften, die zu ethnisierten Konflikten führen können, aber auch zu neuen Kampfformen und zu neuer Militanz. Erinnert sei an die Streikwelle der Massenarbeiter_innen in der Automobilindustrie zu Beginn der 1970er Jahre, die in Deutschland von Arbeitskräften aus der Türkei und Südeuropa angeführt wurde. Ilse Lenz stellt im Peripherie-Stichwort „Klasse – Geschlecht – Intersektionalität“ theoretisch-begriffliche Wege vor, Klassenanalyse und Geschlechterforschung miteinander so zu verschränken, sodass die wechselseitige Herstellung, die Ko-Konstruktion von Geschlecht und Klasse als gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse sichtbar gemacht werden kann.

Zu beachten sind ferner die wachsenden Kader und Gruppen von Hochqualifizierten und Gutverdienenden sowie die mit ihnen verbundenen „middle classes“, die in Ländern wie Indien, Brasilien oder China heute bereits gut ein Fünftel der Beschäftigten umfassen, als Ergebnis einer fortschreitenden sozia­len Differenzierung aber auch in vielen Teilen Afrikas auftreten. Gerade hier sind Gruppen entstanden, die zur politischen Artikulation in der Lage sind. Es stellt sich daher die Frage, im welchem Verhältnis die Proteste und Kämpfe der Mittelschichten, die sich aus Beschäftigten beim Staat, Selbständigen, aber auch besser bezahlten und abgesicherten Arbeitskräften des Kapitals („Arbeiteraristokratie“) zu den betrieblichen Kämpfen und Streikbewegungen in den verschiedenen Industriezweigen stehen. Von großem Gewicht bei den Straßenprotesten, Blockaden und Besetzungen von öffentlichen Plätzen und Gebäuden sind die städtischen Armen aus den Slums und Randzonen, die für den kapitalistischen Verwertungsprozess „überflüssig“ zu sein scheinen. Die Klassen der Marginalisierten, die auch als „Prekariat“ bezeichnet werden (vgl. Saul in Peripherie 136 [2014: 487ff], auch zur Kategorie des „Lumpenproletariats“), nehmen an den Protesten gegen Teuerung, Privatisierung von Gemeinschaftsgütern oder Vertreibungen aus Stadtvierteln nicht nur teil, sondern führen diese unter bestimmten Bedingungen auch an. Unter Umständen verstärken sich die Auseinandersetzungen und Kämpfe in den verschiedenen Bereichen, bilden Zyklen von Kämpfen mit unterschiedlichem Ausgang. Wie der Diskussionsbeitrag von Bettina Engels zeigt, waren in der Vertreibung von Blaise Compaoré aus dem Präsidentenamt von Burkina Faso neben den bestehenden oppositionellen Bündnissen von Gewerkschaften, Menschenrechtsorganisationen, Berufsverbänden, Schüler_innen und Studierenden auch weitere zivilgesellschaftliche Gruppen entstanden, wie der Balai ­Citoyen (wörtlich etwa „Bürgerbesen“), der die Popularität seiner Gründer als Künstler nutzte, um zahlreiche Menschen zu den Protesten gegen Compaoré zu mobilisieren. Schon in die vorausgegangenen, von Engels in Peripherie 129 (2013: 39ff) analysierten Hungeraufstände und Teuerungsproteste war ein breites Spektrum von „Volksklassen“ und Massen-Organisationen verwickelt.

Die Umwälzungen und Neuzusammensetzungen der Lohnarbeitskräfte des Kapitals, die mit der Herausbildung des kapitalistischen Weltsystems ab dem 16. Jahrhundert begann, sind heute weitgehend Resultate der Transnationalisierung der Kapital‑ und Unternehmensstrukturen und der Produktions‑ und Wertschöpfungsketten. Sie werden von einer transnationalen Bourgeoisie und Manager_innen-Klasse geführt, die sich auf unterschiedliche Weise, etwa über den Finanzsektor, organisiert. Dies führt zur Frage nach den Dominanzverhältnissen zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitals und dem Verhältnis zwischen fungierenden KapitalistInnen und reinen GeldkapitalistInnen, deren Vermögenswerte („fiktives Kapital“) von Krise zu Krise in schwindelerregende Höhen steigen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass sich die Herrschaft des Kapitals über unterschiedliche Systeme der privaten und staatlichen Kapitalkontrolle vollzieht, von der Verfügung der Superreichen über ihre Privatvermögen, dem Management mächtiger Hedgefonds und Pensionskassen bis zu den russischen oder ukrainischen Oligarchen, von Führungskadern der KP Chinas bis hin zu Potentaten wie dem Sultan von Brunei, dem Emir von Katar oder dem saudischen Königshaus. Sie alle unterliegen keiner demokratischen Kontrolle. Die Finanzkrisen enthüllen einen zunehmend „autoritären Kapitalismus“, der über willige Regierungen und Staatsklassen den Bevölkerungen in Form von Austeritätspolitiken, Steuervermeidung oder Staatsverschuldung Tribute auferlegt. Kees van der Pijl geht vor diesem Hintergrund der Frage nach einer Konvergenz der herrschenden Klassen in Richtung einer globalen, autoritär verfassten Oligarchie nach. Auch in seinen Zentren im „Westen“ erscheint damit die Ablösung des liberalen Kapitalismus mit demokratischer Herrschaftsform durch eine derartige Oligarchie als reale, alles andere als emanzipative Möglichkeit.

Eine Herausforderung für die Analyse gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse in einem globalen Rahmen besteht eben in der Vielgestaltigkeit und Vielschichtigkeit der globalen Sozialstruktur. Diese Komplexität verweigert sich einfachen Konzepten. Vielmehr geht es um die Formbestimmtheit konkreter sozialer Verhältnisse, in denen Ausbeutung vonstattengeht und mit dem System der Kapitalakkumulation verknüpft ist. Wesentlich sind auch die unterschiedlichen Formen, in denen neue, meist kleine wirtschaftliche Einheiten (Unternehmen) gerade im Zuge von Innovationsprozessen immer wieder entstehen und dann in größere Formationen absorbiert werden. Auch hier ist heute mit größerer Komplexität zu rechnen, als dies klassische Modelle unterstellten.

Die terminologische Bezugnahme auf „Klassen“, die sich „im gesellschaftlichen Kampf um das Surplusprodukt“ (Jürgen Ritsert) formieren, impliziert im Gegensatz zu anderen Möglichkeiten wie „Schicht“ oder „Milieu“ u.a. die Frage nach dem gesellschaftlichen und historischen Subjektcharakter dieser sozialen Großgruppen. Dabei ist die alte Einsicht keineswegs überholt, dass die Arbeitenden durch ihre soziale Lage zunächst einmal in Konkurrenz zuein­ander gestellt sind. Die Überwindung dieser Konkurrenzverhältnisse ist eine zentrale Voraussetzung für kollektives Handeln. Vor diesem Hintergrund ging die Betonung anderer Differenzierungsformen wie etwa der Milieus mit der These einher, die Konstituierung einer Klasse als kollektives Subjekt sei in einer neuen gesellschaftlichen Situation nicht mehr realistisch. Auch jenseits problematischer und historisch folgenreicher Hypostasierungen sind aktuelle Entwicklungen, die neben neuen sozialen Bewegungen gerade in vielen Teilen des globalen Südens auch große und nachhaltige Streikbewegungen einschließen, daher gerade auch auf begrifflicher Ebene ernst zu nehmen. Sie lassen sich als Herausforderung lesen, genauer über die Konstitutionsbedingungen kollektiver Handlungszusammenhänge oder gar kollektiver Subjekte nachzudenken. Erst diese begriffliche Klärung würde berechtigen, eventuell an einem revidierten Konzept von „Klassenkämpfen“ festzuhalten. Die auch in historischen Analysen solcher gesellschaftlicher Auseinandersetzungen meist postulierten, teils auch nachgewiesenen Lern‑ und Kommunikationsprozesse innerhalb von „Klassen“ oder ihren Segmenten gilt es empirisch zu erforschen und nachzuzeichnen, aber auch mit den angesprochenen sozialstrukturellen Gegebenheiten zu konfrontieren und zu vermitteln. Gerade weil dies historisch belastetes Terrain ist, liegt hier zugleich eine beachtliche theoretische Herausforderung. Sie wird noch verstärkt, wenn wir nach den Formen fragen, in denen die Vielgestaltigkeit der Arbeits‑ und Ausbeutungsverhältnisse in sozialen Auseinandersetzungen zum Ausdruck kommen kann.

Die Frage der Handlungsfähigkeit stellt sich ebenso für die Herrschenden. Auch ihr Handeln steht im Spannungsverhältnis zwischen Kooperation und Konkurrenz, auch bei ihnen geht es um die Vermittlung zwischen sehr verschiedenartigen Lagen und Machtpositionen. Vor allem in Form transatlantischer Klassenbildung, aber auch in Form globaler Foren wie etwa dem Weltwirtschaftsgipfel ist jedoch erkennbar, dass Koordinations‑ und Lernprozesse auf der Herrschaftsseite weiter vorangeschritten sind als auf der Seite derer, die in vielgestaltiger Form die Arbeit für den kapitalistischen Verwertungsprozess leisten. Andererseits erscheinen Handlungsmöglichkeiten dann eingeschränkt, wenn etwa das in Echtzeit ablaufende, computergetriebene Börsengeschehen als eine anonyme Macht des Kapitals auftritt, sodass sich subjektives Eingreifen selbst für Privilegierte bestenfalls als prekär erweist.

Sämtliche Aspekte der Klassen und ihrer Kämpfe sind endlich nicht zu verstehen ohne ihre Situierung in politischen Kontexten und den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen. Nach wie vor spielen hier Nationalstaaten eine wesentliche Rolle, etwa durch Grenzregime, die den Zufluss von Arbeitskräften regulieren, mit anderen Worten: die Konkurrenz unter den Arbeitenden modellieren und institutionelle Vorgaben für soziale Konflikte liefern. Diese brauchen dabei nicht die Form des „institutionalisierten Klassenkampfes“ anzunehmen, der oft mit dem „rheinischen Kapitalismus“ assoziiert wurde. Man kann auch an die politische Einbindung zentraler Organisationen denken, wie dies in Südafrika seit 1994 in der Triple Alliance zwischen ANC, Kommunistischer Partei und dem Gewerkschaftsverband COSATU institutionalisiert wurde und deren mögliches Aufbrechen Peter Alexander anhand der dramatischen Folgen des Massakers von Marikana im Jahr 2012 aufzeigt. Im Kontrast dazu stehen die engen Grenzen und die scharfe Repression, der sich Arbeitskämpfe in der VR China gegenüber sehen. Wenn daher für die erstgenannte, oft auch als wohlfahrtsstaatlich bezeichnete Variante eines „organisierten Kapitalismus“ eine Erosion durch aktuelle Globalisierungsprozesse beklagt wird, so indiziert dies keineswegs die Irrelevanz nationalstaatlicher Vorkehrungen und Bestimmungen zur Schaffung von Rahmenbedingungen, unter denen kapitalistische Produktion in spezifischen regionalen Kontexten stattfinden kann. Auch Standortpolitik hält sich offenkundig im nationalen Bezugsrahmen; dies gilt auch für die Absenkung und Aushöhlung historisch erreichter Standards. Ohne Globalisierungsprozesse aus den Augen zu verlieren, ist daher die nationalstaatliche Dimension zum Verständnis gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse nach wie vor essentiell.

Die weiteren Ausgaben dieses Jahres setzen sich unter dem Stichwort „Dis-placement“ mit der Situation der Flüchtlinge zwischen den Orten ihrer Herkunft und ihres Asyls (Nr. 138/139) sowie mit der deutschen Entwicklungspolitik als Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln (Nr. 140) auseinander. Die erste Ausgabe des 36. Jahrgangs soll sich mit dem Thema „Stadt“ beschäftigen. Zu diesen und anderen Themen sind Beiträge wie immer sehr willkommen. Die entsprechenden Calls for Papers finden sich auf unserer Homepage, sobald sie veröffentlicht werden.

Für unsere weitgehend ehrenamtliche Arbeit sind wir weiterhin auf die Beiträge der Mitglieder der WVEE, der Herausgeberin der Peripherie, und auf Spenden angewiesen. Wir freuen uns daher über neue Vereinsmitglieder ebenso wie über einmalige Spenden.

Peripherie, Nr. 137, 35. Jg. 2015, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 5-11
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