Was bringt Affekt zum Ausdruck?

in (17.10.2013)

Ausdruck wird in kommunikativer Hinsicht meist mit Inhalt verknüpft und von diesem wird angenommen, er verfüge über eine objektive Existenz jenseits des Ausdrucks. Ausdruck wird damit als die Repräsentation eines Inhalts gedacht, die aus einem subjektiven Abstand erfolgt. Diese Vorstellung von Repräsentation eröffnet ein Feld, das sich von der Darstellung bis zur Vertretung erstreckt. Die Kritik daran verfährt in der Regel so: Wenn Ausdruck einen von ihm verschiedenen Inhalt vertritt, stellt sich die Frage, welche Instanz diese Vertretung legitimiert und die erforderliche Kontiguität garantiert. Wird Inhalt aber von einem Ausdruck dargestellt oder in einen solchen übersetzt, stellt sich die Frage, welche Instanz die dafür erforderliche Kontinuität gewährleistet.

Was bleibt vom Ausdruck nach dieser Repräsentationskritik? Die Fragwürdigkeit der herkömmlichen – auf Repräsentation basierenden – Kommunikationsmodelle besteht generell darin, dass sie eine Welt von bereits definierten Dingen voraussetzen, die vom jeweiligen Ausdruck nur zur Sprache gebracht würden. Die Kritik daran betrifft drei meist für selbstverständlich erachtete Dimensionen, nach denen der Ausdruck a) die Bezeichnung einer bestehenden Wirklichkeit, b) die Bekundung einer subjektiven Entsprechung zu dieser Wirklichkeit und c) der Sinn allgemeiner Ideen wäre, die in einer solchen Wirklichkeit vorgefunden werden.

Der Einsatz der Kritik besteht darin, die Existenz einer bestehenden Welt, die in der Sprache nur zum Ausdruck gebracht werden müsste, in Zweifel zu ziehen, denn eine solche Auffassung reduziert die Sprache auf ein Kommunikationsmedium und beraubt sie ihrer Macht, durch Ausdruck Welten zu schaffen und zu verändern. Es geht daher darum, die Möglichkeiten des Ausdrucks mit Fragen nach Machtverhältnissen zu verknüpfen, in denen dieser Ausdruck artikuliert wird, sowie mit Fragen danach, wie diese Artikulationen bestehende Machtverhältnisse verändern.

In ihren Analysen des Ausdrucks pochten Gilles Deleuze und Félix Guattari stets darauf, dass es keine einheitliche Instanz gibt, durch welche die Beziehung zwischen Ausdruck und Inhalt geregelt wird. In ihrer Konzeption betrifft die Macht des Ausdrucks zunächst und unvermittelt den Körper. Sie durchquert und transformiert den Körper, bevor sich der Ausdruck in einer subjektiven Aussage realisieren kann, die sich ihrerseits in einem bestehenden Machtverhältnis situiert und dieses verschiebt. Der unmittelbare Effekt eines Ausdrucks ist demnach eine Verschiebung des Körpers und diese Verschiebung kommt dem Ausdruck aus einer Sphäre zu, die außerhalb der Sprache liegt. Dabei geht es um nichts Weniger als um die Wirkung von außer-sprachlichen Kräften auf den Ausdruck von Sprache und Körper.

Performativität und Affekt
Für Ausdruck und Inhalt lässt sich demnach keine allgemeine Form der Vermittlung finden. Zwischen ihnen erfolgt vielmehr eine Verschiebung, die im Übergang von der Aussage zum Inhalt stattfindet. Deleuze und Guattari bezeichnen diese Art des Übergangs vielfach als Werden (vgl. Deleuze/Guattari 1974).

In einer erhellenden Einleitung ins Denken der beiden bringt Brian Massumi ein anschauliches Beispiel für die soziale Dimension dieser Verschiebung. Die Aussage eines Richters bildet den Ausgangspunkt seiner Überlegungen: Der richterliche Schuldspruch wird dann zu einem solchen, wenn er von gesellschaftlichen Instanzen in eine soziale Praxis umgesetzt wird. Dabei wird ein Machtverhältnis wirksam, das dem Ausdruck (dem richterlichen Urteil) zum Übergang in einen Inhalt (etwa das Verhängen einer Gefängnisstrafe) verhilft. Das Urteil wird also dann zu einem solchen, wenn es Anteil an einem performativen Gebrauch des Sprechens hat, der darin besteht, dass eine Aussage die physischen Bedingungen und Umstände eines Körpers (des Verurteilten) durch die simple Tatsache verändert, dass die Aussage zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Massumi 2002).

Performativität bezeichnet demnach einen Übergang von Ausdruck und Inhalt. Deleuze und Guattari argumentieren nun, dass aller Sprachgebrauch Anteil an performativer Macht hat, und sei es nur, weil jede Aussage einen Kontext voraussetzt und diesen mit hervorbringt und in Frage stellt. Die performative Beziehung zwischen Ausdruck und Inhalt entspricht aber nicht den Mechanismen der Repräsentation, denn die Performativität des Sprechens verändert den Inhalt des sprachlichen Ausdrucks. Im Hinblick auf die involvierten Körper lässt sich feststellen, dass die Performativität der Aussage die adressierten Körper verschiebt, indem sie ihre Handlungsmacht verändert, vergrößert oder verkleinert. Wir befinden uns hier im Kraftfeld der Affekte, die durch Sprache zwar zum Ausdruck gebracht werden können, aber gleichwohl außerhalb von Sprache wirksam sind.

Sprache und Affekt
In der deleuzianischen Lesart von Spinoza sind Affekte Übergänge von Intensitäten, Intensitätspassagen oder -verschiebungen. Affekt meint keine bestimmte Intensität, sondern den körperlichen Übergang von einem Zustand des Affiziert-Seins in einen anderen (vgl. Deleuze 1988: 49). Affekt bezeichnet jenen Effekt, den ein bestimmtes Objekt oder eine bestimmte Praxis auf das darauf bezogene Subjekt hat. Anders formuliert verweist Affekt auf das Werden meines eigenen Körpers, insbesondere dann, wenn er einem anderen Körper begegnet und von diesem affiziert wird.

Affekte bewirken die gegenwärtige Erfahrung eines Werdens und das markiert eine scharfe Differenz zwischen Affekt und sprachlichem Ausdruck, auch wenn der Ausdruck durchaus über affektive Vermögen verfügt. Wenn wir also danach fragen, was ein Affekt zum Ausdruck bringt, dann kann die Antwort darauf nicht in Form von Inhalten gegeben werden, sondern vielmehr in Form von Voraussetzungen und Bedingungen. Es geht also nicht um die Übersetzung von Affekten in Zeichen, sondern um eine Kartographie von Intensitäten, die einer Verteilung der Affekte entspricht.

Affekte sind Phänomene, die Körper und Personen durchqueren und mit der Welt verbinden. Sie markieren nicht-signifikante Ereignisse, die in allen Subjektivierungsweisen auftauchen und künstlerische Praktiken sind ein bevorzugter Ort, um die Dynamik dieser Wechselwirkungen zu untersuchen. Nach Deleuze und Guattari sind es insbesondere Künstler und Künstlerinnen, die Affekte erfinden und erschaffen (Deleuze/Guattari 2000: 191f).


Tom Waibel, Dr. phil., arbeitet in den Bereichen Text, Medien und Kommunikation mit Schwerpunkt auf politische und ästhetische Theorie, postkoloniale Kritik, Migration und Globalisierung.


Dieser Text ist ein Auszug aus: Tom Waibel und Hansel Sato: Affektive Erkenntnis und emotionale Intelligenz. In: Tom Waibel und Hansel Sato (Hg.) (2013): Handlungsmacht, Ausdruck, Affekt. Zum Bedeutungswandel affektiver Aussageformen in Lateinamerika. Wien/Münster: LIT Verlag.


Dieser Text erscheint in Bildpunkt. Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Wien, Nr. 30, „What a feeling!“


Literatur
Gilles Deleuze (2000): Die Falte. Leibniz und der Barock. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Gilles Deleuze (1988): Spinoza. Practical Philosophy. San Francisco: City Light Books.
Gilles Deleuze und Félix Guattari (2000): Was ist Philosophie? Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Gilles Deleuze und Félix Guattari (1974): Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Brian Massumi (Hg.) (2002): A shock to thought. Expression after Deleuze and Guattari. London/New York: Routledge.