Frauenfriedensbewegung in der BRD nach 1945

Während unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg scheinbar ein parteienübergreifender Konsens gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands bestand, begann die Bundesrepublik in den 1950er Jahren mit ihrer Aufrüstung. Widerstand dagegen kam vor allem von friedensbewegten Frauen, die unter dem Eindruck zweier zerstörerischer Weltkriege standen. Gisela Notz zeichnet die Genese und Entwicklung der bundesdeutschen Frauenfriedensbewegungen nach und erinnert an ihre Aktualität.

In den letzten beiden Jahren treibt mich vor allem die Frage um, warum die Menschen aus der Geschichte nicht lernen. Warum haben sie aus den Erfahrungen der beiden großen Weltkriege mit den vielen Verlusten keine Erkenntnisse gezogen? Warum herrscht - auch bei weiten Teilen der Feministinnen - die Ansicht vor, man könnte, indem man Bomben auf ein Land wirft, Konflikte lösen? Wenn die Menschen daraus gelernt hätten, gäbe es keine Kriege mehr. Jeweils nach den großen Kriegen waren es vor allem Frauen, die "Nie wieder Krieg" auf ihre Transparente schrieben. Beinahe vergessen sind die Frauen-Friedensbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Ihre pazifistischen Grundpositionen sind von bleibender Aktualität.

Wie kam es zur Nachkriegsfriedens-Bewegung?

Nach dem Zweiten Weltkrieg sind CDU und CSU 1949 bei der ersten Bundestagswahl in der neu gegründeten Bundesrepublik als Sieger hervorgegangen. Bundeskanzler wurde Konrad Adenauer (1876-1967, CDU), der zugleich Vorsitzender der CDU war und sie binnen weniger Jahre zur stärksten Partei in Westdeutschland machte.

Viele Männer und Frauen des weithin zerstörten Deutschlands wollten gar nicht glauben, dass es sich bei den unmissverständlichen Äußerungen der Politiker, darunter auch Konrad Adenauers, Deutschland wolle nie wieder Krieg und die deutsche Wehrmacht solle der Vergangenheit angehören, lediglich um Lippenbekenntnisse gehandelt hatte. Adenauer hatte noch 1946 - vor Gründung der Bundesrepublik - unmissverständlich geäußert: "Wir sind einverstanden damit, daß wir völlig abgerüstet werden, daß unsere reine Kriegsindustrie zerstört wird, und dass wir nach beiden Richtungen hin einer langen Kontrolle unterworfen werden. Ja, wir wollen noch weiter gehen: ich glaube, dass die Mehrheit des deutschen Volkes damit einverstanden sein würde, wenn wir wie die Schweiz völkerrechtlich neutralisiert würden".1 Auch Bundespräsident Theodor Heuss (1884-1963, FDP) hatte in einem Interview betont, dass er sich, "selbst wenn die Alliierten die Schaffung einer deutschen Wehrmacht vorschlagen würden"2, dagegen wehren würde. Politiker aller Parteien - selbst Franz Josef Strauß (1915-1988, CSU) - sprachen sich gegen die Wiederbewaffnung aus. Die Bevölkerung wähnte sich sicher. Als 1950 nach Beginn des Koreakrieges die Parolen über eine Gefahr aus dem Osten zunahmen, vor der sich auch die neugegründete Bundesrepublik angeblich schützen müsse und als bekannt wurde, dass Bundeskanzler Adenauer die Wiederbewaffnung für die Bundesrepublik vorbereiten ließ, wuchs die Angst, dass eine Aufrüstung der Bundesrepublik die Gefahr eines erneuten Krieges beinhalten und die Wiedervereinigung der seit 1949 getrennten beiden deutschen Staaten verhindern würde.3

Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB)

In Westdeutschland schrieben viele Frauen leidenschaftliche Protestbriefe an den Bundeskanzler gegen die Remilitarisierung der Bundesrepublik, für eine friedliche Verständigung der Staaten, für die Aussöhnung mit dem Osten und die Wiedervereinigung. Sie wurden entweder gar nicht oder lediglich von der Kanzlei beantwortet. Das bestärkte die Erkenntnis, dass es an der Zeit sei, sich mit Gleichgesinnten zu solidarisieren. Eine der zentralen Aktivistinnen, die 1951 westdeutsche Frauen zu einem Frauenfriedenskongress gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik mobilisierten, war Klara Marie Faßbinder (1890-1974). Die Katholikin und einstmals glühende Nationalistin war durch die Brutalität des Ersten Weltkrieges, den sie - indem sie den Soldaten an der Front im Dörfchen Mondgon bei Sedan freiwillig und voller Überzeugung von der Überlegenheit Deutschlands "Vaterländischen Unterricht" erteilte - hautnah erlebt hatte, zur überzeugten Pazifistin geworden.4 Ihr Engagement für die Aussöhnung mit dem "Erbfeind" Frankreich brachte sie mit der Machtübergabe an die Nazis in Schwierigkeiten. Nach dem Anschluss des Saarlandes an das Deutsche Reich wurde sie aus dem Schuldienst entlassen. Mit Hilfe von Übersetzungen, Privatunterricht und Nachhilfestunden überlebte sie das Nazi-Regime und den Zweiten Weltkrieg.

Frauen und Mütter für den Frieden

Der gemeinsame Wille, dafür zu arbeiten, dass solche Zeiten der Vergangenheit angehören, führte dazu, dass sich am 14. Oktober 1951 fast 1.000 Teilnehmerinnen zum "Kongress der Frauen und Mütter für den Frieden" in Velbert, einer Stadt in NRW, zusammenfanden. Faßbinder, die - da sie nicht belastet war - zu dieser Zeit Professorin für Geschichte an der Pädagogischen Akademie Bonn war, hielt auf dem Kongress ein beeindruckendes Referat über die Notwendigkeit der Erziehung zum Frieden, das, wie sie selbst sagte, richtungsweisend für die Zukunft sein sollte.

Im Anschluss an den Kongress wurde die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB) gegründet, die eines der wichtigsten über- und außerparteilichen Organe des Frauenprotests gegen die Wiederbewaffnung der BRD wurde. Faßbinder wurde zur Vorsitzenden gewählt. In ihrer Gründungserklärung verdeutlichten die Frauen ihren Standpunkt: Die WFFB

"umfaßt Frauen verschiedenen Standes und verschiedener Berufe, verschiedener innenpolitischer Auffassungen, verschiedener Weltanschauungen und religiöser Richtungen. Sie will in allen Frauen das Bewußtsein ihrer Verantwortung für die Gestaltung des öffentlichen Lebens wecken, damit sie gemeinsam arbeiten für die Wiederherstellung der Einheit unseres Vaterlandes, für Abrüstung bei uns und in der Welt, für die Freihaltung unseres Bodens von atomaren Waffen, einerlei, wer sie besitzt und wo sie hergestellt sind, für eine Verständigung unter den Völkern trotz ihrer Verschiedenheiten. Sie will den Frieden in der Welt, ohne den auf die Dauer kein leibliches, geistiges und seelisches Wohlergehen unter den Menschen herrschen kann."5

Im Mai 1952 erschien erstmals die Monatszeitschrift Frau und Frieden als Organ der WFFB.

Auch Frauen, die niemals einer Frauenbewegung angehört hatten und die sich vorher auch keiner Frauengruppe nähern wollten, waren nun der Überzeugung, dass es Frauen sein müssen, die vor allem Widerstand leisten. Einige warfen sich wohl auch selbst vor, dass sie viel zu lange geschwiegen hatten. Sie wollten ihr "unpolitisches" Verhalten nicht fortsetzen und sie konnten nicht verstehen, dass (nicht nur) Parlamentarierinnen die Politik Adenauers und seiner Anhänger unterstützten. In ausdrücklichem Bezug auf Bertha von Suttner, die bereits 1889 das Buch Die Waffen nieder!6 geschrieben hatte und unter dem Motto "Wir sind die Hüterinnen, Wachen ist unser Auftrag, unser Amt ist der Friede" war es das Ziel der WFFB, der Stimme der Frauen als "Bewahrerinnen des Lebens und des Friedens" öffentlich Gehör zu verschaffen.7 Viele Mitglieder hatten aus den eigenen Erlebnissen zweier Weltkriege die Erkenntnis gewonnen, dass alle Kraft aufgewendet werden muss, um weitere Kriege zu verhindern und einer Wiederbewaffnung entgegenzutreten. Sie organisierten Friedenstreffen, bemühten sich um eine Vernetzung der WFFB-Aktivitäten mit der internationalen Friedensbewegung und versuchten auf zahlreichen internationalen Reisen den Gedanken der Verständigung und Versöhnung voranzubringen. Die WFFB arbeitete mit der am 28. April 1915, mitten im Ersten Weltkrieg in Den Haag gegründeten Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) und anderen Organisationen, deren Programme frauen- und friedenspolitische Anliegen verknüpften, zusammen.8

Auf Einladung des Antifaschistischen Frauenkomitees Moskau reiste die WFFB 1956 mit sechs Frauen, einer IFFF-Delegierten und einer des Demokratischen Frauenbunds Deutschlands (DFD) aus der DDR nach Moskau. Sie wollte angesichts des Rüstungswettlaufs in den friedenspolitischen Dialog mit den Frauenverbänden der UdSSR treten. Die Frauen waren davon überzeugt, dass nur eine Verständigung zwischen Ost und West den Frieden sichern konnte. Eine solche Delegation erregte Aufsehen, denn es war mitten im "Kalten Krieg".

Diffamierung als kommunistische Tarnorganisation

Die friedenspolitischen Netzwerke von WFFB und IFFF reichten in die USA, nach England, nach Frankreich, in die Sowjetunion und nach Vietnam. Durch die weltanschauliche und politische Offenheit, die Distanzierung vom Denken in politischen Blöcken und die Kontakte zu Frauengruppen in andere, auch kommunistische und sozialistische Länder sahen sich die Mitglieder der WFFB immer wieder dem Vorwurf ausgesetzt, kommunistisch unterwandert oder gar eine kommunistische Tarnorganisation zu sein. Sie wurden vom Verfassungsschutz beobachtet, polizeilich überwacht, ihre Häuser und Wohnungen durchsucht.9 In Rheinland-Pfalz, wo die WFFB verboten wurde, musste das Verbot nach einem viereinhalbjährigen Prozess gegen das Land aufgehoben und die WFFB rehabilitiert werden. Klara Marie Faßbinder, die selbst unter Diskriminierungen zu leiden hatte, schrieb dazu in ihrer Autobiografie: Sie habe "versucht, die Verleumdungen als ›Tarnorganisation‹, ›östlich gesteuert und finanziert‹, zu widerlegen. Diese ist ein Produkt der merkwürdigen Geisteshaltung in der Bundesrepublik, als ob es undenkbar sei, daß irgendein biederer Bundesbürger einen selbständigen politischen Gedanken haben könne. Entweder muß er ihn von Adenauer oder von Ulbricht entliehen haben!"10 Die politische Verfolgung von Klara Marie Faßbinder selbst liest sich wie eine Kriminalgeschichte.11 In ihrem Bemühen um die deutsche Wiedervereinigung und die Heimkehr der Kriegsgefangenen wollte sie ihre Kontakte zu Politikern aus der DDR und der Sowjetunion nicht aufgeben. Sie dachte immer wieder, sich durch die Beteuerungen, dass sie eine stets gläubige Christin gewesen sei, vom Verdacht des Kommunismus und der Finanzierung von kommunistischer Seite freihalten zu können. Aber auch von ChristInnen wurde ihr nicht selten raffinierte Tarnung vorgeworfen. Wenn sie nicht wegen ihrer "Ostkontakte" diffamiert wurde, dann weil sie sich "als Zugpferd für böse Absichten" ausnutzen ließ.12 Also entweder selbst böswillig oder naiv genug, um sich für böswillige Absichten missbrauchen zu lassen. Eigenes Denken wurde auch ihr nicht zugetraut. Sie selbst sagte auf die Frage nach ihrer politischen Haltung: "Ich bin keine Kommunistin. […] Ich bin aber auch keine sture Antikommunistin. Ich halte den undurchdachten Antikommunismus für eine der größten Torheiten unserer Zeit".13 für die Bonner Universität war sie durch ihre Aktivitäten nicht mehr tragbar. Die Machthabenden entwickelten Ängste, die Professorin könne den StudentInnen ihre Vorstellungen von einer friedlichen Welt nahebringen. Nach ihrer Suspendierung widmete sie sich ganz der Friedenspolitik. Schwer, mitunter unmöglich war es, die zunehmende Ost-West-Konfrontation, die sich im Zeichen des "Kalten Kriegs" verschärfte, zu überwinden. Staatliche Repressionen waren immer wieder die Antwort.

Die Themen änderten sich

Die Tatsache, dass Ende 1953 die ersten nuklearen Raketen aus den USA in Westdeutschland eintrafen, die Änderung des Grundgesetzes, die Verabschiedung der Wehrgesetze und die damit verbundene Wiederbewaffnung Deutschlands sowie die Einführung der Wehrpflicht für alle jungen Männer im März 1956 waren harte Schläge für die Frauenfriedensbewegung. In den folgenden Jahren waren es die atomare Aufrüstung und das Wett- und Nachrüsten, die Unterstützung der kriegsdienstverweigernden Söhne und anderer junger Männer, die ersehnte Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und der Krieg in Vietnam, die die Arbeit der WFFB in Anspruch nahmen. Als es im Frühjahr 1958 im Bundestag um die atomare Aufrüstung ging, hatte die Kampagne Kampf dem Atomtod auf breiter Ebene mobilisiert und auch der WFFB forderte die Bundesregierung auf, das atomare Wettrüsten nicht mitzumachen und eine Politik der Entspannung zu betreiben. Hunderttausende von Menschen gingen für diese Forderungen auf die Straße. Trotz der vielen Proteste stimmte der Bundestag im März 1958 der atomaren Aufrüstung zu. Nun beteiligte sich der WFFB an den Ostermärschen, die seit dem 1. April 1960 an verschiedenen Orten stattfanden. Statt der Wiedervereinigung kam es im August 1961 zum Bau der Berliner Mauer. 1965 organisierte die WFFB in der BRD die erste große Vietnamveranstaltung. An Themen fehlte es also nicht.

Dennoch löste sich die WFFB, nachdem 1974 die Zeitschrift Frau und Frieden eingestellt worden war, auf. Während der Phase der Entspannungspolitik in Europa schien die Friedensfrage keine Rolle mehr zu spielen.

Einige der ehemaligen WFFB-Mitglieder zogen sich aus Altersgründen zurück, einige jüngere gründeten 1976 gemeinsam mit Frauen der neuen Frauenbewegung und Gewerkschafterinnen die Demokratische Frauen-Initiative (DFI) und manifestierten damit ihre Vorstellungen einer neuen außerparlamentarischen, aber links-politischen Frauenfriedensorganisation, die die Friedenspolitik nicht als einzige verbindende Klammer hatte, sondern für viele relevante frauenpolitische Themen und für junge Frauen offen war.

Ohne die Organisationen, die, wie die WFFB und die IFFF, in den schwierigen Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg und während der Frühzeit des "Kalten Krieges" die Tradition der deutschen Frauenbewegung fortgeführt haben, hätte eine neue Frauenbewegung ab 1968 wesentlich schlechtere Startchancen gehabt. Als Teil der Nachkriegs-Friedensbewegung kann die WFFB als Bindeglied zwischen der Alten und der Neuen Frauenbewegung bezeichnet werden, auch wenn sie von den meisten Feministinnen später nicht mehr als solche erkannt wurde.

Die Themen haben sich nicht erledigt - Frauen für den Frieden

Die Themen der Frauenfriedensbewegung hatten sich auch nach Auflösung der WFFB nicht erübrigt. IFFF und DFI entwickelten gemeinsam mit zahlreichen anderen Frauen- und Friedensorganisationen Aktivitäten gegen den NATO-Nachrüstungsbeschluss vom Dezember 1979. Sie trugen auch die Kampagne Frauen in die Bundeswehr - wir sagen Nein! mit, die der Absicht Frauen in die Bundeswehr einzuziehen entgegentreten wollte.14

Während der letzten Phase des "Kalten Krieges" (1979 bis 1989) verhärteten sich die Fronten zwischen USA und Sowjetunion. Die Sowjetunion marschierte in Afghanistan ein. Die Bevölkerung zweifelte angesichts des möglichen Zerstörungspotentials an der Taktik der Abschreckung. Anfang der 1980er formierte sich die Frauen-Friedensbewegung gegen zunehmende Militarisierung und gegen die beabsichtigte Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa neu.

In Westberlin und der Bundesrepublik entstanden fast hundert neue Frauenfriedensgruppen, die viele Menschen auf die Straße brachten. Die Berliner Frauenzeitschrift Courage15 veranstaltete im Jahr 1979 einen Kongress gegen Atom und Militarismus, an dem etwa 800 Feministinnen sich kollektiv Wissen über die Nukleartechnologie aneigneten. Es folgte der Appell der Anstiftung der Frauen für Frieden vom 27. Februar 1980 sowie die Umweltfrauenkonferenz in Kopenhagen im Juni 1980. Ermuntert wurden die Frauen durch den Appell skandinavischer Frauen zur Abrüstung zwischen den Supermächten, die als autonome Frauen-Friedensgruppen eine Vielzahl von Aktionen und Kampagnen insbesondere gegen den atomaren Rüstungswettlauf in Ost und West initiierten. Es gab - auch im Zuge der bestehenden neuen Frauenbewegungen der 1970er Jahre in der BRD - ein Frauen-Plenum, das die Akademie der Künste in Berlin füllte. Es diente der Nachbereitung des Friedensmarsches Kopenhagen-Paris 1981. Weitere Friedensmärsche quer durch Europa folgten. Die Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981 stand unter dem Motto "Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen". Etwa 300.000 Menschen demonstrierten gegen den NATO-Doppelbeschluss. Petra Kelly (1947-1992) von Frauen für den Frieden zählte zu den Rednerinnen. Der Aufruf der Frauen Für ein Atomwaffenfreies Europa in Ost und West war Programm und Vision zugleich.

Eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der BRD erlebte Bonn am 10. Juni 1982, als Ronald Reagan, damals Präsident der USA, zum Nato-Gipfel gekommen war. Rund 400.000 friedensbewegte DemonstrantInnen, die gegen die Stationierung nuklearer Mittelstreckenraketen in Deutschland protestierten und für die "Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa" kämpften, waren schon da. Die DemonstrantInnen warnten unter dem Motto Aufstehen für den Frieden vor der Gefahr eines erneuten Rüstungswettlaufs zwischen den Supermächten und forderten die Rücknahme des Nato-Doppelbeschlusses.

Trotz dieser Proteste billigte der Bundestag nach einem Regierungswechsel im Oktober 1982 unter Führung der dann regierenden CDU/FDP-Koalition mit knapper Mehrheit die Stationierung der Pershing-II-Raketen in der BRD. Am 22. Oktober 1983 kam es zu einem Höhepunkt des Protestes: In Hamburg, West-Berlin und anderen Großstädten fanden Demonstrationen statt. Insgesamt beteiligten sich bundesweit etwa 1,3 Millionen Menschen. Die Hauptkundgebung fand im Bonner Hofgarten statt. Dort waren rund 200.000 Menschen versammelt. 16 RednerInnen, darunter Petra Kelly und Friedensfrauen aus Großbritannien und Italien, wandten sich gegen die Stationierung der Raketen. Trotz aller Proteste erreichte die Friedensbewegung ihr Ziel nicht: Als die Abrüstungsverhandlungen in Genf scheiterten, stimmte der Bundestag im November 1983 mit den Stimmen der Union und der FDP für die Stationierung der US-Raketen. Es gab noch viele andere zum Teil fantasievolle Proteste und Aktionen. Das ist nun alles schon Geschichte.

Die aktuellen Kriege zeigen, dass die Forderungen der Frauenfriedensbewegung immer noch aktuell sind, weil wir von einer gerechten demokratischen Weltgesellschaft, in der es keine Kriege geben muss, weiter denn je entfernt sind.

Anmerkungen

1) Konrad Adenauer in der Rheinischen Post vom 30. Dezember 1946.

2) Zitiert nach: Ingeborg Küster / Elly Steinmann 1990: "Die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB)", in: Florence Hervè (Hg.): Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Köln: 224-234.

3) Vgl. Gisela Notz 2015: "Klara Marie Faßbinder (1890-1974) und die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB)", in: Franziska Dunkel; Corinna Schneider (Hg.): Frauen und Frieden? Zuschreibungen - Kämpfe - Verhinderungen, Opladen, Berlin & Toronto, 87-103; hier: 92.

4) Vgl. Gisela Notz 2001: "Klara Marie Fassbinder (1890-1974) and Women‘s Peace Activities in the 1950s and 1960s", in: Journal of Women‘s History 13.3: 98-123.

5) Aus dem Faltblatt Was ist, was will, was tut die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung?, o .J.: 2.

6) Vgl. Bertha von Suttner 1889: Die Waffen nieder!, Dresden.

7) Vgl. Klara Marie Faßbinder 1956: "Fünf Jahre Velbert", in: Frau und Frieden, Nr. 10: 3.

8) Die IFFF - international WILPF - besteht heute noch: https://www.wilpf.de (Zugriff: 14.1.2024).

9) Vgl. auch Gisela Notz 2023: "Die Frauenfriedensbewegung im Kalten Krieg", in: Lunapark21, H. 61: 21-23.

10) Klara Marie Faßbinder 1961: Begegnungen und Entscheidungen, Darmstadt: 213.

11) Vgl. Gisela Notz 2008: "Das friedenspolitische Engagement von Klara Marie Faßbinder (1890-1974)", in: Detlev Bald / Wolfgang Wette (Hg.): Alternativen zur Wiederbewaffnung: 155-169.

12) Vgl. Gisela Notz 1990: "›Unser Fräulein Doktor …, die hat uns immer die Wahrheit gesagt‹", in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Jg. 13, Nr. 27: 161-171.

13) Ebd.: 167.

14) Seit 2001 dürfen Frauen nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes aus dem Jahr 2000 uneingeschränkt in allen militärischen Laufbahnen dienen. Neben rund 39 Prozent der zivilen Beschäftigten kommt heute etwa jede fünfte Bewerbung für den freiwilligen Wehrdienst und jede dritte für die Offizierslaufbahn von jungen Frauen. "Dieser Trend soll sich fortsetzen. Leistung entscheidet - nicht das Geschlecht", jubelt die Bundeswehr und sieht sich damit als Vorreiterin der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern; vgl. https://www.bundeswehr.de/de/ueber-die-bundeswehr/selbstverstaendnis-bundeswehr/chancengerechtigkeit-bundeswehr/frauen-bundeswehr (Zugriff: 14.1.2024).

15) Die Ausgaben der Courage von 1976 bis 1984 wurden digitalisiert und können online gelesen werden: https://couragefrauen zeitung.de/wie-alles-anfing#f1e950a5-61 cc-46af-8551-d1e9c1659fd3 (Zugriff: 23.1.2024).

Gisela Notz lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Historikerin und Sozialwissenschaftlerin und beschäftigt sich u.a. mit der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung. Sie gibt den Wandkalender "Wegbereiterinnen" heraus und ist Mitglied im Beirat des BdWi.