GEW-Kampagne für stabile Beschäftigungsbedingungen in Hochschule und Forschung
Aus Sorge um die zunehmende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen im akademischen Bereich entwickelte die GEW eine Kampagne für stabile Beschäftigungsbedingungen und forderte 2010 mit ihrem Templiner Manifest berechenbare Karrierewege in Hochschule und Wissenschaft. Nun hat die GEW nachgelegt und schlägt mit ihrem Herrschinger Kodex den akademischen Einrichtungen eine Selbstverpflichtung für eine gute Personalpolitik vor. Andreas Keller zeichnet den Verlauf der GEW-Kampagne nach.1
Im Vorwort der Bundesregierung zum Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses von 2008 heißt es zutreffend: "In der Regel werden Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aber noch zu lange darüber im Unklaren gelassen, ob sie sich auf eine Karriere in Wissenschaft und Forschung dauerhaft einlassen können."2 Damit ist das zentrale Strukturdefizit der Karrierewege im deutschen Wissenschaftssystem benannt: Während die universitäre Personalstruktur in anderen Wissenschaftssystemen neben dem "Senior Staff" und dem "Assisting Staff" eine dritte Kategorie des "Junior Staff" aufweist - Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die keine Spitzenposition innehaben, aber gleichwohl selbstständig und in der Regel auf Dauer forschen und lehren -, gibt es diese Kategorie in Deutschland so gut wie überhaupt nicht3.
Deutscher Sonder(karriere)weg
Diesem Sonderweg entspricht das spezifische deutsche Verständnis des Begriffs "wissenschaftlicher Nachwuchs", der in anderen Sprachen keine Entsprechung hat und kaum übersetzbar ist. So ist auf der Internetseite der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) zu diesem Begriff zu lesen: "Mit der Berufung auf eine Professur in einer Universität bzw. Fachhochschule oder mit dem Antritt einer (leitenden) Stellung mit wissenschaftlichem Profil außerhalb der Hochschulen wird die Qualifizierungsphase als ›wissenschaftlicher Nachwuchs‹ erfolgreich beendet."4
Anders als in vielen anderen Ländern ist es nicht möglich, an der Universität zu bleiben und, ohne auf eine Professur berufen zu werden, auf Dauer selbstständig Wissenschaft als Beruf auszuüben. Die Zuweisung zur Kategorie des "wissenschaftlichen Nachwuchses" hat fatale Konsequenzen für die Betroffenen: Die übergroße Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler muss unter atypischen bis prekären Beschäftigungsbedingungen forschen und lehren.
Betrug die Relation zwischen unbefristet und befristet beschäftigten wissenschaftlichen Angestellten an Hochschulen 2005 noch 1:4, hat sich diese in nur einem Jahr auf 1:8 verschlechtert5. Gleichzeitig haben wir es mit extrem kurzen Laufzeiten dieser befristeten Beschäftigungsverhältnisse zu tun. Nach den Ergebnissen der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in Auftrag gegebenen Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) hat die Hälfte der mit wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern abgeschlossenen Arbeitsverträge an Forschungseinrichtungen eine Laufzeit von weniger als einem Jahr, an Hochschulen sogar mehr als die Hälfte (53 Prozent)6. Nur 18 Prozent der Zeitverträge an Forschungseinrichtungen und elf Prozent der Zeitverträge an Hochschulen haben eine Laufzeit von zwei Jahren oder länger. Daneben sind mehr und mehr junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Lehrbeauftragte tätig, d.h., sie werden stundenweise bezahlt, ohne Sozialversicherung, ohne Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und ohne Existenz sicherndes Einkommen.
Die strukturellen Defizite der Karrierewege im deutschen Wissenschaftssystem betreffen beide Geschlechter, werden aber von Männern und Frauen unterschiedlich für die Karriereplanung verarbeitet und schlagen sich sehr unterschiedlich in den tatsächlichen Karriereverläufen nieder: Stellen Frauen zwar noch die Mehrheit der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen, sinkt ihr Anteil bei den Promotionen bereits auf ca. 40 Prozent. Nur 19 Prozent der Professuren sind mit Frauen besetzt, bei den Professuren mit der Besoldungsstufe C4 sind es sogar nur 11 Prozent7. In seinen "Empfehlungen zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern" vom Juli 2007 hat der Wissenschaftsrat zentrale Befunde der Ursachenforschung zusammengefasst und sieht das "Prinzip der homosozialen Kooptation", als entscheidende Barriere für Wissenschaftlerinnen an8.
Darüberhinaus erschweren die Strukturdefizite der Karrierewege und die Destabilisierung der Beschäftigung in Hochschule und Forschung den Hochschulen zunehmend, qualifizierte Fachkräfte zu finden. Auch die Kontinuität und letztlich eben auch die Qualität von Forschung und Lehre leiden darunter. Wenn Dozentinnen und Dozenten nach dem "Hire and Fire"-Prinzip semesterweise ausgewechselt werden - wer sorgt dann für die notwendige Kontinuität in der Lehre, welche Ansprechpartner haben Studierende, wenn sie eine Beratung brauchen oder eine Prüfung absolvieren müssen? Wie soll Hochschullehre professionalisiert werden, wenn ein Großteil der Lehrenden nach kurzer Zeit ausgewechselt wird? Was bedeutet es für die Lehre, wenn diese zunehmend von Lehrkräften mit besonderen Aufgaben (LfBA) erbracht wird, die an Universitäten bis zu 18, an Fachhochschulen bis zu 24 Semesterwochenstunden lehren müssen, und dann noch als befristet angestellte Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger, die nebenher noch ihre Doktorarbeit schreiben sollen? Wie innovationsfreudig können Forscherinnen und Forscher sein, die ständig um die Verlängerung ihres Arbeitsvertrages zittern? Werden es gerade sie wagen, sich mit dem Mainstream ihrer Disziplin anzulegen, es riskieren, zum vorgegebenen Termin keine Ergebnisse liefern zu können?
"Traumjob Wissenschaft" - Eckpunkte einer Reform
"Gute Lehre und Forschung auf der einen Seite sowie gute Arbeitsbedingungen und berufliche Perspektiven auf der anderen sind zwei Seiten einer Medaille" - das ist der Ausgangspunkt des Templiner Manifests, mit dem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) seit ihrer vierten Wissenschaftskonferenz Traumjob Wissenschaft? Karrierewege in Hochschule und Forschung im September 2010 in Templin für eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung eintritt9.
Herzstück der Reformvorschläge der GEW ist die Forderung nach verlässlichen Perspektiven für promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Postdocs) durch Einrichtung eines "Tenure Track". Dieses, aus angelsächsischen Ländern bekannte Modell einer zur Dauerstelle führenden Laufbahn soll Postdocs die Perspektive eines dauerhaften Verbleibs in der Wissenschaft eröffnen - unabhängig von der Berufung auf eine Professur. Voraussetzung dafür ist zum einen, dass die Hochschulen eine vorausschauende Personalplanung betreiben. Zum anderen, dass der Anteil der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse wieder deutlich erhöht wird. Nur dann können die Hochschulen ihre Daueraufgaben in Forschung, Lehre und Management mit der erforderlichen Kontinuität und Qualität erledigen. Und nur dann können sie qualifizierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern berufliche Perspektiven neben der Professur eröffnen, wie es im Ausland selbstverständlich ist.
Soweit in diesem Sinne Zeitverträge in der Wissenschaft zur Förderung der Qualifizierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder im Rahmen von Drittmittelprojekten notwendig sind, fordert die GEW die Einhaltung von Mindeststandards, insbesondere Mindestvertragslaufzeiten10.
Für die Promotionsphase schlägt die GEW sowohl eine bessere Absicherung und Betreuung der Promovierenden als auch eine bessere Strukturierung vor. Fächerübergreifende Graduiertenzentren sollen alle Promovierenden bei der Aufnahme, Durchführung und dem erfolgreichen Abschluss des Promotionsvorhabens unterstützen. Bei der Promotionsförderung sollte die tarifvertraglich geregelte und sozialversicherungspflichtige Stelle gegenüber dem Stipendium Vorrang haben, dabei müssen mindestens drei Viertel der Arbeitszeit für die eigenständige Qualifizierung der Doktorandinnen und Doktoranden zur Verfügung stehen. Der Zugang zur Promotion ist transparent und sozial gerecht zu gestalten - auch für Fachhochschulabsolventinnen und -absolventen. Die Doktorandinnen und Doktoranden in der GEW haben umfassende Vorschläge für die Reform der Promotion - für mehr Transparenz und soziale Gerechtigkeit beim Zugang zur Promotion, für einen einheitlichen Status und eine gleichberechtigte demokratische Teilhabe von Promovierenden und für die Einrichtung von fächerübergreifenden Graduiertenzentren - erarbeitet11.
Weitere Reformvorschläge zielen auf die Umwandlung von prekären in reguläre Beschäftigungsverhältnisse (Schluss mit der Verlagerung der grundständigen Lehre auf Lehrbeauftragte), auf eine gleichberechtigte Mitbestimmung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie auf die Förderung der Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ab. Um den Anteil der Frauen auf allen Stufen der wissenschaftlichen Laufbahn mit dem Ziel eines ausgeglichenen Geschlechterverhältnisses zu erhöhen, schlägt die GEW ein ganzes Bündel an Maßnahmen vor: Die Qualität der Arbeit von Hochschulen und Forschungseinrichtungen muss stärker danach beurteilt werden, ob diese erfolgreich den Gleichstellungsauftrag erfüllen. Bei der Besetzung von Professuren und anderen Leitungsfunktionen in Hochschule und Forschung müssen verbindliche und mit Sanktionen verknüpfte Quotierungen greifen. Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte müssen endlich wirksame Gestaltungsmöglichkeiten und Beteiligungsrechte erhalten. Darüber hinaus fordert die GEW eine familiengerechte Hochschule, die allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit gibt, im Gleichgewicht zu forschen, zu lehren und zu leben.
Das Templiner Manifest hebt schließlich auch die Rolle der Gewerkschaften als Tarifpartner des öffentlichen Dienstes hervor: Sie sollen sich für wissenschaftsspezifische Regelungen in den Flächentarifverträgen stark machen. Das ist eine klare Absage an einen isolierten "Wissenschaftstarifvertrag", aber auch ein unmissverständlicher Hilferuf, die Interessen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als abhängig Beschäftigte ernst zu nehmen. Auch hier ist insbesondere die Politik gefragt: Ohne die Streichung der Tarifsperre aus dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (§1 Abs.1 Satz2) ist es den Tarifpartnern untersagt, eine sachgerechte Regelung für die Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft auszuhandeln.
Das Templiner Manifest wirkt
Zweieinhalb Jahre nach der Templiner Wissenschaftskonferenz lässt sich feststellen: Das Templiner Manifest wirkt. Zum einen erfahren die zehn Eckpunkte für eine Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung eine enorme Resonanz bei den betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern: 10.000 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unterstützen das Manifest mit ihrer Unterschrift. Wichtiger aber noch als die Zahl der Unterschriften sind die über das Templiner Manifest bei Veranstaltungen vor Ort an Hochschulen und Forschungseinrichtungen geführten Diskussionen. Zum anderen lassen sich aber auch politische Wirkungen des Templiner Manifests feststellen. Die drei Oppositionsfraktionen im Deutschen Bundestag haben parlamentarische Initiativen gestartet, die sich teilweise explizit auf das Templiner Manifest beziehen und zahlreiche Reformvorschläge aufgreifen.12 Allein die Bundesregierung hielt bis zuletzt an der Haltung fest: "Akuter gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht nicht."13 Allerdings deutet sich inzwischen für politische Maßnahmen unterhalb der Ebene einer gesetzlichen Änderung eine Mehrheit im Deutschen Bundestag an. Die Regierungsfraktionen von CDU/CSU und FDP haben im April 2012 eine eigene parlamentarische Initiative zur Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen und Reform der Karrierewege gestartet.14 Sie treten unter anderem für die Kopplung der Laufzeit von Zeitverträgen an die Laufzeit von Projekten bzw. den Zeitbedarf für Qualifikationsvorhaben ein. Die familienpolitische Komponente im Wissenschaftszeitvertragsgesetz, die befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Kinder betreuen, eine Vertragsverlängerung ermöglicht, aber eben nicht garantiert (§2 Abs.1 Satz3 WissZeitVG), soll grundsätzlich angewandt werden. Neben den klassischen Professuren soll eine neue Personalkategorie für qualifizierte promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eingerichtet werden. Juniorprofessuren sollen in "Assistenzprofessuren" umgewandelt werden, die "wenn möglich" mit einem Tenure Track ausgestattet werden sollten.
Die Kernkompetenz für die Reform von Personalstruktur und Karrierewegen an den Hochschulen liegt jedoch bei den Bundesländern. Von daher ist es von enormer Bedeutung, dass das Templiner Manifest auch in den Ländern zu wirken beginnt. Deutliche Spuren hat die GEW-Initiative insbesondere im Grün-Roten Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg für 2011 bis 2016 hinterlassen.15 Die beiden Regierungsparteien streben an, "innerhalb der nächsten fünf Jahre die Zahl unbefristeter Mittelbaustellen an den Hochschulen in Baden-Württemberg zu erhöhen." Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: "Wissenschaftliche Karrieren müssen auch ohne eine angestrebte Professur möglich sein." Schließlich möchten die Regierungsparteien "gemeinsam mit den Hochschulen, den Promovierenden sowie den Gewerkschaften eine landesweite Strategie ausarbeiten, um die Promotionsphase attraktiver und sozial sicherer zu gestalten und die Betreuung der Promotionen zu verbessern."
Bereits diese ersten Teilerfolge der Templiner Manifest-Kampagne für den "Traumjob Wissenschaft" machen deutlich: Es gibt nicht nur den einen politischen Hebel, der lediglich umzulegen ist, um Veränderungen zu initiieren. Die Herausforderung besteht vielmehr darin, auf mehreren politischen Ebenen gleichzeitig erfolgreich tätig zu werden. Auf der Bundes- und Länderebene, in der tarifpolitischen Arena, aber nicht zuletzt auch an den Hochschulen, die im Zuge der Stärkung der Hochschulautonomie durch Landeshochschulgesetzesnovellen eine immer größere Bedeutung gewinnen.
Vom Templiner Manifest zum Herrschinger Kodex
Dass politischer Handlungsbedarf hinsichtlich der Reform von Personalstruktur und Berufswegen in Hochschule und Forschung besteht, wird heute kaum noch bestritten - auch nicht von der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen, der neben der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und den großen Verbünden der außerhochschulischen Forschungseinrichtungen auch Organisationen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder der Wissenschaftsrat angehören. In ihrer Pressemitteilung vom 13.12.2011 sprach sich die Allianz zwar einerseits "entschieden für eine unveränderte Fortführung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes" aus, bekennt sich aber zugleich zur "Bedeutung eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Befristungsregelungen sowie der damit verbundenen besonderen Personalfürsorge".16 Am 24.04.2012 verabschiedete die Mitgliederversammlung der HRK "Leitlinien für befristete Beschäftigungsverhältnisse in den Hochschulen" als Empfehlung für ihre Mitgliedshochschulen. Darin wird der Gedanke der Orientierung von Vertragslaufzeiten an der Dauer von Qualifikationsvorhaben aufgegriffen.17 Weiter setzt sich die HRK für Transparenz bei der Anrechnung von Beschäftigungsverhältnissen ein. "Familienbezogene Fördermöglichkeiten sind in jedem Einzelfall zu nutzen", heißt es mit Blick auf die familienpolitische Komponente des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Fakultäten bzw. Fachbereiche werden zur Aufstellung von "Dauerstellenkonzepten" aufgefordert, Hochschulen sollen Unterstützung bei Karriereplanung leisten sowie "Führungskräftetrainings" anbieten.
Die GEW nimmt die Allianz und die HRK daher beim Wort und schlägt den Hochschulen vor, sich zu berechenbaren Karrierewegen und stabilen Beschäftigungsbedingungen zu verpflichten. Als Vorlage für eine entsprechende Selbstverpflichtung erarbeitete die Bildungsgewerkschaft auf ihrer 6. Wissenschaftskonferenz im September 2012 in Herrsching am Ammersee den Herrschinger Kodex "Gute Arbeit in der Wissenschaft".18
Selbstverpflichtung und politische Verantwortung
Der Kodex enthält erstens die Verpflichtung zu einer aktiven Personalpolitik. Dazu gehören neben der Personalentwicklung auch eine vorausschauende Personalplanung und ein effektives Personalmanagement. Auf Basis einer Personalplanung kann der mittel- und langfristige Bedarf einer Einrichtung an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermittelt und davon abgeleitet werden, wie vielen Nachwuchskräften heute eine wissenschaftliche Laufbahn eröffnet werden sollte. Auch ein adäquates Verhältnis zwischen befristet und unbefristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftern kann als Ergebnis einer Personalplanung bestimmt werden. Unter Personalmanagement sind Instrumente zu verstehen, mit denen unabhängig von kurzfristig wirksamen Finanzierungsquellen mittelfristig bis langfristig stabile Beschäftigungsverhältnisse eröffnet werden können. So könnten qualifizierten Nachwuchskräften längerfristige Zeitverträge oder unbefristete Beschäftigungsverhältnisse angeboten werden, indem die Finanzierung aus unterschiedlichen Drittmittelprojekten, Haushaltsstellen und eigens für diesen Zweck eingerichteten zentralen Überbrückungsfonds kombiniert werden.
Zweitens gehört in einen Kodex "Gute Arbeit in der Wissenschaft" die Verankerung eines Tenure Track, der Postdocs die Perspektive eines dauerhaften Verbleibs in Hochschule und Forschung eröffnet - unabhängig von der Berufung auf eine Professur. Wie ein Tenure Track gestaltet werden und mit der kontinentaleuropäischen Hochschulkultur in Einklang gebracht werden könnte, zeigt der Kollektivvertrag (Tarifvertrag) für die Universitäten in Österreich, der 2009 zwischen der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD) und dem Dachverband der Universitäten abgeschlossen wurde.19 Gemäß §27 des Kollektivvertrages kann eine Universität einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin oder einem wissenschaftlichen Mitarbeiter den Abschluss einer Qualifizierungsvereinbarung anbieten. Werden die vereinbarten Qualifizierungsziele erreicht, kann die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler mit einer Entfristung ihres oder seines Beschäftigungsverhältnisses rechnen.
In enger Verbindung damit steht die dritte Anforderung. Eine Hochschule oder Forschungseinrichtung sollte in einem Kodex die Voraussetzungen für die qua Gesetz sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen nach §2 Abs.1 WissZeitVG bestimmen - auch im Sinne eines jüngsten Urteils des Bundesarbeitsgerichts von 2012, wonach das WissZVG insgesamt dem Zweck der Qualifizierung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dient.20 Die GEW schlägt vor, dass die Befristung von Beschäftigungsverhältnissen an die Voraussetzung geknüpft wird, dass tatsächlich eine Qualifizierung durch Promotion, Habilitation oder eine entsprechende zeitlich und inhaltlich strukturierte Ausbildung erfolgt, dass das Qualifizierungsziel im Arbeitsvertrag benannt wird und dass mit Doktorandinnen und Doktoranden eine Betreuungsvereinbarung abgeschlossen wird. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt und liegt auch keine Drittmittelfinanzierung vor, ist ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis angezeigt.
Vierter Bestandteil ist die Verpflichtung auf eine geschlechtergerechte und familienfreundliche Hochschule bzw. Forschungseinrichtung. Die Universität Konstanz verfügt seit 2010 über einen eigenen "Gender Kodex", in dem sich die Universität u.a. zur Berücksichtigung von Gleichstellung und Genderaspekten bei der Forschungsförderung, zu einem geschlechtergerechten Ressourcenmanagement, zu gendergerechten Führungskulturen, zu einer familienfreundlichen Wissenschaftskultur, zur Ermöglichung eines ausgewogenen Verhältnisses von Berufs- und Privatleben durch entsprechende Organisationsstrukturen und - explizit in diesem Kontext - zu langfristigen Beschäftigungsverhältnissen bekennt.21 Darüber hinaus sollte eine Hochschule oder Forschungseinrichtung offen legen, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise sie die familienpolitische Komponente des WissZeitVG anwendet, damit die Beschäftigen eine entsprechende Planungssicherheit erhalten.
Schließlich sollte - fünftens - ein Kodex "Gute Arbeit in der Wissenschaft" Mindeststandards für befristete Beschäftigungsverhältnisse formulieren. Zeitverträge wird es in der Wissenschaft immer geben. Entscheidend ist, dass dort, wo Zeitverträge vertretbar sind, Mindestvertragslaufzeiten eingehalten werden: Die Laufzeit von Arbeitsverträgen hat sich an der Dauer der zu erfüllenden Aufgabe bzw. der Laufzeit der Drittmittelprojekte zu orientieren.
Es ist davon auszugehen, dass die meisten Hochschulen nicht von alleine auf die Idee kommen werden, sich in einem Kodex zu einer guten Personalpolitik zu verpflichten - auch wenn es erste Ansätze gibt, die in diese Richtung gehen.22 Von daher brauchen wir zum einen vor Ort aktive Kolleginnen und Kollegen in den Organen der Hochschulselbstverwaltung, Personal- und Betriebsräten, die auf die Erarbeitung von Kodizes drängen und diese durch Gremienbeschlüsse und Dienst- bzw. Betriebsvereinbarungen verbindlich ausgestalten.
Auf der anderen Seite müssen aber Bund und Länder als Träger und Geldgeber die Hochschulen und Forschungseinrichtungen durch eine aktive Vergabepolitik zu einer aktiven Personalpolitik verpflichten. Die GEW schlägt vor, die institutionelle und projektförmige Förderung von Hochschulen und Forschungseinrichtungen an die Gewährleistung berechenbarer Karrierewege und fairer Beschäftigungsbedingungen zu binden, was beispielsweise über entsprechende Ziel- und Leistungsvereinbarungen geschehen kann.23 Als erste Ministerin hat die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Svenja Schulze, angekündigt, die Hochschulen des Landes per Zielvereinbarungen auf einen "Kodex für ›Gute Arbeit‹" zu verpflichten.24
Die überfällige Debatte um Selbstverpflichtungen der Hochschulen, eine gute Personalpolitik zu betreiben, darf jedoch nicht als Manöver zur Ablenkung von der politischen Verantwortung des Bundes, der Länder und der Tarifpartner missbraucht werden. Diese haben Rahmenbedingungen im Sinne von Mindeststandards für berechenbare Berufswege und eine aufgabenadäquate Personalstruktur in der Wissenschaft zu setzen, die Hochschulen und Forschungseinrichtungen müssen diesen Rahmen ausfüllen und sind zu ermuntern, über die Mindeststandards hinaus eine gute, ja bessere, ja exzellente Personalpolitik zu betreiben. Wenn am Ende ein Wettbewerb der Wissenschaftseinrichtungen um die besten Arbeitsplätze und Karrierewege für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler steht, ist das ein überfälliger Beitrag zur Verbesserung der Qualität nicht nur der Beschäftigungsbedingungen und Karrierewege in der Wissenschaft, sondern eben auch von Forschung und Lehre.
Anmerkungen
1) Dieser Text stellt in Teilen eine überarbeitete Fassung von Andreas Keller, 2012: "Gute Wissenschaft - gute Arbeit: Zwei Seiten einer Medaille", in: Ulf Banscherus / Klemens Himpele / Andreas Keller (Hg.): Gut - besser - exzellent? Qualität von Forschung, Lehre und Studium entwickeln, Bielefeld (GEW Materialien aus Hochschule und Forschung, Band 118): 111-122 dar.
2) Deutscher Bundestag, 2008: Unterrichtung durch die Bundesregierung: Bundesbericht zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuches, Bundestags-Drucksache 16/8491 vom 05.03.2008: 6.
3) Reinhard Kreckel, 2011: "Universitäre Karrierestruktur als deutscher Sonderweg", in: Klemens Himpele / Andreas Keller / Alexandra Ortmann (Hg.): Traumjob Wissenschaft? Karrierewege in Hochschule und Forschung, Bielefeld (GEW Materialien aus Hochschule und Forschung, Band 117).
4) www.hrk.de/de/home/1242_1201.php (21.01.2013).
5) Eigene Berechnungen nach Statistisches Bundesamt, 2011: Fachserie 11, Reihe 4.4. Bildung und Kultur. Personal an Hochschulen, Wiesbaden.
6) Georg Jongmanns, 2011: Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes. Gesetzesevaluation im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. HIS-Projektbericht März 2011. Hannover. (= Deutscher Bundestag, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ausschussdrucksache 17(18) 135: 73.
7) Wissenschaftsrat, 2012: Fünf Jahre Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern - Bestandsaufnahme und Empfehlungen, Köln: 41.
8) Wissenschaftsrat, 2007: Empfehlungen zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Köln: 24.
9) Klemens Himpele / Andreas Keller / Alexandra Ortmann (Hg.): Traumjob Wissenschaft? Karrierewege in Hochschule und Forschung, Bielefeld (GEW Materialien aus Hochschule und Forschung, Band 117). Aktuelle Informationen zum Templiner Manifest unter www.templiner-manifest.de. Dort kann das Manifest auch online unterzeichnet werden.
10) Andreas Keller, 2011: Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum öffentlichen Fachgespräch "Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes" im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 30. November 2011 in Berlin. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Ausschuss-Drucksache 17(18)224b neu (abzurufen über www.gew.de/GEW_Schluss_mit_dem_Befristungswahn.html).
11) Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.), 2012: Promotion im Brennpunkt. Reformvorschläge der Doktorandinnen und Doktoranden in der Bildungsgewerkschaft GEW. 2. erweiterte Auflage. Frankfurt am Main.
12) Bündnis 90/Die Grünen: Pakt für den wissenschaftlichen Nachwuchs und zukunftsfähige Personalstrukturen an den Hochschulen (Bundestags-Drucksache. 17/4203 vom 15.12.2010) sowie Wissenschaftszeitvertragsgesetz wissenschaftsadäquat verändern (Bundestags-Drucksache 17/7773 vom 22.11.2011); Die Linke: Wissenschaft als Beruf attraktiv gestalten - Prekarisierung des akademischen Mittelbaus beenden (Bundestags-Drucksache 17/4423 vom 18.01.2011) sowie Befristung von Arbeitsverträgen in der Wissenschaft eindämmen - Gute Arbeit in Hochschulen und Instituten fördern (Bundestags-Drucksache 17/6488 vom 06.07.2011); SPD: Personaloffensive für den wissenschaftlichen Nachwuchs starten (Bundestags-Drucksache 17/6336 vom 29.06.2011).
13) Staatssekretärin Cornelia Quennet-Thielen bei einer Veranstaltung der Arbeitsgemeinschaft für Betriebs- und Personalräte der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AGBR) am 25. Mai 2011 in Berlin.
14) CDU/CSU, FDP: Exzellente Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs (Bundestags-Drucksache 17/9396 vom 24.04.2012).
15) http://dokumente.wscms-basis.de/Koalitionsvertrag-web.pdf (21.01.2013).
16) www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/Allianz-WissZeitVGesetz.pdf (21.01.2013).
17) www.hrk.de/de/beschluesse/109_6842.php?datum=12.+Mitgliederversammlung+der+HRK+am+24.4.2012 (21.01.2013).
18) Siehe www.herrschinger-kodex.de.
19) GÖD - Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (Hg.), 2011: Kollektivvertrag für die Arbeitnehmer/innen der Universitäten, Wien.
20) Urteil vom 1.6.2011, 7 AZR 827/09.
21) www.gleichstellung.uni-konstanz.de/gender-kodex/ (21.01.2013).
22) Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (Hg.), 2013: "Gute Arbeit in der Wissenschaft. Herrschinger Kodex", Berlin duz SPECIAL, Beilage zur duz - Unabhängige Deutsche Universitätszeitung/Magazin für Forscher und Wissenschaftsmanager, 25. Januar 2013): 8ff.
23) Andreas Keller, 2012b: Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum öffentlichen Fachgespräch "Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs" im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 28. März 2012 in Berlin. Deutscher Bundestag, Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung, Auschuss-Drucksache 17(18)267a (abzurufen über www.gew.de/GEW_Berechenbare_Karrierewege_fuer_die_Wissenschaft.html).
24) Presseerklärung vom 19.01.2012, www.nrw.de/landesregierung/hoch schulen-im-ruhrgebiet-und-land-unterzeichnen-zielvereinbarungen-12359/ (21.01.2013).
Dr. Andreas Keller ist Vorstandsmitglied für Hochschule und Forschung bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Mitglied des Beirats des BdWi.