Heimat schaffen, nicht sich nehmen

Anti-Imperialismus und Anti-Zionismus, gesehen von Südafrika heute

in (21.01.2025)

Leute sagen gewöhnlich, dass Geschichte sich wiederhole, aber nicht die Geschichte wiederholt sich, sondern Menschen wiederholen sich. Aus diesem Grund ist es wichtig, den Kampf für palästinensische Befreiung, einen Kampf gegen den Zionismus, in eine Geschichte des Kampfes gegen den Imperialismus einzubetten. South African Jews For A Free Palestine (SAJFP) ist eine Gruppe anti-zionistischer Jüdinnen und Juden, die sich auf unser Verständnis der Verantwortung von Jüdinnen und Juden beruft, sich für Gerechtigkeit einzusetzen. Dazu gehört die vollständige Befreiung des palästinensischen Volkes. Wir solidarisieren uns mit Palästina gegen die von Israel mit Unterstützung der USA und von Zionist:innen auf der ganzen Welt verübte Brutalität.

Wir leben im Nachgang ungelöster und fortgesetzter geschichtlicher Prozesse des Imperialismus. In dieses Jahr fällt der 140. Jahrestag der Berliner Afrika-Konferenz, auf der sich die europäischen Mächte trafen, um den afrikanischen Kontinent aufzuteilen. Das war die Zeit, als die Familien der meisten südafrikanischen Jüdinnen und Juden – zu denen auch meine gehörte – auf der Flucht vor den Pogromen, dem Völkermord in Osteuropa ankamen. Das, was wir von diesen geschichtlichen Ereignissen wissen und wie wir sie einordnen, bestimmt unser Denken darüber, was wir heute glauben, tun zu müssen. Und was wir heute in diesem Zusammenhang tun, entscheidet über Leben oder Tod viele Kilometer von hier im besetzten Palästina.

Unter Imperialismus verstehen wir eine Politik, durch die die Macht und der Einfluss eines Landes durch Kolonisierung, den Einsatz militärischer Gewalt und auf andere Weise ausgedehnt werden. Imperialismus bedeutet Herrschaft, Kontrolle, Einhegung, Polizeiüberwachung, Extraktion von Gütern und die Reproduktion von Reichtum über aufgezwungene und überwachte Grenzen hinweg. Es ist ein Prozess des Aufbaus von Allianzen, von Stellvertreterkriegen, von Geopolitik. Von Macht, aber von Macht über, nicht von Macht mit – das sind zwei sehr unterschiedliche Dinge. Die Vokabeln mögen sich ändern – Imperialismus, Kolonialismus, Neokolonialismus, Neoliberalismus – aber die Grundlagen bleiben dieselben: die Spielregeln zu bestimmen, mit denen Macht gesichert und Reichtum ausgesogen wird, und immer und immer wieder zu gewinnen.

Die Geschichte der imperialen Siege, die immer unsicher sind, weil sie einer Minderheit auf Kosten der Ausbeutung der Mehrheit dienen, wird von den Sieger:innen geschrieben. Sie stellen diese Expansion immer als wohlverdient, gerechtfertigt, unvermeidlich und unveräußerlich dar. Und sie stellen sich immer als am besten geeignet dar, zu sorgen und zu führen, verweisen auf sehr konkrete Vorteile für das Überleben und Annehmlichkeiten für Komplizenschaft sowie strenge Bestrafung im Fall der Verweigerung. Wie wir während der Verhandlungen über die Anwendung der Konvention zur Verhinderung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords (Südafrika vs. Israel) vor dem Internationalen Gerichtshof gesehen haben, erfordert das Narrativ der kolonialen Besatzung, vor allem der siedlerkolonialen Besatzung, der beständigen Expansion und Verteidigung angesichts des antikolonialen Widerstandes.

So wie viele Jüdinnen und Juden vor uns lehnt SAJFP die zionistische Vorstellung ab, dass jüdische Sicherheit eine jüdische Heimstatt erfordere und dass das Judentum den Staat Israel und seine verabscheuungswürdige Behandlung der Palästinenser:innen rechtfertige. Der Zionismus ist eine Form von jüdischem Nationalismus, der auf der Errichtung eines exklusiv jüdischen Staates auf palästinensischem Boden beruht. Als SAJFP betrachten wir Zionismus als Rassismus mit der unausweichlichen Unterdrückung von Bürger:innen zweiter Klasse durch Bürger:innen erster Klasse. Es ist der Zionismus, der jetzt ebenso wie während der letzten 75 Jahre das Apartheidsystem der israelischen Regierung und die Enteignung der Palästinenser:innen antreibt.

Die Gründung und fortdauernde Verteidigung Israels und sein arrogantes Auftreten im Sinne von Siedlungsansprüchen beruht zu großen Teilen auf der Interpretation des Holocaust. SAJFP lehnt die Art und Weise ab, in der das jüdische Trauma als Waffe eingesetzt wird, um die Besatzung und die Unterdrückung Palästinas zu rechtfertigen. Dieser Bezugsrahmen, nach dem der Opferstatus jegliches darauf folgende Verhalten rechtfertigt, verstößt gegen den ethischen Kern des Judentums.

Die anti-zionistische Autorin Naomi Klein zeigt in ihrem neuen Buch (Doppelgänger) auf, wie dem grauenhaften Völkermord des Holocaust ein besonderer Status zugesprochen wurde, der die koloniale Besatzung ebenso wie all die Brutalität, die dies bedeutet, als verdrehte Form der Wiedergutmachung rechtfertigt. Es ist wichtig, die Nazis und ihre rassistische Eugenik in einem Kontinuum des europäischen siedlerkolonialen Projekts zu sehen, das die Welt geformt hat, mit der wir uns noch immer auseinandersetzen müssen. Hitler hat selbst gesagt, dass die Idee zu den Konzentrationslagern von den Briten und Südafrikanern kam. Von den Deutschen wurde das gerade hier, in Namibia, verwirklicht. Als Reaktion auf den Widerstand gegen den Landraub vernichteten sie zwischen 1905 und 1908 zehntausende Nama und Herero.

Aimé Césaire, der anti-koloniale Dichter und Politiker aus Martinique, sagte, der Holocaust sei nach innen gewendeter Kolonialismus. Ähnlich argumentierte die politische Theoretikerin Hannah Arendt – selbst eine jüdische Kritikerin des Zionismus –, dass der koloniale Rassismus der imperialen Expansion dem Holocaust die Bühne bereitet habe. Klein zeigt, wie die Rahmung der Briten und US‑Amerikaner als die Guten, die Hitler besiegt und die jüdischen Opfer befreit haben, benutzt wurde, um ihre imperialen Erbschaften, die sie noch immer verteidigen, kleinzureden.

Wenn der Holocaust seine Wurzeln in unethischer europäischer Kolonialpolitik hat, so ist es das, worum wir uns jetzt kümmern müssen. Wie der Refrain des Gedichts des Poeten Mohammed el‑Kurd: „Wer wohnt in Sheikh Jarrah?“ lautet: „Es war der Kolonialismus, der in Jerusalem den Frieden getötet hat.“ Aber stattdessen argumentierten am Ende des Zweiten Weltkrieges viele Zionist:innen, die Jüdinnen und Juden hätten das Anrecht auf eine Ausnahme vom dekolonialen Konsens erworben, eine Ausnahme, die aus ihrer jüngst erlittenen Ausrottung, Misshandlung und Verwundbarkeit herrühre (Klein). Und, so wurde argumentiert, wenn Europa Nationalstaaten aufgrund von ethnischer Säuberung und massiver kolonialer Gewalt errichten könne, dann bedeute es eine Diskriminierung, dies Israel zu verweigern… und damit galt es als Antisemitismus, Israel zurückzuhalten. Das Streben nach Gleichheit wurde daher neu gefasst, nicht als Recht, frei zu sein, sondern als Recht, sich Land zu nehmen und zu kolonisieren. Das passt natürlich den Westmächten. Als SAJFP lehnen wir dieses Narrativ und die koloniale Dynamik, die es rechtfertigen soll, ab.

Die USA und Israel stellen sich noch immer als die Retter der Jüdinnen und Juden dar, wie wir während der Verhandlungen vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) vom 11. bis 12. Januar 2024 sahen, wo Israel derzeit eine Selbstdarstellung als Opfer betreibt und sich auf eine verdrehte, kapitalistische, kolonisierende Vorstellung von Sicherheit stützt. Das lehnen wir ab.

Um über das Trauma des Holocaust und der vielen schrecklichen Erfahrungen des Antisemitismus, die unser Leben vor wie nach dieser Zeit geprägt haben, hinweg zu kommen, müssen wir die Art und Weise in Frage stellen, in der unsere Angst als Waffe eingesetzt wird, um die Gräueltaten zu rechtfertigen, die uns immer wieder zu Kompliz:innen einer globalen Machtdynamik machen. Versuche, Israel zu verteidigen, sind Versuche, eine ganze Weltordnung zu verteidigen, die auf der Annahme beruht, es könne Blasen der Sicherheit geben, jedoch ohne Frieden. Wie Klein deutlich macht, ist es nicht allein Israel, das Frieden ohne Gerechtigkeit wünscht und Blasen der Sicherheit durch die Befestigung seiner Grenzen. Ich denke, wir müssen diese Weltordnung als eine des rassialisierten Kapitalismus (racial capitalism) benennen und klar und deutlich Dekolonisierung fordern: from Sea Point to the Red Sea, all must be free – von den Stränden Kapstadts bis zum Roten Meer müssen alle frei sein.

Sollte es dazu nicht kommen, was dann? Die Geschichte zeigt uns, dass koloniale Versprechen von Sicherheit in Israel und überall sonst Versprechen von Gewalt sind. Wie Devin Atallah (2023) in einem wunderbaren Text mit dem Titel „Jenseits des Kummers: Lieben und mit denen bleiben, die in unseren Armen sterben“ schrieb:

„In dem Moment, wo unsere palästinensischen Menschen sich der völkermordenden Demaskierung der kolonialen Welt gegenüber sehen, wissen wir, dass Kolonisator:innen, wenn sie über ‚Sicherheit‘ sprechen, in Wirklichkeit über ‚Gewalt‘ sprechen … In der kolonialen Beziehung … wird Sicherheit zur Gewalt, und Gewalt wird Sicherheit. Sie verschmelzen und werden zu demselben Wort.“

Er zitiert Tareq Baconi (2023), der weiter ausführt, dass „Israel jahrzehntelang aufgrund der Behauptung funktioniert hat, es könne für die Sicherheit seiner Staatsbürger:innen sorgen und gleichzeitig das palästinensische Volk einem Apartheidsregime unterwerfen. Jetzt wurde diese Behauptung zerschlagen.“ Und Atallah (2023) fragt und antwortet: „Hat Israel gelogen und seine Staatsbürger:innen sieben Jahrzehnte lang fehlgeleitet? Nein. Vielmehr geht es um eine Frage der Semantik. Israels Versprechen, es werde für seine Staatsbürger:innen Sicherheit schaffen, war in Wirklichkeit immer ein Versprechen, ihnen Gewalt zu liefern.“

Als SAJFP wissen wir, dass Antisemitismus eine Realität ist, aber Anti-Zionismus mit Antisemitismus zu vermengen, ist gleichbedeutend damit, die rassistischen Wurzeln des Zionismus und seine Gründungsidee zu verschleiern, nämlich dass wir ein jüdisches homeland[1]benötigen, um sicher zu sein.

Wir sind nicht die ersten, die das sagen. Unsere anti-zionistischen Ahn:innen haben das im 19. und 20 Jahrhundert durchgehend betont. So waren in den 1930er Jahren in Deutschland die meisten Jüdinnen und Juden gegen den Zionismus. Es gab keinen Konsens, die Vorrechte in Palästina waren damals wie heute umstritten und konstruiert. Erinnern wir uns, dass es nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zionistische Jüdinnen und Juden im Westen, in Europa und den USA waren, die sich für Quoten einsetzten, für eine begrenzte Anzahl von jüdischen Einwander:innen, die aus den deutschen Konzentrationslagern in den Westen kommen sollten. Die übrigen sollten vielmehr dabei unterstützt werden, nach Palästina zu gehen. Dahin wollten beispielsweise die meisten Jüdinnen und Juden in den USA nicht gehen, aber sie wollten es als Rückversicherung angesichts des Antisemitismus, eine Versicherungspolice, zu der sie beitrugen durch die Förderung der Einwanderung in die Region. Worauf es dabei ankommt, ist, dass viele der Jüdinnen und Juden, die heute in Israel leben, kaum Wahlmöglichkeiten hatten, und dass heute viele dort nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, das Land zu verlassen. Sie sind Bauern im Schachspiel der Mächtigen, und von denen wissen wir, dass sie immer für sich selbst sorgen und sich dabei als wohlmeinende, paternalistische Heilsbringer geben.

Als Südafrikaner:innen wissen wir, dass es zerstörerisch ist, Menschen ein homeland aufzuzwingen, einen ethnonationalistischen Raum für nur eine Art von Menschen, als ob Menschen jemals nur eine reine Identität hätten und nur an einen Ort gehörten. Wir kennen die Mythen von kolonialem Schutz und Fürsorge, von Wahrheit ohne Gerechtigkeit, von leeren Regenbogen, von Versöhnung ohne Reparation oder Rückgabe.

Wir hörten, dass Israel in seiner Stellungnahme vor dem ICJ am 13. Januar 2024 versuchte, sich darauf zu berufen, dass die Evakuierung von Palästinenser:innen aus ihren Häusern in Gaza erfolge, um sie in Sicherheit zu bringen. Wir wissen, dass dies Teil ihres siedlerkolonialen Plans zur Expansion ist, der immer weitere und weitere Enteignung erfordert. Seit dem 7. Oktober 2023 sind schon 85% der Einwohner:innen von Gaza evakuiert  worden, eine massenhafte, erzwungene Vertreibung aus ihren Wohnstätten, 35.000 Wohnstätten (Hassim 2024). Das ist kein unschuldiges Nebenprodukt des sogenannten Konflikts mit Hamas. Das ist Desaster-Kapitalismus. Wir haben sogar schon vorsorgliche Angebote an Israelis von Strandgrundstücken entlang des Gazastreifens gesehen. Geschichte wiederholt sich nicht, aber Menschen schon.

Als Reaktion auf die Verhandlungen vor dem ICJ behauptete Warren Goldstein, Südafrikas Oberrabbiner, am 12. Januar 2024, Israel stehe über den UN, die, wie er sagte, eine Bedrohung für Freiheit und Demokratie in der Welt darstellten. Das ist die fortgesetzte Geschichte der kolonialen Leugnung und die Rechtfertigung für eine exklusive, durch Polizeimaßnahmen garantierte Form von Sicherheit für einige wenige auf Kosten der übrigen. Goldstein sagt, er spreche im Namen der südafrikanischen jüdischen Gemeinschaft. Wir sagen: nicht in unserem Namen.

Wir wissen, dass es andere jüdische Stimmen, Meinungen und Handlungsweisen aus der gesamten Geschichte gibt, durch die wir uns heute inspirieren und klar leiten lassen können. So waren etwa unsere Vorfahr:innen vor dem Holocaust, die im Jüdischen Sozialistischen Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland (woher die Mehrheit der südafrikanischen Jüdinnen und Juden kamen) organisiert waren, vom Prinzip der „doykheit“ oder des „Da‑Seins“ überzeugt. Sie sagten, dass wir solidarische Gemeinschaften dort aufbauen sollten, wo wir gerade lebten, und nicht an einem weit entfernten zukünftigen Ort.

Ihre anti-kapitalistische Alternative war die Idee einer Heimat jenseits des Nationalstaates, wo wir Gemeinsamkeiten und Bindungen gegenseitiger Fürsorge mit anderen Gemeinschaften finden: für Gerechtigkeit zu kämpfen, wo immer wir uns befinden, mit den Menschen und für sie, die mit uns verwandt sind oder eben nicht. Denn wie Fenya Fischler (2023), Mitglied von Een Andere Joodse Stem/Andere jüdische Stimme in Belgien, sagt: „Unsere Sicherheit bleibt reine Illusion, wenn sie auf Mauern und Waffen beruht, um diejenigen herauszuhalten, denen wir das Menschsein absprechen.“ In den berühmten Worten des Bundisten Marek Edelman, des jüdisch-polnischen Aktivisten und Kardiologen, des letzten Überlebenden des Warschauer Ghetto-Aufstandes von 1943: „Jude zu sein bedeutet, immer auf der Seite der Unterdrückten und nie jener der Unterdrücker zu stehen.“ Das wird uns Sicherheit geben.

Auch wenn sie keine Bundistin war, so lehnte die berühmte jüdische antiimperialistische Theoretikerin und internationalistische Aktivistin Rosa Luxemburg, die dem Antisemitismus ebenso ausgesetzt war wie sie ihn bekämpfte, ebenfalls die Idee eines jüdischen Separatismus ab. In einem Brief aus dem Gefängnis an die deutsch-jüdische Sozialistin und Feministin Mathilde Wurm fragte Luxemburg 1917: „Was willst Du mit den speziellen Judenschmerzen?“ Sie sagt dann, dass ihr „die armen Opfer der Gummiplantagen in Putamayo“ genauso nahe gingen, ebenso wie die Schwarzen Menschen in Afrika,

„mit deren Körpern die Europäer Fangball spielen… ich [habe] keinen Sonderwinkel im Herzen für das Ghetto …: Ich fühle mich in der ganzen Welt zu Hause, wo es Wolken und Vögel und Menschentränen gibt.“

Und sie spricht in diesem Brief weiter davon, wie sie von der „erhabenen Stille der Unendlichkeit“ verfolgt wurde, dem „Röcheln der Sterbenden, [dem] Wahnsinnsschrei der Verdurstenden“ im Zusammenhang mit General von Trotha und seinen Vernichtungsfeldzügen gegen Nama und Herero[2] und wie dies ihre internationalistische Orientierung in der Frage des Antisemitismus und ihre Lebensarbeit im Kampf gegen den Imperialismus bestimmt hat.

Wenn wir bei unserem Seder zu Pessach sagen: „Niemand kann frei sein bis alle frei sind“, so müssen wir diese Gefühle mit unseren Handlungen in Übereinstimmung bringen. Langfristiges, langsames Handeln, direkte tägliche Aktion, welche die koloniale Dynamik, die wir ererbt haben, rekonfigurieren und der fortgesetzten Brutalität, dem Wachstum der imperialen Mächte, etwas entgegensetzen. Der Kapitalismus ist, wie viele gezeigt haben, rassialisiert und rassistisch. Wenn wir also über Anti-Imperialismus sprechen wollen, müssen wir über Anti-Kapitalismus, Anti-Zionismus und Antirassismus dort sprechen, wo wir uns befinden innerhalb nationalstaatlicher Grenzen und über sie hinaus.

Das ist für SAJFP Teil dessen, was Kern ihres Auftrags ist und im Judentum als Tikkun Olam bezeichnet wird, die Welt zu reparieren. Das ist beispielsweise der Grund, aus dem die Jüdinnen und Juden nicht glauben, der Messias sei bereits gekommen. Unsere Lehren besagen nämlich, dass die Menschen erst die Arbeit der sozialen Gerechtigkeit vollbringen müssen, und dann wird der Messias kommen, und wir werden in den nach der Emanzipation liegenden Stand der Emanation eintreten, des Atzilut. Als anti-zionistische Jüdinnen und Juden glauben wir an den Aufbau eines Judentums jenseits des Zionismus und an eine Welt, die frei ist von Kolonialismus und weißer Vorherrschaft. Weil es keinen Frieden ohne Befreiung gibt. Das ist harte Arbeit, es ist komplizierte, unablässige Arbeit, weil der patriarchalische Kapitalismus weiter den Alltag beherrscht, wobei die USA die Welt als ihren Spielplatz betrachten und nach Kontrolle streben, idealerweise über Stellvertreterregime oder indirekte Herrschaft oder besser noch, indem sie einfach unsere Ressourcen ausbeuten und sie uns als Konsumentenkapitalist:innen zurückkaufen lassen.

Es gibt vieles, was wir tun können, um zu verweigern, umzuverteilen, zu reparieren, abzurechnen, wieder aufzubauen. Das ist die einzige Möglichkeit, in Sicherheit zu leben. Geschichte wiederholt sich nicht, Menschen schon.

Migration hat es immer schon gegeben, aber die Grenzen sind neu. Eine anti-imperialistische Position erfordert es, dass wir diese brennende Frage beantworten: Können wir irgendwo hinkommen und Heimat schaffen, nicht sie nehmen? Heimat schaffen und nicht sich zu nehmen, das ist unsere Forderung an Jüdinnen und Juden in Palästina und an Jüdinnen und Juden in Südafrika. Internationalistische, anti-imperialistische, anti-zionistische Solidarität ist entscheidend, wenn wir Antworten auf diese Frage bauen wollen und von Sea Point bis zum Roten Meer ein Palästina sehen wollen, das frei sein wird.

Übersetzung aus dem südafrikanischen Englischen: Reinhart Kößler

Zitierte Literatur

Atallah, Devon G. (2023): Beyond Grief: To Love and Stay with Those Who Die in Our Arms. Institute for Palestine Studies: Blog Series Genocide in Gaza, 24 Oktober 2023, https://www.palestine-studies.org/en/node/1654491, letzter Aufruf: 10.3.2024.

Baconi, Tareq (2023): „Gaza Without Pretenses“. In: The New York Review, 11..10.2023 https://www.nybooks.com/online/2023/10/11/gaza-without-pretenses/, letzter Aufruf: 11.7.2024.

Fischler, Fenya (2023): „Diasporist Dreams of Jewish Safety“. In: Medium, 23.10.2023 https://medium.com/@fenyachannah/diasporist-visions-of-jewish-safety-7e4c7ce77b63 letzter Aufruf: 11.7.2024.

Hassim, Adila (2024): South Africa vs. Israel. ICJ Hearings, Submission, https://www.youtube.com/watch?v=MJzf_52xBJk, letzter Aufruf: 10.3.2024.

Luxemburg, Rosa (1917): „Rosa Luxemburg an Mathilde Wurm 16.2.1917“. In: Gesammelte Briefe. Bd. 5, Berlin (DDR) 1984, S. 175‑178.

Anschrift der Autorin:
Koni Benson
kbenson@uwc.ac.za

https://doi.org/10.3224/peripherie.v44i2.07


 

[1]       Im südafrikanischen Kontext verweist der Terminus homeland, der später eingeführte Euphemismus für Bantustan, direkt auf die Apartheidpolitik. Er wird deshalb hier der gängigen Formulierung der „jüdischen Heimstatt“ vorgezogen (d. Übers.).

[2]       Luxemburg (1917) zitiert hier direkt das berüchtigte „Generalstabswerk“ Die Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika. Auf Grund amtlichen Materials bearbeitet von der Kriegsgeschichtlichen Abteilung I des Großen Generalstabes. Erster Band: Der Feldzug gegen die Hereros. Berlin 1906, S. 214 (dort zit. Oberleutnant Graf Schweinitz).