Mich laust der Affekt, und Deleuze hat einen Film laufen

in (17.10.2013)

„Wut-Duell im ORF“ titelte eine Wiener Gratiszeitung, als Kanzler Faymann in einer TV-Debatte zur Nationalratswahl etwas lauter geredet hatte. Keine Angst, es geht nun nicht um jüngste Wahlkämpfe, sondern zunächst um Wut. Einen „SciFi-Actionfilm für Wutbürger“ nannte das kostenpflichtige Schwester-Hetzblatt der Gratiszeitung den im August gestarteten Elysium. Abgesehen von politischen Meriten und Schwächen dieses Cyborg- und Armenaufstandsfilms zeigt sich: „Wut“ ist im Standardvokabular öffentlicher Rede/Schreibe über Politik aufgegangen; das Wort ist schwammig und verheißungsvoll genug, kann laute Kanzlerworte ebenso bezeichnen wie Wertschätzung für Revoltenpathos im Kino und in beiden Fällen (willkommene) Abweichung von Routinen.
Falls Wut als Movens des Auf-Stehens nicht genügt, hebt uns heute mitunter auch Empörung empor. Auf dass jede_r sich übers Empire empöre. Soll sein. Eigentlich geht es hier ja nicht um Wut- oder Empörbürger (und Seelenhygiene- oder Protestpraktiken), sondern um die Rede vom Affekt, samt ihrer – auch vermeintlichen –  politischen Dimension, und um Film. Vielmehr: Um Affekt und Film geht es insoweit, als Gilles Deleuze beides, namentlich in seinen Kinobüchern, eng zusammendenkt.
Der heute wieder gern gelesene Differenzdenker ist auch für die rezente Affekt-Emphase eine Autorität. Wenn es nicht eh der alte Wunsch nach mehr Gefühl ist, der sich unter dem Modelabel Affekt regt, beschwört ein Teil der Deleuze-inspirierten Affektdiskurse – wohl nicht nur in der Film-Theorie/Ästhetik – Vorstellungen von Empfindungsüberwältigung jenseits der Repräsentation oder von Immersion in Strömen synästhetischen Werdens. Appelle an dionysische Kreativkräfte „affektiver Arbeit“ oder Heilung von Abstraktion durchs Bad im Affektiven liegen nicht fern.
Allein, dort wo Deleuze´ Filmphilosophie vom Affekt(bild) handelt, ist davon – zum Glück – keine Rede. Dort heißt Affektbild nicht Bildwerdung vorsubjektiver Materieströme, sondern, fast im Gegenteil, zunächst Aufschub im An-Sich der strömenden Licht-Materie. Der Affekt ist Intervall (denken wir mit Deleuze an Vertovs Alles-mit-allem-Montagen), Verunreinigung im reinen Licht, durch die Subjektivität sich materiell zu bilden beginnt. Affekt meint zweitens, als geistige Dimension von Subjektivität, „Selbstaffektion durch sich selbst“, mithin Bilder, die zeigen, dass nicht die Zeit in uns ist, sondern wir in der Zeit sind, die uns spaltet, so Deleuze anhand von Vertigo. Drittens heißt Affektbild reiner Ausdruck eines Potenzials, das sich von situativen oder kausalen Ensembles absetzt: Deleuze hat Bergmans close-ups im Sinn, aber auch abgelöste, „beliebige“ Stadträume bei Antonioni.
Viertens drückt ein Affektbild aus, was an einem Geschehen unvollendet, virtuell, ereignishaft ist; ein Bild kategorischer Unbestimmtheit, das unserem Wahr-Nehmen abverlangt, sich im Unentscheidbaren zu entscheiden – etwa anhand des nebelgrauen Grusels bei Jacques Tourneur oder in Vampyr: Sehe ich Alltagsabläufe oder Zombies, cat people, Geister? Es geht, so Deleuze, darum, immer zu wählen, neu zu beginnen, nicht zu glauben, mensch habe keine Wahl. So hat uns der Affekt nun doch wieder zu den Wahlen gebracht.



Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Nr. 30, „What a feeling!“

Drehli Robnik ist Filmtheoretiker, Autor/Co-Editor von Büchern zu Rancière und Kracauer; FWF-Projekt zur politischen Ästhetik des Horrorkinos.