Rassismuskritische Perspektiven auf das postkoloniale Dakar
Keywords: whiteness, racism, colonization, postcolony, Grounded Theory, toubab, Senegal, Dakar
Schlagwörter: weißsein, Rassismus, Kolonisierung, Postkolonie, Grounded Theory, tubab, Senegal, Dakar
„Wenn du in Dakar einen weißen in einem Mini-Bus siehst, denkst du dir:
Tja! Das ist wohl ein tubaab, der pleite ist [Orig.: tubaab fauché]!“
(Mohamed[1], Mai 2009)
„tubaab“ ist eine alltagssprachliche Bezeichnung für „weiß“ oder „weißsein“[2] im westafrikanischen, postkolonialen Raum. Mit dieser wird die rassistische Gestalt hervorgehoben, die kolonialen Herrschaftsverhältnissen zugrunde liegt. Aus einem rassismuskritischen Interesse heraus erforsche ich im Folgenden seine Bedeutungen. In Anlehnung an Philomena Essed verstehe ich Rassismus dabei als
„eine Ideologie, eine Struktur und [einen] Prozess, mittels derer bestimmte Gruppierungen auf der Grundlage tatsächlicher oder zugeschriebener biologischer oder kultureller Eigenschaften als wesensmäßig andersgeartete und minderwertige ‘Rassen’ oder ethnische Gruppen angesehen werden. In der Folge dienen diese Unterschiede als Erklärung dafür, dass Mitglieder dieser Gruppierungen vom Zugang zu materiellen und nicht-materiellen Ressourcen ausgeschlossen werden.“ (1992: 375)
Die von europäischen Staaten ausgehende imperiale Herrschaft seit dem 15. Jahrhundert sowie Unterdrückungsverhältnisse innerhalb Europas haben unterschiedliche Formen von Rassismus und damit von weißsein hervorgebracht (Rommelspacher 2009; Moreton-Robinson u.a. 2008). Kolonialen Rassismus in Afrika verstehe ich als eine Ideologie, eine Struktur und einen Prozess, die weißsein und Schwarzsein produzieren, sie gegenüberstellen und hierarchisieren (Fanon 1952; Mbembe 2001).
Jemima Pierre hebt hervor, dass zeitgenössische Afrikanische Kontexte trotz der staatspolitischen Unabhängigkeit Afrikanischer Nationen weiterhin rassistisch geprägt sind:
„[weiße Macht im postkolonialen Afrika] ist eine Macht, die auf die rassistische Kolonialherrschaft zurückgeht, die durch die zeitgenössische internationale wirtschaftliche Herrschaft gestützt wird, und die rassifizierte kulturelle, ökonomische und räumliche Segregation inoffiziell festigt.“ (2013: 71)[3]
weiße Herrschaft ist also ein Phänomen, mit dem sich Afrikaner*innen in ihrem Alltag konfrontiert sehen.[4] Gleichzeitig fällt diesbezügliche sozialwissenschaftliche Forschung marginal aus – als ob Rassismus in Afrika keine Rolle spiele (Pierre 2013: 186, 198ff; Quashie 2015: 761). Dieses Ungleichgewicht führt Pierre auf eine verengte Definition von Rassismus zurück:
„race wird oft als ‘rassifizierter Konflikt’ oder als ‘rassifizierte Beziehungen’ konzeptualisiert, die vor allem Gesellschaften beeinflussen, in denen unterschiedliche rassifizierte Gruppen [Orig.: multiracial] angesiedelt sind und eine dominante rassifizierte Gruppe Macht auf andere ausübt. Da koloniale Herrschaft und Rassismus mit europäischen (weißen) Körpern verknüpft wurden, galten die Unabhängigkeiten und Afrikanisierungsprozesse als Beendigung rassifizierter Konflikte in den Postkolonien – unabhängig davon, wie rudimentär sie erfolgten. In diesem Zuge wurden die heutigen rassifizierten Konturen der sozialpolitischen Beziehungen zwischen Afrika und der früheren politischen Herrschaft unsichtbar gemacht.“ (2013: 194)
Meine Analyse interveniert in diesen lückenhaften Diskurs und fragt, inwieweit kolonial-rassistische Verhältnisse die heutige Dakarer Gesellschaft strukturieren. Schwarze Perspektiven, einschließlich meiner eigenen, geben mir Aufschluss über die komplexen Beziehungen zwischen Kolonisierern und Kolonisierten, zwischen Schwarz und weiß. Dabei halte ich fest, dass es die eine Schwarze Perspektive nicht gibt, sondern Schwarze Perspektiven als Resultat bestimmter Rassismuserfahrungen stets offen und intersektional sind. Das emanzipatorische Potenzial der Berichte von Kolonisierten haben einige Theoretiker*innen of Color mit Nachdruck betont (Brah 1996; Hall 1990). Linda Tuhiwai Smith erachtet deren Berücksichtigung für eine dekoloniale Forschungspraxis deshalb als fundamental:
„Wir [Kolonisierten] sind ziemlich gut darin geworden diese Art von Gesprächen zu führen, meist unter uns selbst, für uns selbst und mit uns selbst. ‘Das Gespräch’ [Orig.: ‘the talk’] über die koloniale Vergangenheit ist eingebettet in unsere politischen Diskurse, unseren Humor, unsere Poesie, Musik, Erzählungen und all die anderen sinnvollen Formen, mit denen wir die historischen Narrative sowie eine bestimmte Haltung gegenüber Geschichte vermitteln. Die Erfahrung von Imperialismus und Kolonialismus ermöglicht eine andere Dimension, Begriffe wie ‘Imperialismus’ zu verstehen. Sie ist eine Dimension, die Indigene Communities [Orig.: indigenous peoples] kennen und verstehen.“ (1999: 19)
Die Texte, in denen Schwarze Perspektiven zu Wort kommen, analysiere ich anhand einer konstruktivistischen und machtkritischen Version der Grounded Theory, die Raum für neue Konzepte, Vielstimmigkeit und Reflexivität bietet (Glaser & Strauss 1967; Clarke 2005). Dem Grundsatz „all is data“ (Glaser 2001: 145) entsprechend ist mein Datenmaterial vielfältig. Neben Interviews mit Dakarer*innen umfasst es: Inhalte medialer, politischer und wissenschaftlicher Diskurse; visuelle, literarische und musikalische Produktionen; Aufzeichnungen zu meinen eigenen alltäglichen Erfahrungen in Form von Notizen, Fotos und Zeichnungen (vgl. Kilomba 2008; Nkweto Simmonds 1999). Dieser Korpus – entstanden in Dakar (wo ein Teil meiner Familie lebt), in Berlin (wo ich aufgewachsen bin und ein weiterer Teil meiner Familie lebt) und „Dazwischen“ (wo ich verortet bin) – bildet die erste Grundlage für die Erkenntnisgewinnung über rassistische Strukturen in Dakar.
Kelly Bryant beschreibt für das 20. Jahrhundert, dass es im Alltag der senegalesischen Städte unter französischer Kolonialherrschaft gängig war, dass Kolonisierte die gegen sie gerichtete Politik als anti-Schwarz fassten (2011: 308-310). Auch heute ist die Kritik an kolonial-rassistischen Hierarchien und Alltagsrassismus, nunmehr ergänzt durch die Kritik an Neo- und Rekolonisierungsprozessen, eine Konstante. Allerdings fällt das Wort Rassismus zur Benennung der rassifizierten postkolonialen Ordnung nur selten. Meine Erfahrung zeigt sogar, dass das Thema „Rassismus in Dakar heutzutage“ ganz und gar nicht selbstredend ist. Meist blieb meinen Gesprächspartner*innenunklar, worauf ich hinauswollte: „Rassismus von Senegalesen gegenüber weißen?“ „Rassismus von Senegalesen gegenüber anderen Afrikaner*innen“? „Xenophobie“? „Das Denken in weiß/Schwarz-Dualismen?“ Oder etwa „der Glaube daran, dass es weiß und Schwarz tatsächlich gibt?“ Dass es mir um die Persistenz von kolonialem Rassismus geht, springt selten als Erstes ins Bewusstsein. Zu dieser Unklarheit kommt hinzu, dass einige von meinen Gesprächspartner*innen das, was ich unter Rassismus verstehe, sprich, eine rassifizierte soziale Struktur, die in alltäglichen sozialen Prozessen reproduziert wird, vielmehr als „Unterlegenheits-“ bzw. „Überlegenheitskomplexe“, „Ressentiments“, „bizarres Verhalten“, „Arroganz“ oder „Aggressivität“ denken.
Um die lokale Kritik an rassistischen Strukturen dennoch greifbar zu machen, ist also der Bezug auf andere Konzepte des Alltagsverständnisses erforderlich. Ganz anders als bei der Suche nach lokalen Definitionen von „Rassismus“ treffe ich dann auf ein sehr breitgefächertes kolonialismuskritisches Vokabular in lokalen sowie kolonialen Sprachen. Die Adressierung kolonialen weißseins steckt beispielsweise in Konzepten wie tubaab[5] (Europäer), nopp bu xonq (Rot-Ohren), oder tugal (Europa) auf Wolof sowie in solchen wie les blancs (die weißen), les occidentaux (die Westler), l’occident (der Westen), les Européens (die Europäer), l’Europe (Europa), la France (Frankreich) auf Französisch. Insbesondere der Begriff tubaab zog meine Aufmerksamkeit auf sich. tubaab wird seit Beginn der kolonialen Kontakte an der westafrikanischen Küste verwendet und bezeichnet im engeren Sinn „Europäer“.[6] Wie Bezeichnungen für Europäer in anderen Sprachen kolonisierter Gesellschaften, zum Beispiel obruni auf Twi oder mzungu in Bantusprachen, reflektiert der Begriff den lokalen Diskurs über koloniales weißsein (Pierre 2013: 77; Eriksson Baaz 2005: 67). Die Popularität des Konzeptes in Alltag, Öffentlichkeit und Kulturproduktion verweist auf die fortwährende Relevanz weißer Herrschaftsstrukturen trotz der staatspolitischen Unabhängigkeit Senegals von Frankreich seit 1960. Inspiriert durch die Wortschöpfung „blanchité“ aus der frankophonen Kritischen Rassismusforschung (Quashie 2015; Laurent & Leclère 2013) fasse ich die lokale Artikulation kolonial-rassistischer Herrschaft als tubaabité. Im Folgenden beschreibe ich, welche Dimensionen der Kolonisierung durch tubaabité greifbar gemacht werden können.
Ich gehe dieser Frage nach, indem ich in Interviews, Gesprächen und Beobachtungen im Alltag die Bedeutungsebenen von tubaab herausfiltere. Zur Saturierung durchsuche ich mediales, künstlerisches und wissenschaftliches Material. Auf Papier und online festgehaltene lexikale Einträge sowie Kommentare aus Blogs und Chatrooms erweisen sich hierbei als wichtige Ressource. Wie sich zeigt, hat tubaab viele Bedeutungen und stellt sich damit ebenso differenziert und diffus dar wie koloniale Macht selbst. Erstens markiert tubaab eine weiße Positionierung in der kolonialen Ordnung. In diesem Zusammenhang verweist tubaab zweitens auf die dominante Klassenposition, die weißen innerhalb der postkolonialen Ökonomie zukommt. Auf kultureller Ebene wird tubaabité drittens mit einer „westlichen“ Sozialisation assoziiert, die sich in einem tubaab Habitus niederschlägt. Als kolonialer Habitus ist dieser von rassistischen Überlegenheitsideologien geprägt. Auf einer weiteren Ebene werden viertens auch Schwarze mit tubaabité assoziiert. Etwa werden sie als „tubaabisiert“ bezeichnet, wenn ihnen nachgesagt wird, sich „wie tubaabs“ zu verhalten und in den Kontext des kolonialen Assimilationsprozesses gestellt. Mit der Formulierung „Schwarze tubaabs“ wird indessen, und damit komme ich zur abschließenden fünften Ebene, auf das Mitwirken von Schwarzen an der kapitalistischen Ökonomie als neoliberale Praxis gedeutet. Durch ihre multiple Bedeutungsstruktur bringt tubaabité die Mechanismen kolonialer Politik auf den Punkt. Wie wir sehen werden, reflektiert tubaabité letztere auch in ihrer historischen Dynamik.
Eine weiße Positionierung in einer kolonialen Ordnung
In einem ersten Schritt ist festzustellen, dass tubaabité „europäisch“ (bzw. „französisch“, „deutsch“, „englisch“, „kanadisch“ usw.) oder „weiß“ bezeichnet.
- tubaab b [tuba:p] = Europäer (J.L. Diouf 2003: 351)
- toubab = Europäer (Faye & Thioub 2003: 98)
- toubab = Europäer (Fanon 1952: 101)
- tubaab = europäisch, weiß[7]
- tubaab b = Europäer, Europäerin, Weiße[8]
- toubab = Bezeichnung für weiße Leute (Phillips 1981)
Allerdings ist zu vergegenwärtigen, dass tubaab nicht entweder „weiß“ oder „europäisch“ bedeutet. Da beide Kategorien im kolonialen Diskurs aneinandergekoppelt wurden, sind sie in der Alltagssprache austauschbar (Bryant 2011: 302). Dementsprechend lauten Definitionen häufig:
- Person europäischer Abstammung („Weiße“)[9]
- Jede Person weißer Hautfarbe, außer arabische Berber [sic!], unabhängig von deren Nationalität, […] bezieht sich also generell auf Europäer[10]
tubaab weist somit auf eine „Herkunft“, die in biologischer Dimension gedacht wird, und entlang der modernen Idee von Nationen als „Blutsverwandtschaft“ verläuft (Laurent & Leclère 2013; Dorlin 2009). So heißt es im Blog Eine tubaab in Dakar ganz explizit: „Person weißer europäischer Rasse [sic!], westlich.“[11]
In einem Artikel aus dem Magazin Cahiers de l’Alternance erscheint die biologistische Seite der tubaabité in der humoristischen Bezeichnung einer seit langem in Dakar niedergelassenen Europäer*in als „Senegalesin der tubaab Ethnie [sic!]“ (CESTI 2006). Diese Formulierung lässt gut erkennen, dass tubaabité mitunter als essenzielle rassifizierte Identität verstanden wird, als angeborene Zugehörigkeit, die bestehen bleibe, egal wo und wie lange eine Person in- oder außerhalb Europas lebt.
Vor diesem Hintergrund wirken Kategorien wie „weiße Europäer*in“ zunächst tautologisch (Bonnett 1998: 1040). Auch Fodé, ein internationalistisch orientierter Aktivist in den Dreißigern, verwendet beide Begriffe flexibel, wenn er von tubaabs spricht. Darüber hinaus schlägt er die entscheidende Brücke zum Kolonialismus.
„In der Kolonialzeit waren die tubaabs dort, in Saint-Louis. Die Europäer waren dort. Dort haben sie sich niedergelassen. […] Als der Weiße ging, waren es die métis, die vor allem die Privilegien der westlichen Bourgeoisie in Besitz genommen haben und zur lokalen Bourgeoisie wurden.“ (Interview mit Fodé, Februar 2012)
Indem tubaab „[manchmal] weißer, weiße, […] im Sinne des Kolonisators“[12] bedeutet, wird das Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten, zwischen Kolonisierern und Kolonisierten adressiert (Quashie 2009: 531, 545). Wie in mannigfaltigen historischen Texten und literarischen Werken hervorgehoben, beruht tubaab Herrschaft auf einer Rassen-Ideologie, in der die Herrschenden, die Kolonisierer weiß, die Beherrschten, die Kolonisierten Schwarz sind (Kane 2007: 70; Bâ 1992: 236, 307). Schwarze stehen in einem konfliktiven Verhältnis zu tubaabs, welches sich in vielschichtigen antikolonialen Widerstandsbewegungen niederschlägt (Boahen & Gueye 1989). Ousmane Sembène etwa schreibt in Les Bouts de Bois de Dieu (Die Holzstücke Gottes) über den antikolonialen Arbeiter*innenstreik im Senegal der 1940er:
„Meinst du wirklich, die tubaabs geben auf? Ich nicht.“ (1971: 83)
„Hört ihr? Die tubaabs wollen uns schon wieder überlisten!“ (ebd.: 191)
Und Ken Bugul formuliert es in Aller et Retour (Gehen und Zurückkehren), über die Veruntreuung der senegalesischen Unabhängigkeit, folgendermaßen:
„Der Kolonisator sah in [Bamba, dem großen Sufi-Lehrer,] eine Gefahr für seine Ziele und deportierte ihn in die ungastlichen Zonen Äquatorialafrikas, wohin er für üblich die Partisanen der ‘Front gegen die tubaabs’ schickte.“ (2014: 146)
Über die Etymologie des Begriffes herrscht Uneinigkeit. Die divergierenden Interpretationen sind jedoch aufschlussreich für eine Analyse, da sie auf unterschiedliche Kolonisierer-Kolonisierten-Beziehungen verweisen, die tubaabité widerspiegelt. Für die einen gilt zum Beispiel der senegambische Raum als der Ort, an dem tubaab am meisten benutzt wird, und das hier dominierende Wolof als die Sprache, aus der er von tuugal (Europa) abgeleitet worden sei.[13] Angesprochen wird hier die koloniale Begegnung senegambischer Communities mit Europäer*innen. Diese ist auf die Epoche der transatlantischen Handelskontore zurückzudatieren, in der erstens Senegal und Gambia noch nicht durch kolonialstaatliche Grenzen getrennt worden waren und eine bestimmte Kolonisierungserfahrung teilten, und in die zweitens mehrere europäische Nationen (Portugal, England, Frankreich) involviert waren (Sinou 1993). Aus senegambischer Perspektive gewinnt eine nationenübergreifende Bezeichnung für Europäer auf Wolof daher an Sinn.
Wichtig ist jedoch, dass der Begriff den senegambischem Raum überschreitet und in breiteren Teilen der westafrikanischen Region (Guinea, Mali, Mauretanien, Côte d’Ivoire) genutzt wird (Doquet 2005). Dies bringt andere Stimmen dazu, die etymologische These vorzuziehen, dass tubaab vom regional geteilten arabischen Wort طَبِيب (ṭabīb, tubib) für Arzt abgeleitet ist (Bâ 1992: 522) – was mitunter durch die „Tätigkeiten von Weißen (Kolonisatoren oder Missionaren) vor und während der Kolonialzeit“ begründet wird, wie ein senegalesischer Wissenschaftler mir nahe legte. Diese Definition zielt auf die Beziehung zwischen Europäern und der breiter gefassten westafrikanischen Community mit muslimischer Prägung. Der Panafrikanische Ethnologe Amadou Hampaté Bâ zieht in Amkoullel den Kreis der Kolonisierten noch weiter, wenn er tubaab gar als Afrikanisches Wort begreift: „tubaab […]: In Afrika benutztes Wort, um die Europäer zu bezeichnen“ (1992: 522). Hier dient tubaab der Beschreibung einer Kolonisierungserfahrung, die Afrikaner*innen auf kontinentaler Ebene Europa gegenüberstellt – und vereint.
Auch die Gruppe der Kolonisierer kann mit tubaabité unterschiedlich gefasst werden. Etwa kann tubaab auch „le colonisateur“ (den Kolonisator) im engeren Sinne bezeichnen – im Falle Senegals und umliegender Gebiete „la France“ (Frankreich), das durch seine militärische Ausbreitung und formale Regierung ab Ende des 19. Jahrhunderts zum hauptsächlichen Akteur der Kolonisierung in der Region wurde (Doquet 2005; M. Diouf 2001). So spielt tubaabité auf die geteilte Kolonialerfahrung mit tubaab Kolonisierung in französischer Version an, die den senegambischen bzw. den westafrikanischen muslimisch geprägten bzw. den Afrikanischen Raum gegenüber tubaabs zusammenschließt.
Eine wichtige Bedeutungsdimension von tubaab ist ferner, dass Westafrikaner*innen den Begriff im Zuge ihrer Migration nach Frankreich mitnahmen und er dementsprechend in der Schwarzen Diasporischen Alltagskultur wiederzufinden ist. Über diesen Weg schließt er die Diasporische Kolonisierungserfahrung ein, die sich außerhalb der Postkolonien, innerhalb der Metropole ereignet (Bancel u.a. 2003; Laurent & Leclère 2013). Auch wurde tubaab in Verlan gedreht. Verlan ist eine subversive Sprache der Arbeiter*innenklassen of Color in den Pariser Banlieues, die heute durch die hegemoniale Kultur angeeignet und zu einem gewissen Grad depolitisiert wurde. In Verlan werden durch das Umdrehen von Silben neue Worte gebildet: tubaab wird dann zu babtu. Babtu bezeichnet die weißen in einem rassistisch strukturierten Frankreich. Die folgende Definition des Online-Lexikons für französischen Slang Keskiladi (Washatergesagt) fasst babtu zusammen:
„#1 – […] Ein babtu ist ein Weißer. Oft nennen die Schwarzen die Weißen so, aber das hat nichts Rassistisches an sich. Es ist ein bisschen spöttisch, aber es ist eine Antwort an den Sender, denn die Weißen nennen die Schwarzen: [n-Wort; Ersetzung der Autorin] oder [b-Wort[14], Ersetzung der Autorin].
Beispiel: Meine Schwester hat einen babtu geheiratet.
#2 – […] Kommt aus dem Verlan abgeleitet von dem arabischen Wort ‘tubib’, das durch die Afrikanische Community in ‘tubaab’ verformt wurde.
Bezieht sich im Allgemeinen auf Personen weißer Rasse [Orig.: race blanche] [sic!].
Beispiel: Die Regierung besteht mehrheitlich aus babtus.“[15]
Aus Afrika mitgebracht und umgedreht adressiert babtu das koloniale Verhältnis zwischen Kolonisierten und der kolonisierenden Nation in Frankreich selbst. Insbesondere Hip-Hop-Tracks transportieren die Facetten der tubaabité in die Öffentlichkeit. Sie erzählen von alltäglichen und institutionalisierten rassistischen Verhältnissen sowie von Assimilation und fordern zu antirassistischem Widerstand und Solidarität in einer gespaltenen Gesellschaft auf.[16]
Eine dominante Klassenposition
Die Herkunft des Wortes in der Arbeiter*innenklasse der Banlieues erinnert daran, dass der Antagonismus zwischen Schwarz und weiß eine klassistische Dimension besitzt, dass die klassistische Arbeitsteilung rassifiziert ist, dass Regierungen mehrheitlich aus babtus bestehen (s.o.). Diese Bedeutungsebene kommt in der Figur des bürgerlichen babtou fragile, des zerbrechlichen babtus, der in der Banlieue fremd ist und sich unsicher fühlt, zur Sprache. Ein satirischer Eintrag in einem Jugendforum beschreibt unterschiedliche Möglichkeiten, „einen freilaufenden babtu fragilistischster Gattung in unseren Straßen aufzuspüren“. Eine davon findet im Döner-Laden statt:
„In einem so exotischen Umfeld fühlt sich der babtu fragile als Minderheit und versucht mit der Masse zu verschmelzen, indem er den entspannten Typen spielt. Damien [typischer französischer Name], in sein Sergio-Taccini/Rivaldi/Fabio-Lucci-Hemd gepresst, wird den Döner-Verkäufer (Tarkan Mitroglü) systematisch mit ‘Chef’ ansprechen. Die Chancen stehen gut, dass sich ein Typ, der mit dem Satz ‘Ein Döner mit Pommes, Chef!’ bestellt, als babtu fragile herausstellt.“[17]
Da nicht ausschließlich Schwarze die Hauptautor*innen von Verlan sind, sondern auch andere People of Color, schlägt babtu eine Brücke zu denen, mit denen Schwarze aus den Banlieues die mit Rassismus verstrickte Klassismuserfahrungen teilen (Fassin u.a. 2009). Auch hier wirkt tubaabité als politisches Konzept vereinend.
Für den senegalesischen Kontext drückt Fodé den Zusammenhang zwischen race und classe dadurch aus, dass er weißsein, Europäischsein und „Privilegien der westlichen Bourgeoisie“ in einem Atemzug nennt. So hebt er die dominante Klassenposition weißer/Europäer in der kapitalistischen Ökonomie, der tubaab Ökonomie, hervor, die aus Versklavung, Ressourcenextraktion und Kolonisierung erwachsen ist (Mbembe 2013; Rodney 1972). Wenn tubaabs auch nach der formalen Kolonisierung so bezeichnet werden, wird auf diese sozioökonomische Machtposition hingewiesen, die in die heutige Zeit hineinwirkt. Es wird erklärt, dass „du reich bist, weil du weiß bist“ (Pierre 2013: 69). tubaab Klassenzugehörigkeit schlägt sich unter anderem in strukturellen Ungleichheiten beim Zugang zu hohen Gehältern („tubaab Gehälter“), teuren Konsumgütern („tubaab Konsum“) und exklusiven Räumen („tubaab Zonen“) nieder.
Besonders Arbeitsbeziehungen machen rassifizierte Klassenbeziehungen sichtbar (Quashie 2015: 765-768). Der aus der Analyse hervorgegangene Code „tubaab Gehälter“ demonstriert, dass es tubaabs sind, „die schnell einen Job finden und ein gutes Gehalt haben“, „in einer NGO zum Beispiel“, und „ein schickes Auto fahren werden“ (Interview mit Fanta und Aminatou, September 2013) – und zwar trotz der Massenunterbeschäftigung, die den senegalesischen Arbeitsmarkt prägt. Postkoloniale Studien haben hervorgehoben, dass Entwicklungszusammenarbeit die koloniale Wertabschöpfungskette fortführt (Kapoor 2008). Vor allem in diesem Bereich besetzen weiße/tubaabs hohe Positionen (Pierre 2013: 79, 92; Cruise O’Brien 1972).
Seynabous Erfahrungsbericht illustriert dies für den Dakarer Kontext. Seynabou ist 33 und arbeitet als freiberufliche Beraterin bei einer prominenten Internationalen Organisation. Sie beobachtet, dass es weiße leichter haben, in der Organisation aufzusteigen, zum Beispiel indem sie schneller einen festen Vertrag angeboten bekommen oder aus Europa eingeflogen werden, um Chef-Positionen zu besetzen, obwohl lokal kompetentes Personal vorhanden ist. Durch das Zusammenspiel von Postenbesetzung und Einkommensverteilung entstehen rassifizierte Machtverhältnisse.
S: Der weiße taff wird privilegiert: durch Sonnen-Prämien, Risiko-Prämien, die Übernahme der Kosten für die Schule, das Auto, die Rente […]. Sie sagten, sie können mich nicht festanstellen, weil ihnen das Geld fehle. […] Ich habe keine Rente. Denn die Rente, die ist in New York. In New York sammeln sie das Geld.
C: Und deshalb machen sie langsam.
S: Gaaanz langsam. Denn es ist eine Belastung. Sobald ich in das Ding reinkomme, ist es eine Belastung für die Organisation. […] Die Internationalen haben viele Privilegien. […] Und meistens sind es die Weißen, die herkommen. Daher haben sie Gehälter von 6.000.000.
C: Im Monat?
S: Ja, 6.000.000 CFA. Also teilst du durch 5, der Dollar ist zurzeit bei 5. Das wiegt schon einiges, nicht? […] Und die Idee dahinter ist: […] Wer finanziert? Wer hat die Gelder? Es sind die Vereinigten Staaten, Europa. Was gibt Afrika? Sie geben ja gar nichts. Die dort haben das Geld. Also werden sie alles tun, um die Gelder zurückzuholen. Deshalb haben sie ein sehr gutes Gehalt. … Das ein Schwarzer nicht hat. Wenn ich nach Tschad gehe, werde ich nicht 6.000.000 bekommen, sondern 1.500.000, Maximum 2.000.000. […] Manchmal denkst du dir, dass es ein bisschen diskriminierend ist, aber dann denkst du dir, dass es ihre eigenen Gelder sind, und gut. (Interview mit Seynabou im Februar 2014)
weiß-/tubaabsein bedeutet in einem solchen Zusammenhang, zur ökonomisch dominanten Klasse zu gehören. Die Arbeit in der NGO stellt sich damit als Ort kolonialer Erfahrung, als Ort der tubaab Herrschaft heraus.
Bessere Jobaussichten, höhere Posten und Gehälter machen es tubaabs außerdem möglich, in Dakar den „tubaab Lifestyle“, den Lebensstil der Wohlhabenden zu praktizieren (vgl. Quashie 2009: 545; 2015: 766f). Als ich erforschte, wo tubaabs in Dakar anzutreffen sind und wo nicht, stellte ich fest, dass es Orte gibt, an denen sich die Präsenz von weißen, die im Dakarer Alltag sehr vereinzelt anzutreffen sind, konzentriert. Außerhalb ihrer Arbeitsstätten, „les bureaus“ (Interview mit Camille im Februar 2012), sind sie überproportional anzutreffen als Bewohner*innen wohlhabender Viertel; als Besucher*innen von Kultur- und Bildungszentren sowie Museen; und als Gäste von Restaurants, Hotels und Bars, deren Preise das Einkommen der meisten senegalesischen Haushalte maßgeblich übersteigen. So werden Bars zu Orten, an denen sich koloniale Segregation ablesen lässt. Ein aufgeschnapptes Zitat einer Schwarzen Diasporischen Frau beim Ausgehen in Dakar verdeutlicht dies: „Wir sind hier falsch! Hier sind ja nur Weiße, es ist, als seien wir in Europa. Lass uns in eine andere Bar gehen.“
Wie auch andere Studien über die heutige Sozialstruktur kolonialer Städte argumentieren, führt dies zu einer rassifizierten dualistischen Teilung der Stadt, die aus Kolonialzeiten bekannt ist. In diesem Segregationsprozess werden Räume für tubaabs produziert, die vom Rest der Stadt abgespalten sind und sich am tubaab Lebensstil orientieren (Pierre 2013: 26, Kapitel 3; Leonard 2010: 79ff, 116ff; Kothari 2006). Ein gängiges Merkmal von solchen tubaab Orten ist, dass sie auf die eine oder andere Weise eingezäunt sind. Die Türpolitik vor Bars, Hotels, Kulturzentren und Botschaften verrät, wie alltäglich die Praxis des racial profiling in den Postkolonien ist. Ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
„Regelmäßig gehe ich mit meiner Mutter, die weiß ist, in einem tubaab Kulturinstitut Mittag essen. Es befindet sich in einem schickeren Viertel Dakars, in einem hohen Hochhaus und verfügt über eine Terrasse im obersten Stock. Um zu diesem Rooftop-Lokal zu gelangen, ist eine Eingangshalle zu durchqueren, in der ein Schwarzer Mann arbeitet, der für Auskünfte zur Verfügung steht. Mir war nicht bewusst, dass er auch darauf zu achten hatte, dass nur bestimmte Personen in das Gebäude gelangen, bis ich eines Tages beobachtete, dass ein Schwarzer Mann, der hineinwollte, angehalten wurde und gefragt wurde, wohin er denn wolle. Nachdem er irgendein Stück Papier vorgezeigt hatte, konnte er passieren. Dies war meiner Mutter und mir bislang nicht passiert.“ (Forschungstagebuch, März 2014)
weiße sind kein einheitlicher Block (Fanon 1959: 379), weißsein ist komplex und intersektional. Zwar wirken die Hierarchien unter weißen in den Postkolonien fort. Dennoch unterstützt die postkoloniale Struktur der jeweiligen Gesellschaft die Tendenz, dass weiße jenseits dieser Hierarchien zusammenkommen und klassenübergreifende Kreise entstehen (Cruise O’Brien 1972: 72-79). Auf besonders aggressive Weise äußert sich tubaab Abschottung in der Errichtung von westlichen Botschaften unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen und Einsatz von Gräben, Mauern, Zäunen und neusten Technologien der Personenkontrolle. Madame Diallo (70) erinnert sich an ihre jungen Jahre in Dakar:
„Die Botschaft vom [tubaab Staat]!? Wir hatten gelernt, einen seeeeehr großen Bogen darum zu machen. Wir wussten alle, dass wir dort absolut nichts zu suchen haben.“ (Gespräch im April 2012)
Der kamerunische Filmemacher Jean-Pierre Bekolo bringt in einem offenen Brief an das deutsche Konsulat in Yaoundé die kolonial-rassistische Dimension dieser Architektur zur Sprache:
„Das Konsulat ist dieser Ort, der die Gewalt gegen den Anderen legitimiert, weil er vor allem anders ist; das heißt, dass er ein Afrikaner ist, dass er ein Schwarzer ist. Denn der Schwarze, den man unter der Sonne auf der Straße vor dem deutschen Konsulat in Yaoundé warten lässt, ist erst mal der Schwarze, der mit dem Weißen eine lange Geschichte der Versklavung, der Kolonisierung, der Apartheid und der Segregation hinter sich hat. Haben Sie schon die Dispositive vor [tubaab, Anmerkung der Autorin] Konsulaten bemerkt? Sie sprechen für sich und geben uns zu verstehen, dass der Wunsch sich in dieser Welt zu bewegen ein wirklicher Kriegsakt geworden ist, dessen erste Zielscheibe wir, die Afrikaner, sind. Denn die mechanischen und technologischen Dispositive vor den Konsulaten erinnern an die, die damals benutzt wurden, um Menschen zu erniedrigen und zu spalten.“[18]
Um die Dimension der Militarisierung hervorzuheben, ist – in Anlehnung an Ken Bugul, die zur Beschreibung der kolonialen Segregation Dakars in Aller et Retour den Begriff „zones“ verwendet (2014: 19) – die Wendung „tubaab Zonen“ „tubaab Orten“ vorzuziehen. Bürgerliche Diskurse, die Dakar als Gefahrenzone konstruieren, die Dakarer Gesellschaft kriminalisieren und Methoden der „sécurisation“ (Versicherheitlichung) legitimieren, können unter dem Aspekt der tubaabité reinterpretiert werden – als „tubaab Sicherheitsdiskurse“ beispielsweise.
tubaabité ist also als Marker sozialer Distinktion (Quashie 2009: 545), als Klassenposition zu verstehen. Dass weiße strukturell leichteren Zugang zu ihr erhalten, ist in der Postkolonie überaus deutlich. Dies verleiht Mahmood Mamdanis These Gewicht, der zufolge „die Unabhängigkeit [zwar] dazu tendierte den Staat zu derassifizieren, jedoch nicht die Gesellschaft“ (1996: 20).
Ein kolonialer Habitus
In seiner Aussage über die „westliche Bourgeoisie“ bringt Fodé ferner die Kategorie des westlichseins ins Spiel. Er eröffnet somit das Problemfeld des Kulturellen, dessen Berücksichtigung für ein vertieftes Verständnis von Kolonisierung unabdingbar ist. Die kulturelle Dimension der tubaabité spiegelt sich sprachlich darin, dass sie nicht nur mit einer sozioökonomischen Position assoziiert wird, sondern auch mit einer bestimmten, als westlich konstruierten kulturellen Praxis, der kulturellen Praxis der Kolonisierer. Dies deutet darauf hin, dass Kultur im kolonialen Kontext rassifiziert ist. Wie Anne Doquet (2005) anhand der Perspektiven malischer Reiseführer*innen auf tubaab Tourist*innen hervorhebt, wird „tubaab Hintergrund“ im Alltagsverständnis differenziert: „Tous les toubabs ne se ressemblent pas“ – „Nicht alle tubaabs ähneln sich“. Die Tendenz tubaabité zu verallgemeinern ist in Alltagsgesprächen dennoch dominant (vgl. Quashie 2009; 2015). In einer der bereits angeführten Übersetzungen sticht die Verknüpfung von „Rasse“ und „Kultur“ deutlich hervor, wenn es gleichzeitig heißt: „[tubaab:] Person weißer europäischer Rasse [und] westlich.“[19]
Wie manifestiert sich tubaab Kulturzugehörigkeit nun auf sozialpraktischer Ebene? Zugunsten einer Analyse, die die Reproduktion von Klassenverhältnissen im Blick behält, beziehe ich mich auf die Bourdieu’schen Konzepte des Habitus und Geschmacks als Mechanismen der sozialen Distinktion und Aneignung von Kapital (Bourdieu 1979; 1983). „tubaab Habitus“ zeichnet sich durch die Vorliebe für modern und bürgerlich geltende Normen aus (Quashie 2015: 771, 777). „tubaab Geschmack“ wird auf alle möglichen Bereiche des Lebens angewendet, wie etwa Religionszugehörigkeit, Kleidung, Freizeitgestaltung, Familienführung, Bildung, Wohnort usw. Per Definition wird er in ein gegensätzliches Verhältnis zu „lokalen“ Normen gesetzt[20] und repräsentiert den Stil der Wohlhabenden in der modernen Ökonomie (vgl. Quashie 2015: 763-777; Bryant 2011: 302).
Das Ineinanderlaufen von tubaab Klasse und tubaab Geschmack führt zu einer kulturellen Segregation, die unter anderem dadurch reproduziert wird, dass Betreiber*innen von tubaab Zonen (Hotels, Bars, „Übersee“-Kulturinstitute, Büros …) „westliche“ kulturelle Inhalte aufgreifen und vermarkten. Die kulturelle Dimension von tubaab Zonen fasse ich mit dem Konzept „Petit Paris“ („kleines Paris“). Dies ist der Spitzname, den Dakar während der französischen Kolonisierung bekam, um seine Rolle als imperiale Hauptstadt des Empire Français und „kleine Schwester“ des „metropolitanen Zentrums“ Paris zu benennen. In dieser Funktion wurde Dakar infrastrukturell ausgebaut und zum privilegierten Sitz für Handelsakteur*innen und Verwaltung. Im Laufe der Zeit wurde die Stadt zur wichtigsten Agglomeration von Französ*innen, denen eine ville blanche (weiße Stadt), eine „tubaab Stadt“, zur Verfügung gestellt werden sollte, die ihrem Lebensstil einschließlich ihres Bildungsstils entsprach (Sinou 1993: 193, 324; Harris 2011: 111f).
Im fortgeschrittenen Kapitalismus, in dem „globale“ Städte wie London, New York und Tokio als transnationale Trendsetter fungieren, repräsentiert nicht mehr nur Paris die Norm der Metropole par excellence (Smith 2005: 172f; Goldman & Longhofer 2009: 33, 35). Die Petit-Paris-Geschichte Dakars lässt sich allerdings auch heute noch an der Stadtstruktur ablesen und ist Teil der alltäglichen Erfahrung. Die folgende Episode gibt einen Einblick in meine persönliche Erfahrung Petit Paris’.
„Die Buddha-Bar ist ein gutes Beispiel für einen zeitgenössischen Ort, an dem sich der Lebensstil der (reichen) tubaabs und westlicher Stil decken. Meine alte Freundin Camille hatte mich dorthin eingeladen. Sie erzählte mir, es handele sich um eine Reproduktion einer Kult-Bar in Paris. Obwohl ich sie hätte kennen müssen, hatte ich noch nie von ihr gehört. Ihr Markenzeichen ist ihre Einrichtung im ‘fernöstlichen’ Stil. Unter anderem ist eine große Buddha-Figur in der Mitte des Raumes errichtet. Im Vergleich zum Pariser Original sei die Statue in der Dakarer Kopie jedoch plus petite (kleiner), wie Camille erklärte. Wie ich später herausfand, wurde die Bar passend Little Buddha Dakar benannt, und von der Gründer*innen-Unternehmensgruppe der Buddha-Bar lizensiert.
Ich war etwas erstaunt, all dieses kolonial-nostalgische, an die französische Herrschaft in Indochina erinnernde Interieur hier in der Postkolonie Dakar wiederzufinden und zu konsumieren. Genau dieses soll Besucher*innen allerdings zum Träumen veranlassen: ‘Das Interieur: super-zen… Traumhaft!’ (Pinnwand-Facebook-Post, März 2017). ‘Gut’, denke ich mir, ‘westlicher Stil ist eben kolonial und die ‘Welt der Buddha-Bar’[21] gehört dazu. Wenn kolonial-nostalgische Elemente Teil der Kultur der Metropole sind und vermarktet werden, dürfen sie scheinbar bei der kleinen Version nicht fehlen. Kolonial sind aber auch die Preise und die Türpolitiken…“[22]
Preisniveau und Türpolitik machen die Bar zu einer tubaab Zone. Es entsteht die für Petit-Paris-Orte typische Sozialstruktur aus weißen und weiteren Personen, die es sich leisten können. In diesem Sinne erscheint die Buddha-Bar sowohl kulturell als auch sozioökonomisch als Metonymie der kolonialen Ordnung (Pierre 2013: 77).
Die Konzentration weißer Kundschaft vergegenwärtigt indessen ein Phänomen, das sich in Anlehnung an ein Gespräch mit einer Dakarer Gastronomin als „tubaab-Kompatibilität“ fassen lässt. Ist ein Ort „tubaabkompatibel“, bedeutet das, dass er dem tubaab Geschmack entspricht; er ein Ort ist, der in Dakar, aber nicht wie Dakar ist, sondern eher tubaab; ein Ort, der dem kolonialen Lebensstil entspricht. Exotisierendes Dekor, kulturelle und historische Produkte über den „authentischen Anderen“ (als „Asien“, „Orient“ oder „Afrika“ inszeniert) gehören, wie gesagt, dazu (Said 1978). Was tubaab Geschmack bzw. Petit Paris ausmacht, lässt sich auch gut anhand dessen konturieren, was an Dakar nicht gemocht wird, woran es bestimmten Personen zufolge in Dakar fehlt. Da koloniale Rassifizierungsdiskurse Schwarz- bzw. Afrikanischsein und tubaabsein als Antithese formulieren (Fanon 1952), erwächst das, was als tubaab gilt, nicht nur von Aussagen über tubaabs, sondern auch denen über Schwarzsein, Afrikanischsein oder sogenannte „tubaabisierte“ Afrikaner*innen. Hören wir zum Beispiel Camille zu, die mir ihren Blick auf Dakar satirisch nahelegt:
„Ganz ehrlich… Dakar, das ist es halt einfach nicht. […] Du kannst nicht ins Kino gehen, wenn du immer ins Sea Plaza [Einkaufszentrum] gehst, wirst du dich schnell im Kreis drehen. Verstehst du, was ich sagen will? Ich meine, kein loisir [Spaß, Freizeit]. Seien wir ehrlich: Es gibt nichts. Es gibt nichts. Du kannst nichts machen. Sogar für das Kind: Wirst du es ins Museum bringen? Pfff! Im Museum hier gibt es gar nichts. Wohin willst du es mitnehmen? Zum Strand? Okay, aber dann müsste es wenigstens schöne Strände geben. [Sie kichert.] Du weißt gar nicht, was du mit deinem ganzen Geld anfangen sollst. Siehst du? … Ich weiß nicht, du wohnst ja auch nicht… [Ich unterbreche sie.]
C: Was fehlt denn zum Beispiel? Konzerte vielleicht?
G: Es fehlt alles! Es fehlt der Raum. Es fehlen zivilisierte Orte. Es fehlen Museen, es fehlen Kinos, es fehlen andere Shopping Malls als das Sea Plaza, es fehlen total viele Restaurants, es fehlen Terrassen, wo du etwas trinken kannst, ohne dass ein Bettler vorbeikommt. Es fehlt halt das Leben! [Sie bringt uns damit beide zum Lachen.] Nein ehrlich, es fehlen Aquarien für die Kinder, wie in Atlanta, wo du deine Kinder hinbringst und sie schauen sich Fische an. Es gibt loisirs. Du kannst sie zu Disneyland bringen. Hier hast du Magicland. Magic-Schrott-Land! [Wir lachen.] Nein ehrlich… Seien wir ehrlich, es gibt nichts. Ich weiß nicht. Ich mag es nicht.“ (Interview im Februar 2012)
In diesem Zitat wird Petit Paris – hier in Gestalt von Klein-Atlanta – vor allem in Bezug auf Freizeitgestaltung gedacht. Interessant an diesem Zitat ist die bildungsbürgerliche Dimension von Petit-Paris-Orten, die zum Vorschein kommt, wenn Camille von einem „Mangel an Museen“ und anderen „pädagogisch wertvollen“, „zivilisierten“ Orten spricht. Dass dies ein Kennzeichen tubaab Geschmacks ist, ist daran abzulesen, dass tubaabs in „Übersee“-Kulturzentren, Museen, Buchläden, auf Bildungsausflügen usw. häufig anzutreffen sind. Orte, an denen Bildungsgüter im westlichen Stil bereitgestellt werden, sind entsprechend fester Bestandteil des Angebots von Petit Paris – ganz im Einklang mit dem Image des „großen Paris“ als Ort, der „Kultur“, der „Bildung“, der „Bücher“, der „guten Schulen“.
Bei der Beschreibung ihres Geschmacks für tubaab Bildungsräume ist außerdem ausschlaggebend, dass Camille die Idee von tubaab Kultur als „zivilisiert“ reartikuliert und damit eine bürgerliche Kategorie aufgreift. Die Vorstellung zivilisatorischer Überlegenheit ist für die Kolonialideologie, die koloniale Gewalt als „Zivilisierungsmission“ positiv umdeuten sollte, fundamental.[23] Auf der Ebene des Alltäglichen schlägt sie sich als Paternalismus und Arroganz von tubaabs gegenüber Afrikaner*innen und Afrikanischen Gesellschaften nieder (vgl. Fanon 1952: 137, 153ff). Diese Form kolonialen Alltagsrassismus, oder besser gesagt, „alltagstubaabismus“, ist Teil des tubaab Habitus’. „tubaabistisches Verhalten“ durchzieht vielfältige Situationen des Aufeinandertreffens von tubaabs und Schwarzen in Dakar. Meine Notizen umfassen Momente, in denen tubaabs unter tubaabs bleiben oder als „Antirassist*innen“ ausschließlich Afrikanische Freundeskreise pflegen; in denen sie sich arrogant gegenüber Schwarzen verhalten oder Afrikanische Kultur romantisieren; in denen sie auf „essenziellen Unterschieden“ zwischen Afrika und Europa bestehen; in denen sie eigene Perspektiven universalisieren; in denen sie dem kolonialen Bedürfnis nachgehen, Schwarze zu beurteilen und/oder assimilieren zu wollen oder jenem, Afrikanische kulturelle Praxen anzueignen; in denen sie sich darüber empören, nicht mit dem „gebührenden Respekt“ oder gar „rassistisch“ behandelt zu werden; wenn sie ihre Kinder davor warnen, sich nicht mit Schwarzen zu „mischen“, oder umgekehrt ein „gemischtes Kind“ als Lebensziel zelebrieren (Forschungstagebuch 2012-2015). All dies sind Praktiken, in denen Afrika bzw. Afrikaner*innen als „Anderes“ rassifiziert werden. Sie reproduzieren die color line, die Grenze zwischen Schwarz und weiß (vgl. Du Bois 1953).
Ein Assimilationsprozess
An dieser Stelle muss ich einen entscheidenden Aspekt verraten. Und zwar ist meine Freundin Camille, die sich von Dakar abgrenzt und die Buddha-Bar frequentiert, nicht weiß und europäisch, sondern Schwarz und in Dakar aufgewachsen. Sie gehört der hoch diplomierten Mittelklasse an. Unsere Wege kreuzen sich regelmäßig, wenn ich in Dakar bin. Was hat es für eine Bedeutung, wenn sich eine Schwarze Frau in Petit Paris, der tubaab Welt, mehr zuhause fühlt als in Dakar? Wenn sie die Stadt, in der sie aufgewachsen ist, aus einer Perspektive bewertet, die für tubaabs typisch ist? Macht sie das zu einer „tubaabesse“ (Bugul 2014: 73), einer „tubaab Frau*“? Um diese Fragen zu beantworten, ist es wichtig zu wissen, dass tubaabité auch Schwarzen zugeschrieben wird. Schwarze gelten als „tubaabisiert“, wenn sie
„einen europäischen Lebensstil angenommen haben. Ein Beispiel: Also Omar! Seit der in Frankreich lebt, ist er ein echter tubaab geworden!“[24]
„tubaabisiert: verwestlichter Afrikaner […], akkulturiert, assimiliert, tubaab (Adj.).“ (Daff & N’Diaye-Correard 2006: 541)
Das Phänomen der „tubaabisierung“ wird auf vielfältige Weise umschrieben. Diese Vielfalt reflektiert die Verschränkung von Europäisch- (bzw. Französisch-), weiß- und westlichsein: tubaabisierung bedeutet etwa „sich zu europäisieren“[25], „sich die europäische Art des Denkens und Verhaltens anzueignen, den Weißen ähnlich zu werden“ (Daff & N’Diaye-Correard 2006: 541f), „okzidentalophil zu sein“ (Interview mit Bocar im Februar 2014), „Verhaltensweisen [an den Tag zu legen], die mit dem westlichen Individuum assoziiert werden, es imitieren oder sich ihm annähern“ (Quashie 2009: 545), „Okzidentalisierungskampagnen“ erfahren zu haben (Fanon 1959: 297), „französische Werte und Stil anzunehmen“ (Bryant 2011: 302), „französisch zu denken“ (Harris 2011: 65), „eines tubaabs würdig, in der Mode der weißen zu sein“ (Daff & N’Diaye-Correard 2006: 541), bourgeoise Kultur zu praktizieren (Quashie 2015: 771).
Die Idee, dass tubaab Kultur assimilierbar ist, zählt seit dem 19. Jahrhundert zu den Grundpfeilern der französischen Kolonialideologie. So wurde suggeriert, dass Afrikanische Gesellschaften durch die Assimilation an französische/westliche Werte „zivilisiert“ werden könnten. Inszeniert wurde dies durch eine intensive politique d’assimilation (Politik der Assimilation). Die école coloniale (koloniale Schule) war der Ort, an dem sich die Kolonisierten die Kultur der Kolonisierer aneignen sollten (Seck 1993). Daraus erschließt sich, warum mit tubaabisierung insbesondere „beschulte“ Schwarze beschrieben werden.
„tubaab: […] jede Person, die zur Schule geht, sich im europäischen Stil anzieht und/oder danach lebt.“ (Phillips 1981)
„Afrikaner, der als verwestlicht beurteilt wird
Syn.: akkulturiert, assimiliert, weiß, gebildet […].“
(Daff & N’Diaye-Correard 2006: 540)
Ein einschlägiges Beispiel ist die Bezeichnung des ehemaligen senegalesischen Präsidenten Léopold Sédar Senghor, der für seine Orientierung an tubaab Kultur- und Bildungsnormen bekannt war (Cruise O’Brien 1972: 109), als „président tubaab“. Allerdings wird tubaabisierung nicht nur ihm zugeschrieben, sondern wird als Spezifikum senegalesischer Politiker*innen konstruiert, vor und nach der Unabhängigkeit Senegals im Jahr 1960 (Johnson 1985: 155). Sie fällt zusammen mit der Bezeichnung von Senegales*innen als „tubaabs d’Afrique“ („tubaabs von Afrika“) aufgrund des ihnen zugeschriebenen „französierten“ Habitus und des Rufs Senegals als „Nation der ‘Gebildeten’, ‘Intellektuellen’ und ‘Zivilisierten’“.[26] Neben einer Schullaufbahn nach „westlichem“ Modell gelten auch die Migration in die „tubaab Welt“ – in unterschiedlichen Interviews beschrieben als „partir“ (weggehen) – sowie das „Leben mit tubaabs“ – beschrieben als „grandir chez les tubaabs“ und „vivre avec les tubaabs“ („bei den tubaabs aufwachsen“ und „mit den tubaabs leben“) – als potenzielle Momente der Assimilierung.
Die Adressierung Schwarzer als tubaabisiert ist im Kontext westlichen Kulturimperialismus zu sehen, der Kolonisierungsprozesse begleitet (vgl. Said 1994). Mit ihr wird die Assimilation an westliche Werte als Unterwerfung unter koloniale Normen und Verrat gegenüber der eigenen Kultur kritisiert.[27] Die Wiederaneignung der eigenen Kultur gilt im assimilationspolitischen Zusammenhang, in dem der Kolonisierer seine Werte aufzuzwingen versucht hat, als zentrales Element des Dekolonisierungsprozesses.
„Immer wenn [der*die] Kolonisierte einen Vortrag über westliche Kultur hört, zieht [sie*er] seine Machete oder versichert sich zumindest, dass sie griffbereit ist. Die Gewalt, mit der sich die Überlegenheit weißer Werte geäußert hat, und die Aggressivität, mit der die siegreiche Konfrontation dieser Werte mit den Lebens- und Denkstilen der Kolonisierten durchgeführt wurde, führen dazu, dass [der*die] Kolonisierte in zynisches Gelächter ausbricht, wenn man [ihm*ihr] von diesen Werten erzählt. […] In der Phase der Dekolonisierung spottet die Masse der Kolonisierten über diese Werte, beschimpft sie, spuckt sie lauthals von sich.“ (Fanon 1961: 457)
Emanzipation soll durch die Abgrenzung von westlichen Normen vorangetrieben werden, weshalb viele antikoloniale Theoretiker*innen das Annehmen der Kultur des Kolonisierers als „geistige Kolonisierung“ (Ngũgĩ wa Thiongʾo 1986; Seck 1993: 182) und „Untreue“ (Bâ 1992: 335) gegenüber der cause Africaine, der Zukunftsvision eines dekolonisierten Afrikas, interpretieren.
Aus rassismuskritischer Perspektive ist anzumerken, dass „tubaab“ in dieser auf Kultur bezogenen Bedeutung oftmals essenzialisierend verwendet wird und kolonial-rassistische Stereotype darüber, was tubaab und was Schwarze/Afrikanische Kultur sei, reproduziert werden (Fanon 1961: Kapitel 4; Diagne 1992). Die Herabwürdigung von Afrikaner*innen als „falsch“[28] oder „Kopie“, wenn sie von den als „kultureigen“ definierten Normen abweichen, verbaut den Blick auf soziale Neuerungen und torpediert gegebenenfalls emanzipatorische Zukunftsprojekte. Das imperialismuskritische Potenzial des Konzeptes der tubaabisierung ist angesichts der Globalisierung des Eurozentrismus jedoch anzuerkennen. Schließlich macht sie die kolonisierenden Effekte bewusst, die das Verhalten Schwarzer haben kann, wenn sie kolonialen Stil propagieren, koloniale Überheblichkeit ausüben oder rassistische Diskurse über Afrika (alltagstubaabismus) reproduzieren (Seck 1993: 182; Bugul 2014: 101, 105). In der Aufforderung zu dekolonisierender kultureller Praxis tritt der widerständige Charakter von tubaabité abermals zutage.
Eine neoliberale Praxis
Wie bei weißen spielt tubaabité bei Schwarzen in die sozioökonomische Struktur hinein. Dies kann mit dem Konzept „tubaab-esse-s noir-e-s“[29] („Schwarze tubaab*esses“) gefasst werden, als Bezeichnung für Schwarze, die eine ähnliche sozioökonomische Machtposition wie weiße haben.[30] Dies passiert etwa, wenn Schwarze in internationalen Organisationen und transnationalen Unternehmen arbeiten („tubaab Jobs“) und dementsprechend über „tubaab Gehälter“ verfügen, die den Zugang zu „tubaab Zonen“ eröffnen (vgl. Kapoor 2008: 45; Pierre 2013: 175). Mit tubaabité lassen sich also auch klassistische Hierarchien unter Schwarzen adressieren, die mit dem kolonialen Erbe zusammenhängen: „Die Leute sagen, dass ich ein tubaab bin. Nur weil ich mir meine eigenen Sachen kaufe…“ (Gespräch mit Ibou im März 2014).
Ibou arbeitet im Medienbereich. Es ist sein Einkommen, das dazu führt, dass er als tubaab gilt, als einer, der die Klasse gewechselt und sich vom Rest der Gesellschaft abgespalten habe.[31] Nicht alle Reichen in Senegal werden als tubaab markiert: Es ist ein ganz bestimmtes Geld, das tubaabisiert. Zumeist ist es das, das aus einem formalisierten Beschäftigungsverhältnis gewonnen wird. Es hebt von der Gesellschaft ab, weil der Großteil der Gesellschaft von diesem Arbeitsmarkt ausgeschlossen wird. In diesem Zusammenhang von tubaabité zu sprechen spannt den Bogen zwischen kapitalistischen Produktionsverhältnissen und (Neo-)Kolonialismus. Es ist Geld aus der „tubaab Ökonomie“, „tubaab Geld“, das Ibou zum Schwarzen tubaab macht. Hier wird sein Mitwirken in neokolonialen Strukturen verhandelt. In dieser Interpretation erhält tubaabité eine kapitalismuskritische Ausrichtung, die Klassenverhältnisse jenseits von Schwarz und weiß denkt (vgl. Fanon 1961: 536f). Sie eignet sich entsprechend für eine „entchromatisierte“ (nicht auf „Farbe“ reduzierte) Kritik der postkolonialen Gesellschaftsstruktur.[32]
Als „Schwarze tubaabs“ werden seit Kolonialzeiten die Schwarzen klassifiziert, die mit den Kolonisierern zusammenarbeiten (Gibson 2003: 17, 38, 51, 78, 167). Heute, nach 50 Jahren In-dépendance (In-Abhängigkeit) (vgl. Belinga 2012), in denen die formale Unabhängigkeit und die Afrikanisierung der Verwaltung nicht zur Befreiung von westlicher Vorherrschaft führte, stehen insbesondere Entscheidungsträger*innen, deren Politik mit den Wünschen westlicher Akteure konformgeht, in der Kritik als „Schwarze tubaabs“ zu handeln. Auch hier wird insbesondere auf Senegal verwiesen, aufgrund seines Images, Frankreich bzw. dem Westen gegenüber immer „loyal“ (gewesen) zu sein,– sei es vor, während oder nach der Unabhängigkeit. Die spezifische koloniale Geschichte Dakars ist für diese Einschätzung maßgeblich. Widerstandsbewegungen rekurrierten hier weniger auf Strategien der Revolte, Rebellion und Flucht, sondern favorisierten meist „sanftere“ Methoden, die sich mitunter der Instrumente der Kolonisierer bedienten, wie etwa Zusammenschlüsse in Vereinigungen und Clubs, Streik, Boykott, Petitionen und Kritik in Publikationen (Boahen & Gueye 1989: 126, 128).
Auch Afrikanische Mittelklassen, die sich von den dekolonialen Interessen der Gesellschaft abwenden und sich der bürgerlichen Dekadenz der Kolonisierer hingeben, fallen in die Kategorie Schwarzer tubaabs.[33] Ihnen kommt eine steigende Relevanz zu, da sie, wenn auch streng selektiert und kontrolliert, zunehmend wichtige Posten auf transnationaler Ebene einnehmen, während der „Rest“ (Hall 1996b) der globalisierten Gesellschaft immer prekärer lebt (Mohanty 2003a; 2003b; 2003c). Sie verkörpern die neoliberale Tendenz der Globalisierung, die einige Wenige partizipieren lässt, strukturelle Ungleichheiten jedoch verschärft. In der Rolle einer kaufkräftigen Klasse werden Schwarze tubaabs ausdrücklich in das eingezäunte Petit Paris eingeladen – in die Buddha-Bar beispielsweise:
„Die Reputation der Buddha-Bar hat ihr die authentische internationale Reichweite verliehen, die ihr erlaubte weltweit zu expandieren. Buddha-Bar verkörpert eine Lebensart des Teilens und eine warme und freundliche Atmosphäre. […] Die Buddha-Bar hat ihre Türen zur Welt geöffnet, insbesondere nach Beirut, Dubai, London, Kiew sowie Kairo, Mexiko-Stadt, Monte Carlo und Manila. Die Hotels expandieren nun von Prag und Budapest nach Paris. Die Spas gibt es in Evian-Les-Bains, Doha, Dakar, Budapest und Dubai. Heute ist sie ein Muss geworden und zieht Besucher aus der ganzen Welt an. Indem sie ihre Horizonte beständig erweitert, ist die Buddha-Bar über alle und jenseits aller Grenzen gegangen, von Paris in unzählige internationale Hauptstädte.“[34]
Oben wurden einige der Barrieren beschrieben, die den Zugang zur „Welt der Buddha-Bar“ beschränken. In ihrem Angesicht erscheint diese Selbstrepräsentation, die die Bar als Teil einer friedlichen Welt suggeriert, in der kolonial-rassistische Ungleichheiten überwunden wurden, romantisierend. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass wir – Camille, ich selbst, die libanesischen Betreiber*innen sowie die weiteren tubaabs of Color –, die alltäglich hier anzutreffen sind, Teil der tubaab Buddha-Bar-Welt sind, da wir in das eingezäunte Petit Paris hereingelassen werden. An diesem Beispiel lässt sich gut darstellen, wie postkoloniale Grenzziehungen in ihrer neoliberalen Artikulation an Komplexität und Undurchsichtigkeit gewinnen (Mohanty 2003a: 141). Die multiplen rassifizierten Positionen jenseits von weißsein, die an der kapitalistischen Ökonomie teilhaben, als tubaab zu markieren, macht diese Ebene des Kolonialismus greifbar.
Die Teilhabe von Schwarzen am Kapitalismus darf allerdings nicht zu dem voreiligen Schluss verleiten, dass sie tubaabs gleichstellt seien und Rassismus in ihrem Fall keine Bedeutung mehr habe. Abdou, 35, kommt aus Dakar und arbeitet zurzeit in London. Er erzählt von seiner Erfahrung der Vereinnahmung und der Grenzen, die sich ihm in seinem Karriereverlauf unweigerlich auftun.
„Sie haben mir die Chance gegeben, Personalchef zu sein. Das ist auch gut für ihr Image. Einmal wollten sie, dass ich zu einer Reportage komme und mich bei der Arbeit filmen lasse. Ich habe das abgelehnt. Sie wollen nur zeigen, dass sie etwas [gegen Rassismus] machen. Aber letztendlich ist es so: Du kannst die Stufen erklimmen, für eine Weile, aber es gibt ein Limit. Über dir wird es immer diese [flache Handbewegung kurz über dem Kopf] Grenze [Orig.: ceiling] geben. Ganz weit nach oben kommst du niemals.“ (Interview mit Abdou im August 2013)
Schwarze können zwar „gleich“ werden, „reines“[35] tubaabsein wird ihnen jedoch im Gegensatz zu weißen, deren tubaabité als fix konstruiert wird (Quashie 2015: 770), auf die eine oder andere Weise rassistisch abgesprochen – womit Homi Bhabhas Beschreibung „fast gleich, aber nicht ganz […] [, fast] gleich, aber nicht weiß“ (1994: 89) bestätigt wird. Diese spezifische, vor allem gegen die Klasse der gebildeten Schwarzen gerichtete Form des Rassismus (Fanon 1952), macht die Teilnahme an der tubaab Ökonomie zu einer konfliktgeladenen Angelegenheit.
Nach einer Pause setzt Abdou hinzu: „Aber sowieso: Die zehn reichsten Leute in Senegal haben nicht die Schule besucht …“ Abdou vergegenwärtigt hier die Möglichkeiten, jenseits von tubaabisierung, ohne Assimilation zu ökonomischer Macht zu gelangen. Dies kann einerseits ein Hinweis auf die vielfältigen anderen Ökonomien sein, die im lokalen Kontext existieren (sogenannte informelle Ökonomien), oder andererseits darauf anspielen, dass die Teilhabe an der tubaab Ökonomie manchmal auch ohne tubaabisierung erfolgen kann. Schließlich zogen auch nicht-beschulte und ländliche Eliten Profit aus der kolonialen Wirtschaft[36] und auch heute brechen kapitalistische Strukturen jenseits formalisierter Sphären auf Afrikanische Kontexte herein. Das heißt, tubaabité als ökonomische Macht – und Gewalt – begrenzt sich nicht auf Räume, die als tubaabisiert gelten, wie der Staat oder formalisierte Arbeitsmärkte, in denen tubaab Kultur- und Bildungskapital zum Tragen kommen. Kapitalismus nimmt viele Gestalten an. In meinem Datenmaterial lassen sich allerdings keine Anhaltspunkte dafür finden, dass kapitalistische Akkumulation jenseits von tubaabisierung (durch Bildung, Arbeit…) als „tubaab“ bezeichnet wird. Vielmehr erwächst tubaabité als antikoloniales Konzept, das sich auf den Staat konzentriert, der tubaab Standards gehorcht, und auf transnational angebundene Bildungseliten, die von tubaab Kapital profitieren. Vor dem Hintergrund der prekarisierenden Effekte des Kapitalismus jenseits von formell/informell- oder tubaabisiert/Afrikanisch-Dualismen erscheint dieses Verständnis von tubaabité begrenzt. Um die Artikulationen der Kolonisierung umfassender zu beschreiben, sind sie um „nicht-tubaabisierte“ Formen des Kapitalismus zu erweitern. Eine vertiefende Analyse, die senegalesischer Perspektiven aus ländlichen Gebieten einbezieht, könnte hier wertvolle Aufschlüsse liefern.
tubaabité als postkolonialer Begriff
Ziel des Textes war, durch die Zusammenführung alltäglicher Bedeutungen von tubaabité postkoloniale, rassifizierte Herrschaftsverhältnisse im zeitgenössischen Dakar zu beschreiben. Wie sich zeigte, erscheinen die aufgegriffenen Definitionen von tubaabité oftmals in essenzialisierter biologistischer, kulturalistischer oder identitätspolitischer Form. Nichtsdestotrotz eignet sich das entstandene Patchwork für die Entwicklung eines Konzeptes, das koloniales weißsein adressiert, ohne zu vergessen, dass Rasse ein soziales Konstrukt ist, eine Geschichte hat und sich in stetigem Wandel befindet und gleichzeitig sozialpolitisch wirkt und Gesellschaft strukturiert (Frankenberg 1993). Gegenüber alltäglichen Verständnissen von tubaabité kommt dem Konzept also ein Mehr an Bedeutung zu; womit die Studie in Einklang mit den Zielen der Grounded Theory steht, bei der die Produktion analytischen Gehalts durch eine datenbasierte Konzeptualisierung als fundamental erachtet wird (Glaser 2001).
Im Laufe der konzeptuellen Produktion zeigte sich, dass tubaabité die unterschiedlichen Facetten der in Dakar stattfindenden Artikulation kolonialer Herrschaft zu vereinen und auf einfache Weise greifbar zu machen vermag, ohne ihre Komplexität unsichtbar werden zu lassen. Sie verweist zunächst auf die Kolonisierung durch europäische bzw. westliche Akteure, tubaabs, bei der ein rassifiziertes Herrschaftssystem etabliert wurde, das weiß (tubaab) und Schwarz hierarchisiert und antagonistische Positionen innerhalb der kolonialen Ökonomie ansiedelt. Auch erfasst das Konzept die kulturimperialistische Komponente der Kolonisierung, indem es den bürgerlichen Habitus von tubaabs markiert. Dieser ist im kolonialen Kontext von dem Mandat begleitet, der kolonisierten Gesellschaft als „westlich“ konstruierte Normen, „tubaab Normen“, aufzuerlegen. In diesem Zusammenhang wird tubaab zu einem kulturellen Attribut. Sprachlich schlägt sich darin nieder, dass tubaab als Adjektiv benutzt wird. Wichtig daran ist, dass mit tubaabité die Ebene der Ideologie der Kolonisierung angesprochen wird, die darauf abzielt, „tubaab Präsenz“ in der Post-/Kolonie in eine wohlwollende Mission der Verbreitung von tubaab Kultur umzudeuten.
In diesem Zuge verweist tubaabité auch auf die Effekte der Assimilationspolitik, die sich soziologisch gesehen darin manifestiert, dass sich auch Schwarze und andere People of Color „tubaab Habitus“ aneignen und davon profitieren können. Dass auch Schwarze an der Reproduktion kolonialer Ideologien und Strukturen unter bestimmten Voraussetzungen teilnehmen können, – die Aneignung von tubaab Bildungskapital und Kulturkodes ist hierfür elementar – deutet auf die gewisse Durchlässigkeit der rassifizierten Kategorie der tubaabité hin. Der neoliberale Kontext, in dem sich transnationalisierte Bildungssysteme und Arbeitsmärkte für Schwarze und andere People of Color zunehmend öffnen und transnationale Eliten „diverser“ werden, führt dazu, dass tubaabité flexibler wird. Meritokratische Theorien, nach denen es für Karriereaussichten an Bedeutung verliert, ob eine Person weiß oder Schwarz bzw. of Color ist, gewinnen in diesem Prozess an Überzeugungskraft. Kapitalistische Strukturen sind jedoch nicht darauf ausgelegt, dass alle von ihnen profitieren, was bedeutet, dass die Idee einer totalen Öffnung von tubaabité für alle ideologisch ist (Marx & Engels: 1983 [1845]).
Das Besondere an diesem Konzept für koloniales weißsein ist, dass es unterschiedliche Akteure von tubaabité – weiße, Schwarze, People of Color – in die Analyse kolonialer Herrschaftsstrukturen einbezieht. Damit integriert es die Einsicht der postkolonialen Kritik, dass Rassifizierung kein eindimensionaler Prozess ist, der auf einen weiß/Schwarz-Gegensatz herunter gebrochen werden kann, sondern komplexe Positionen schafft, die je nach Kontext variieren; dass weißsein von Wandel geprägt ist, sich reformiert und seine Gestalt beständig anpasst (Hall 1996a: 245, 249; Frankenberg 1993: 12; Cooper & Stoler 1997). Mit anderen Worten, tubaabité passt sich den Dynamiken des postkolonialen Feldes an. Dabei bricht sie mit linearen Verständnissen von Raum und Zeit. Zum einen überschreitet sie den gängigen Zeitausschnitt in vorkolonial ® kolonial ® nachkolonial, bei dem „kolonial“ auf die Epoche der formalen Kolonisierung reduziert wird, denn sie wird seit den ersten kolonialen Begegnungen mit Europäern und über die formale Unabhängigkeit hinaus verwendet. In diesem Zusammenhang bezieht sie sich zum anderen auch auf unterschiedliche Räume, in denen tubaabité wirkt: neben dem Senegal mit seinen heutigen Grenzen auch Räume, in denen regional, kontinental oder transnational Kolonisierungserfahrungen geteilt werden.
Aus theoretischer Perspektive ist zu betonen, dass tubaabité hilft Begrenzungen herkömmlicher weiß- und westlichseinskonzepte zu überwinden. Einerseits stellt sie die ontologische Essenz von tubaabité als weißsein in Frage, indem sie auf die Relevanz von Assimilierung und Partizipation von People of Color eingeht. Sie verdeutlicht, dass rassifizierte Positionen innerhalb kolonialer Verhältnisse entstehen, es sozioökonomische Beziehungen sind, die bestimmte Personen tubaab machen (vgl. Hesse 2007; Kilomba 2008; Fanon 1952). weißsein jedoch durch „westlichsein“ zu ersetzen, um den zunehmenden Einfluss westlichen kulturellen Kapitals zu demonstrieren, das auch Schwarze sich aneignen können, birgt andererseits die Gefahr, die rassistischen Hierarchien zwischen weißen und tubaabisierten Schwarzen außer Acht zu lassen. tubaabité berücksichtigt die Tatsache, dass tubaabisierung es bislang nicht vermag, Schwarze und andere People of Color – etwa durch Bildung – „authentischen“/weißen tubaabs gleichzustellen. Die Fähigkeit des Konzepts, Assimilations- und Rassifizierungsprozesse gleichzeitig zu adressieren und in Balance zueinander zu halten, macht seinen Mehrwert gegenüber weiß- und westlichseinskategorien aus.
Vermutlich ist gerade die Mischung aus Multiplizität, Dynamik und Intersektionalität Grund dafür, dass das Konzept in unübersetzter Form auch in der französischen Alltagssprache Karriere gemacht hat und auf multiple Weise dekliniert, gedreht und weiterentwickelt wurde. Trotz ihrer Vorzüge fließen Originalbegriffe der Kolonisierten nur selten oder verkürzt in die Forschung zu kolonialen Prozessen ein. Dabei gehören „Kritische tubaab Studien“, wie in diesem Aufsatz gezeigt, zum gängigen Wissensbestand der Kolonisierten. Das offene Codieren unter Verwendung von in-vivo-Codes, die die Alltagssprache aufgreifen, und das theoretische Sampling, mit dem Konzepte zielgerichtet vertieft werden, machen Grounded Theory zu einem vielversprechenden Forschungsansatz, um Terminologien der Rassismusforschung zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt bietet sie die Chance, die Dominanz weißer Epistemologie zu konterkarieren, und neu über die Wirkungsweisen von weißsein in den Postkolonien ins Gespräch zu kommen.
Literatur
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Anschrift der Auorin:
Céline Barry
celinebarry2@yahoo.de
Peripherie, Nr. 146/147, 37. Jg., 2/2017, Verlag Barbara Budrich, Leverkusen.
[1] Namen wurden anonymisiert.
[2] Im Sinne der Intervention gegen die Naturalisierung rassistischer Kategorien schreibe ich „weißsein“ und „weiße“ durchweg klein. Die sich daraus ergebende Störung soll daran erinnern, dass diese – wie „Rassen“ allgemein – Konstruktionen sind und keine ontologische Wirklichkeit besitzen. In diesem Sinne wird auch „westlich“, „westlichsein“ als rassifizierte Kulturkategorie (Hesse 2007) kleingeschrieben. Hingegen schreibe ich Begriffe wie „Schwarz“, „Afrikanisch“ und „Diasporisch“, obwohl auch sie konstruierte Kategorien darstellen, groß, weil es politische Selbstbezeichnungen aus antikolonialen und antirassistischen Widerstandskontexten sind.
[3] Alle fremdsprachigen Zitate wurden eigens übersetzt.
[4] Zu kolonialem weißsein im Alltag von Postkolonien s. Kothari 2006; Leonard 2010; Twine & Gardener 2013; Eriksson Baaz 2005; speziell zu Senegal s. Quashie 2009; 2015; Cruise O’Brien 1972.
[5] In frankophonen Texten wird [tu.bab] im Allgemeinen den französischen Regeln entsprechend mit „toubab“ verschriftlicht. Ich bevorzuge die offizielle Schreibweise in Wolof, der dominanten nationalen Sprache in Senegal, die in den 1960ern im Rahmen des staatlichen Dekolonisierungsprozesses standardisiert worden ist. Mit dieser Form lässt sich einerseits vergegenwärtigen, dass es sich um einen Afrikanischen Begriff handelt. Andererseits erinnert sie an den Anspruch, durch den Bezug auf eigene Sprachen die Dominanz kolonialer Sprachen auszuhebeln.
[6] Den gender-bewussten Leser*innen wird aufgefallen sein, dass mancherorts die geschlechtersensible Sprache zu fehlen scheint. Dies liegt darin begründet, dass der vorliegende Text von kolonialen Normen, Narrativen und Konstruktionen handelt. Der punktuelle Verzicht auf Queer- und Trans*offene Schreibweisen behält im Blick, dass Kolonisierung ein vergeschlechtlichender Prozess ist, bei dem patriarchale Strukturen und Normen produziert werden. Dies schlägt sich auf den alltäglichen Sprachgebrauch nieder, auf dem meine Erkenntnisse basieren: Es ist die Rede von „le colonisateur“ (der Kolonisierer), „les européens“ (die Europäer), „les Occidentaux“ (die Westler) usw. Dass die Norm des Kolonialakteurs männlich ist, bedeutet nicht, dass in der Praxis keine Frauen*, Queers oder Trans* involviert gewesen sind. Zu feministischem Sprachhandeln s. AG Feministisch Sprachhandeln der Humboldt-Universität zu Berlin 2014.
[7] http://www.xlingua.de/de/wolof-deutsch/tubaab, letzter Aufruf: 11.7.2015.
[8] https://en.wikipedia.org/wiki/Toubab, letzter Aufruf: 3.6.2015.
[9] https://fr.wikipedia.org/wiki/Toubab, letzter Aufruf: 3.6.2015; s. auch Daff & N’Diaye-Correard 2006: 540.
[10] https://unetoubabadakar.wordpress.com/cest-quoi-une-toubab-dabord/, letzter Aufruf: 3.6.2015.
[11] https://fr.wikipedia.org/wiki/Toubab, letzter Aufruf: 3.6.2015; s. auch Daff & N’Diaye-Correard 2006: 540.
[12] https://en.wiktionary.org/wiki/toubab, letzter Aufruf: 24.10.2016.
[13] Der rassistische Begriff „black“ im Französischen sollte aufgrund seiner Gewaltsamkeit genauso wie das „N-Wort“ nicht wiederholt werden.
[14] http://www.keskiladi.com/definitions/babtou, letzter Aufruf: 2.11.2016.
[15] Zum Beispiel die Songs Tous Ensembles von Salif (2001), Fadela von Sniper (2011) und Espérance de Vie von Youssoupha (2012).
[16] http://www.jeuxvideo.com/forums/1-50-161721178-1-0-1-0-reperer-un-babtou-fragile-en-3-lecons.htm, letzter Aufruf: 2.11.2016.
[17] http://www.jeuxvideo.com/forums/1-50-161721178-1-0-1-0-reperer-un-babtou-fragile-en-3-lecons.htm, letzter Aufruf: 2.11.2016.
[18] https://bekolopress.wordpress.com/2015/07/20/le-consulat-espace-dhospitalite-ou-de-violence, letzter Aufruf: 25.7.2015.
[19] https://unetoubabadakar.wordpress.com/cest-quoi-une-toubab-dabord/, letzter Aufruf: 3.6.2015.
[20] Im Datenmaterial machte ich diese Opposition durch die Zusammenfassung der Elemente greifbar, die dem „ici“, dem „Hier“, und dem „là-bas“, dem „Dort“, zugerechnet werden. Je nach Kontext bedeutet „Hier“ Dakar, Senegal, Afrika, die muslimische Umma, die kolonisierten Gebiete der Welt etc. Sie werden dem „Dort“, dem Westen, Europa, Frankreich, Deutschland, Kanada, USA, Paris, London, New York usw. gegenübergestellt.
[21] Selbstbeschreibung des Unternehmens in seiner Web-Präsenz (http://www.buddhabar.com/en/buddha-bar-monde-worldwide#, letzter Aufruf: 20.10.2016). Den Stil der Bar definiert es ferner wie folgt:
„Mit ihrem außerordentlich reichhaltigen Interieur samt seiner Darbietung an asiatischen Objekten, portugiesischem Mosaik und einer warmen, mit ethnischen Stoffen aus der ganzen Welt bezogenen Holzgarnitur, die die Gäste unmittelbar in eine magische Atmosphäre versetzt, ist die untypische Aura der Bar einzigartig. Die Buddha-Bar Cuisine, auf schönste Weise präsentiert, ist eine fabelhafte kulinarische Einladung in exotische Länder. Das panasiatische und pazifische Menü mit seiner Myriade an Geschmäckern und orientalischen Gewürzen wird subtil mit westlichen Einflüssen kombiniert.“
[22] Notizen 2014, überarbeitet 2016. Zur kolonial-nostalgischen Rekonstruktion kolonialer Metropolen und deren Beziehung zur kapitalistischen Ökonomie s. Ha 2014.
[23] Fanon 1964: 715f; Mbembe 2001; Rodney 1972; Said 1978.
[24] https://unetoubabadakar.wordpress.com/cest-quoi-une-toubab-dabord/, letzter Aufruf: 3.6.2015.
[25] http://fr.wiktionary.org/wiki/se_toubabouser, letzter Aufruf: 3.6.2015; s. auch Fanon 1959: 296.
[26] Interview mit Marème im April 2013; Alltagsgespräche in Dakar, 2010-15; Souleymane Bachir Diagne in einem Vortrag zum 54. Jahrestag der senegalesischen Unabhängigkeit (https://www.youtube.com/watch?v=kkmrJKOdvHo, letzter Aufruf: 20.7.2014). Senegal ist für eine breite Kultur- und Wissenschaftsproduktion bekannt. Diese Spezifizität ist auf die Bildungs- und Kulturpolitik unter Senghor sowie die Vergangenheit Senegals als privilegierter Ort des kolonialen Bildungsprojekts zurückzuführen.
[27] Interviews zwischen 2008 und 2015, insbesondere mit senegalesischen Frauenrechtsaktivistinnen, denen vorgeworfen wird, sich dem tubaab Diktat des „Feminismus“ zu unterwerfen.
[28] In Wolof etwa „tubaab ndialaxanes“ („falsche tubaabs“) (Bugul 2014: 25). Hier ist auch die Unterscheidung zwischen „faire le tubaab“ („einen auf tubaab machen“) und „être tubaab“ („tubaab sein“) aufschlussreich.
[29] Alltagsgespräche 2012-15, s. insbesondere die Memoiren von Bâ 1992.
[30] „tubaabisierte Schwarze“ und „Schwarze tubaab*esses“ sind im gängigen Sprachgebrauch austauschbar. Die Abgrenzung der beiden Kategorien ist hier allerdings sinnvoll, um die Ebenen der Kultur und der sozioökonomischen Verhältnisse zu diskutieren.
[31] Zur Assoziation von hohen Einkommen mit weißsein s. Pierre 2013: 77; Quashie 2015: 768, 771.
[32] Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive spricht sich Ibrahima Thioub (2005; Thioub & Boilley 2004) für eine machtkritische Aufarbeitung des Kolonialismus aus, die die Komplexität kolonialer Konflikte, einschließlich des Mitwirkens Schwarzer Eliten, in Betracht zieht. Die Konstruktion essenziell unterdrückter Afrikanischer Gesellschaft sieht er als Ideologie, die dazu diene, Herrschaftsverhältnisse unter Afrikaner*innen unsichtbar zu machen.
[33] S. etwa die berühmte Kritik Frantz Fanons an der „Afrikanischen Lumpenbourgeoisie“ (1961) oder die Aminata Diaws (1992) an der „Demokratie der Belesenen“ sowie die vielen literarischen (Bâ 1992; Kane 1961; Bugul 2014) und audiovisuellen Produktionen (Filme von Djibril Diop Mambéty, Ousmane Sembène und Alain Gomis), die diese Position, mal dramatisch, mal satirisch, inszenieren.
[34] http://www.buddhabar.com/en/buddha-bar-monde-worldwide#, letzter Aufruf: 20.10.2016.
[35] Von „tubaab piir“ („reiner tubaab“) in Wolof (Bugul 2014: 21).
[36] Im Kolonisierungsprozess entstanden ländliche Klassen von Afrikaner*innen, deren Reichtum auf einer aktiven Teilnahme am kolonialen Handel basierte (Boahen 1996: 88). Gleichzeitig entstanden in den urbanisierten Räumen Arbeiter*innenklassen, die trotz Beschulung nicht in die Machtpositionen kamen, die ihnen liberale Bildungsdiskurse versprachen (Boahen 1989a: 527).