Wer haftet für die Klimakrise?

Hefteditorial iz3w 393 (November/Dezember 2022) | Rohstoffe

Weniger als ein Prozent. So viel trägt Pakistan, in dem 3,6 Prozent der Weltbevölkerung leben, zu den weltweiten CO2-Emissionen und damit zum menschengemachten Klimawandel bei. Anfang März rollte eine dreimonatige Hitzewelle über die Region, mit Höchsttemperaturen von bis zu 53 Grad. Ende August wird Pakistan von den stärksten Wasserfluten seit Beginn der Aufzeichnungen heimgesucht. Geschmolzene Gletscher und ununterbrochene Regenfälle lassen Rinnsale zu kilometerbreiten, reißenden Flüssen werden und setzen ein Drittel des Landes unter Wasser. Mehr als 35 Millionen Menschen sind betroffen. Sie verlieren ihre Häuser und ihre Lebensgrundlage. Über 1.500 Menschen sterben. Nun steht eine weitere Katastrophe bevor: In den kommenden Monaten droht Nahrungsmittelknappheit. In überfüllten provisorischen Camps könnten sich Krankheiten wie Malaria, Cholera und Dengue ausbreiten.

                Während man in Europa die Klimakrise bis vor ein paar Jahren noch beiseiteschob, ist Südasien infolge des Klimawandels seit geraumer Zeit von Extremwetterereignissen betroffen. In diesem Zusammenhang sprach man hierzulande oft von ‚Naturkatastrophen‘, so auch in aktuellen Berichten über die Fluten in Pakistan. Die Formulierung erweckt den Eindruck einer unbändigen und willkürlichen Naturgewalt. Eine hochpolitische Angelegenheit wird so entpolitisiert und Verantwortlichkeiten verschleiert.

Die Kosten der Erderhitzung und die Ressourcen zur Anpassung sind ungleich verteilt. Das geht zurück auf eine über 500-jährige Geschichte kolonialer Ausbeutung und asymmetrischen Wirtschaftens. Seit Jahren fordern daher Aktivist*innen aus Ländern des Globalen Südens Schadensersatzzahlungen durch die Industrieländer. Diese haben die Forderungen stets abgelehnt und auf die Gelder verwiesen, die bereits für den Klimaschutz von Nord nach Süd fließen. Das sind aber keine Gelder im Sinne eines Schadensersatzes, sondern sogenannte Entwicklungshilfen zum Ausbau des Klimaschutzes. Auch die 38 Millionen Euro, die Deutschland in Folge der Fluten an Pakistan zahlt, folgen diesem Muster. Eine vollumfängliche Haftung der Industrieländer ist auch im Pariser Abkommen nicht vorgesehen.

Auf die Schadensersatzforderungen einzugehen, würde schließlich bedeuten, das postkoloniale Image des gütig Helfenden abzulegen und sich auf die eigene Bringschuld einzulassen. Beim Klimaschutz wollen die Industrieländer aber als Vorbilder voranschreiten – natürlich bei gleichbleibendem Wirtschaftswachstum und Wohlstand. Währenddessen greifen ärmere Länder schon jetzt tief in die Tasche um die Folgeschäden von Fluten, Hitzewellen, Waldbränden und Dürren einzuhegen.

                Vor diesem Hintergrund kommt es fast einem Tabubruch gleich, dass Dänemark als erster Staat Ende September ankündigte, Schadensersatz in Höhe von umgerechnet 13,4 Millionen Euro an besonders von der Klimakrise betroffene Regionen zu leisten. Der Betrag ist zwar eher symbolisch. Dennoch fragt sich angesichts der Weltklimakonferenz (COP) Anfang November in Ägypten: Hat Dänemark damit endlich das Tor für den Klima-Schadensersatz aufgestoßen?

Bereits die Vorgespräche zur Konferenz lassen erahnen, dass Kompensationszahlungen zum großen Streitpunkt werden. Die Weltklimakonferenz solle eine »COP der Solidarität werden«, so Anna Lührmann, Staatsministerin für Europa. Doch die EU ließ bereits durchscheinen, Kompensationszahlungen nicht zu unterstützen. Erfahrungsgemäß ist nicht allzu viel von dieser Zusammenkunft zu erwarten. In diesem Jahr wird die Bereitschaft für mehr Klimaschutz-Verpflichtungen von der hohen Inflationsrate, Energieknappheit, Folgen der Corona-Pandemie und die dadurch angespannte wirtschaftliche Lage zusätzlich ausgebremst. Nach diesem Klimakatastrophenjahr ist es jedoch wahrscheinlich, dass die Industrieländer zumindest stärkerem Druck ausgesetzt sind.

Fragt sich, auf wessen Kosten die EU-Staaten ihren Kurs beibehalten wollen. Als dystopisches Mahnmal dienen nun die Bilder aus Pakistan. Sie zeigen: Viel bemühte Floskeln, wonach wir doch »alle im selben Boot« säßen, gehen an der Realität vorbei. Manche Menschen sitzen einfach in gar keinem Boot. Um genau zu sein über 689 Millionen Menschen – die eben, die unterhalb der Armutsgrenze leben. So gerechnet vereint das reichste ein Prozent der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte aller Boote auf sich. Viel Stoff für Umverteilung, findet

die redaktion

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