Bindung durch Glauben: Von nervösen zu glücklichen Nationen

in (02.11.2013)

Wie gehen wir Bindungen durch Glauben ein? In meinem Buch The Cultural Politics of Emotion (2004) ging ich der Frage nach, inwiefern die Sprache des Faschismus in einer Sprache der Liebe geschrieben ist. Liebe wird zur primären Eigenschaft für Bindungen gemacht, zu dem, was Individuen zum Faschismus motiviert: „Wir hassen Fremde weil wir unser Land lieben“. In letzter Zeit haben wir gesehen, wie sich Faschismen ausbreiten, denen weiterhin Liebe anhaftet wie Klebstoff, ein Band, eine Bindung. Viele dieser neuen Gruppierungen verwandeln Liebe in ein Verteidigungssystem: „Wir müssen unsere Leute verteidigen, unsere Jobs, unsere Zukunft (unsere Frauen, unsere Homos, unsere Kinder), also was und wen wir lieben verteidigen gegen das, was sie gefährdet, die, die sie gefährden“; Liebe als Artikulation eines Kampfes fürs nationale Überleben. Wenn Liebe das ist, was bindet, dann generiert sie auch das, was ich „affektive Ökonomie“ genannt habe: verschiedene Figuren zirkulieren als Hassobjekte, von betrügerischen AsylwerberInnen zu „islamistischen TerroristInnen“, und akkumulieren negativen Wert.
Eins meiner zentralen Argumente in dem Buch war, dass der Diskurs der nationalen Liebe mainstream, d.h. gewöhnlich ist: Auch multikulturelle Liebe kann sich zu einem nationalen Körper zusammenfügen, während zugleich die Effekte dieses Zusammenschlusses verdeckt werden. Multikulturalismus wird zur Aufforderung, dass jene, die BürgerInnen sein könnten, sein wollen, die Nation und ihre Werte lieben müssen. Dieser Gedanke, dass der nationale Körper seine Einheit durch ein Glaubenssystem erhält, trennt die Nation nur scheinbar von einem rassisierten Gefüge. Denn dieses Glaubenssystem, diese Ansichten, werden „unsere“ und selbst wenn dieses „unsere“ offen zu sein scheint (für andere, die unsere Ansichten teilen), ist es nur als Geschenk erhältlich, als etwas, das wir schon haben und was „sie“ erst erreichen müssen, oftmals durch Gewalt oder Zwang. Der nationale Körper kann so seine Diversität lieben und zugleich von jenen, die Diversität verkörpern, verlangen, dass sie ihm Gefolgschaft leisten.
Heute scheint die Vorstellung eines liebevollen Multikulturalismus weit entfernt vom politischen Vokabular, das in Europa regelmäßig gebraucht wird. Multikulturalismus selbst ist zum Tode verurteilt worden: als ob der Akt des Willkommenheißens diverser Anderer die Sicherheit und das Wohlergehen der Nation gefährden würde. Im Jahr 2011 verband der Britische Premierminister David Cameron Glaubenssysteme recht explizit mit Rassisierung: „Also, wenn eine weiße Person zu kritisierende Ansichten vertritt, rassistische Ansichten zum Beispiel, dann verurteilen wir diese richtigerweise. Aber wenn gleichermaßen inakzeptable Ansichten oder Praktiken von einer Person kommen, die nicht weiß ist, dann sind wir offen gesagt zu vorsichtig – ehrlich gesagt sogar zu ängstlich – gewesen, um ihnen gegenüber einzustehen“. Die Rede ruft sorgsam den Eindruck hervor, dass Rassismus in weißer Kultur nicht akzeptabel ist (schon genau dieser Gedanke trägt zu einer Verklärung der Gewöhnlichkeit akzeptablen Rassismus´ bei), während gleichzeitig wieder impliziert wird, dass „unsere Toleranz“ gegenüber anderen diese davon abgehalten habe, selbst toleranter, akzeptierender zu sein, mit ihrem Glauben, ihren Ansichten. Dieses nervöse weiße Subjekt, das nicht in der Lage ist, sich gegenüber nicht-weißen Anderen zu behaupten, wird dann ein nationales Subjekt: „Eine passiv tolerante Gesellschaft sagt zu ihren BürgerInnen: solange du dem Gesetz folgst, lassen wir dich in Ruhe. (…) Aber ich glaube, dass eine wirklich liberale Gesellschaft weitaus mehr macht; sie glaubt an bestimmte Werte und vertritt sie aktiv. Redefreiheit, Religionsfreiheit, Demokratie, die Hoheit des Gesetzes, gleiche Rechte gleich welcher Herkunft, welchen Geschlechts oder welcher sexuellen Orientierung. (…) Nun, jedeR von uns in unseren eigenen Ländern muss, wie ich glaube, unmissverständlich und kompromisslos für diese Verteidigung unserer Freiheit eintreten“.  Und wir sehen, wie ein nervöses Gleiten zwischen dem individuellen und dem kollektiven Subjekt eintritt: es ist diese Nervosität, welche die Bindung kreiert, die impliziert, dass das nationale Subjekt ein weißes Subjekt ist, eines, dass seine Nerven zurückgewinnen muss, kompromissloser (more „hard-nosed“) werden muss gegenüber Anderen.
Es war bemerkenswert, wie die Regierung in Großbritannien in dem Moment, in dem der Ärger über Kürzungen öffentlicher Gelder Menschen protestierend auf die Straßen trieb, einen „Glücks-Index“ ausrief[1]. Und dann wurde eine Königliche Hochzeit angekündigt. Der Premierminister begann eine öffentliche Diskussion darüber, ob zu diesem Anlass ein Nationalfeiertag eingerichtet werden sollte[2]. Diejenigen, die nicht an dieser nationalen Freude teilnahmen, wurden als Killjoys positioniert oder als das, was ich in meinem Buch The Promise of Happiness (2010) „Affekt-Fremde“ („affect aliens“) genannt habe – von der Nation entfremdet auf der Grundlage, nicht in der richtigen Weise affiziert zu sein[3].
Das Investment in nationales Glück verdeutlicht vieles über die Art und Weise emotionaler Politiken der Staatsbürger_innenschaft. Staatsbürger_innenschaft wird die Anforderung, mitzufühlen: einverstanden zu sein mit Gefühlen. Keine Freude zu empfinden bei Ereignissen, die als nationale Glücksmomente deklariert werden, bedeutet nicht nur gefühllos zu sein, es bedeutet feindselig zu sein. Denn dein Nicht-Fühlen maskiert ein Nicht-Glauben an das Gute der Nation. Glauben ist die Sache geworden, von der wir sagen können, dass wir sie lieben, eine Art der Performance und der Maskierung des „wir”, dass wir lieben: Wir lieben die Nation wegen ihres Glaubenssystems und wir lieben das „wir”, das an die Nation glaubt. Glauben ist eine höfliche oder maskierte Form des Rassismus geworden: eine Art, das zu lieben, was offen erscheint (die/der Andere kann dadurch akzeptiert werden, dass sie/er an unser Glaubenssystem glaubt). Offenheit selbst ist eine Eigenschaft geworden, von der angenommen wird, dass sie in manchen mehr schlummert als in anderen, eine Möglichkeit, die einen liebenswert zu machen und die anderen nicht. In anti-rassistische Arbeit involviert zu sein erfordert, nicht liebenswert zu werden. Du musst Sympathie verlieren. Aber es ist riskant. Es kann gefährlich sein.

Übersetzung aus dem Englischen von Sophie Schasiepen.


Der Artikel ist zuvor schon in längerer Version und schwedischer Übersetzung von Ulrika Dahl im Magazin Bang veröffentlicht worden. Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Nr. 30, „What a feeling!“

Sara Ahmed ist Professorin für Race and Cultural Studies am Goldsmiths College, University of London. Sie ist Autorin u.a. von The Cultural Politics of Emotion (2004), Queer Phenomenology: Orientation, Objects and Others (2006), The Promise of Happiness (2010), On Being Included: Racism and Diversity in Institutional Life (2012).





[1] http://www.guardian.co.uk/news/datablog/2011/dec/01/happiness-index-david-cameron

[2] http://www.bbc.co.uk/news/uk-politics-11791929