Zum großen Teil befristet“, „vielfältige Abhängigkeiten“ und „Sackgassen“ – was sich wie eine gewerkschaftliche Kritik der Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft liest, stammt tatsächlich aus den jüngsten „Empfehlungen zu Karrierezielen und -wegen an Universitäten“ des Wissenschaftsrates.[1] Mit dem Papier, das dieser im Juli vorlegte, ist die Reform der Personalstruktur in Hochschulen und der Forschung endlich auf der Agenda des offiziellen Beratungsgremiums von Bund und Ländern angekommen.
Dafür ist es auch höchste Zeit: Denn mittlerweile sind 90 Prozent der knapp 170 000 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Hochschulen befristet beschäftigt, über die Hälfte dieser Zeitverträge hat eine Laufzeit von unter einem Jahr. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können promoviert und habilitiert sein, umfassende Erfahrungen in Forschung und Lehre nachgewiesen und über Jahre erfolgreich Drittmittel eingeworben haben: In Deutschland gelten sie, solange sie nicht den Sprung auf eine Professur geschafft haben, als „wissenschaftlicher Nachwuchs“. Ganz anders handhaben das vergleichbare Industrieländer wie Großbritannien, Frankreich oder die USA: Dort gibt es auch neben der Professur die Perspektive, auf Dauer Wissenschaft als Beruf auszuüben.
Die Gründe für die Misere sind vielfältig. Lange, steinige und vielfach in Sackgassen endende Karrierewege des „wissenschaftlichen Nachwuchses“ sind bereits in der Tradition der deutschen Ordinarienuniversität angelegt, der eine steile Hierarchie zwischen Lehrstuhlinhabern und allen anderen Wissenschaftlern zugrunde lag. Zusätzlich hat der allgemeine Trend zur Flexibilisierung und Deregulierung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen auch in der Wissenschaft Spuren hinterlassen.
„Hire-and-Fire“ an den Hochschulen
In den letzten Jahren haben darüber hinaus zwei weitere Entwicklungen die Situation verschärft. Zum einen sorgt ein Paradigmenwechsel in der Wissenschaftsfinanzierung dafür, dass die Grundfinanzierung der Hochschulen stagniert und in einigen Bundesländern sogar handfeste Kürzungen anstehen. Gleichzeitig fließen über die staatlich finanzierte Drittmittelforschung und immer neue Bund-Länder-Pakte – insbesondere die 2005 gestartete Exzellenzinitiative – Milliarden in das Hochschulsystem. Diese werden allerdings in wettbewerblichen Verfahren befristet vergeben. Das damit verbundene Risiko geben die Hochschulen über befristete Arbeitsverträge an die Beschäftigten weiter.
Zum anderen verfügen Hochschulen wie Forschungseinrichtungen seit 2007 mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz über ein umfassendes Sonderarbeitsrecht. Dieses ermöglicht den Arbeitgebern, Wissenschaftler immer wieder aufs Neue befristet zu beschäftigen – weit über die Optionen des allgemeinen Arbeitsrechts hinaus.
Unberechenbare Karrierewege und instabile Beschäftigungsbedingungen sind jedoch nicht nur für die betroffenen Beschäftigten von Nachteil, sondern sie haben Auswirkungen auf das gesamte Hochschul- und Forschungssystem. Zwar ist die Qualität der Lehre in aller Munde und Gegenstand zahlloser Förderprogramme, ja inzwischen sogar einer regelrechten Qualitätsmanagementindustrie.
Doch sie wird durch die absurde Personalpolitik des Hire-and-Fire systematisch unterminiert: etwa durch Lehrende mit Kurzzeitverträgen, die als Lehrkräfte für besondere Aufgaben eine Lehrverpflichtung von 18 Semesterwochenstunden und mehr zu erfüllen haben. In der Regel handelt es sich dabei um Berufsanfänger, die nebenbei auch noch promovieren sollen. Sie können noch so begabt und motiviert sein – eine professionelle Lehre, die auch auf kontinuierlicher Erfahrung und professioneller Fort- und Weiterbildung beruht, wird man von ihnen nicht uneingeschränkt erwarten können.
Kritische Forschung ausgebremst
Die fehlende Kontinuität wissenschaftlicher Arbeit beeinträchtigt zugleich auch die Qualität der Forschung: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die semesterweise um die Verlängerung ihres Arbeitsvertrages zittern, sind darauf angewiesen, ihre Forschungsberichte pünktlich abzuliefern. Auch wenn es sich um kritische Geister handelt – sie werden es sich sehr gründlich überlegen, ob sie unter diesen Bedingungen neue und damit riskantere sowie potentiell arbeitsintensivere Ansätze verfolgen oder sich gar mit dem Mainstream ihrer Fachdisziplin anlegen. Oder ob sie doch lieber ausgetretene Pfade einschlagen und auf „Nummer sicher“ gehen.
An den Hochschulen ist das Ergebnis dieser Entwicklung seit Jahren zu beobachten: Die verfehlte Personalpolitik beeinträchtigt die Qualität der Lehre und hemmt die Innovations- und Kritikfähigkeit in der Forschung.
Unattraktiv: Der Arbeitsplatz Hochschule
Doch damit nicht genug: Sie macht nicht zuletzt den Arbeitsplatz Hochschule immer unattraktiver. Wer sich heute in Deutschland auf das „Wagnis Wissenschaft“[2] einlässt, entscheidet sich häufig für schlechte Verdienstmöglichkeiten, familienunfreundliche Beschäftigungsbedingungen und unklare Perspektiven. Währenddessen buhlen sowohl die hiesige Industrie als auch Hochschulen oder Forschungseinrichtungen im Ausland nicht nur mit einer besseren Bezahlung, sondern auch mit familienfreundlichen Angeboten und berechenbaren Aufstiegschancen um qualifizierte Fachkräfte.
Auch das ist ein Grund dafür, dass Menschen, die berufliche Sicherheit schätzen oder auf diese angewiesen sind, aus der Wissenschaft aussteigen statt aufzusteigen. Das betrifft Frauen, deren Anteil auf wissenschaftlichen Positionen nach der Promotion stark nachlässt, aber auch soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger. Die soziale Öffnung der Hochschulen macht vor dem Lehrstuhl Halt, wie kürzlich eine viel beachtete Untersuchung am Beispiel nordrhein-westfälischer Hochschulen zeigen konnte.[3]
Alle diese Probleme sind nicht neu, aber sie haben sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft. Tatsächlich neu ist jedoch, dass die hausgemachten Schwierigkeiten nicht mehr geleugnet werden und selbst die Wissenschaftspolitik nun endlich Handlungsbedarf erkennt.[4] Nicht zuletzt unter dem Eindruck gewerkschaftlicher Forderungen[5] haben Bund, Länder und Wissenschaftsorganisationen inzwischen Reformmaßnahmen angekündigt. Ein ganzer Abschnitt des Koalitionsvertrages von CDU, CSU und SPD trägt die Überschrift „Planbare und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft“. Hatte die letzte Bundesregierung gesetzliche Maßnahmen noch strikt ausgeschlossen, kündigt die Große Koalition nun eine Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes an.
Trotz der Bildungshoheit der Bundesländer kann der Bund mit einer Novellierung des umstrittenen Gesetzes das aus dem Ruder gelaufene Befristungsunwesen in der Wissenschaft eindämmen: So könnten Hochschulen und Forschungseinrichtungen verpflichtet werden, für auf Dauer angelegte Aufgaben auch dauerhafte Stellen zu schaffen. Durch gesetzliche Mindestvertragslaufzeiten könnte die Dauer von Zeitverträgen an die der Forschungsprojekte bzw. Qualifizierungsvorhaben gekoppelt werden. Eine verbindliche Ausgestaltung der sogenannten familienpolitischen Komponente des Gesetzes könnte zudem einen Anspruch auf Vertragsverlängerung bei Kinderbetreuung verankern.
Ob es aber tatsächlich zu einer solchen Reform kommt, ist noch längst nicht ausgemacht. Zwar vollzieht der Wissenschaftsrat mit seiner Bewertung von unbefristeten Verträgen derzeit geradezu eine Kehrtwende – er äußert sich aber nicht zu der Frage, ob und wie das Wissenschaftszeitvertragsgesetz geändert werden muss. Erfreulich ist allerdings, dass sich das Bund-Länder-Beratungsgremium nun wenigstens sehr deutlich dafür ausspricht, „entsprechend des Zuwachses an dauerhaften Aufgaben der Universitäten auch die Zahl der unbefristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erhöhen“.[6] Damit greift es endlich die gewerkschaftliche Forderung nach „Dauerstellen für Daueraufgaben“[7] auf. Wo der Wissenschaftsrat Zeitverträge für notwendig hält – etwa im Rahmen von Drittmittelprojekten – mahnt er, dass die „Risiken der Drittmittelforschung nicht allein den Individuen aufgebürdet werden“ dürften: „Aufgaben und Beschäftigungsverhältnisse müssen funktional zusammenpassen.“[8]
Mogelpackung Tenure-Track-Professur
Während der Wissenschaftsrat in diesen Punkten bei den Kritikern des Befristungsunwesens der letzten Jahre auf freudige Resonanz stoßen wird, ist der Widerspruch an anderer Stelle schon absehbar. Zwar übernimmt er die gewerkschaftliche Forderung nach der Einführung einer „Tenure-Track-Professur“, doch dessen geplante Ausgestaltung würde das Problem der Befristungen nur noch verschärfen.
Im angelsächsischen Hochschulsystem bedeutet der Tenure Track zunächst nichts anderes als eine berechenbare Hochschullaufbahn, an deren Ende ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis steht. Auch in der deutschen Reformdebatte stand der Tenure Track ursprünglich für verlässliche Perspektiven, die Wissenschaftler nach der Promotion auf Juniorprofessuren oder anderen Postdoc-Stellen bekommen sollen – ganz unabhängig davon, ob sie später eine reguläre Professur erhalten.
Doch mit seinen Reformplänen hat der Wissenschaftsrat den Tenure Track nun auf einen anderen Kontext angewandt: Anstatt Postdocs damit bessere Perspektiven zu geben, soll sich das Instrument hierzulande an promovierte Wissenschaftler richten, die die Postdoc-Phase bereits erfolgreich abgeschlossen haben – für die sie zukünftig nur noch vier statt bislang sechs Jahre Zeit haben sollen.
Eine größere Sicherheit für Postdocs ist explizit nicht vorgesehen; der Übergang auf eine etwaige Tenure-Track-Professur soll vielmehr in einem harten Wettbewerb erfolgen. Am Ende könnten die Empfehlungen des Wissenschaftsrats die schon heute lange Phase der Unsicherheit in der Hochschullaufbahn weiter verlängern: Nach der Postdoc-Phase stünde noch immer nicht der Übergang auf eine Regelprofessur an, sondern zunächst nur auf die neue, auf sechs Jahre befristete Tenure-Track-Professur. Auch wenn diese im Fall einer erfolgreichen Evaluation der Forschungs- und Lehrleistungen entfristet werden soll, schiebt sie letztlich die Entscheidung über einen dauerhaften Verbleib im Wissenschaftssystem noch weiter auf.
Hinzu kommt: Die vom Wissenschaftsrat geforderte Aufstockung der derzeit rund 26 000 Professuren an Universitäten um 7500 stellt sich bei näherer Betrachtung allein als ein Programm zur Einführung der neuen Tenure-Track-Professur dar. Zwar sollen einige zusätzliche Stellen geschaffen werden, vor allem aber sollen vorhandene in Tenure-Track-Stellen umgewidmet werden. Damit aber könnte sich die Strukturreform sogar als Befristungsoffensive im Professorenbereich entpuppen. Dort dominiert bislang – abgesehen vom Trend zur Erstberufung auf Zeit – das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit. Auch wenn das Reformkonzept des Wissenschaftsrats mit der Forderung nach mehr Dauerstellen für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, fairen Vertragslaufzeiten bei Zeitverträgen sowie einer systematischen Personalplanung und -entwicklung viele positive Bezugspunkte aufweist, wären neue Befristungen im Professorenbereich ein dicker Wermutstropfen.
Die ambivalenten Empfehlungen des Wissenschaftsrats zeigen, dass auch „Verschlimmbesserungen“ möglich sind. Die von der Großen Koalition angekündigte Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist der erste Lackmustest, der zeigen wird, wohin die Reise geht. Gelingt ein entscheidender Schritt hin zu stabilen Beschäftigungsbedingungen und berechenbaren Berufsperspektiven oder wird die Position der Hochschulen und Forschungseinrichtungen weiter zu Lasten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gestärkt?
Zu wessen Gunsten die Entscheidung des Gesetzgebers ausfällt, hängt auch von der Verhandlungsposition der Beschäftigten im Hochschulbetrieb ab. Gerade hier jedoch haben die Wissenschaftler noch erheblichen Nachholbedarf: Sich zu organisieren und für die eigenen Interessen auf die Straße zu gehen, ist an Hochschulen noch immer unüblich – nicht zuletzt aufgrund der harten Konkurrenz unter den Beschäftigten um Drittmittel und die wenigen unbefristeten Stellen.[9] Doch genau hier, in der Organisierung der Beschäftigten, liegt der Schlüssel für eine erfolgreiche Hochschulreform – zugunsten ihrer Angestellten
[1] Vgl. Wissenschaftsrat, Empfehlungen zu Karrierezielen und -wegen an Universitäten, Ds. 4009-14, Juli 2014, www.wissenschaftsrat.de.
[2] Vgl. Anke Burkhardt (Hg.), Wagnis Wissenschaft. Akademische Karrierewege und das Fördersystem in Deutschland, Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2008.
[3] Vgl. Christine Möller, Wie offen ist die Universitätsprofessur für soziale Aufsteigerinnen und Aufsteiger? Explorativanalysen zur sozialen Herkunft der Professorinnen und Professoren an den nordrhein-westfälischen Universitäten, in: „Soziale Welt“, 4/2013, S. 341-360.
[4] Vgl. die 2010 von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vorgelegten Eckpunkte für eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung („Templiner Manifest“, www.templiner-manifest.de) sowie den „Herrschinger Kodex – Gute Arbeit in der Wissenschaft“ von 2012 (www.herrschinger-kodex.de).
[5] Vgl. im Einzelnen Andreas Keller, Die Weichen für den „Traumjob Wissenschaft“ stellen! Gewerkschaftliche Anforderungen an die Reform von Karrierewegen in Hochschule und Forschung, in: ders., Isabel Carqueville und Sonja Staack (Hg.), Aufstieg oder Ausstieg? Wissenschaft zwischen Doktorhut und Katheder, Bielefeld 2014, S. 181-190 (i. E.).
[6] Wissenschaftsrat, a.a.O., S. 84.
[7] Vgl. Ziffer 3 des „Templiner Manifests“ der GEW, a.a.O.
[8] Wissenschaftsrat, a.a.O., S. 16.
[9] Auf dem im Oktober d. J. tagenden „Soziologentag“ forderte die Initiative „Für gute Arbeit in der Wissenschaft“ in einem von mehr als 2300 Hochschulangehörigen unterzeichneten offenen Brief erfolgreich die DGS auf, sich für bessere Beschäftigungsbedingungen an den Hochschulen einzusetzen und brachte das Thema damit noch einmal verstärkt in die Öffentlichkeit.
(aus: »Blätter« 11/2014, Seite 29-32)