Plädoyer für eine Blickerweiterung der soziologischen Zeitdiagnose und Gesellschaftstheorie
Keywords: utopia, diagnosis of the present, social theory, utopian studies
Schlagwörter: Utopie, Gegenwartsdiagnose, Gesellschaftstheorie, Utopie-Forschung
Einleitung
Die Gesellschaftsordnung des 21. Jahrhunderts wird von ihren Intellektuellen häufig als eine „Welt ohne utopisches Moment, ohne utopisches Denken, ohne Glauben an den Fortschritt und die Zukunft, an ein besseres und gerechteres Leben“ (Heller 2016: 91) beschrieben. In der Spätmoderne seien es nicht mehr Vorstellungen einer besseren Zukunft, sondern vor allem Niedergangserwartungen bzw. dystopische, apokalyptische und rückwärtsgewandte Narrative, die den öffentlichen Diskurs und die Alltagserfahrungen der Menschen prägen (Bauman 2017; Reckwitz 2018; Betz & Bosančić 2021). Große Teile der Bevölkerung äußerten starke Zukunftssorgen und Ängste (Ipsos 2022) und erwarteten keine bessere, sondern eine schlechtere Zukunft (Bauman 2017: 13). Dystopische Furchtbilder der Zukunft beflügeln ohne Frage Klimaängste und -proteste, Verschwörungsnarrative sowie Gefühle der Machtlosigkeit und Unsicherheit. Im Lichte der medialen Allgegenwart von Terrorismus, Finanz- und Wirtschaftskrisen, autoritären Tendenzen, anthropogenem Klimawandel und ökologischen Katastrophen, Corona-Pandemie und einer neuen Welle von inner- und zwischenstaatlichen Kriegen scheint die Diagnose nicht verwunderlich, dass der utopische Funke des Modernisierungsprozesses in der Gegenwart erloschen sei.
Trotz dieser Tendenzen, so unser im Rahmen dieses Beitrags entwickeltes Argument, wäre es falsch, die Gegenwart als ein utopieloses Zeitalter zu bestimmen. Auf der Grundlage von Befunden aus der Utopie-Forschung argumentieren wir, dass sich neben und in Verbindung zu den beschriebenen dystopischen und apokalyptischen Deutungen zugleich eine hochdifferenzierte gesellschaftliche Utopie-Produktion finden lässt (Fernando u.a. 2018: 779; Daniel 2022; Wendt 2022a). Diese Utopien speisen sich aus der Kritik an aktuellen gesellschaftlichen Krisenerscheinungen, den mit ihnen verbundenen sozialen Missständen sowie aus dem Wunsch und der Hoffnung darauf, dass eine bessere Zukunft prinzipiell möglich sei (Bloch 1968 [1959]). Für die Soziologie stehe es zunächst einmal an, dieses utopische Feld als Gegenstand soziologischer Theorieentwicklung und empirischer Sozialforschung wahrzunehmen. Um ein solches Unterfangen näher zu begründen, ziehen wir einerseits die in der Soziologie kaum rezipierte Utopie-Forschung zu Rate, um verschiedene Verständnisse des Utopie-Begriffs zu unterscheiden. Diese nehmen wir als Ausgangspunkt, um für einen multi-dimensionalen Utopie-Begriff zu sensibilisieren und für diesen zu plädieren. Andererseits decken wir durch eine kritische Auseinandersetzung vier zentrale und weit verbreitete (Fehl-)Annahmen zur Utopie auf, die eine differenzierte soziologische Untersuchung von Utopien erschweren. Gegen die Thesen vom Ende der Utopie(n) (Abschnitt 2) und die Verengung des Phänomens auf ein spezifisches Genre fiktionaler Literatur (Abschnitt 3) argumentieren wir für eine Überwindung der sich ständig reproduzierenden Kämpfe um begriffliche Hegemonie in der Utopie-Forschung und einen mehrdimensionalen, elastischen Utopie-Begriff (Abschnitt 4). Von dieser Grundpositionierung aus wird einerseits deutlich, dass Utopien nicht allein durch fortschrittlich-emanzipatorische (Abschnitt 5) und europäische Gesellschaftsprojekte (Abschnitt 6) hervorgebracht wurden und werden, sondern als globales Phänomen mit unterschiedlichsten (auch traditionalen und regressiven) Denk- und Praxisformen verbunden sind. Ebenso wird ersichtlich, dass die soziale Funktion von Utopien in ihrer transformierenden Kraft liegen kann, aber bestehende Strukturen der Herrschaft sowie ihre potenziell inhärenten Ungerechtigkeiten auch legitimieren und damit stabilisieren kann. Um die Vereinseitigungen der Utopie-Forschung zu überwinden, plädieren wir daher auch für eine Aufwertung von Utopie als Gegenstandsbereich soziologischer Forschung und eine stärkere empirische Fundierung zu Utopien und ihre Relevanz für Transformationsprozesse (Abschnitt 7).
Utopien sind (nicht) aus der (spät-)modernen Gesellschaft verschwunden
In der soziologischen Diskussion wird immer wieder argumentiert, dass sich die jeweilig betrachteten Gegenwartsgesellschaften zunehmend von Utopien verabschieden.[1] Spätestens mit dem behaupteten „Ende der Geschichte“ (Fukuyama 1992) und der weltweiten Verbreitung der kapitalistischen Produktionsweise und repräsentativen Demokratie wird das Ende des utopischen Zeitalters postuliert (Fest 1991). Mark Fishers (2013: 7) Diagnose, dass es einfacher sei, sich „das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus“, oder die TINA-Formel („There is no alternative“)[2] scheinen ein zentrales Grundgefühl unserer Zeit zu benennen, das auch viele soziologische Zeitdiagnosen aufnehmen. Ulrich Beck diagnostizierte beispielsweise: „Das Zeitalter der Ideologien, der radikalen Utopien der Moderne, der Revolutionsmetaphern, die darauf zielen, die Grundstruktur von Gesellschaft intentional zu verändern, hat sich erschöpft. Die utopischen Energien sind verbraucht.“ (Beck 2008: 406)
Aktuell, so auch Andreas Reckwitz (2018: 14), präge „das Genre der Dystopie das Feld“. Wir leben in einer Gesellschaftsform, die von einer grundlegenden Desillusionierung über die Möglichkeiten der Moderne geprägt ist und mit einem Verlust des Glaubens an die Zukunft einhergeht. Armin Nassehi spricht von einer „Abkühlung der utopischen Energien“ (Nassehi 2008: 13), da Zeit in der Moderne durch ihre Quantifizierung als hochgeneralisierte Weltzeit zunehmend von anderen Sinngehalten (etwa vom Konzept der Ewigkeit, der Geschichte oder des Fortschritts) entkoppelt werde. Er stellte bereits 1996 fest: „Wenn von der Zeit kein Sinn mehr zu erwarten ist, kann sie auch keine utopischen Energien mehr freisetzen.“ (Nassehi 1996: 267)
Die Rede von unserer „utopiefernen Zeit“ (Herold 2020) oder unserem „utopielose[n] Jahrhundert“ (Klinger 2000: 3) ist auf der einen Seite somit tief in das Selbstverständnis der Gegenwart und ihre Soziologie eingeschrieben. Auf der anderen Seite steht diese Deutung in Widerspruch zu zahlreichen Befunden der Utopie-Forschung. Utopie-Forscher*innen verwiesen im 21. Jahrhundert wiederholt auf eine Renaissance der Utopie (Maresch & Rötzer 2004; Kufeld 2011: 20), ohne die etwa soziale Bewegungen (wie globalisierungskritische, feministische, ökologische oder transhumanistische Bewegungen) und viele lebensweltliche und technisch-soziale Phänomene (z.B. die Digitalisierung) nicht zu erklären wären (Sitter-Liver 2007). Andere Autor*innen gehen sogar noch weiter, wenn sie just in jener Zeit, in der die Utopien verbal beerdigt werden, deren Aufblühen beobachten: „Seitdem das Ende des utopischen Zeitalters ausgerufen wurde, blühen die Utopien umso ungenierter.“ (Leggewie 2004: 47) Insbesondere erstaune, dass vor allem die zahlreichen utopische Entwürfe des Ökologie-, Klima- und Nachhaltigkeitsdiskurses nur selten als Gegenargument zur These vom Ende der Utopie in Stellung gebracht werden (Wendt 2018; Görgen & Wendt 2020).
Dem Verdacht, auch die Soziolog*innen lebten „ohne gesellschaftliche Utopien im Kopf und ohne Mut zur Veränderung im Herzen“ (Krähnke 2001: 118), steht ebenfalls eine ganze Reihe an Beispielen entgegen, die verdeutlichen, dass utopisches Denken innerhalb des Faches normativ nicht an sein Ende gekommen ist. Von Oskar Negts Nur noch Utopien sind realistisch und seinem damit verbundenen „Versuch, diejenigen Energien, die auch die klassischen Utopien befeuerten, als politischen Möglichkeitssinn wirksam zu machen“ (Negt 2012: 13) über Barbara Muracas Buch Gut leben (2015), Axel Honneths Rückkehr zur Idee des Sozialismus (2015), Erik O. Wrights Reale Utopien (2017), Klaus Dörres Die Utopie des Sozialismus (2021) bis hin zu Ruth Levitas Utopia as Method (2013) wird utopisches Denken für eine kritisch verstandene Sozialwissenschaft wertgeschätzt, die am Projekt der gesellschaftlichen Emanzipation festhält.
Ferner finden wir verschiedene soziologische Debatten vor, in denen Vorstellungen von einer besseren oder gerechten Zukunft zwar verhandelt werden, aber begrifflich nicht als „Utopie“ gefasst werden. So plädiert das Konvivialistische Manifest etwa für eine Sozialität, die entkoppelt vom Wirtschaftswachstum nach neuen Wegen zu Menschenwürde, Nachhaltigkeit und qualitätsvollen Beziehungen und Respekt sucht (Adloff & Leggewie 2014; Adloff 2020). Die Multitude beschreibt eine Utopie einer demokratischen Weltgesellschaft, welche sich auf die Zivilgesellschaft stützt und dabei die politische Verantwortung übernimmt (Hardt & Negri 2004). Und auch das Denken Hartmut Rosas steht normativ in einem utopischen Fahrwasser, wenn er betont:
„… der letzte, meist nicht ausgesprochene, oft auch nicht bewusste Gegenstand der Soziologie ist die Frage nach dem guten Leben, genauer: die Analyse der sozialen Bedingungen, unter denen gelingendes Leben möglich ist“ (Rosa 2017: 87).
Die verbreiteten Zukunftsängste und negativen Zukunftsbilder führen zusammenfassend also nicht zu einem Ende der Utopie, weder in der Soziologie noch in der Gesellschaft im Allgemeinen (vgl. Daniel i.E.). Anstatt eine bestimmte lineare (Ende der Utopie bzw. weiteres Aufblühen der Utopie) oder eine zyklische Entwicklungsdynamik (Renaissance der Utopie) zu unterstellen, ist es unser Anliegen die gegenwärtigen utopischen Intentionen, Formen und Inhalte als Teil eines größeren Wandlungs- und Ausdifferenzierungsprozesses des utopischen Denkens zu verstehen: In diesem verweisen die Produktion dystopisch-apokalyptischer Furchtvorstellungen und utopischer Wunschvorstellungen häufig wechselseitig aufeinander (Wendt 2021, 2022b).
Utopien sind nicht nur fiktional: Vier Paradigmen der Utopie-Forschung und ihre Gegenstandsbereiche
Analysen zur Verwendung des Utopie-Begriffs unterscheiden in der Regel zwischen drei bzw. vier Verständnissen von Utopie: dem fiktional-klassischen, intentionalen und totalitarismustheoretischen Utopie-Begriff, wahlweise ergänzt um das Paradigma der gelebten Utopien.[3] Zwischen diesen verschiedenen Ansätzen herrscht ein Deutungskampf um die Bestimmung dessen, was Utopie bezeichnen soll.[4] Insbesondere seitens des klassischen Paradigmas wird dafür plädiert, den Begriff eng – und das heißt vor allem fiktional – zu fassen.
Utopien sind diesem Verständnis nach „Fiktionen innerweltlicher Gemeinwesen, die sich entweder zu einem Wunsch- oder Furchtbild verdichten“ (Saage 1990: 14). Die Linie der literarisch-fiktionalen Utopien beginnt – trotz antiker und mittelalterlicher Vorläufer – dieser Lesart folgend bei Thomas Morus Utopia (1516) und den Raumutopien der Neuzeit. Sie führt, um nur einige zu nennen, über Louis-Sébastien Merciers Das Jahr 2440 und andere Zeitutopien der Aufklärung zu den Zukunftsvorstellungen der utopischen Sozialisten, Edward Bellamys Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887 und William Morris’ Kunde von Nirgendwo um die Jahrhundertwende. Im 20. Jahrhundert entstehen schließlich Dystopien wie Aldous Huxleys Schöne Neue Welt und George Orwells 1984 auf der einen Seite und postmaterielle Utopien wie Ernest Callenbachs Ökotopia und Ursula Le Guins Planet der Habenichtse auf der anderen Seite (Saage 2001, 2002a, 2002b, 2003). Diese fiktionalen Wunschvorstellungen seien jedoch keine irrationalen Traumschlösser, sondern zutiefst im Rationalismus verankert. Sie zeichneten sich einerseits durch eine „präzise Kritik bestehender Institutionen und sozio-politischer Verhältnisse“ aus und andererseits durch „eine durchdachte und rational nachvollziehbare Alternative“ (Saage 1991: 2f). Die Kernfunktion der Utopie sei jedoch nicht im Vorbild für die konkrete politische Praxis zu suchen. Fiktionale Utopien seien vielmehr als eine Methodik des sozialen Möglichkeitsdenkens, einer gedankenexperimentellen Modellierung zu verstehen (Schölderle 2011: 464-471; Voßkamp 2013). Die Bedeutung dieser sozialkritischen Schriften liege darin, dass sie Bewusstseinsveränderungen bei den Leser*innen bewirkten, indem sie deren Sinne für die Gestaltbarkeit von gesellschaftlichen Verhältnissen schärften und sie mit einem kritischen Bewusstsein ausstatteten, um das Mögliche über Gedankenexperimente auszuloten. Ansätze, welche die Wirkungsgeschichte der Utopie über das Scheitern von Sozialexperimenten zu begründen versuchen, verfehlten es demnach, die Funktion von Utopien richtig zu verstehen.
Ein zweites Utopie-Verständnis, der intentionale Ansatz, kritisiert, dass der Fokus auf literarisch-fiktionale Utopien zu kurz greife, vor allem weil damit die Verortung der Utopie in den sozialen Bewegungen der Moderne nicht ins Blickfeld gerate. Dieses Utopie-Verständnis greift weniger auf Morus’ Utopia zurück, sondern vor allem auf den deutschen Bauernkrieg und die mit ihm einsetzende Säkularisierung des Erlösungsglaubens als früheste Form des utopischen Denkens, von der aus die Moderne und ihre sozialen Bewegungen und Revolutionen begannen, die Gesellschaft zu verändern (Landauer 1977 [1907]; Mannheim 1985 [1929]). Utopie meint bei Gustav Landauer etwa ein „Gemenge individueller Bestrebungen und Willenstendenzen, die immer heterogen und einzeln vorhanden sind“, sich dann aber in einer Krise „zu einer Mitlebensform vereinigen und organisieren: zu der Tendenz nämlich, eine tadellos funktionierende Gesellschaftsordnung (Topie) zu gestalten, die keinerlei Schädlichkeit und Ungerechtigkeit mehr in sich schließt“ (Landauer 1977 [1907]: 18). Utopie konstituiert sich in diesem Verständnis als eine soziale Praxis des Protests bzw. ein Streben nach Emanzipation und speist sich aus der Kritik von Individuen an einer Topie – in diesem Fall an der mittelalterlich-christlichen Gesellschaftsordnung. Die aus der Topie resultierenden Utopien und Bewegungen der Reformation, Neuzeit und Aufklärung zersetzten und veränderten sukzessive diese Ordnung. Utopien sind auch nach Karl Mannheim eine „kollektivierende und damit die politische Aktivität fördernde Kraft“ (Mannheim 1986 [1935]: 119), die „transformierend auf das historisch-gesellschaftliche Sein“ (Mannheim 1985 [1929]: 179) wirkt. Utopie fundiert sich sozial, so Ernst Bloch, jedoch nicht nur in sozialen Bewegungen, sondern auch in der Religion, Wissenschaft, Musik, Architektur, Medizin sowie letztlich in den kleinen Tagträumen der Menschen vom besseren Leben (Bloch 1968 [1959]: 21-45, 86-128). Diese Utopien gelte es analytisch wie politisch ernst zu nehmen und mit den konkreten materiellen Möglichkeiten ihrer Verwirklichung zu konfrontieren (ebd.: 165-166).
Ein drittes Utopie-Verständnis wird totalitarismustheoretisch begründet (Popper 1992 [1945]: 187). Der Zugriff auf Utopie erfolgt zwar mitunter auch über fiktionale Utopien, aus denen totalitäre Elemente herausgearbeitet werden (Dahrendorf 1986 [1967]), doch hauptsächlich wird der Blick, wie beim intentionalen Ansatz, auf politische Philosophien, Ideologien und Bewegungen gerichtet. Utopien sind hier nicht Träger von Hoffnung auf ein besseres Morgen, sondern Triebkräfte der Inhumanität. In der Politik seien sie insofern gefährlich, als utopische Pfade der Gesellschaftsveränderung in der Praxis keine Abweichler*innen von ihren holistischen Endzielen dulden können. Der Versuch ihrer Verwirklichung münde gerade nicht in einer guten Gesellschaft oder in einen emanzipatorischen Prozess, sondern stets in ein geschlossenes Gesellschaftsmodell, Gewalt und Massenmord (Popper 1986 [1947]; Fest 1991). Im Zuge des Verwirklichungsversuches schlage das imaginierte Paradies in die Hölle auf Erden um.
Ein viertes Verständnis von Utopien wird meist lose unter dem Begriff der „gelebten Utopie“ zusammengefasst. Gelebte Utopien können als konkrete Utopie-Praxis-Verhältnisse definiert werden, in denen versucht wird, auf Basis einer Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen, in Nischen der bestehenden Herrschaftsordnung, z.B. in intentionalen Gemeinschaften oder in alternativen Organisationsformen ebenso wie in sozialen Bewegungen, Wunschvorstellungen von einem besseren Leben praktisch umzusetzen (Saage 1992a: x, Daniel 2020; 2022; i.E.). Das Zukünftige wird nicht wie beim klassischen oder intentionalen Utopie-Begriff allein im Bewusstsein und Streben in der Gegenwart erfahren. Vielmehr wird das Gewünschte im Alltag ausgelotet, praktiziert oder performativ dargestellt, sodass die gewünschte Zukunft Teil der Gegenwart wird (Cooper 2014; Sargisson & Sargent 2017; Daniel i.E.). Erik O. Wright (2010) argumentiert aus einer kapitalismuskritischen Position etwa, dass Alternativen zum Kapitalismus bereits existierten, die sich im Spannungsverhältnis zwischen dem Wünschbaren und Machbaren konstituierten. Eine kritische Sozialwissenschaft habe die Aufgabe, die Wünschbarkeit, Gangbarkeit und Erreichbarkeit der in der Gesellschaft zirkulierenden realen Utopien zu prüfen (ebd.: 20-25).[5] Im Gesamtbild betrachtet ist die Utopie-Forschung somit gewissermaßen doppelt polarisiert: Vom Gegenstandsbereich her legt das klassische Paradigma der Utopie-Forschung einen relativ engen Begriff von Utopie an, der sich auf fiktionale Dichtungen gesamtgesellschaftlicher Idealstaaten und -gesellschaften richtet, deren Geltungsanspruch nicht auf die Verwirklichung bezogen ist. Demgegenüber fokussieren sich der intentionale Utopie-Begriff ebenso wie jener der gelebten Utopien auf Akteur*innen, die nach Verwirklichung streben, oder diese im Hier und Jetzt praktizieren. Von der normativen Grundposition her wiederum steht dem Antiutopismus des totalitarismustheoretischen Utopie-Begriffs die affirmative Bezugsweise des klassischen, intentionalen, gelebten Utopie-Begriffs gegenüber.
Wechselseitige Kritik und das Plädoyer für einen elastisch-mehrdimensionalen Utopie-Begriff
Der intentionale und totalitarismustheoretische Utopie-Begriff sowie jener der gelebten Utopie werden von Vertreter*innen des klassischen Ansatzes bis heute scharf kritisiert. Die Hauptkritik an der totalitarismustheoretischen Utopie-Forschung ist etwa ihr selektiver Blick auf das Phänomen, bei dem ausgehend von einzelnen historischen Aspekten des Phänomens (seine soziale Verknüpfung mit den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts) Gesamturteile über das Phänomen bzw. Genre gefällt werden (Heyer 2009; Schölderle 2011): „Wer die Gattung der Utopie ernst nimmt, muss sich schon die Mühe machen, sie unverkürzt zur Kenntnis zu nehmen“ (Saage 2005b: 65).
In Hinblick auf den intentionalen Utopie-Begriff kritisieren Anhänger*innen der klassisch-fiktionalen Utopien, beispielsweise gegen Mannheim gerichtet, dass seine Definition von Utopie als transformative, die Gesellschaft verändernde Kraft, dazu führe, dass nicht einmal Morus’ fiktionale Utopia als Utopie gelten würde, denn in ihr liegt kein praktisches Streben nach Veränderung. Andererseits wird grundsätzlich gegen die Erweiterung des Utopie-Begriffs argumentiert, da er auf diese Weise als Forschungsinstrument an Kontur verliere (Saage 2005a). Vor allem Bloch wird als Hauptgegner identifiziert. Sogar in Handbüchern der Utopie-Forschung wird gegen seinen Ansatz agitiert, er habe mit seiner Erweiterung „der wissenschaftlichen Utopie-Forschung einen echten Bärendienst erwiesen und erheblichen Schaden angerichtet“ (Heyer 2009: 139). Den Vertreter*innen des klassischen Utopie-Begriffs und auch anderen Utopie-Forscher*innen (etwa Levitas 1979) ist hierbei zuzustimmen, wenn sie fordern, dass die Funktion des utopischen Denkens nicht a priori theoretisch festgelegt werde, sondern Gegenstand „historischer, soziologischer, politischer, philosophischer und literaturwissenschaftlicher Forschung“ (Saage 2006a: 84) sein solle. Gleichwohl ist ihnen in zwei Punkten zu widersprechen.
Erstens: Dem totalitarismustheoretischen und intentionalen Utopie-Begriff wird immer wieder eine reduktionistische Fokussierung vorgehalten (etwa auf totalitäre Elemente oder ihre transformative Funktion), die nicht einmal die Kernidentität der Utopie berühre (die literarisch-fiktionalen Utopien). Es wird eingefordert, „endlich die Pluralität des utopischen Diskurses in seinen epochenspezifischen Kontexten bis zur Gegenwart ernst zu nehmen“ (Saage 2008: 34). Dieser Punkt kann jedoch auch gegen das klassische Muster selbst gerichtet werden. Denn seine Untersuchungen sind selbst – wie bereits nachgezeichnet – auf eine spezifische Form fokussiert, in der sich utopisches Denken materialisiert: die erdichtete fiktive Buchutopie. Mit diesem Zugang zum Phänomen mag es gelingen, die Utopie gegen Angriffe zu verteidigen, die das gesetzmäßige Scheitern und die destruktiven Folgen von utopischen Sozialexperimenten betonen. Mit dem Argument, dass diese in der Regel ja auch gar nicht realisiert werden sollten, werden allerdings jene Facetten des Phänomens in den Hintergrund gedrängt, die soziologisch gerade besonders relevant wären, um jene Forschung voranzutreiben, deren Fehlen bemängelt wird: die differenzierte und unvoreingenommene Untersuchung der Funktion aller möglichen Formen von Utopien, auch jener, die den Geltungsanspruch der Realisierung haben. Zweitens ist das Argument für eine ausschließliche Fokussierung auf klassische fiktionale Utopien dahingehend zu kritisieren, dass sich die eigene Normativität an vielen Stellen unterschwellig in die Analyse einlagert. Dies wird in jenen Kontexten deutlich, in denen die Aktualität und Relevanz der Utopie nach dem Zusammenbruch des Sozialismus in der Sowjetunion begründet wird. „Kein Zweifel: Das Ende des autoritär-etatistischen Musters der klassischen Utopietradition ist unwiderruflich“ (Saage 1992b: 156).
Mit Annahmen wie diesen werden immer wieder normative Postulate und die Analyse des Phänomens vermischt (Pohlmann 2005). Wenngleich verschiedene postmaterielle und anarchistische Utopien diese Abkehr in der Tat vollzogen haben, wird auf diese Weise verkannt, dass sich auch in der jüngeren Geschichte autoritär-etatistische Utopien (etwa innerhalb rechter Bewegungen oder der Zukunftsplanung existierender Diktaturen) identifizieren lassen – unabhängig davon, wie die Utopie-Forschung und ihre Forscher*innen normativ zu ihnen eingestellt sind (wir kommen darauf im nächsten Abschnitt zurück). Zudem schließt der Zugang, jede Form von Staat und Herrschaft in utopischen Entwürfen abzulehnen, auch jegliche Form demokratischer Politik jenseits einer Gesellschaftsveränderung aus, die „gesellschaftliche Gruppen selber zum Subjekt“ (Saage 2008: 35) der Verwirklichung von Utopie macht. Es gilt kurzum auch, die in den Diskurs eingeschriebenen Normativitäten selbst zum Untersuchungsgegenstand zu erheben.
Die Diskussion, welche Phänomene in den Gegenstandsbereich der Utopieforschung fallen und die damit verbundene Kontroverse um den Utopie-Begriff reproduziert sich bereits seit Jahrzehnten in ähnlichen Bahnen, indem jedes Paradigma seine eigene Hegemonie einfordert und systematisch den wissenschaftlichen Wert der anderen Zugänge verkennt (Neusüss 1986a [1968]; Saage 1992b; 2005a; 2005b; Heyer 2008). Die gesamte Disziplin der Utopie-Forschung von vorneherein auf einen einheitlichen Begriff des Phänomens festzulegen, erscheint uns hier wenig sinnvoll. Ebenso ist problematisch, dass infolge des Paradigmenstreits in akademischen Debatten selten von der spezifischen Form von Utopie (fiktional, intentional, totalitarismustheoretisch oder gelebt) gesprochen wird, sondern von Utopie im Allgemeinen. Damit wird in der Regel in zahlreichen akademischen Debatten zu Utopie verschleiert, um welches konkrete utopische Phänomen es sich handelt. Da die begriffliche Präzision Implikationen für das jeweilige Erkenntnissinteresse hat, argumentieren wir für einen mehrdimensionalen Utopie-Begriff. Utopie-Forschung von vorneherein zu verengen, nur weil andere Ansätze nicht dem eigenen Muster folgen, erscheint kontraproduktiv. Vielmehr können alle Ansätze sinnvolle Deutungsmuster für die Vermessung und Bewertung von Gegenwartsutopien bereitstellen. Zudem können utopische Momente auch miteinander verwoben sein, indem z.B. die Praxis gelebter Utopien auf existierende fiktional-klassische oder intentionale Utopien Rückgriff nehmen und somit handlungsanleitend werden kann (Daniel i.E.). Jedes Paradigma könnte somit unter dem Oberbegriff einer multiparadigmatisch verstanden Utopie-Forschung operieren. Ein positiver Nebeneffekt einer solchen Grundausrichtung bestünde auch darin, dass der Utopie-Forschung eine reflexive Perspektive auf eigene und fremde Positionierungen eingeschrieben wäre, die es geradezu erfordert die eigene Standortgebundenheit im Diskurs sowie ihre Stärken und Schwächen zu reflektieren. Einem mehrdimensionalen und elastischen Utopie-Begriff zu folgen, meint in diesem Sinne, dass die Gesamtdisziplin sich gerade nicht auf ein Paradigma vereidigen sollte, da sie durch eine multiparadigmatische Ausrichtung auch mehr zu sehen und erforschen vermag (Mehrdimensionalität) und verschiedene Untersuchungen im Feld auch unterschiedliche Utopie-Begriff und normative Bezugsweisen auf das Phänomen benötigen (Elastizität).
Utopien sind nicht nur fortschrittlich-emanzipatorische Projekte: Zur Notwendigkeit, gesellschaftliche Wunsch- und Furchtvorstellungen normativ zu differenzieren
Während vielen Utopien, unabhängig vom jeweiligen Verständnis von Utopie, ein implizites, emanzipatorisches Verständnis zugrunde liegt, ist es unseres Erachtens erforderlich, aufzuzeigen, dass der Inhalt von Utopie normativ ausdifferenziert ist. Die Frage, wie eine ideale Gesellschaft oder das gute Leben imaginiert wird, ist von den jeweiligen Werten, Moralitäten und Vorstellungen von Gerechtigkeit abhängig, die wiederum gruppenspezifisch, gesellschaftlich und kulturell divergieren. Das implizit emanzipatorische Utopie-Verständnis geht von einer grundsätzlichen Gestaltbarkeit der Welt aus, die es potenziell ermöglicht, sich auf der Grundlage von Kritik am Status quo und vom Streben nach dem Wünschbaren von struktureller Ungleichheit, Diskriminierung und Marginalisierung zu befreien (Holland-Cunz 1987; 1988). Diese „Festlegung des Utopischen auf Emanzipation“ (Saage 2008: 105) ist besonders bei Vertreter*innen des intentionalen Utopie-Begriffs, aber auch im Rahmen des Paradigmas der gelebten und (deutlich weniger, aber doch vorzufinden) klassischen Utopien verankert. In der Utopie-Forschung wird Utopie dabei vor allem mit linken Gesellschaftsprojekten assoziiert:
„Es kann kein Zweifel aufkommen: Die Utopie steht links. Dies war schon immer so, es ist in unserer Gegenwart der Fall und jener Tatbestand wird sich auch in der Zukunft nicht ändern.“ (Heyer 2006: 7)
Dies wird deutlich an der Debatte über den Nutzen und die Funktion von Gemeineigentum für eine gerechte Gesellschaft, die bei Morus, den Frühsozialist*innen, im Anarchismus und Marxismus, in der Kritischen Theorie und in den Utopien der Neuen Sozialen Bewegungen zu finden ist. Als Träger*innen des utopischen Bewusstseins werden vor allem soziale Bewegungen (von der Arbeiter*innenbewegung bis hin zur Umweltbewegung), intentionale Gemeinschaften, Intellektuelle sowie experimentelle Formen des Lebens und des Wirtschaftens betrachtet.
Trotz verschiedener Verknüpfungen von Emanzipation und Utopie lassen sich in Bezug auf die einzelnen Ansätze sowie die unterschiedlichen Paradigmen verschiedene Hinweise auf die Grenzen und Risiken von Utopien identifizieren. Bereits bei Landauer führen die utopischen Bestrebungen der Moderne trotz ihrer Bindung an Kritik und die Revolution gerade nicht zum erhofften zukünftigen Zustand, sondern dazu, dass sich
„in der Form der Diktatur, Tyrannis, provisorischen Regierung, anvertrauten Gewalt oder ähnlichem während der Revolution die neue Topie bildet. […] Die neue Topie tritt ins Leben zur Rettung der Utopie, bedeutet aber ihren Untergang.“ (Landauer 1977 [1907]: 16)
Utopien sind ihm zufolge gesetzmäßig zum Scheitern verurteilt, da sie sich im Zeitalter der Revolution zu einer neuen Herrschaftsordnung transformieren, die nicht per se garantiert, besser als die vorherige zu sein. Wenngleich das Ausmaß an Begrenzungen – vom möglichen über das gesetzmäßige Scheitern der Utopie – beim intentionalen Utopie-Begriff variiert, so ist ihm häufig eine Skepsis gegenüber dem Gelingen utopischer Transformationsprojekte eingeschrieben. Aus Utopie und Revolution entspringt, auch der totalitarismustheoretischen Deutung von Utopie folgend, keineswegs Emanzipation, sondern das Gegenteil: die Dystopie der Diktatur.
Zudem finden wir Utopien nicht nur in linken, sondern in allen politischen Spektren. Utopische Vorstellungen sind in diesem Sinne nicht per se emanzipatorisch oder links. Vielmehr produzieren z.B. auch rechte und verschwörungstheoretische Bewegungen Imaginationen einer Gesellschaft, welche einer homogenen Volksgemeinschaft gleicht, die im Schatten der Flüchtlingskrise und jüngst im Rahmen der Corona-Krise einen Bedeutungszuwachs erleben. Damit können Utopien auch nationalistische und fremdenfeindliche Zukunftsvorstellungen beinhalten (Swyngedouw & Ivaldi 2001; el-Ojeili 2019). Daneben treten in der Gegenwart auch religiöse Utopien wieder verstärkt ins öffentliche Bewusstsein, etwa Utopien eines islamischen oder christlichen Gottesstaates. Neben emanzipatorischen lassen sich zudem auch einschränkt rückwärtsgewandte Utopien identifizieren. Zygmunt Bauman (2017) greift mit seinem Konzept der „Retrotopie“ die Vergangenheit als Brennpunkt der Sehnsucht nach der Zukunft auf. Nostalgie als eine Form der Beziehung zur Vergangenheit entstehe aus dem Pessimismus gegenüber der gegenwärtigen Gesellschaft und der emanzipatorischen Hoffnung. Bei näherer Betrachtung ist dieses „Zurück-zu“ Ideal aber ebenfalls in den konkret-politischen Utopien der Aufklärung und des Industriezeitalters präsent, sei es in Bezug auf Vorstellungen vom Urkommunismus oder andere Formen nicht-entfremdeter Naturzustände. In anderen Worten: Der Blick und die Analyse basiert auch hier auf einem „Zurück-zu“-Ideal, das keineswegs nur auf der rechten Seite des politischen Spektrums eine Heimat hat.
Eine wesentliche Verwechslung und Verengung in der Utopie-Debatte erscheint uns demnach, dass häufig nur jene Imaginationen einer besseren Gesellschaft als Utopien anerkannt werden, die den eigenen politischen Anschauungen einer legitimen Zukunft entsprechen. So wird von Vertreter*innen des klassischen Utopie-Begriffs stets der Versuch unternommen faschistische und andere totalitäre Wunschbilder einer anderen Gesellschaft als nicht mit dem utopischen Denken vereinbar zu kategorisieren (Saage 2006b). Unserer Perspektive nach wäre es jedoch gehaltvoller, Utopien (Wunsch-) und auch Dystopien (Furchtbilder) erstens jeweils aus Perspektive des Entstehungskontextes der Produzent*innen und Träger*innen dieser Bewusstseinsformen und nicht der normativen Positionierung der Forscher*innen, die dieses Phänomen untersuchen zu rekonstruieren.[6] Erst auf diese Weise werden nämlich z.B. spezifische Funktionen von Utopien sichtbar. Wieso sollten Wunschbilder einer als „besser“ imaginierten Gesellschaft etwa nur in linken, aber nicht auch in rechten und religiösen Bewegungen dazu dienen das Handeln von Aktivist*innen zu motivieren und orientieren? Zweitens wäre es dann ferner möglich aus einer differenzierungstheoretischen Perspektive der Erkenntnis zu folgen, dass häufig des*der einen Utopie, des*der anderen Dystopie darstellt und damit auch zu analysieren, in welchem Verhältnis variierende Utopien zueinander stehen. Drittens kann mit diesen Perspektiven dann wiederum auch die Normativität der Forscher*innen in Dialog gebracht werden, indem etwa wie bei Wright (2017) oder auch bei Levitas (2013) von einem übergeordneten Standpunkt aus kritisch nach der Wünschbarkeit der gesellschaftlich vorfindbaren Utopien gefragt wird.
Utopien sind nicht nur europäisch – vom eurozentristischen Utopie-Diskurs zur weltweiten Analyse von Utopien
Utopien werden ferner vor allem als Teil der westlichen Geschichte erzählt. Der Utopie-Kanon (exemplarisch Saage 2001; 2002a; 2002b; 2003) spiegelt folglich vorwiegend die Geschichte der europäischen und nordamerikanischen Utopien wider. Die Fokussierung auf diese verstellt den Blick jedoch auf die reiche Utopie-Produktion weltweit.
Ein Blick in den Utopie-Kanon veranschaulicht, dass Wunschbilder einer sozial gerechten Gesellschaft ein Produkt der jeweiligen Zeit und somit zeitlich wie räumlich gebunden sind. So entstanden alle diskutierten Ansätze der Utopie-Forschung wie ihre Bezugsphänomene im europäischen oder US-amerikanischen Kontext und spiegeln die spezifischen Problemlagen der jeweiligen sozial-historischen Gesellschaftsformation und ihre Wunschbilder der Zukunft wider. In den europäischen und US-amerikanischen Utopien selbst spielen andere Weltregionen mitunter zwar eine Rolle, allerdings vorwiegend als Orte, an die europäische Intellektuelle ihre utopischen Gesellschaften verlegen. Beispielweise ist ein Teil der klassisch-fiktiven Utopien zu Zeiten der Kolonisierung durch Wunschbilder geprägt, welche die ideale Gesellschaft auf eine Insel verlagern, als imaginärer und idealisierter Ort für das Andere, Unbekannte und Abweichende. Diese Insel-Referenz, die bei Morus existiert, verlagert das Wünschbare nicht nur auf einen isolierten und begrenzten Raum, vielmehr dienen Inseln anderer Weltregionen als Imaginationsraum für Wunsch- oder Furchtbilder (Pordzik 2001: 55). Nicht zuletzt hat der Kolonialismus selbst eine utopische Dimension, da die Suche nach einer „neuen Welt“ und die Gründung von Kolonien als ein Weg zur Verwirklichung der gewünschten idealen Gesellschaft – einer Gesellschaft, die auf Gleichheit und Gerechtigkeit aufbaut, – gesehen wurde, die in Europa als nicht verwirklichbar galt (Sargent 2010: 6f). Vielfach dienten diese Beschreibungen der nicht-westlichen Gesellschaft als Spiegelbild der Moderne, ihrer Chancen und ihrer Grenzen. So verortet Francis Bacon (1959 [1627]) seine Nova Atlantis im Pazifischen Ozean.
In gewisser Weise verwandelte eine solche Utopie den vermeintlich exotisch-wild-fremden Ort in einen Ort der Zukunft, der eine Entwicklungsgeschichte durchlaufen hat und der die ideale Gesellschaft, ein goldenes Land verkörpert (Boerner 1982; Großklaus 2017: 31-35). Diese Utopien boten eine Flucht aus der europäischen „Zivilisation“ und in einigen Fällen aus der kapitalistischen Produktion, verbunden mit einer Verherrlichung und Romantisierung des „Indigenen“ und der nicht-menschlichen Natur (Ashcroft 2017; Großklaus 2017). So wurden Nicht-Westliche Orte und Kulturen einerseits zu einer Projektion europäischer Sehnsüchte. Andererseits wurden die Gesellschaften anderer Weltregionen als dystopisch beschrieben und minderwertig betrachtet, sodass diese auf europäische Art und Weise „zivilisiert“ werden müssten. In diesem Spannungsfeld zwischen Utopie und Dystopie wurden andere Weltregionen zu einem Ort der Idealisierung oder Ablehnung (ebd.: 135) und koloniale Utopien trugen auf diese Weise zur Konsolidierung sowie Rechtfertigung der imperialen Idee bei (Ashcroft 2017: 22f). Infolgedessen werden Utopien aus einer postkolonialen Perspektive als eurozentrisch kritisiert, da sie lediglich die Positionierung und Perspektive des „weißen Mannes“ auf die Welt und Gesellschaft widerspiegeln (Dutton 2010; Daniel & Klapeer 2019). Das gleiche Argument ließe sich auf die Utopie-Forschung erweitern.
Überblicksbände zur Utopie-Forschung zeigen, dass die Utopie-Debatte auf den Westen beschränkt bleibt und weitere Utopien allenfalls mit Blick auf religiöse Utopien referiert werden. Das klassische Paradigma der Utopie-Forschung, so selbst Vertreter*innen dieses Ansatzes, könne „seine eurozentristische Ausrichtung nicht leugnen“ (Saage 1992a: ix). In Bezug auf die westliche Vorherrschaft argumentiert Jacqueline Dutton (2010: 223):
„Utopie und Utopismus werden oft als primär westliche Konstrukte wahrgenommen – westliche Träume von einer besseren Welt, einer idealen Existenz oder einer fantastischen Zukunft. Dies ist zweifellos auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Definition, Gestaltung und Entwicklung utopischer Literaturen und Theorien aus westlichen Beispielen des Genres und der Praxis hervorgegangen sind.“[7]
Auch Yona Friedman (1978: 34-48) kritisiert einen universalistischen Anspruch an die Utopie per se als eurozentrisch und totalitär und betont die Vielfalt der Utopien. Gegen eine eurozentristische Sichtweise argumentieren Jacqueline Dutton und Lyman T. Sargent (2013), dass Utopien in allen Weltregionen zu finden sind. Dabei sind Utopien als globale Phänomene nicht nur auf das fiktionale Genre beschränkt – es existieren auch verschiedene Formen von Utopien, die religiös, spirituell und säkular ausgerichtet sind (Claeys 2011: 45-57; Ashcroft 2013). Insoweit sind Utopien auch nicht notwendigerweise säkular und auf die Vernunft bezogene Wunschbilder einer idealen Gesellschaft (Sitter-Liver 2007), sondern können von religiösen und spirituellen Aspekten durchdrungen sein und als Quelle des utopischen Denkens fungieren. Ebenso finden sich Formen von totalitarismustheoretischer, internationaler oder gelebter Utopien weltweit (Daniel i.E.).
Mitunter dringen vereinzelt Utopien einer sozial-gerechten Gesellschaft oder des guten Lebens aus anderen Weltregionen in das „westliche“ Bewusstsein. Weniger in der Utopie-Forschung selbst, aber in soziologischen und Post-Development-Debatten der Entwicklungsforschung werden indigene bzw. lokale Wunschbilder des guten Lebens, wie etwa das lateinamerikanische Konzept Buen Vivir, das indische Swaraj oder Ubuntu aus dem südafrikanischen Kontext, als Gegenmodelle zur „westlichen Moderne“ stilisiert. Wenngleich durchaus vielfältig konzipiert, so eint diese Utopien, dass sie häufig als Gegennarrativ zu Individualisierung und Rationalisierung verstanden werden, ebenso wie sie kollektive Identitäten und Alternativen zu einem reinen instrumentellen und anthropozentrischen Naturverhältnis in den Mittelpunkt stellen (Acosta 2009; Escobar 2015; Kothari u.a. 2019). Während diese sowie religiöse Wunschbilder, z.B. der Buddhismus (Meisig 2007), zum romantisierten Gegenbild westlicher Utopien oder gar als Beispiel herangezogen werden, um die religiöse und politische Verwobenheit des Utopischen zu zeigen, bleibt die Vielzahl utopischen Denkens ungesehen. Auch Utopien aus Afrika bleiben ein wenig belichtetes Terrain (Sarr 2019; Daniel 2025). Diese Ignoranz der westlichen Utopie-Forschung lässt sich zwar auch für weitere nicht-westliche Gesellschaften im Globalen Norden und Süden konstatieren, dennoch möchten wir exemplarisch die inhaltliche Leerstelle aufzeigen und einen kurzen Einblick in afrikabezogene Utopien geben, wobei hier auch der regionale Bezug zu Afrika kritisch reflektiert werden muss, denn „Afrika“ kann sowohl geographisch, kulturell als auch als Identitätskonzept verstanden werden (Daniel 2025). Afrikabezogene Utopien können sowohl als fiktionale als auch als intentionale Utopien zur Sprache kommen: Fiktionale Utopien aus Afrika entstanden in Literatur, Musik und Kunst und werden häufig als African Fiction oder Afrofuturismus gefasst. Sie thematisieren als Technikutopien etwa die Digitalisierung und den Posthumanismus als eine Möglichkeit, um über die Ontologie und Kosmologie zu reflektieren und postapokalyptische Visionen „Schwarzer“ Kultur und Identität zu kreieren (Nelson 2002; Eshun 2003). Das fiktionale Genre schließt dystopische und totalitarismustheoretische Konzeptionen von Utopien mit ein. Jenseits des fiktionalen Genres der Utopie-Produktion dominieren die intentionalen Utopien, wobei der Begriff „gelebte Utopien“ nur vereinzelt Anwendung findet.[8]
Sowohl afrikanische fiktionale als auch intentionale Utopie-Verständnisse sind durch ihren Bezug zur Vergangenheit charakterisiert: Bill Ashcroft (2013) argumentiert: „Die Bedeutung afrikanischer Zukunftsbilder liegt darin, dass sie in eine Vergangenheit eingebettet sind, die die Gegenwart verändert.“ (ebd.: 97)[9]
Während sich die Utopien in Europa häufig mit Moderne, Fortschritt und damit verbundenen Gerechtigkeitsvorstellungen befassen, nehmen viele afrikabezogene Utopien Rassismus und das kollektive Trauma des Kolonialismus (und seiner Fortsetzung) als Ausgangspunkt. Die Kolonisierung wird als Zäsur erlebt, die bis heute nachwirkt und zum Wunsch führt, in vorkoloniale Zeiten zurückzukehren (Ashcroft 2013). Mit dieser Vergangenheitsorientierung sind unterschiedliche Intentionen verbunden: Einerseits wird angestrebt, die Geschichte neu zu schreiben und das kollektive Trauma zu überwinden. So beginnt Utopie mit einer Neuformulierung der Vergangenheit (Ashcroft 2017: 90). Diese Idealisierung der Vergangenheit ist sowohl mit einer Ablehnung der als kolonial erlebten Moderne als auch (in den meisten Fällen) mit einer Darstellung Afrikas als Teil der Moderne verbunden. Nicht zuletzt ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Sehnsucht nach einer Zukunft durch den Blick in die Vergangenheit mit einem zyklischen Zeitverständnis einhergeht, in dem die Vergangenheit Teil der gegenwärtigen und zukünftigen Bestrebungen ist (Ashcroft 2017: 94). Demnach ist Erinnerung ein wesentliches Konzept, das die Vergangenheit und die Zukunft in der Gegenwart verbindet (im Gegensatz zur linearen und fortschrittsbasierten Vorstellung von Zeit als Streben der Moderne). Den Blick über die westlichen Utopien zu erweitern heißt aus unserer Perspektive zuerst die westliche Prägung der Utopie-Forschung kritisch zu reflektieren und insbesondere auch aus postkolonialer Perspektive imperialistische Utopien, in den andere Weltregionen romantisiert oder abgewertet werden, zurückzuweisen. Wird der westliche Blick der Utopie-Forschung kritisch in Frage gestellt, erschließt sich die Vielfalt des Utopischen und ihre zeitliche und kontextspezifische Prägung, was mit Blick auf afrikabezogene Utopien bedeutet, dass sich durch postkoloniale Deutungsrahmen auch alternative Geschichten über die Genese, die Formvielfalt und die Gegenwart der Utopie in der Weltgesellschaft herauslesen lässt. Dass Utopie-Forschung in einer globalisierten Welt nicht mehr nur auf den Westen fokussiert werden sollte, bleibt eine Herausforderung für die Utopie-Forschung.
Utopien sind lebendig: Zur Bedeutung von Utopien für die (kritische) Gesellschaftstheorie und soziologische Zeitdiagnose
Utopien einer idealen, guten oder besseren Gesellschaft sind nicht aus Gegenwartsgesellschaft verschwunden und weltweit zu finden. Auch das 21. Jahrhundert zeichnet sich neben und in Verbindung zu seiner dystopisch-apokalyptischen Charakteristik zugleich durch ein hochkomplexes und globales Feld von Utopien aus, das sowohl von soziologischen Zeitdiagnosen als auch (kritischen) Gesellschaftstheorien bisher kaum angemessen in ihren Analysen berücksichtigt wird. Aus unserer Perspektive kann eine Soziologie der Utopie einen wesentlichen Beitrag leisten. Dabei sind vier Aspekte wesentlich:
Utopie verstanden als fiktionale klassische Beschreibungen einer idealen Gesellschaft, die sich einer experimentellen Form eines Möglichkeitsdenkens bedient, ist unzweifelhaft eine der bedeutsamsten Formen, in der sich utopisches Denken historisch manifestiert hat. Zugleich grenzt diese Betrachtungsweise der klassischen Utopie-Forschung weitere Kernbereiche aus, in denen sich Utopien manifestieren, wie etwa in sozialen Bewegungen und Revolutionen, religiösen und wissenschaftlichen Denkformen, im Bewusstsein und in geteilten alternativen Vergemeinschaftungspraxen. Wir plädieren dafür, die Utopie sowohl in ihren literarischen als auch in ihrer intentionalen, totalitarismustheoretischen und gelebten Dimension zu analysieren. Hier angesetzt lässt sich die Relevanz der Utopien für Prozesse sozialen Wandelns untersuchen. Utopien lassen sich nicht nur in Bezug auf gesamtgesellschaftliche Ideale einer alternativen Gesellschaft, sondern auch als individuelle, gemeinschaftliche und organisationspezifische Vorstellungen einer gewünschten und erhofften Zukunft analysieren, die sich auf viele Arten und Weisen in den sozialen Alltag und die sozialen Systeme der Gegenwart eingelagert haben und sich mitunter sogar verweben. Sie sind damit ein Untersuchungsgegenstand, der sowohl makro-, meso- und mikrosoziologisch analysiert werden kann, und zwar sowohl mit dem klassischen, totalitarismustheoretischen, intentionalen Ansatz als auch mit jenem der gelebten Utopie. Ein mehrdimensionaler Utopie-Begriff trägt damit zur analytischen Schärfung der Utopie-Forschung bei und erlaubt es, die unterschiedlichen Formen des Utopischen miteinander in Bezug zu setzen.
- Utopien sind nicht per se emanzipatorisch, sondern variieren erheblich. Sie können auf eine freie, gleiche, gerechte Gesellschaft gerichtet sein, müssen es aber nicht. Vielmehr sind Vorstellungen einer wünschenswerten Zukunft entlang politischer und funktionaler gesellschaftlicher Integrationseinheiten normativ differenziert. Was für eine Gesellschaft, ein soziales System, eine soziale Bewegung, Berufsgruppe, Organisation eine Utopie – und somit erstrebenswertes Wunschbild – ist, erscheint anderen als Dystopie. Utopie kann mit ihrer Kritik und ihren Wunschbildern zwar intendierten sozialen Wandel anleiten, aber auch ein verzweifelter Fluchtreflex aus der Wirklichkeit sein und die bestehenden Ordnungs- und Machtstrukturen legitimieren und stabilisieren. Sie kann revolutionäre, aber auch konservative und reformistische Inhalte haben sowie in einem religiösen oder säkularen Gewand auftreten. Ferner weisen zahlreiche Untersuchungen der Utopie-Forschung auf die Gefahren und Risiken von Utopien, insbesondere von intentionalen und gelebten Utopien hin – angefangen von ihrem schlichten Scheitern bis hin zu dystopischen Elementen und zum Umschlagen von Utopien in reale Dystopien. Die Utopie-Forschung sollte eine Sensibilität für diese vielfältigen normativen und funktionalen Differenzierungen ausbilden und sich davor hüten, einzelne Elemente als allgemeine Merkmale von Utopien zu missdeuten.
- Die Analyse von Utopien erfordert einen globalen Blickwinkel, um ihre Diversität aufzuzeigen und ihr zum Teil imperiales Erbe kritisch zu reflektieren. Vorstellungen einer sozial-gerechten idealen Gesellschaft finden sich auf allen Kontinenten und in allen Gesellschaften, zu allen Zeiten. Wenn angenommen wird, dass insbesondere intentionale und gelebte Utopien bestehende Ordnungs- und Handlungsgefüge nicht per Definition funktional verändern, sondern auch wesentliche Bestandteile ihrer Reproduktion und Stabilisierung sein können, öffnet dies nicht nur einen breiteren Blick auf nicht-westliche Utopien, sondern auch auf die Geschichte und die Zukunft der Utopie insgesamt. Versprechen einer besseren Zukunft können auf diese Weise somit zwar als Motivatoren für Veränderungen, aber auch als Teil eines ideologischen Stabilisierungsversuchs der Verhältnisse fungieren.
- Für eine kritisch verstandene Gesellschaftstheorie bzw. Sozialwissenschaft haben Utopien eine über die analytisch-deskriptiv fokussierte Soziologie der Utopie hinausgehende Bedeutung (Wright 2017). Utopien, unabhängig davon, ob sie fiktional, intentional, totalitarismustheoretisch oder gelebt sind, setzen ebenso wie die kritische Gesellschaftstheorie an einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart an. Arnhelm Neusüss (1986a [1968]: 33) argumentiert: „Nicht in der positiven Bestimmung dessen, was sie will, sondern in der Negation dessen, was sie nicht will, konkretisiert sich die utopische Absicht am Genauesten.“ Utopien gehen gleichwohl über die reine Kritik hinaus, denn sie verbinden die Krisenhaftigkeit der Gegenwart mit Vorstellungen einer idealen, sozial-gerechten Gesellschaft oder des guten Lebens in Zukunft. Mit dieser Kernidentität aus Kritik und Wunschbild fordert Utopie die Gegenwart heraus und provoziert sie, was mitunter Prozesse des sozialen Wandels beeinflussen kann. Das besondere Potenzial von Utopie und damit einer Soziologie der Utopie (im Gegensatz zu einer ausschließlichen Gesellschaftsdiagnose) besteht darin, dass sie nicht nur eine Gesellschaft untersucht, sondern sie auch mit bestehenden Vorstellungen und laufenden Bestrebungen und Veränderungen in Verbindung bringt, insbesondere bei intentionalen und gelebten Utopien. Dies wird besonders deutlich an gelebten Utopien: In den Zukunftspraktiken (Krämer 2019), die durch Wunschbilder angeleitet werden, wird die Trennung von Gegenwart und Zukunft durchbrochen, indem die Zukunft in der Gegenwart ausgelotet und praktiziert wird. So kann man die Geschichte der Utopie als eine Geschichte der kritischen Gesellschaftsanalyse und der damit verbundenen Wunschbilder von der idealen sozial-gerechten Gesellschaft und einem guten Leben lesen, die unter Rückgriff auf intentionale und gelebte Utopien auch angestrebt und praktiziert werden.
Berücksichtigen wir intentionale und gelebte Utopien, so werden Utopien selbst zum Untersuchungsgegenstand einer Analyse gesellschaftlicher Wandlungsprozesse. Bisweilen hat ein Großteil der Utopie-Forschung einen theoretisch, fiktionalen und historischen Bias, so dass viele umfangreiche Untersuchungen (des klassischen Musters) mit den postmateriellen Utopien der 1970er Jahre als letzten Typus eines Formwandels enden (exemplarisch Saage 2003). Die Gegenwart der Utopie[10] fristet dahingegen eher ein Nischendasein. Neue Formen von Utopien wie sie derzeit mit Rückgriff auf intentionale und gelebte Utopien sichtbar werden und in denen sich utopisches Bewusstsein materialisiert (etwa in digitalen Welten, aktuellen sozialen Bewegungen und Kunstformen, in Gegenwartsarchitektur oder in Versuchen der Kolonisierung des Weltalls) werden häufig, vor dem Hintergrund der Dominanz fiktionaler Begrifflichkeit, übersehen. Wir beobachten daher eine große Notwendigkeit, durch empirische Forschung intentionale und gelebte Utopien analytisch zu durchdringen.
Damit gilt es also jenen Utopien Rechnung zu tragen, welche als Teil aktivistischer Praxis Zukunftspraxis erfahrbar machen (Daniel 2022). In gelebten Utopien, sei es im Kontext sozialer Bewegungen, Ökodörfer oder Formen solidarischer Ökonomien, werden Wunschbilder unter Beteiligung von Soziolog*innen und anderen Wissenschaftler*innen imaginiert und ausgelotet. Diese sozialen Phänomene, in denen das Utopische in der Gegenwart kenntlich wird, fristen in der Soziologie nach wie vor ein Nischendasein. Wir argumentieren für eine vermehrte Betrachtung dieser Phänomene, um jenseits ihrer pauschalen Zuschreibung als romantischer Hoffnungsort oder Vorboten der Transformation ihren tatsächlichen Beitrag für die Gestaltung von Zukunft auszuloten und sie als einen Aspekt von Utopie-Forschung zu begreifen. Denn es zeigt sich, dass gelebte Utopien vor allem im umweltaktivistischen Bereich mittlerweile auch Teil von Massenmobilisierung und ganzer Forschungsdisziplinen sind (etwa der Reallabor- und Transitionsforschung). So verfügen etwa die derzeitigen Klimagerechtigkeitsbewegungen über Orte, in denen eine alternative Zukunft nicht nur gefordert, sondern häufig auch durch eine alternative Praxis ausgelotet wird (Daniel & Exner 2020). Diese Zukunftspraxen sind damit kein Randphänomen und können ebenso alltägliche Lebens- und Forschungswelten prägen.
Ein zweiter Bias, der für eine Soziologie der Utopie bisher problematisch ist, besteht darin, dass Utopie-Forschung vor allem als selbstbezügliche Theoriedebatte operiert und ihre Thesen bisher nur selten oder sehr einseitig mit den Mitteln der empirischen Sozialforschung konfrontiert werden. Breitere Bevölkerungsumfragen zu utopischem Bewusstsein und Anschlussfähigkeit verschiedener Formen und Inhalte von Utopien an verschiedene Sozialmilieus existieren nicht. Qualitative Tiefenstudien, die jenseits von utopischen Romanen das utopische Bewusstsein unserer Zeit untersuchen, sind eine Seltenheit (Mahs 2019). Eine Debatte über eine angemessene Methodologie der Utopie-Forschung und den Wert verschiedener methodischer Ansätze existiert quasi nicht. Auch hier würde es gelten, die methodischen Zugänge einem multi-dimensionalen Begriff der Utopie anzupassen und darüber zu reflektieren. In diesem Sinne ist für eine Soziologie der Utopie noch viel Grundlagenforschung zu leisten.
Eine kritisch-utopische Soziologie formuliert im Gegensatz zur Soziologie der Utopie selbst Konzeptionen des guten Lebens. Sie gibt sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht zufrieden, hält das Utopische nicht a priori für unmöglich und bleibt auch nicht der Ebene der Kritik verhaftet. Wunschbilder des guten Lebens und sozial-gerechter Gesellschaften, seien sie fiktional, intentional oder gelebt, werden vielmehr als Teil einer kritischen Gesellschaftsanalyse eingesetzt.
Mit diesem multidimensionalen Utopie-Verständnis, das vor allem auch intentionale und gelebte Utopien berücksichtigt, knüpft die Utopie-Forschung auch an derzeitige Debatten zur Bedeutung des Imaginären für sozialen Wandel an, wie etwa an das derzeit viel rezipierte Werk von Cornelius Castoriadis (1984 [1975]; Delitz 2019; Diehl 2019). Jedoch sind diese Debatten kaum mit der Utopie-Debatte verknüpft. Es zeigt sich erneut, wie wesentlich es ist, die Utopie-Forschung aus ihrer Nische zu befreien, um ihr Potenzial für die aktuellen Debatten der kritischen Gesellschaftsforschung und Gegenwartsdiagnostik ebenso wie für die Analyse des gesellschaftlich Imaginären fruchtbar zu machen. Ein systematisches Nachdenken über die Gegenwart in Bezug zur transformativen Kraft von Wunschbildern sowie rückgebunden an die reiche und differenzierte Debatte zu Utopie erscheint uns notwendig. Diese Diskussion würdigt auch jene gegenwärtigen Utopie-Produktionen, die sich im Schatten der Gegenwartsdiagnostik, von emanzipatorischen Zuschreibungen oder in anderen Weltregionen konstituieren. Als Soziologie der Utopie und utopische Soziologie lässt sich die Utopie-Forschung durch genuin soziologische Debatten bereichern, anstatt sie allein der Literatur- und Politikwissenschaft sowie der Philosophie zu überlassen.
Literatur
Acosta, Alberto (2009): „Das ‚Buen Vivir‘. Die Schaffung einer Utopie“. In: Juridikum, Nr. 2009/4, S. 192-223.
Adloff, Frank (2020): „Experimental Conviviality. Exploring Convivial and Sustainable Practices“. In: Open Cultural Studies, Bd. 4, Nr. 1, S. 112-121 (https://doi.org/10.1515/culture-2020-0011).
Adloff, Frank, & Claus Leggewie (2014): Les Convivialistes. Das konvivialistische Manifest. Für eine neue Kunst des Zusammenlebens. Bielefeld.
Ashcroft, Bill (2013): „African Futures. The Necessity of Utopia“. In: International Journal of African Renaissance Studies – Multi-, Inter- and Transdisciplinarity, Bd. 8, Nr. 1, S. 94-114 (https://doi.org/10.1080/18186874.2013.834557).
Ashcroft, Bill (2017): Utopianism in Postcolonial Literatures. London, UK (https://doi.org/10.4324/9781315642918).
Bacon, Francis (1959 [1627]): Neu-Atlantis. Berlin.
Bauman, Zygmunt (2017): Retrotopia. Frankfurt a.M.
Beck, Ulrich (2008): Weltrisikogesellschaft. Auf der Suche nach der verlorenen Sicherheit. Frankfurt a.M.
Betz, Gregor, & Sasa Bosančić (Hg.) (2021): Apokalyptische Zeiten. Endzeit- und Katastrophenwissen gesellschaftlicher Zukünfte. Weinheim & Basel.
Bloch, Ernst (1968 [1959]): Das Prinzip Hoffnung. Frankfurt a.M.
Bloch, Ernst (1980 [1974]): „Abschied von der Utopie?“ In: Bloch, Ernst (Hg.): Abschied von der Utopie? Vorträge. Frankfurt a.M., S. 76-82.
Bloch, Ernst, & , Theodor W. Adorno (1985 [1964]): „Über die Widersprüche der utopischen Sehnsucht“. In: Bloch, Ernst (Hg.): Tendenz, Latenz, Utopie. Frankfurt a.M., 350-368.
Boerner, Peter (1982): „Utopia in der neuen Welt. Vom europäischen Träumen zum American Dream“. In: Voßkamp, Wilhelm (Hg.): Utopieforschung. Zweiter Band. Berlin, S. 358-374.
Castoriadis, Cornelius (1984 [1975]): Gesellschaft als imaginäre Institution. Entwurf einer politischen Philosophie. Frankfurt a.M.
Claeys, Gregory (Hg.) (2010): The Cambridge Companion to Utopian Literature. Cambridge, UK (https://doi.org/10.1017/CCOL9780521886659).
Claeys, Gregory (2011): Ideale Welten. Die Geschichte der Utopie. Darmstadt.
Cooper, Davina (2014): Everyday Utopias. The Conceptual Life of Promising Spaces. Durham, US-NC (https://doi.org/10.2307/j.ctv1220qrp).
Dahrendorf, Ralf (1986 [1967]): Pfade aus Utopia. Arbeiten zur Theorie und Methode der Soziologie. München.
Daniel, Antje (2020): „Brüchige Allianzen. LSBTIQ-Aktivismen im Kontext der intersektionalen und dekolonialen Praxis der südafrikanischen Studierendenbewegung“. In: Peripherie, Nr. 157/158, S. 102-124 (https://doi.org/10.3224/peripherie.v40i1-2.06).
Daniel, Antje (2022): „A Simple Post-Growth Life. The Green Camp Gallery Project as Lived Ecotopia in Urban South Africa“. In: Journal of Utopian Studies, Bd. 33, Nr. 2, 274-290 (https://doi.org/10.5325/utopianstudies.33.2.0274).
Daniel, Antje (2025, im Druck): „African Utopias: A Vibrant but Little Known Debate“. In: Journal of Utopian Studies.
Daniel, Antje (i.E.) Analysing Contemporary Society Through Lived Utopias. Bristol, UK.
Daniel, Antje, & Andreas Exner (2020): „Kartographie gelebter Ökotopien“. In: Forschungsjournal Soziale Bewegungen, Bd. 33. Nr. 4, S. 785-800 (https://doi.org/10.1515/fjsb-2020-0070).
Daniel, Antje, & Christine M. Klapeer (2019): „Wider dem Utopieverdruss. Queerfeministische Überlegungen zum Stand der Debatte“. In: Femina politica, Bd. 28, Nr. 1, S. 9-31 (https://doi.org/10.3224/feminapolitica.v28i1.02).
Daniel, Antje, & Björn Wendt (2024): „Die Utopie lebt! Plädoyer für eine Blickerweiterung der soziologischen Zeitdiagnose und Gesellschaftstheorie“. In: Sozialwissenschaftliche Rundschau, Bd. 64, Nr. 3, S. 212-229.
Delitz, Heike (2019): „Theorien des gesellschaftlichen Imaginären“. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Bd. 44, Nr. 1, S. 77-98 (https://doi.org/10.1007/s11614-019-00374-z).
Diehl, Paula (2019): „Das politische Imaginäre und die politische Repräsentation“. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Bd. 44, Nr. 1, S. 37-55 (https://doi.org/10.1007/s11614-019-00372-1).
Dörre, Klaus (2021): Die Utopie des Sozialismus. Kompass für eine Nachhaltigkeitsrevolution. Berlin (https://doi.org/10.5771/9783741001703-79).
Dutton, Jacqueline (2010): „‚Non-western‘ Utopian Traditions“. In: Claeys 2010, S. 223-258 (https://doi.org/10.1017/CCOL9780521886659.010).
Dutton, Jacqueline, & Lyman Tower Sargent (2013): „Introduction. Utopias from Other Cultural Traditions“. In: Utopian Studies, Bd. 24, Nr. 1, S. 2-5 (https://doi.org/10.5325/utopianstudies.24.1.0002).
el-Ojeili, Chamsy (2019): „Reflecting on Post-Fascism: Utopia and Fear“. In: Critical Sociology, Bd. 45, Nr. 7-8, S. 1149-1166 (https://doi.org/10.1177/0896920518768867).
Escobar, Arturo (2015): „Degrowth, Postdevelopment, and Transitions. A Preliminary Conversation“. In: Sustainability Science, Bd. 10, Nr. 3, S. 451-462 (https://doi.org/10.1007/s11625-015-0297-5).
Eshun, Kodwo (2003): „Further Considerations of Afrofuturism“. In: The New Centennial Review, Bd. 3. Nr. 2, S. 287-302 (https://doi.org/10.1353/ncr.2003.0021).
Fernando, Julian W.: Léan V. O’Brien; Nicholas J. Burden; Madeline Judge & Yoshihisa Kashima (2018): „Greens or Space Invaders: Prominent Utopian Themes and Effects on Social Change Motivation“. In: European Journal of Social Psychology, Bd. 50, Nr. 2, S. 278-291 (https://doi.org/10.1002/ejsp.2607).
Fest, Joachim (1991): Der zerstörte Traum. Vom Ende des utopischen Zeitalters. Berlin.
Fisher, Mark (2013): Kapitalistischer Realismus ohne Alternative? Eine Flugschrift. Hamburg.
Friedman, Yona (1978): Machbare Utopien. Absage an geläufige Zukunftsmodelle. Frankfurt a.M.
Fukuyama, Francis (1992): Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir. München.
Görgen, Benjamin, & Björn Wendt (Hg.) (2020): Sozial-ökologische Utopien. Diesseits oder jenseits von Wachstum und Kapitalismus? München (https://doi.org/10.14512/9783962385828).
Großklaus, Götz (2017): Das Janusgesicht Europas: Zur Kritik des kolonialen Diskurses. Bielefeld (https://doi.org/10.1515/9783839440339).
Habermas, Jürgen (1984): „Die Krise des Wohlfahrtstaates und die Erschöpfung utopischer Energien“. In: Habermas, Jürgen (Hg.): Kleine Politische Schriften, Bd. V. Frankfurt a.M., S. 141-163.
Hardt, Michael, & Antonio Negri (2004): Multitude: Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt a.M.
Heller, Agnes (2016): Von der Utopie zur Dystopie. Was können wir uns wünschen? Wien & Hamburg.
Herold, Emanuel (2020): Utopien in utopiefernen Zeiten. Göttingen.
Heyer, Andreas (2006): Die Utopie steht links. Ein Essay. Berlin.
Heyer, Andreas (2008): Der Stand der aktuellen deutschen Utopieforschung. Bd. 1: Die Forschungssituation in den einzelnen akademischen Disziplinen. Hamburg.
Heyer, Andreas (2009): Sozialutopien der Neuzeit. Bibliographisches Handbuch. Bd. 1: Bibliographie der Forschungsliteratur. Münster.
Holland-Cunz, Barbara (1987): Feministische Utopien. Aufbruch in eine postpatriarchale Gesellschaft. Meitingen.
Holland-Cunz, Barbara (1988): Utopien der Neuen Frauenbewegung. Gesellschaftsentwürfe im Kontext feministischer Theorie und Praxis. Meitingen.
Hölscher, Lucian (1996): „Utopie“. In: Utopian Studies, Bd. 7, Nr. 2, S. 1-65.
Honneth, Axel (2015): Die Idee des Sozialismus: Versuch einer Aktualisierung. Frankfurt a.M.
Ipsos (2022): What Worries the World? https://www.ipsos.com/sites/default/files/ct/news/documents/2022-05/What-worries-the-world-april-2022.pdf, letzter Aufruf: 14.9.2024.
Klinger, Cornelia (2000): „Auf dem Weg ins utopielose Jahrhundert“. In: Transit. Europäische Revue, Nr. 19, S. 3-23.
Kothari, Ashish; Ariel Salleh; Arturo Escobar; Federico Demaria & Alberto Acosta (2019): Pluriverse. A Post-Development Dictionary. Neu Delhi.
Krähnke, Uwe (2001): „Soziologen auf der Suche nach der guten Gesellschaft? Bericht vom 30. Kongress der DGS in Köln“. In: Berliner Journal für Soziologie, Bd. 11, Nr. 1, S. 109-119 (https://doi.org/10.1007/BF03203987).
Krämer, Hannes (2019): „Zukunftspraktiken: Praxeologische Formanalysen des Kommenden“. In: Alkemeyer, Thomas; Nikolaus Buschmann & Thomas Etzemüller (Hg.): Gegenwartsdiagnosen: Kulturelle Formen gesellschaftlicher Selbstproblematisierung in der Moderne. Bielefeld, S. 81-102 (https://doi.org/10.1515/9783839441343-005).
Kufeld, Klaus (2011): „Zeit für Utopien“. In: Nida-Rümelin & Kufeld 2011, S. 9-24 (https://doi.org/10.5771/9783495860007-9).
Landauer, Gustav (1977 [1907]): Die Revolution. Berlin.
Leggewie, Claus (2004): „Afrika. Vom Nicht-Ort der Welt zum Kontinent der Zukunft“. In: Maresch & Rötzer 2004, S. 47-64.
Levitas, Ruth (1979): „Sociology and Utopia“. In: Sociology, Bd. 13, Nr. 1, S. 19-33 (https://doi.org/10.1177/003803857901300102).
Levitas, Ruth (2013): Utopia as Method. The Imaginary Reconstitution of Society. London, UK (https://doi.org/10.1057/9781137314253).
Mahs, Ina-Maria (2019): Utopie und Politik. Potenziale kreativer Politikgestaltung. Bielefeld (https://doi.org/10.1515/9783839448427).
Mannheim, Karl (1985 [1929]): Ideologie und Utopie. Frankfurt a.M.
Mannheim, Karl (1986 [1935]): „Utopie“. In: Neusüss 1986, S. 113-120 (https://doi.org/10.3917/machr1.113.0120).
Maresch, Rudol, & Florian Rötzer (Hg.) (2004): Renaissance der Utopie. Zukunftsfiguren des 21. Jahrhunderts. Frankfurt a.M.
Meisig, Konrad (2007): „Buddhistische Utopien“. In: Sitter-Liver, Beat (Hg.) Utopie heute II. Zur aktuellen Bedeutung, Funktion und Kritik des utopischen Denkens und Vorstellens. Stuttgart, S. 367-384.
Nida-Rümelin, Julian, & Klaus Kufeld (Hg.) (2011): Die Gegenwart der Utopie. Zeitkritik und Denkwende. Freiburg i.Br.
Muraca, Barbara (2015): Gut leben. Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums. Bonn.
Nassehi, Armin (1996): „Keine Zeit für Utopien. Über das Verschwinden utopischer Gehalte aus modernen Zeitsemantiken“. In: Eickelpasch, Rolf, & Armin Nassehi (Hg.): Utopie und Moderne. Frankfurt a.M., S. 242-286.
Nassehi, Armin (2008): Die Zeit der Gesellschaft. Auf dem Weg zu einer soziologischen Theorie der Zeit. Wiesbaden.
Negt, Oskar (2012): Nur noch Utopien sind realistisch. Politische Interventionen. Göttingen.
Nelson, Alondra A. (2002): „Introduction: Future Texts“. In: Social Text, Bd. 20, Nr. 2, S. 1-15 (https://doi.org/10.1215/01642472-20-2_71-1).
Neupert-Doppler, Alexander (2018): (Hg.): Konkrete Utopien. Unsere Alternativen zum Nationalismus. Stuttgart.
Neusüss, Arnhelm (Hg.) (1986): Utopie. Begriff und Phänomen des Utopischen. Frankfurt a.M.
Neusüss, Arnhelm (1986a [1968]) Schwierigkeiten einer Soziologie des utopischen Denkens. In: Neusüss 1986, S. 13-112.
Pohlmann, Friedrich (2005): „Sind Utopien ‚emanzipatorisch‘? Anmerkungen zu einem fragwürdigen Utopiebegriff“. In: Erwägen Wissen Ethik, Bd. 16, Nr. 3, S. 322-324.
Popper, Karl (1986 [1947]): „Utopie und Gewalt“. In: Neusüss 1986, S. 313-326.
Popper, Karl (1992 [1945]): Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. Bd. I: Der Zauber Platons. Tübingen.
Pordzik, Ralph (2001): The Quest for Postcolonial Utopia. An Introduction to the Utopian Novel in the New English Literatures. New York, US-NY.
Reckwitz, Andreas (2018): Das Ende der Illusion. Politik, Ökonomie und Kultur in der Spätmoderne. Frankfurt a.M.
Rosa, Hartmut (2017): „Kapitalismus als Dynamisierungsspirale – Soziologie als Gesellschaftskritik“. In: Dörre, Klaus u.a. (Hg.) Soziologie Kapitalismus Kritik. Eine Debatte. Frankfurt a.M., S. 87-125.
Saage, Richard (1990): „Das Ende der politischen Utopie?“ In: Saage, Richard (Hg.) Das Ende der politischen Utopie? Frankfurt a.M., S. 13-25.
Saage, Richard (1991): Politische Utopien der Neuzeit. Darmstadt.
Saage, Richard (Hg.) (1992): Hat die politische Utopie eine Zukunft? Darmstadt.
Saage, Richard (1992a): „Vorwort“. In: Saage 1992, S. vii-xii.
Saage, Richard (1992b): „Reflexionen über die Zukunft der politischen Utopie“. In: Saage 1992, S. 152-165.
Saage, Richard (2001): Utopische Profile. Bd. I: Renaissance und Reformation. Münster.
Saage, Richard (2002a): Utopische Profile. Bd. II: Aufklärung und Absolutismus. Münster.
Saage, Richard (2002b): Utopische Profile. Bd. III: Industrielle Revolution und Technischer Staat im 19. Jahrhundert. Münster.
Saage, Richard (2003): Utopische Profile. Bd. IV: Widersprüche und Synthesen des 20. Jahrhunderts. Münster.
Saage, Richard (2005a): „Plädoyer für den klassischen Utopiebegriff“. In: Erwägen Wissen Ethik, Bd. 16, Nr. 3, S. 291-298.
Saage, Richard (2005b): „Replik. Anmerkungen zur Kritik an meinem Plädoyer für das klassische Utopiemuster“. In: Erwägen Wissen Ethik, Bd. 16, Nr. 3, S. 345-355.
Saage, Richard (Hg.) (2006): Utopisches Denken im historischen Prozess. Materialien zur Utopieforschung. Münster
Saage, Richard (2006a): „Wie zukunftsfähig ist der klassische Utopiebegriff?“ In: Saage 2006, S. 79-94.
Saage, Richard (2006b): „War Hitler ein Utopist?“ In: Saage 2006, S. 203-216.
Saage, Richard (2008): Utopieforschung. Bd. II: An der Schwelle des 21. Jahrhunderts. Münster.
Sargent, Lyman Tower (2010): „Colonial and Postcolonial Utopias“. In: Claeys 2010, S. 200-222 (https://doi.org/10.1017/CCOL9780521886659.009).
Sargisson, Lisa, & Lyman Tower Sargent (2017): „Lived Utopianism. Everyday Life and Intentional Communities“. In: Communal Societies, Bd. 37, Nr. 1, S. 1-23.
Sarr, Felwine (2019): Afrotopia. Berlin (https://doi.org/10.5749/j.ctv105bb1g).
Schölderle, Thomas (2011): Utopia und Utopie. Thomas Morus, die Geschichte der Utopie und die Kontroverse um ihren Begriff. Baden-Baden (https://doi.org/10.5771/9783845229331).
Sitter-Liver, Beat (Hg.) (2007): Utopie heute. Zur aktuellen Bedeutung, Funktion und Kritik des utopischen Denkens und Vorstellens. Bd. 1, Freiburg. i.Br.
Swyngedouw, Marc & Gilles Ivaldi (2001): „The Extreme Right Utopia in Belgium and France. The Ideology of the Flemish Vlaams Blok and the French Front National“. In: West European Politics, Bd. 24, Nr. 3, S. 1-22 (https://doi.org/10.1080/01402380108425450).
Voßkamp, Wilhelm (2013): „Möglichkeitsdenken: Utopie und Dystopie in der Gegenwart. Eine Einleitung“. In: Voßkamp, Wilhelm; Günter Blamberger & Martin Roussel (Hg.): Möglichkeitsdenken: Utopie und Dystopie in der Gegenwart. München & Paderborn, S. 13-33 (https://doi.org/10.30965/9783846755549_003).
Wendt, Björn (2018): Nachhaltigkeit als Utopie. Zur Zukunft der sozial-ökologischen Bewegung. Frankfurt a.M.
Wendt, Björn (2021): „Utopien, Dystopien und Soziologien der Nachhaltigkeit. Grundrisse eines Forschungsprogramms und Mehrebenenmodells“. In: SONA – Netzwerk Soziologie der Nachhaltigkeit (Hg.): Soziologie der Nachhaltigkeit. Bielefeld, S. 155-183 (https://doi.org/10.1515/9783839451991-007).
Wendt, Björn (2022a): „Katastrophen, Dystopien, Utopien. Von der utopischen Methode zum utopischen Realismus der Weltrisikogesellschaft: Ulrich Becks kosmopolitische Soziologie im Lichte der Utopieforschung“. In: Römer, Oliver; Clemens Boehncke & Markus Holzinger (Hg.): Soziologische Phantasie und kosmopolitisches Gemeinwesen. Perspektiven einer Weiterführung der Soziologie Ulrich Becks. Baden-Baden, S. 272-308 (https://doi.org/10.5771/9783845288376-272).
Wendt, Björn (2022b): „Zwischen Kollaps und Ökodiktatur. Wissenssoziologische Beobachtungen zu den Dystopien des aktuellen Klimadiskurses“. In: Betz & Bosančić 2021, S. 133-157.
Wright, Erik O. (2010): Envisioning Real Utopias. London, UK.
Wright, Erik O. (2017): Reale Utopien. Wege aus dem Kapitalismus. Frankfurt a.M.
Anschrift der Autorin: Anschrift des Autors:
Antje Daniel Björn Wendt
antje.daniel@univie.ac.at bjoern.wendt@uni-muenster.de
Dieser Beitrag wurde im „double-blind peer-review“-Verfahren begutachtet.
https://doi.org/10.3224/peripherie.v45i1.02
[1] Mannheim 1985 [1929]; Bloch & Adorno 1985 [1964]; Bloch 1980 [1974]; Habermas 1984.
[2] Der Slogan „There is no alternative“, kurz TINA, wurde in den 1980er Jahren durch die britische Premierministerin Margaret Thatcher geprägt, um ihre neoliberal-konservative Politik des Staats und Gesellschaftsumbaus zu legitimieren und deren Alternativlosigkeit darzustellen.
[3] Neusüss 1986a [1968]; Hölscher 1996; Saage 2005a, 2005b; Schölderle 2011.
[4] Mit dieser Unterscheidung beziehen wir uns ausschließlich auf Sozialutopien, die eine Vorstellung einer sozial gerechten Gesellschaft in unterschiedlicher Ausdifferenzierung entwerfen. Nicht berücksichtigt sind jene sogenannten Ich-Utopien, welche sich lediglich auf das Selbst beziehen und nicht im gesellschaftlichen Zusammenhang gedacht werden.
[5] Ähnlich Ruth Levitas’ Ansatz einer Imaginary Reconstitution of Society (IROS): Utopie sei für die Soziologie selbst eine Möglichkeit, die Unzufriedenheit in der Gegenwart zu analysieren und Alternativen durch mögliche Zukunftsszenarien zu entwickeln (Levitas 2013).
[6] In diesem Sinne könnte etwa individuelle, transhumanistische, technikeuphorische oder hedonistische „Ich-Utopien“, die etwa auch „auf die Optimierung des Selbst, des eigenen Körpers und somit der jeweiligen Eigenleistung“ (Daniel & Klapeer 2019: 9) fokussieren, in den Gegenstandsbereich der Utopie-Forschung fallen.
[7] Englischer Originalwortlaut: „Utopia and utopianism are often perceived to be primarily western constructs – western dreams of a better world, an ideal existence or a fantastic future. This is undoubtedly due to the fact that the definition, design and development of utopian literatures and theories have emerged from western examples of the genre and practice.“ Übersetzung aller fremdsprachigen Zitate durch die Autor*innen.
[8] Zu den wenigen Ausnahmen s. Daniel 2022.
[9] Englischer Originalwortlaut: „The significance of African images of the future is that they are embedded in a past in a way that transforms the present.“
[10] S. hierzu etwa Sitter-Liver 2007; Nida-Rümelin & Kufeld 2011; Neupert-Doppler 2018; Görgen & Wendt 2020; vgl. den Beitrag von Alexander Neupert-Doppler in diesem Heft S. 106ff.



