Die Umweltfrage durch Armut und Askese lösen?

Dass die Umweltfrage gelöst werden muss, bestreitet mittlerweile niemand mehr. Aber mit welchen Folgen für den allgemeinen Lebensstandard? Und weiter: Wer soll die Frage lösen? Die unsichtbare Hand, die nun grün wird, oder ist Politik nötig, die sich gegen das unternehmerische Interesse durchsetzt? 

Der Übergang zu einer umweltorientierten Produktion hat zwei Aspekte: Der eine Aspekt ist die Frage der Kapitalentwertung. Sie ist erforderlich, weil bestimmte Produkte nicht mehr hergestellt und bestimmte Produktionsverfahren nicht mehr angewendet werden sollen. Das macht das hierfür bislang verwendete Realkapital unbrauchbar und wertlos. Ersetzt wird dieses Kapital im Rahmen von Umwelt-Investitionen. Mit diesen Investitionen wird ein Realkapital geschaffen, das andere Produktionsverfahren oder die Herstellung anderer Produkte ermöglicht. Der andere Aspekt ist, dass sich bei einer möglichst umweltgerechten Produktion die Struktur des Bruttoinlandsproduktes verändern muss. Denn bei einem herkömmlichen Konsumschema ist trotz aller denkbaren technischen Verbesserungen die Umweltfrage noch nicht so gut wie möglich angegangen. Deshalb wird sich die Zusammensetzung der Produktion zugunsten von solchen Leistungen verändern müssen, bei denen wenig Rohstoffe verbraucht werden und bei deren Herstellung wenig Realkapital eingesetzt wird. (Als Beispiel kann mehr öffentlicher Dienst in den Bereichen Erziehung, Bildung, Soziales, Kultur dienen.) Eine solche Strukturveränderung bedeutet nicht zwingend ein Sinken des Bruttoinlandsproduktes. Eine ernsthafte Umweltpolitik ist also nicht gegen Wachstum per se gerichtet. Sie setzt vielmehr auf qualitatives Wachstum.

Entscheidend ist nun, wie sich angesichts dieser beiden Aspekte die Investitionen in der längeren Frist entwickeln werden. Umweltinvestitionen beschleunigen die Investitionstätigkeit, die veränderte Struktur des Bruttoinlandsproduktes dämpft sie. Wird die Umweltfrage ernsthaft angegangen, dann löst dies zunächst einen Investitionszyklus aus, der ganz traditionell das Wirtschaftswachstum erhöht und die Arbeitslosigkeit verringert.

Dieser Zyklus wird ebenso wenig wie die Kapitalentwertung, die ihn begleiten muss, das Ergebnis einer schöpferischen Zerstörung sein, wie sie Schumpeter bei der Durchsetzung des technischen Fortschrittes beschrieben hat. Auch nicht Adam Smith‘ unsichtbare Hand, nun ergänzt mit einer staatlichen Rahmensetzung zur grünen unsichtbaren Hand geworden, wird diese Aufgabe lösen, auch wenn sich viele Grüne hierfür begeistern. Eine Abgeordnetengruppe der Grünen bringt das so auf den Punkt: „Schon heute sorgen steigende Kosten auf den Rohstoff- und Energiemärkten dafür, dass die unsichtbare Hand des Marktes grün wird. Schöpferische Zerstörung überwindet ineffiziente und umweltschädliche Strukturen wie die zentralistische, auf Großkraftwerken beruhende Energieproduktion und ebnet den Weg zur Bewahrung der Schöpfung.“1 Beachtenswert ist die Kombination der drei Schlüsselbegriffe „schöpferische Zerstörung“, „unsichtbare grüne Hand“ und „Bewahrung der Schöpfung“. Die Schöpfung setzte den Schöpfer-Gott voraus. Dieser bedient sich nun der unsichtbaren grünen Hand, um sein Werk zu abzusichern: Die Kräfte des Marktes sind ein Werkzeug Gottes!

Dieser mythische Umgang mit der Umweltfrage wird angesichts der Wirklichkeit nicht weiterhelfen. Vielmehr ist die Kapitalentwertung politisch durchzusetzen und ebenfalls der technische Fortschritt, der eine umweltgerechtere Produktion, die Neuorganisation ganzer Gebrauchswertbereiche wie Verkehr oder Energieerzeugung ermöglicht. Die Umstrukturierung des Bruttosozialproduktes ist gleichfalls eine politische Angelegenheit. Mehr öffentlicher Dienst kann schließlich nicht vom Wirken grün geläuterter Marktkräfte erwartet werden. Die – richtige – Politik also muss sich durchsetzten. Wie schwer sie sich damit tut, zeigt die Atomkraft. Die Politik versteht sich nicht als Gegenpol der Privatwirtschaft; sie ist durchsetzt von der Wirtschaftslobby. Das macht politische Entscheidungen schwer, die das „Wohl der Allgemeinheit“ (so der Begriff des Enteignungsartikels 14 des Grundgesetzes) durchsetzen sollen. Das Godesberger Programm der SPD wollte diese Frage durch Enteignung von Unternehmen lösen. Damit sollte die Politik handlungsfähig werden.2 Für unsere Gegenwartsfragen ist dies sicherlich eine brauchbare Vorlage. Denn auch wenn das Godesberger Programm nicht sozialistisch ist, unter den vorherrschenden Bedingungen wäre es ein guter Anfang.

Sind die Bedingungen geschaffen, die Kapitalentwertung, Umweltinvestitionen und eine Umstrukturierung des Bruttosozialproduktes ermöglichen, dann tut sich eine weitere, entscheidende Frage auf, die in der öffentlichen Auseinandersetzung zu kurz kommt: Wie werden sich in der längeren Frist die Investitionen entwickeln – und mit welchen Folgen? Sicherlich kann zunächst mit einem kräftigen Investitionszyklus gerechnet werden – so wie wir ihn aus technischen Revolutionen kennen. Danach aber ist ungewiss, welcher Bestimmungsgrund für die Investitionen die Oberhand gewinnt. Wird der umweltbestimmte technische Fortschritt (zusammen mit den herkömmlichen Investitionsgründen, so technischer Fortschritt zur Steigerung der Arbeitsproduktivität) die Entwicklung beherrschen und eine dynamische Investitionstätigkeit ermöglichen – oder wird die Umstrukturierung des Bruttoinlandsproduktes (sie geht im Wesentlichen zu Lasten der traditionellen Fertigungsbereiche) als Bestimmungsgrund für die Investitionen überwiegen. Dies würde die Investitionen dämpfen. Diese Frage ist schwer zu beantworten. Es ist kaum vorauszusehen, welche technischen Neuerungen, welche Ersatzstoffe für knappe Rohstoffe entwickelt werden, welche Investitionsausgaben aus diesen Gründen ausgelöst werden.

Zu beachten ist allerdings, dass die Umweltfrage nicht der einzige bedeutende Bestimmungsgrund für die künftigen Investitionen ist. Zweierlei nämlich kommt hinzu: Der erreichte Industrialisierungsstand und das Bevölkerungswachstum.3 Zunächst zum Industrialisierungsstand. Der Anteil der Bruttoinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (die Investitionsquote) betrug 1980 in den neu industrialisierten Ländern Asiens 32 Prozent, in der Europäischen Union waren es 24 Prozent. 2010 haben diese asiatischen Länder eine Investitionsquote von 42 Prozent, die Europäische Union kommt auf 19 Prozent. Zu einem geringeren Teil erklärt sich dieser Unterschied mit den – im Vergleich zur EU – hohen Wachstumsraten der asiatischen Länder: Ein höheres Wachstum erfordert mehr Erweiterungsinvestitionen. Bedeutender aber für die Erklärung dieses Unterschieds ist, dass in Ländern, die dabei sind, sich zu industrialisieren, die Ausrüstung der Arbeit mit Realkapital wesentlich rascher steigt als in Ländern, die bereits einen hohen Industrialisierungsstand erreicht haben. Deswegen ist der Anteil der Investitionsgüter am gesamten Bruttoninlandsprodukt in den neu industrialisierten Ländern hoch. Die Investitionsquote wird also nicht nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit aus Umweltgründen sinken, sie sinkt auch, weil der erreichte Stand der Industrialisierung weniger Investitionen (in Form der Ausrüstung der Arbeit mit Realkapital) erforderlich macht. Ein weiterer Bestimmungsgrund für den Bedarf an Investitionsgütern ist das Bevölkerungswachstum. Sinkt die Einwohnerzahl und mit ihr die Erwerbsbevölkerung, dann müssen weniger Erwerbstätige mit Realkapital ausgerüstet werden. Das dämpft den Bedarf an Investitionsgütern.4 Soll also abgeschätzt werden, wie die künftige Wirtschaftentwicklung aussehen wird, welche Aufgaben die Politik erledigen muss, dann ist es zweckmäßig, bei der Investitionsfrage neben den Auswirkungen der Umweltpolitik die Einflüsse des Industrialisierungsstandes und der sinkenden Einwohnerzahl zu beachten.

Was tun, wenn bei einer ernsthaften Umweltpolitik und überdies bei einer sinkenden Einwohnerzahl und bei einem geringeren Investitionsgüterbedarf als Folge des erreichten Industrialisierungsstandes die Investitionen nur noch langsam steigen? Die Antwort ist einfach: Wenn der Konsum je Kopf konstant bleiben soll, dann kann die Arbeitszeit bei vollem Konsumausgleich (d. h. bei vollem Lohnausgleich) verringert werden. Verringert werden kann die Arbeitszeit um diejenigen Stunden, die nun nicht mehr zur Investitionsgüterproduktion benötigt werden. Stattdessen kann auch die Arbeitszeit je Kopf unverändert blieben. Dann können mehr Konsumgüter hergestellt werden. Um Umweltbelastung zu vermeiden, sollte es sich hierbei vor allem um öffentliche Dienstleistungen handeln. Sicherlich ist auch jede Kombination der beiden Lösungen möglich. Wird aber weder die Arbeitszeit verkürzt noch die sinkende Investitionsgüterproduktion durch eine steigende Konsumgüterproduktion ausgeglichen, dann wird die Arbeitslosigkeit steigen, weil es an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage fehlt. Das gilt nicht nur für die Zukunft. Der gegenwärtig sinkende Lebensstandard in den Industrieländern ist als Folge der sinkenden Einwohnerzahl und des Industrialisierungstandes so zu erklären. Umweltpolitik, wenn sie nicht begleitet wird von den genannten Maßnahmen, wird die Lage weiter verschlimmern. Dann wird die Lösung der Umweltfrage zur Massenaskese.

Damit ist klar, welche Aufgabe zu lösen ist, wenn wir die Umweltfrage nicht als verhärmte Büßer lösen wollen, sondern wenn wir die Möglichkeiten ausschöpfen, die die Entwicklung mit sich bringt. Gestellt ist die Verteilungsfrage. Denn soll die Arbeitszeit bei vollem Konsumausgleich verringert werden, müssen die Stundenlöhne steigen. Wenn es mehr Konsum sein soll, dann müssen bei mehr öffentlichem Konsum (Erziehungswesen, Soziales, Kultur) die Gewinnsteuern steigen. Soll es privater Konsum sein, müssen die Löhne steigen, damit genug Nachfrage am Markt ist. In jedem Fall aber richtet sich die Verteilungspolitik gegen den Gewinn, gegen das Interesse der Unternehmen, der Gewinnbezieher. Selbst also, wenn man, wie dies die Parlamentariergruppe der Grünen gefordert hat, die „Schöpfung bewahren will“, kommt man bei näherer Analyse und bei Beachtung des Interesses der Mehrheit auf den traditionellen Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zurück. Aber es geht nicht nur um den Verteilungskonflikt innerhalb des kapitalistischen Rahmens. Die Frage ist viel grundsätzlicher: Niedrige Investitionen, geht das überhaupt noch mit Kapitalismus? Wichtig ist hierbei, sich über den Zusammenhang von Investitionsgüternachfrage und Gewinnrealisierung im Klaren zu sein: Denn was als Gewinn erzielt werden kann, hängt ganz wesentlich von den Investitionsausgaben ab. Das ist der Kern der so genannten Cambridge-Gleichung und der Verteilungstheorie von Kaldor5. Etwas vereinfachend ist die Gedankenführung so: Unterstellt, die Arbeitenden konsumieren alles, was sie als Lohn erhalten, die Kapitalisten dagegen konsumieren nicht. Der Lohn ist damit gleich den Konsumausgaben insgesamt. Wenn nun in der Gesamtwirtschaft nur der Lohn der Vorperiode ausgegeben wird, besteht die Produktion in der laufenden Periode einzig aus Konsumgütern, oder, von der Einkommensseite her gesehen, einzig aus Lohn. Neuer Gewinn entsteht in der laufenden Periode erst dann, wenn die Unternehmen Investitionsgüter nachfragen. Die Produktion – und damit auch das gesamtwirtschaftliche Einkommen – steigt dann um den Betrag der nachgefragten Investitionsgüter an. Die Gewinne sind so hoch wie die unternehmerischen Investitionsausgaben. Damit, so Michal Kalecki, geben die Arbeiter aus, was sie einnehmen, die Kapitalisten dagegen nehmen ein, was sie ausgeben. Nun kann man sich eine kapitalistische Konsumgüterproduktion schwer ohne Gewinn vorstellen. Diese Schwierigkeit aber hilft weiter, die Perspektiven für einen Kapitalismus zu verstehen, der seine besten Zeiten hinter sich hat und auch seinen dynamischen Schlachtruf „Akkumuliert, akkumuliert! Das ist Moses und die Propheten!“ Denn wenn es bei einer ernsthaften Umweltpolitik und aus den anderen Gründen weniger zu investieren gibt, dann werden der Gewinn und damit die Profitrate niedrig ausfallen. Eine anhaltende Existenzkrise des Kapitalismus ist das Ergebnis – mit allem, was an Armut und politischen Fehlentwicklungen dazu gehört. Einige Unternehmen aber werden sich vor dieser Existenzkrise in Sicherheit bringen können: Das sind die großen Konzerne mit Wirtschaftsverbindungen in die neu industrialisierten Länder. Sie können mit ihren Produktionsstätten in Ländern mit hohen Investitionen und folglich einer hohen Profitrate und mit ihren Exporten in diese Länder gute Geschäfte machen. Indem sie ihre Produktion und ihre Geschäfte verlagern, können sie sich zurückversetzen in eine Zeit, in der der Kapitalismus eine historische Funktion hatte. Wie es unter diesen Bedingungen weitergeht mit den klassischen Industrieländern, ist im Einzelnen schwer abzuschätzen. Das Verarbeitende Gewerbe wird, soweit ihm nicht die Märkte der neu industrialisierten Länder offen stehen, wenig Rentabilität erwirtschaften können. Eine Zeitlang wurde viel Hoffnung darauf gesetzt, dass der Finanzsektor die Industrie ersetzen könnte. Das Schwierige aber ist – neben der äußerst risikoreichen Organisation dieses Sektors: Da, wo es einen neuen dynamischen Kapitalismus gibt, gibt es auch einen gut funktionierenden nationalen Finanzsektor – und es gibt ein verarbeitendes Gewerbe, das die Importe Zug um Zug durch heimische Produktion ersetzt. Das macht die Sache für den Kapitalismus der entwickelten Industrieländer nicht leichter: Einen dynamischen Kapitalismus wird es in diesen Ländern nicht mehr geben.

Wenn die Dinge so liegen, gibt es nur eine Lösung: Eine andere Verteilung zugunsten von mehr Freizeit, mehr öffentlichen Diensten. Und für all die, die mittlerweile arm geworden sind, mehr individuellen Konsum. Nicht zu kurz kommen sollte ein Aspekt der notwendigen Verteilungspolitik: Werden Energie und bestimmte Rohstoffe teurer, dann können manche lebensnotwendigen Waren nicht mehr nach der Zahlungsfähigkeit verteilt werden. Dann muss der Bedarf das Kriterium für die Zuteilung sein. Das kann der Markt nicht. Kurz und gut: Die Verteilung und die – wegen der niedrigen Investitionen – geringe Profitrate machen nicht zuletzt auch aus der Umweltfrage eine Systemfrage.6

 

1             Bündnis 90 Die Grünen, Bundestagsfraktion, Veranstaltungsdokumentation 20. November 2006 „Mehr Wert – Grüne Marktwirtschaft“. Trittin vertritt allerdings eine andere Meinung. Marktmechanismen sind in seinen Augen ungeeignet, um den notwendigen Wandel bei der Energieerzeugung und -nutzung sowie ökologische Gerechtigkeit zu befördern. (FAZ 2.7. 2007)

2             Im Programm heißt es: „Mit ihrer durch Kartelle und Verbände noch gesteigerten Macht gewinnen die führenden Männer der Großwirtschaft einen Einfluss auf Staat und Politik, der mit demokratischen Grundsätzen nicht vereinbar ist. Sie usurpieren Staatsgewalt. Wirtschaftliche Macht wird zu politischer Macht. (…) Die Bändigung der Macht der Großwirtschaft ist darum zentrale Aufgabe einer freiheitlichen Wirtschaftspolitik. Staat und Gesellschaft dürfen nicht zur Beute mächtiger Interessengruppen werden. (…) Das zentrale Problem heißt heute: Wirtschaftliche Macht. Wo mit anderen Mitteln eine gesunde Ordnung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse nicht gewährleistet werden kann, ist Gemeineigentum zweckmäßig und notwendig.“

3             Schui, H., Jenseits der Investitionsquote. Entwickelte Industrie, schrumpfende Bevölkerung, mehr Umweltschutz – geht das alles überhaupt mit dem Kapitalismus? in: Freitag Nr. 19, 12. Mai 2011

4             Keynes und Hansen haben diese Frage bereits zu Ende der 30er Jahre behandelt. Vgl. Keynes, J. M., Some economic consequences of a declining population, Eugenics Review, XXIX No.1, April 1937, Hansen, A. Economic Progress and declining Population Growth, The American Economic Review, Vol. XXIX, March 1939, No. 1.

5             Kaldor, N. Alternative Theories of Distribution, in: The Review of Economic Studies, Vol. 23, No.2, 1956

6             Schui, H. Umweltfrage, Vollbeschäftigung und Sozialstaat im Kapitalismus, in: derselbe, Gerechte Verteilung wagen, Hamburg 2009