Ein Megastaudammprojekt im Nordsudan und der lokale Widerstand gegen Vertreibungen
Keywords: displacement, Sudan, Merowe Dam Project, Manasir, resistance, development, Nile
Schlagwörter: Vertreibung, Merowe-Staudamm, Sudan, Manasir, Widerstand, Entwicklung, Nil
"Wir bleiben in unserem Land, wir gehen nicht weg. Lieber ertrinken wir, als wegzugehen und langsam in al-Mukabrab [Umsiedlungsgebiet] zu sterben", sagte mir Ahmad[1], ein junger Manasir-Bauer während meiner Forschung im Nordsudan. Zu dieser Zeit, im Juli 2008, hatte die Aufstauung des Nils durch den 50 km flussabwärts liegenden Merowe-Staudamm bereits zur Überflutung seines Dorfes am Ufer des Nils geführt. Mit seiner Familie und den anderen Dorfbewohner*innen hatte er notdürftige Unterkünfte auf höher liegenden Ebenen der angrenzenden Wüste errichtet. Im Laufe der kommenden Monate mussten er und seine Familie immer wieder vor dem steigenden Nil weiter in die Wüsten flüchten. Al-Mukabrab ist das staatliche Gebiet, das die damalige sudanesische Regierung zur Umsiedlung vorgesehen hatte. Gegen die Umsiedlung dorthin jedoch setzte sich die Mehrheit der Manasir zur Wehr. Ahmad zählt zu jenem Teil der Bauernschaft, der im Laufe der jahrelangen politischen Auseinandersetzungen mit der Dammverwaltung und Regierung eine alternative Vision der Umsiedlung entwarf: nämlich in unmittelbarer Nähe zum künftigen Stausee zu bleiben und zu leben. Der Stausee und seine Umgebung liegen im Bereich des traditionell als den Manasir zugehörig betrachteten Gebietes, das auch als "Dar al-Manasir -- Manasirland" bezeichnet wird.[2] Unter den Bäuerinnen und Bauern wurde diese alternative Vision als die "lokale Option" bekannt. Der von ihnen geforderte Bau von neuen Siedlungen (die "lokale Option") an den Rändern des künftigen Stausees wurde schließlich 2006 und 2007 durch die zentrale Regierung in einem Abkommen garantiert. Bevor die Siedlungen jedoch gebaut wurden und eine Umsiedlung dorthin hätte stattfinden können, wurde ein Großteil der bewohnten Dörfer durch die Aufstauung des Nils (2008-2009) überflutet.
Zwischen 2003 und 2009 setzte die damals herrschende sudanesische Regierung unter Omar al-Bashir den Bau des Großprojektes mit chinesischer, arabischer und deutscher Unterstützung um. Mit der Stromproduktion sollte der Merowe-Damm das Land elektrifizieren und laut der Regierung zur Entwicklung und "Renaissance" des Sudan führen (DIU 2010). Der Entwicklungsdiskurs der Regierung zielte darauf ab, islamistische Staatsideologien einer sudanesischen "Renaissance" zu kultivieren, die wiederum die Herrschaft städtischer Eliten und die Vertreibung der bäuerlichen Bevölkerung für den Fortschritt der Nation im Namen des Islams legitimieren sollten. Insgesamt mussten etwa 70.000 Menschen dem Merowe-Damm und seinem etwa 180 km langen Stausee weichen. Sie gehören drei ethnischen Gruppen an: den Shaiqiyya von Hamdab, den Shaiqiyya von Amri und den Manasir. Mit etwa 67 % der Umzusiedelnden (50.000 Menschen) stellen die Manasir den größten Anteil der drei Gruppen dar.
In der Umsetzung ihrer Entwicklungs- und Modernisierungsvision folgte die sudanesische Regierung der für die Ideologie des "high modernism" (Scott 1998) charakteristischen Weltsicht: Sie basiert auf einer Perspektive des Engineering, dem Glauben an die Möglichkeit, Natur und Gesellschaft durch Wissenschaft und Technik zu bändigen und zu transformieren. Diese Weltanschauung ist die gemeinsame Basis für transnationale "epistemische Gemeinschaften", bestehend aus Planer*innen, Ingenieur*innen, Politiker*innen und Wissenschaftler*innen, die "Megaprojekte" und ihnen inhärente Vertreibungen in der Praxis formen (Gellert & Lynch 2003: 15). In dem technisch inspirierten Planungsprozess von Dammbauten und Umsiedlung werden lokale Lebenswelten objektiviert und in simplifizierten Modellen dargestellt, die auf die langfristige Planung und Umsetzung eines vorgesehenen Zieles setzen. Politische Dynamiken werden dabei grundsätzlich ausgeschlossen. Menschen lassen sich jedoch nicht einfach versetzen, sondern agieren als politische Akteur*innen mit eigenen Vorstellungen. Zu Beginn der Planung des Merowe-Damms in den 1990er Jahren hatte die Mehrheit der Bauernschaft noch einer Umsiedlung in das geplante Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab zugestimmt. In der Interaktion mit Regierungsvertretern und der jahrelangen Auseinandersetzung mit einer rigiden Verhandlungs- und Vertreibungspolitik einer islamistischen Militärregierung entwickelten und mobilisierten die Manasir jedoch eine eigene Vision (die "lokale Option"), der sich die Mehrheit anschloss. Umstrittene Umsiedlungsvorstellungen führten nicht nur zu einer direkten Konfrontation zwischen der zentralen Regierung und der Bauernschaft, sondern auch auf lokaler Ebene zu Konflikten zwischen den Befürworter*innen und Gegner*innen einer Umsiedlung in die staatlich verwalteten Gebiete.
Basierend auf ethnologischer Langzeitforschung (2006-2018) diskutiere ich anhand der Analyse von politischen und sozio-kulturellen Aspekten des Merowe-Großstaudamms im Nordsudan die Entstehung und den Verlauf einer bäuerlichen Widerstandsbewegung gegen Vertreibungen in staatlich verwaltete, weit entfernte Umsiedlungsgebiete in den Wüsten des zentralen Niltals. Der Widerstand richtete sich nicht grundsätzlich gegen den Bau des Merowe-Damms, sondern mündete, und darum geht es mir hier, in dem Versuch, zu bleiben und ein Leben am Nil, bzw. am Stausee wiederaufzubauen. Widerstand gegen Umsiedlungen entwickelt sich nicht automatisch aufgrund einer als "natürlich" angenommenen "rootedness" von Menschen in ihrer Umwelt und ihren Territorien (Malkki 1992: 27-29). Vielmehr werde ich zeigen, dass Widerstand und divergierende Visionen -- entgegen dominanten Planungsparadigmen -- in einem unvorhersehbaren Prozess entstehen, und zwar in der Auseinandersetzung mit historisch geprägten Machtbeziehungen zwischen Zentrum und Peripherien, der Bedrohung von Lebenswelten und in der Interaktion zwischen heterogenen Akteur*innen. In diesem Beitrag argumentiere ich, dass große Staudammprojekte "offene Momente" (Lund 1998: 1) produzieren, die von einer Re-Konfiguration bestehender Machbeziehungen zwischen Staat und Gesellschaft charakterisiert sind. Dabei gehe ich auf die bäuerliche Selbstorganisation und die Umgestaltung lokaler Machtverhältnisse ein, die von einem Aufschwung einer Elite von Manasir-Migranten aus den Städten gekennzeichnet war. Ich zeige, wie sich das Gebiet der Manasir im Ringen mit der zentralen Regierung um Selbstbestimmung zeitweise zu einer provisorischen autonomen Zone entwickelte, die staatsähnliche Verwaltungscharakteristika besaß. Eine an generell eher passivem Widerstand als alltäglichem Mittel der Interaktion mit Machthabern orientierte Bauernschaft transformierte sich in diesem Prozess zu aktiven, organisierten Akteuren.
Meine Analyse beruht auf mehreren Feldforschungsaufenthalten, die ich sowohl vor der Überflutung der Dörfer im Jahr 2006 als auch während der Überflutung (2008-2009) und danach (2010) durchgeführt habe. Während dieser Aufenthalte habe ich bei Familien in verschiedenen Dörfern im Gebiet der Manasir am Nil gelebt, teilnehmend beobachtet und Interviews mit Bäuerinnen und Bauern sowie mit lokalen und städtischen Manasir-Vertretern geführt.[3] Meine Forschung umfasste sowohl Dörfer, die im kulturellen und politischen Zentrum als auch in strukturell schwach eingebundenen Gebieten lagen. Es gestaltete sich zum Teil schwierig in einer stark politisierten Situation zwischen den Konfliktparteien hin- und herzuwechseln, um verschiedene Perspektiven auf den Widerstand und die Umsiedlung zu erhalten. Das Misstrauen und die Spannungen zwischen Gegner*innen und Befürworter*innen einer Umsiedlung und der Dammverwaltung verschärften sich zunehmend, sodass ich mich durch meine Forschung zwangsläufig in den Augen der jeweils anderen Seite zur "Komplizin" machte. Umsicht in der Interaktion mit verschiedenen Akteuren und situative Einschätzung waren bedeutend, vor allem aber ein seit Langem gepflegtes Vertrauensverhältnis zu meinen Forschungspartner*innen. Ich habe mehrere Wochen bei umgesiedelten Manasir-Familien in den staatlichen Umsiedlungsgebieten (al-Mukabrab und al-Fidda) geforscht und dort auch Interviews mit staatlichen Angestellten der Verwaltung der Projekte geführt. Ebenso habe ich Interviews mit Manasir-Repräsentanten in Khartum und London geführt. Die weiteren Entwicklungen am Stausee und in den Umsiedlungsgebieten habe ich bei Forschungsaufenthalten in den Jahren 2015 und 2018 verfolgt.
Zunächst erläutere ich meine Herangehensweise und verorte den Merowe-Damm im derzeitigen Boom von Großstaudämmen in Afrika. Daran anschließend gehe ich auf die staatliche Rechtfertigung der Umsiedlung als Zivilisierung der Bevölkerung ein und stelle sie der lokalen Sichtweise und Re-Evaluation eines unabhängigen Lebens am Nil gegenüber. Die lokalen Diskurse der Re-Evaluation bestanden nicht unabhängig vom politischen Handeln der Regierung und verknüpften sich mit der aufkommenden Vision eines Bleibens um den künftigen Stausee. Nach der Analyse des Kampfes um Selbstbestimmung und dessen Organisation gehe ich auf die Ausweitung der Proteste auf die Provinzhauptstadt ein.
Megaprojekte, Elektrifizierung und Entwicklung
Sozialwissenschaftliche Studien zu Dammbauten und Umsiedlungen, geführt unter dem Label des "development-forced displacement and resettlement" (DFDR), sind weitgehend der anwendungsbezogenen Praxis verpflichtet. Dammbauten werden dabei nicht prinzipiell in Frage gestellt, sondern als unvermeidbar für Entwicklung betrachtet. Es geht darum, geeignete, standardisierte Verfahren und Modelle zu entwickeln, um Risiken für Umgesiedelte zu mindern und die Chancen für eine "Umsiedlung mit Entwicklung" zu erhöhen (Cernea & Maldonado 2018a: 3; Scudder 2005). Dieser Ansatz tendiert dazu Vertreibungen im Namen der Entwicklung zu normalisieren und damit zu entpolitisieren (Dwivedi 2002). Obwohl vereinzelt Forderungen nach einem flexibleren Planungsparadigma bestehen, das aufkommende Unvorhersehbarkeiten miteinbezieht (vgl. de Wet 2006), schließt dieser Ansatz den Projekten inhärente politische Dynamiken aus, trennt "Gesellschaft" von "Natur" und gründet gemäß modernistischer Machbarkeitsideologien auf der Annahme, dass Umsiedlungen durch bestimmte Verfahren kontrollierbar sind. Umsiedlungen werden so zu einer kontextunabhängigen, standardisierten sozialen Technik der Vertreibung derjenigen, die dem Projekt im Wege stehen. Durch den Fokus auf die Optimierung von Vertreibungen und trotz vermehrter Diskussionen über Widerstandsbewegungen (vgl. Oliver-Smith 2010) gerieten vor allem Versuche, zu bleiben, bisher kaum in den Blick.
Große Infrastrukturprojekte entstehen jedoch nicht nach einem vorgefertigten, technischen Plan, sondern werden, wie insbesondere Studien zu großen sozio-technischen Systemen aus dem Bereich der science and technology studies zeigen, durch eine Vielzahl heterogener Akteur*innen, ihre unterschiedlichen Positionen, Praktiken und Werte geformt (Hughes 1983; Ureta 2014). Technik und ihre Umsetzung erfolgt, entgegen der gängigen Annahme, nicht mechanisch und ist nicht von einem "Verhalten der Regelbefolgung" determiniert (Wynne 1988: 148). Dies gilt auch für große sozio-technische Systeme, wie Staudammprojekte, die von kontextspezifischen Kontingenzen, Unvorhersehbarkeiten, Widersprüchen, Fragmentierungen und Machtprozessen charakterisiert sind. Diese Prozesse sind nicht "planbar" geschweige denn kontrollierbar.
Soziale Regeln und Ordnungen sind niemals starr, sondern ständiger Veränderung durch Aushandlungsprozesse unterworfen. Der Blick auf "offene Momente" macht Situationen fassbar, in denen als gegeben angenommene Ordnungen und die Legitimität von politischen Institutionen und Machtstrukturen herausgefordert werden (Lund 1998). Meine Argumentation baut auf einer Studie von Christian Lund zu Landrechtskonflikten im Niger auf. "Offene Momente" konzeptualisiert er "als besonders intensive Perioden der Umgestaltung der sozialen Ordnung" (ebd.: 1). An anderer Stelle habe ich die intensive Umgestaltung von Arrangements auch auf sozial-umweltliche, ökonomische und rechtliche Prozesse ausgeweitet (Hänsch i.E.). Hier konzentriere ich mich auf intensive politische Transformationen und zeige sowohl die sich verändernden Beziehungen zwischen Zentrum und Peripherie auf, als auch die damit zusammenhängende Bildung von neuen Beziehungen innerhalb der Bauernschaft, die sich mit der Mobilisierung und Organisation des Widerstandes herausbildeten und sich dabei auf historisch geprägte Erfahrungen eines bestimmten Lebensstils am Nil bezogen.
Meine Analyse ist insofern bedeutend, als Großstaudämme und ihre technokratische Umsetzung derzeit wieder auf dem Vormarsch in Afrika sind. Nach den ersten massiven Talsperren mit hydroelektrischer Kapazität, die hauptsächlich koloniale Industrien und städtische Ökonomien versorgen sollten, wie z.B. der Kariba-Staudamm in den heutigen Staaten Zambia und Zimbabwe (1958), erlebt der Bau von Großstaudämmen in Afrika seit der Jahrtausendwende eine erneute Konjunktur; Beispiele sind der Merowe-Damm im Sudan (1.250 MW), der Gilgel-Gibe-III-Damm (1.870 MW) und der Grand-Ethiopian-Renaissance-Damm (5.250 MW) in Äthiopien. In Afrika sind bis 2040 laut dem Programme for Infrastructure Development in Africa (PIDA) mehr als zehn Staudämme vorgesehen (PIDA o.D.; Teljeur u.a. 2017). Im dominanten Entwicklungsdiskurs der herrschenden Eliten und Unternehmen gelten große Staudämme als grundlegende Infrastruktur für Wirtschaftswachstum und Industrialisierung.
Neben einer Reihe regionaler und nationaler Faktoren begünstigen globale Trends in der Dammbauindustrie die Wiederkehr von Großstaudämmen in Afrika. Während die späten 1970er und frühen 1980er Jahre den Höhepunkt der globalen Baukonjunktur markierten, sank die Zahl an neuen Großprojekten in den 1990er Jahren. Die Weltbank, ehemals Hauptakteur bei der Finanzierung großer Staudämme, zog sich als Geldgeber zurück. Der damals weltweite Rückgang von neuen Projekten wird auf die Zunahme von Anti-Damm-Protesten und die typischen Probleme von Großstaudämmen zurückgeführt (Richter u.a. 2010: 15f). In einer umfassenden Studie der World Commission on Dams (WCD) werden die technischen und ökonomischen Misserfolge sowie die desaströsen sozialen und ökologischen Folgen von Großstaudämmen aufgezeigt (WCD 2000). Seit dem Jahr 2000 steigen die internationalen Investitionen in große Dammprojekte, auch durch die Weltbank, wieder an. Von der Dammbauindustrie, den Geldgebern und politischen Eliten werden die neuen Großstaudämme seit dem Kyoto-Protokoll (1997) im Zuge des globalen Klimawandels nun als Quelle nachhaltiger, kostengünstig erzeugter "grüner Energie" und als Mittel zur Armutsreduktion und Steigerung der Ernährungssicherheit gerechtfertigt -- trotz der bekannten und gut untersuchten Problematik solcher Großprojekte (Crow-Miller u.a. 2017: 196f; Richter u.a. 2010: 15f). Als Konkurrenten zur Weltbank, dem traditionellen Geldgeber, tauchten neue internationale Akteure auf. Allen voran etablierte sich China in den letzten zwei Dekaden zu einem der größten Investoren und Exporteuren von Wasserkraftwerken nach Afrika und jenseits davon (Brautigam u.a. 2015; McDonald u.a. 2009). Im Sudan begrüßten die Machthaber die chinesische Finanzierung und den Bau der Dämme sowie die entwicklungspolitische Linie der "Nichteinmischung" Chinas im Gegensatz zu den als neokolonial betrachteten Konditionalitäten "westlicher" Paradigmen.
Die neue Welle an Großstaudämmen deutet auf eine Rückkehr oder Fortsetzung des "high modernism" in Afrika hin (Abbink 2012; Dye 2016; Verhoeven 2015). Im Sudan besitzt diese Ideologie vor allem im Bereich landwirtschaftlicher Großprojekte Tradition: Der Bau des Sennar-Damms (1919-1926) am Blauen Nil während der anglo-ägyptischen Herrschaft ermöglichte das Gezira-Projekt, damals das größte Bewässerungsprojekt der Welt unter einer Verwaltung. Der Bau des Merowe-Staudamms am Vierten Nilkatarakt zielte von Beginn an auf die Produktion von Elektrizität für den Sudan ab. Mit einer Kapazität von 1.250 MW soll der Damm diese von insgesamt etwa 1.000 MW im Jahr 2006 verdoppeln. Es ist der erste Staudamm am sudanesischen Teil des Hauptnilflusses* und stellt zugleich das größte und sozio-technisch anspruchsvollste Infrastrukturprojekt seit der Unabhängigkeit des Sudan im Jahr 1956 dar. Das Großprojekt ist Teil eines umfassenden staatlichen Programms zur Entwicklung des Niltals, das sechs weitere Wasserkraftwerke entlang der Nilkatarakte vorsieht, darunter der umstrittene Kajbar-Damm in Nubien.
Seit Mitte der 1940er Jahre bestanden Pläne zu einem Dammprojekt am Vierten Nilkatarakt, aber erst Anfang der 1990er Jahre begann mit einer Machbarkeitsstudie des kanadischen Unternehmens Monenco Agra die ernsthafte Planung des Layouts des Damms und des Standortes. Das Regime war bestrebt das Großprojekt zu realisieren, um seine Macht zu zementieren, auch im Hinblick auf eine mögliche Abspaltung des Südsudan. Die damalige Regierung konnte die Dammbaupläne schließlich umsetzen, als Privatisierungen und Ölexport (1999) die angeschlagene sudanesische Wirtschaft stabilisierten und sich dadurch die Aussichten auf eine Finanzierung wesentlich erhöhten (Hänsch 2012). Das 2 Mrd. € teure Projekt wurde zum Großteil durch Kredite arabischer Institutionen aus Kuwait, Katar, Saudi-Arabien, Oman und Abu Dhabi (z.B. dem Arab Fund for Economic and Social Development, AFESD) und durch die Export-Import Bank of China finanziert; einen kleineren Anteil leistete die sudanesische Regierung. China war am sudanesischen Öl interessiert und die Golfstaaten an landwirtschaftlichen Investitionen (vgl. Askouri 2007; Verhoeven 2011). Die deutsche Ingenieursfirma Lahmeyer International wurde 2002 von der Regierung mit der Bauleitung und Überwachung des gesamten Projektes beauftragt. Dieselbe Firma erstellte den nach internationalen Standards und dem nationalen Umweltschutzgesetz (2001) erforderlichen Environmental Assessment Report (EAR; vgl. Lahmeyer International 2002), der jedoch oberflächlich und unzureichend durchgeführt wurde. Als ein chinesisches Baukonsortium die Bauarbeiten am Dammprojekt Mitte 2003 begann, existierten weder ein Entschädigungsplan noch ein Umsiedlungsplan oder Durchführbarkeitsstudien zu den potenziellen Umsiedlungsprojekten. Mit dem Bau des Merowe-Damms, ehemals Hamdab-Damm genannt, hat sich eine äußerst machtvolle, weitgehend autonome Verwaltung in der Hauptstadt Khartum etabliert, die Dams Implementation Unit (DIU), geleitet durch eine Elite von Ingenieuren, die sich dem Ziel der technokratischen Kontrolle und Nutzung der Ressource Wasser im Sudan verschrieben hat.
Umsiedlung als Zivilisierung versus Unabhängigkeit
Die Modernisierungsideologie, die Megaprojekten wie dem Merowe-Damm zugrunde liegt, rechtfertigt die Vertreibung lokaler Gemeinschaften im Namen des Fortschritts der Nation und der Entwicklung der betroffenen Gemeinschaften. Nach den Plänen der Dammverwaltung und der Regierung sollten die Manasir in das Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab ziehen, das in der Region um Ed-Damer, der Hauptstadt des Bundesstaates River Nile State, etwa 30 km vom Nil entfernt liegt. Als weiteres, flächenmäßig kleineres, Umsiedlungsgebiet war al-Fidda (offiziell Kihaila East) vorgesehen, das in der nubischen Wüste in der Nähe der Stadt Abu Hamed liegt. Beide Gebiete umfassen neben den Siedlungen jeweils ein Großbewässerungsprojekt.
TV-Propagandafilme, Broschüren und Pressemitteilungen der Dammverwaltung sowie Berichte der involvierten internationalen Unternehmen zeichneten ein Bild von einfachen, ungebildeten Bäuerinnen und Bauern, die fernab der Zivilisation ein armes Leben in einer kargen Landschaft führten. Für das Opfer, ihre Heimat und Ländereien zum Wohle der Nation aufzugeben, versprach die Regierung den Menschen am Vierten Katarakt eine bessere Zukunft durch einen "Umzug in ein besseres Leben" (DIU 2010: 50). Das Design der Dörfer in den Umsiedlungsgebieten entspricht dem typischen, standardisierten Modell modernistischer Städteplanung. Es verkörpert die soziale Vision eines urbanen Lebens in modernen Wohnsiedlungen mit Zugang zu Elektrizität, fließendem Wasser, Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen Diensten. Die Existenzgrundlage beruht auf großflächiger, mechanisierter Landwirtschaft, die aus Kleinbauern kommerzielle Landwirte machen soll. Hier spiegelt sich der eingangs erwähnte und in das Projekt übersetzte Ansatz "Umsiedlung mit Entwicklung" wider, den die weltweit in Dammbauprojekte involvierten transnationalen "epistemischen Gemeinschaften" verfolgen.
Die Rechtfertigung der Vertreibung als Umzug in eine bessere Welt verdeutlicht ein Repräsentant der Manasir, der mir 2006 erzählte, wie die Dammverwaltung auf ihre Frage nach der Umsiedlung antwortete: "Weil wir die Menschen aus dem 15. Jahrhundert in das 21. Jahrhundert bringen wollen. […] Die Dammverwaltung spricht über die Menschen sehr herablassend". In seiner Rede an die um den Stausee gebliebenen Manasir erklärte der damalige Präsident Omar al-Bashir später bei einem Besuch im Jahr 2009:
"Wir wollen die Menschen auf einen zivilisierten Weg/Stufe bringen [ein Schritt in Richtung Zivilisation]. Wir zielten nicht darauf ab, die Menschen aus ihrem Heimatland zu vertreiben, denn sie lieben ihr Land. Aber wir entschieden, dass wir die Menschen auf einen zivilisierten Weg bringen. Wir lösen damit ihre Probleme des Wohnens, des Lebensunterhaltes, der Dienstleistungen, alle Probleme!"
In Namen der Entwicklung und Zivilisierung rationalisierte und legitimierte die Regierung die Vertreibung der lokalen Gruppen als eine Transplantation in eine andere Zeit, nämlich von einer archaischen Welt in die Gegenwart der städtischen Moderne. Es war eine Einverleibung der Peripherien in das Zentrum -- eine Integration in die sudanesische Gesellschaft des Niltals. Die Zentrierung der Peripherien ermöglicht die staatliche Kontrolle ihrer Produktivität, der Ressourcen und eben die Transformation der Lebensformen.
Die Befürworter*innen der neuen Siedlungen um den künftigen Stausee begegneten den Versprechungen der Regierung mit einer Kritik am städtischen Leben und an den mit Zwang ausgeübten Einverleibungsversuchen der Regierung in das Zentrum des Staates. Die Kritik beruhte auf einer Re-Evaluation historischer Erfahrungen eines von staatlichen Zugriffen und anderen Gruppen relativ unabhängigen, bäuerlichen Lebensstils in vertrauten Gemeinschaften an den Ufern des Nils.
Historisch betrachtet bildete das aufgrund der topografischen Lage ehemals schwer zugängliche Gebiet am Vierten Nilkatarakt eine klassische Zone des Rückzugs, die Schutz vor marodierenden Banden und Eroberern bot. Zwar unterwarfen die verschiedenen Herrscher und Regierungen das Gebiet bis zum Dammbau und beuteten es aus, vernachlässigten es aber aufgrund seiner politischen und ökonomischen Bedeutungslosigkeit. Die bäuerliche Arbeit und Ökonomie basierte auf Viehhaltung (Schafe, Ziegen), Dattelpalmenzucht und Bewässerungslandwirtschaft auf kleinen Flächen entlang der Ufer. Die Landknappheit und die Organisation der Bewässerungswirtschaft durch Pachtverhältnisse und Teilhaberschaften barg beständig Konfliktpotenzial, was Übereinkünfte und Kooperationen essenziell machte (Beck 2003).
Die Beziehungen zwischen der Peripherie und dem Zentrum, der zentralen staatlichen Verwaltung und Manasirland waren stets von spannungsgeladenen Reibungen und Ambivalenz geprägt. Die Bewohner*innen versuchten Abhängigkeiten und Einmischungen von außen zu vermeiden. Mit bewährten "defensiven Strategien", wie sie Gerd Spittler (1983a: 47) auch für bäuerliche Gesellschaften im Niger beschreibt, wurde versucht, Zugriffen des staatlichen Verwaltungsapparates zu entgehen und den Staat auf Abstand zu halten. Ähnliche Strategien beschreibt James Scott (2009: 32) als "state-evading strategies" bei Talbewohner*innen in Südostasien, die vor dem Zugriff verschiedener Imperien auf die Hochebenen zogen. Um z.B. Steuereintreibungen, dem Militärdienst oder den Schuldeneintreibern der Landwirtschaftsbank zu entgehen, flüchteten Manasir-Bauern zeitweise in die angrenzenden Wüsten zu nomadischen Verwandten, verschwanden eine Zeit lang oder hielten Informationen vor Verwaltungsangestellten zurück (z.B. über die Ernte oder den Besitz). Nach Ansicht der Bauernschaft beutete der Staat ihre Ressourcen aus, während sie auf seine Unterstützung, z.B. in Form von Dienstleistungen, nicht hoffen konnte -- sie war auf sich gestellt. Der staatlichen Vernachlässigung begegneten die Menschen mit einem lokalen Konzept der Selbsthilfe (ﺀauni dhati). Demnach wurden Projekte wie Schulen aus eigenen Anstrengungen umgesetzt und beruhten auf Eigenorganisation, Kooperation und gemeinschaftlicher Arbeit.
Mittelsmänner innerhalb der Bauernschaft versuchten immer wieder staatliche Mittel einzufordern, z.B. um große Bewässerungsmotoren für die Ausweitung landwirtschaftlicher Projekte zu erhalten. Der zentralen Regierung ermöglichten diese Patronage-Beziehungen wiederum Kontrolle über die Bauernschaft. Vermittler bilden generell, wie Spittler (1983b) zeigt, das notwendige Bindeglied zwischen einer entfernten, zentralen Verwaltung und der Bauernschaft. Die Mittelsmänner der Manasir, die dann auch mit dem Dammbau und der Umsiedlung konfrontiert waren, entsprangen einer bürgerlich-bäuerlichen Elite, die in den 1970er Jahren mithilfe einiger Modernisierungsprojekte wie dem Bau von Schulen den Anschluss an die weitere arabisch-muslimische Kultur und Gesellschaft des zentralen Niltals suchte. Das heißt, die Bewohner*innen versuchten einerseits den Staat auf Abstand zu halten, andererseits aber suchten sie auch die Anbindung an den Staat, z.B. durch den selbstorganisierten Straßenbau und den Bau von Moscheen. Sowohl die Meidung als auch die Anbindung an das Zentrum waren von unterschiedlichen Visionen geprägt, die heterogenen sozialen Milieus in der Bauernschaft entsprangen. Viele junge Menschen versuchten, der Landknappheit, der Abgeschiedenheit und der sozialen Kontrolle zu entgehen, indem sie zeitweise in die Städte zur Arbeit oder dem Studium zogen.
Unter dem zunehmenden Druck der zentralen Regierung im Rahmen des Dammbaus und der Konfrontation mit einer Umsiedlung als "Zivilisierung" wurde die periphere Position der Region mit all ihren Lebensbedingungen, Charakteristika und künftigen Möglichkeiten jedoch erneut relevant. Der Fluss, die Bewässerungslandwirtschaft und die engen sozialen Beziehungen bildeten das Herz der bäuerlichen Lebenswelt. Die Bedrohung der Lebenswelt, der "ontologischen Sicherheit" (Giddens 1995), nahm in den Auseinandersetzungen mit der Regierung spürbar zu. Es erfolgte eine Reflexion und Re-Evaluation des Lebens in der Heimat, die sich auf die Bewässerungslandwirtschaft am Nil als Herz der Lebenswelt bezog und sich von einem städtischen Leben und der direkten Kontrolle der Verwaltung abgrenzte.
Ein Strang der Kritik an dem Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab gründete auf den ontologischen und existenziellen Erfahrungen des Lebens direkt an den Ufern des Nils. Die Wüsten des Hochlandes erstreckten sich häufig bis an die Ufer. Der Ort al-Mukabrab dahingegen liegt weit entfernt vom Nil in der Wüste. Die Wüste ist für die Bäuerinnen und Bauern der Inbegriff des Trockenen und Leblosen, während der Fluss Fruchtbarkeit brachte und alles erblühen ließ. Ein Bekannter drückte diese fundamentalen Gegensätze in einem Gedicht aus, das aus der Zeit vor der Überflutung stammt: "Sie vertreiben uns von unserem geliebten Nil in eine leblose Wüste. Vom saftigen Grün in die trockene Unfruchtbarkeit" (Hänsch 2006: 10:32). Der Nil wurde aber nicht nur als Quelle des Lebens betrachtet. Durch die tägliche Praxis ist der Nil verkörpert und Teil des Selbst, der ontologischen Verankerung. Einige meiner Forschungspartnerinnen bezeichneten sich 2008 im Prozess der Re-Evaluation selbst als: "Wir sind die Leute vom Fluss". In unseren Gesprächen über eine potenzielle Umsiedlung hoben die Bewohner*innen die Sicherheit und die Schönheit des Landes, des Flusses, der Palmen, der Inseln und der Berge immer wieder hervor. Dazu zählte auch der süße Geschmack des Nilwassers im Gegensatz zum salzigen Brunnenwasser in dem Umsiedlungsgebiet. Darin drückt sich die phänomenologische Erfahrung eines "dwelling" aus: "[…] dies […] ist eine Art, in der Welt zu Hause zu sein" (Ingold 2005: 503). Es ist die existenzielle Erfahrung der Bedrohung von Leben, das die Menschen versuchten, zu schützen.
Die Bewohner*innen verbanden die Aussicht auf Vertreibung vom Nil in die trockene Unfruchtbarkeit mit einer Kritik an der vollkommenen Abhängigkeit von der Verwaltung des Projektes. Immer wieder betonten meine Gesprächspartner*innen, dass sie in al-Mukabrab in den "Händen der Verwaltung" seien. In dem landwirtschaftlichen Großprojekt schreibt die Verwaltung den Anbau vor, und auch das Bewässerungswasser wird über kilometerlange Kanäle von der Verwaltung geliefert. Aufgrund der Erfahrung der staatlichen Vernachlässigung misstrauten viele Manasir der Zuverlässigkeit und Kompetenz der Verwaltung zur Instandhaltung des Projektes. Wird kein Wasser geliefert, vertrocknen die Früchte. Am Nil hingegen konnte praktisch nach Belieben mit dem eigenen Motor bewässert und angebaut werden. Vor Augen hatten die Bäuerinnen und Bauern dabei den Verfall des Umsiedlungsgebietes Khashm el-Girba (New Halfa), in das die Nubier*innen Ende der 1960er Jahre im Zuge des Assuan-Dammbaus umgesiedelt worden sind (vgl. Mohamed Ali 2010). Dort zeigen sich all die bekannten Probleme eines Großbewässerungsprojektes, wie wechselnde Zuständigkeiten in der Instandhaltung und das Konfliktpotenzial zwischen den verschiedenen Gruppen. Die Bewohner*innen befürchteten, dass sich ebenso wie im Umsiedlungsgebiet Khashm el-Girba Menschen aus anderen Teilen des Sudan ansiedeln oder dort zeitweise als Lohnarbeiter tätig sein würden. Im Allgemeinen werden "Fremde" als potenzielle Bedrohung betrachtet, da sie z.B. Ansprüche auf Land erheben könnten. Die enge und vertraute Gemeinschaft am Nil bot im Gegensatz dazu, wie viele Männer und Frauen immer wieder betonten, "Sicherheit" und "Frieden". In al-Mukabrab rechneten die Manasir mit den typischen Problemen von Neuankömmlingen: Konflikte mit anderen Gruppen, die das Gebiet anziehen wird und mit denjenigen, die es bereits zum Leben nutzen, wie z.B. Nomadengruppen. Alteingesessenes Recht auf Land besteht dort nicht, und der Besitz an Boden und Häusern sowie der Zugang zu Wasser, Strom und den Dienstleistungen liegen in den Händen der Verwaltung. Aus der Sicht meines Forschungspartners Osman machte sie die Umsiedlung zu "permanent Vertriebenen", die keine Rechte besäßen und den Zwängen des Verwaltungsapparates ausgesetzt seien, wohingegen im eigenen Land "hurria -- Freiheit" bestehe.
Im Gegensatz zu ländlichen Räumen bietet das städtische Leben, mit dem al-Mukabrab assoziiert wurde, nicht die gleiche Vertrautheit und Sozialität zwischen den Menschen. Der Alltagsrhythmus in der Stadt richtet sich nach Terminen, der Verwaltung und ökonomischen Rationalitäten. Ein Lehrer erläuterte dies zwei Jahre vor der Umsiedlung, im Jahr 2006:
"Dieses Land hier ist anders als andere. Wir, die Manasir, wir sind eine Familie -- du gehst in jedem Haus ein und aus -- wenn einen etwas bedrückt, nehmen die anderen Anteil. Aber jetzt treten wir in ein anderes, vollkommen neues Leben ein, das wie in den Städten ist. Die Leute haben keine Zeit für dich, sie orientieren sich mehr an dem Materiellen".
In seiner Aussage drückt sich eine Zivilisationskritik aus. In den Städten herrscht Korruption, und die Menschen orientieren sich an individuellen und materiellen Interessen und weniger an den muslimischen Idealen der Gemeinschaft und Gastfreundschaft. Das Leben folgt materiellen Prioritäten, dem Konsum, und es ist teuer, denn für Trinkwasser oder Brennholz muss gezahlt werden. Die dörfliche Gemeinschaft hingegen bietet, wie meine Forschungspartner*innen hervorhoben, Unterstützung, und die meisten Dinge, etwa das Trinkwasser, stehen in Manasirland "umsonst" zur Verfügung. Die Männer befürchteten, ohne die Dattelpalmenzucht mit dem Anbau von Getreide alleine den teuren Lebensunterhalt nicht finanzieren zu können. Auf das Versprechen städtischen Komforts in al-Mukabrab entgegneten mir einige Frauen mit dem Satz: "Besser ist die Sichel". Die Sichel zum Jäten wird mit mühevoller Arbeit in der Landwirtschaft assoziiert und symbolisiert die bäuerliche Identität. Sie zogen die Arbeit einem städtischen Leben vor, in dem Frauen nicht an der landwirtschaftlichen Arbeit und damit auch nicht am Haushaltseinkommen beteiligt sind. Ältere, aber auch jüngere Frauen lehnten eine "Hausfrauisierung" (Mies 2009) ab, die häufig mit Urbanisierungsprozessen einhergeht. Unter den Gegner*innen der künftigen Umsiedlung nach al-Mukabrab war eine gängige Aussage: "Selbst wenn sie uns ar-Riad geben, wir bleiben in unserem Frieden hier". Ar-Riad ist eines der aufstrebenden Viertel der Mittelklasse in Khartum. Sie lehnten eine "Umsiedlung als Zivilisierung" ab.
Die Re-Evaluation des Lebens am Nil in der Abgeschiedenheit, die zum Teil eine Idealisierung der Heimat darstellte, drückte sich in kategorialen Oppositionen zu dem staatlichen Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab aus. Einige der beschriebenen kategorialen Gegensätze lassen sich in ähnlicher Weise entlang von Narrativen der vertriebenen Bewohner*innen von Wadi Halfa feststellen. Nachdem Wadi Halfa im Sudan in den Wassermassen des Assuan-Großstaudamms Mitte der 1960er Jahre unterging, bauten etwa 3.000 Nubier*innen die Stadt am Rand des Stausees wieder auf. Im Gegensatz zu den etwa 40.000 vertriebenen Nubier*innen lehnten sie eine Umsiedlung in das 700 km entfernte Projekt Khashm el-Girba ab (Kronenberg & Kronenberg 1984). Das Beispiel der Nubier*innen, die es geschafft haben, zu bleiben, wirkte ermutigend auf die Manasir. Khashm el-Girba wurde zu einem Angstbild und zum Inbegriff einer gescheiterten Umsiedlung. Die Kritik der Manasir am Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab speiste sich aus der internalisierten Erfahrung eines einfachen, aber unabhängigen Lebens, das eine einigermaßen sichere Existenz unter Vertrauten bot. In dem Gebiet, in dem die Bäuerinnen und Bauern mit der "lokalen Option" den Aufbau von Schulen, Dienstleistungen, Straßen, Häusern und Elektrizität forderten, sollten all jene Dinge, die ihnen in al-Mukabrab versprochen wurden, zu ihren Bedingungen und unter ihrer Kontrolle realisiert werden. Sie zielten darauf ab, die kulturelle Autonomie, die wirtschaftliche Eigenständigkeit und den Zusammenhalt der Gemeinschaft aufrechtzuerhalten und damit die Wahrung der Identität als Manasir zu sichern. Der Wille zu bleiben muss daher als eine politische Entscheidung für eine relative Autonomie von der Regierung und anderen und zugleich als eine Entscheidung für einen selbstbestimmten Lebensstil in der Gemeinschaft der Manasir am Nil betrachtet werden.
Der "Politik der Versprechungen" der Regierung folgten zwischen 2007 und 2010 nur etwa ein Drittel (etwa 2500 Familien) der in Manasirland ansässigen Bewohner*innen in die staatlichen Umsiedlungsgebiete. Zwei Drittel (etwa 10.000 Familien) versuchte zu bleiben und nach der Überflutung ihrer Dörfer an den Rändern des Stausees ein Leben aufzubauen; sie folgten der Vision der "lokalen Option". Überzeugte, dominante Befürworter*innen der Umsiedlung nach al-Mukabrab hoben mir gegenüber immer wieder die Vorteile eines städtischen Lebens hervor. Andere Familien, die eigentlich vorhatten zu bleiben, sahen schließlich keine andere Möglichkeit als umzusiedeln, da die Situation nach der Überflutung der Dörfer von radikaler Ungewissheit geprägt war. Umgesiedelte Frauen, mit denen ich 2009 in dem Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab sprach, empfanden den städtischen Komfort wie fließend Wasser zwar angenehm, aber ihnen fehlte die Arbeit in der Landwirtschaft. Aufgrund der großen Entfernung der Felder und der Mechanisierung arbeiten hauptsächlich Männer in der Landwirtschaft. Die Frauen sind zu Hausfrauen geworden.
Die unterschiedlichen Meinungen zur Umsiedlung lassen sich jedoch grundsätzlich aufgrund der zunehmenden Politisierung nicht auf soziale Variablen wie Alter, Geschlecht, Wohnort oder Landbesitz reduzieren. Zu Beginn des Aushandlungsprozesses ab den 1990er Jahren waren die Meinungen zum Teil noch an soziale Positionen gebunden. So befürworteten z.B. landlose, junge Männer, die von der Aussicht auf Landbesitz angetan waren, die Umsiedlung. Ältere Bauern hingegen befürchteten ihre Altersabsicherung, die Dattelpalmen, zu verlieren (vgl. Beck 1997). Einige jüngere Frauen mit Migrationshintergrund favorisierten das städtische Leben, das die Umsiedlungsgebiete versprachen (vgl. Weschenfelder 2008). Ebenso aber waren einige junge Studentinnen gegen eine Umsiedlung ihrer Familie. Im Laufe des spannungsgeladenen Prozesses, in dem die Positionen zunehmend radikaler wurden, unterlagen Überzeugungen und Meinungen jedoch einem sehr dynamischen Prozess und waren eingebettet in soziale Beziehungen und der Mobilisierung entlang von Verwandtschaftsgruppen. Die Relation von Überzeugungen zu sozialen Variablen hatte sich weitgehend aufgelöst; Ehefrauen waren jedoch von der jeweiligen Entscheidung ihrer Ehemänner abhängig. Auf den Kampf um Selbstbestimmung und die damit verbundenen sozialen Spannungen gehe ich im nächsten Abschnitt ein.
Selbstbestimmung und die Herausbildung einer provisorischen autonomen Zone
Im Unterschied zu den Nubier*innen, die auf die historisch verinnerlichte Erfahrung mehrfacher Vertreibungen durch die Dammbauten bei Assuan zurückblicken und in den letzten Jahren eine starke Widerstandsbewegung gegen den Bau des geplanten Kajbar-Damms etablierten (vgl. Elkreem 2018), unternahmen die Manasir und die beiden anderen Gruppen keine größeren Versuche, den Bau des Merowe-Damms zu verhindern. Unter dem repressiven Regime, einer stark fragmentierten Herrschaft und konkurrierenden Legitimitätsansprüchen fanden auch keine größeren, regionalen oder nationalen Proteste gegen den Bau von Merowe oder gegen die Vertreibungen statt. Die Bauernschaft richtete ihren Widerstand nicht kategorisch gegen den Dammbau, sondern gegen eine Vertreibung in die staatlichen Umsiedlungsgebiete. Deren Ablehnung und die Vision eines Bleibens um den künftigen Stausee entstanden erst im Laufe der Auseinandersetzung mit der Regierung um geeignete Umsiedlungsprojekte und rechtmäßige Entschädigungen. Zunächst lag die Priorität der Repräsentanten der Manasir auf der Aushandlung möglichst guter Bedingungen einer Umsiedlung in andere Gebiete, die als unausweichlich erschien. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Vertreibungstechniken der Regierung und ihren regionalen Verbündeten sowie die Bedrohung des Herz der Lebenswelt "eröffneten" einen unvorhersehbaren politischen Prozess, in dem sich die anfängliche Aushandlung einer Umsiedlung in staatlich verwaltete Gebiete zu einer Vision des Bleibens transformierte, der sich die Mehrheit der Bauernschaft verpflichtete.
Gegen Mitte der 1990er Jahre sprach sich noch die Mehrheit der Manasir für das staatliche Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab aus. Dies war jedoch nur eine vorläufige Einschätzung, die an bestimmte Bedingungen geknüpft war. Repräsentanten der Manasir forderten eine Machbarkeitsstudie zu dem Umsiedlungsgebiet, erst danach sollte eine endgültige Entscheidung getroffen werden. Der Informationsaustausch fand hauptsächlich auf der Ebene der Experten und der höchsten Regierungsebene statt -- die Bäuerinnen und Bauern wurden mit einfachen Erklärungen und Versprechungen abgespeist. Als "entmündigten Bauern" sprach ihnen die Dammverwaltung von Beginn an ein Urteilsvermögen und die Mitsprache an ihrer Zukunft ab; sie wurden in der technokratischen Umsetzung des Dammprojektes nicht als politische Akteure wahrgenommen, sondern als technisch kontrollierbare, homogene Entität (Beck 1997: 86).
1999 ließ die Dammverwaltung eine Erhebung zu Besitztümern und Bevölkerungszahlen am Vierten Katarakt durchführen. Die Bewohner*innen wurden jedoch nicht über den genauen Grund der Erhebung aufgeklärt. In der allgemein skeptischen Haltung gegenüber staatlichen Akteuren und besonders gegenüber Fragen nach dem Besitz nahmen viele Manasir die Befragung als Mittel zur Steuereintreibung wahr und untertrieben ihren Besitz aus Angst vor erhöhten Steuerzahlungen. Andere interpretierten die Erhebung als eine weitere Studie zum Dammbau. Später erklärte die Dammverwaltung aber diese Erhebung als Grundlage für die Entschädigungszahlungen. Im gleichen Jahr scheiterten die ersten Verhandlungen zu den Entschädigungs- und Umsiedlungsmodalitäten zwischen der zentralen Regierung und den drei betroffenen Gruppen. Vermittlungen und weitere Verhandlungen blieben ergebnislos. Aus der Perspektive der Manasir wurden ihre Rechte und Interessen zunehmend an den Rand gedrängt. Staatliche Interessenvertreter*innen dominierten die Verhandlungen. Zudem hatte die Verwaltung kein Interesse daran, die komplexen Besitzverhältnisse und Landrechtstitel der Bewohner*innen zu durchdringen, aufzunehmen und die Leistungen entsprechend zu organisieren. Als die Nationalversammlung im Jahr 2002 das Gesetz Nr. 16 zur Umsiedlung und Entschädigung verabschiedete, ging eine Welle des Protestes durch Manasirland.
Um die lokale Bevölkerung in der spannungsgeladenen Situation gefügig zu machen, wendete die Regierung verschiedene Vertreibungstechniken an, darunter die sedimentierte Herrschaftspraktik des divide et impera. Die Dammverwaltung und ihre regionalen Verbündeten schleusten einige kooptierte Manasir in die Führungsriege des gemeinsamen Komitees der Betroffenen ein, das sich aus den drei Gruppen gebildet hatte. Diese Klienten versuchten die Verhandlungen im Interesse der Dammverwaltung zu manipulieren. "Wir merkten, dass etwas nicht stimmte bei der ganzen Sache", erzählte mir ein Manasir-Vertreter rückblickend im April 2009. Man wollte sie hintergehen. Ab diesem Zeitpunkt breitete sich tiefes Misstrauen gegenüber der ohnehin kritisch betrachteten Dammverwaltung und deren Unterstützer aus den eigenen Reihen aus.
Im Laufe der Verhandlungen zwischen 2001 und 2003 löste die Dammverwaltung dann, als ihr Widerstand entgegenschlug, das gemeinsame Komitee der drei Gruppen auf und etablierte in jedem der drei Gebiete ein eigenes Komitee, um so die Belange und Interessen der Regierung durchzusetzen. Dazu rekrutierte sie Repräsentanten der Manasir, die gegenüber der Regierungspartei National Congress Party (NCP) Loyalität zeigten und Patronage-Beziehungen eingingen. Dadurch verschärften sich die Spannungen zwischen den Verhandlungspartnern und entfachten die bereits angeschürten Konflikte unter den Manasir. Missgunst und Argwohn breiteten sich aus. Diejenigen Bauern, die mit der Dammverwaltung kooperierten, galten forthin als "Verräter" (karazaiyat[4]) an der Gemeinschaft und ihren Interessen und Rechten.
Das Zurückhalten von Informationen, die Manipulationsversuche und das gezielte Streuen von Gerüchten interpretierten die Bewohner*innen als eine "Politik der Verunsicherung", die sie zum Einlenken und zur Umsiedlung nach al-Mukabrab zwingen sollte. Dadurch verloren die ohnehin aus der historischen Erfahrung heraus kritisch betrachteten Machthaber in Khartum zunehmend an Legitimität, und das Versprechen eines "Umzugs in ein besseres Leben" galt als Mittel der gezielten Vertreibung zur Selbstbereicherung einer machtvollen Elite, die beabsichtigte, sich Ressourcen um den Stausee anzueignen.
Die Vision von neuen Siedlungen um den künftigen Stausee erhielt in dieser Zeit Aufschwung. Diese Idee, die einige Bauern bereits zu Beginn der 1990er Jahre in die Debatte über mögliche Umsiedlungsgebiete eingebracht hatten, wurde um die Jahrtausendwende wieder aufgegriffen. Intellektuelle aus den Städten und später einzelne, im Ausland lebende Manasir-Migranten begannen, sich wissenschaftlich mit dem Potenzial für die Landwirtschaft und der Zukunftsfähigkeit der staatlich propagierten Umsiedlungsprojekte auseinanderzusetzen. Prominente Beispiele des längerfristigen Verfalls von Großprojekten im Sudan, beispielsweise des Großbewässerungsprojekts von Khashm el-Girba, ließen sie zunehmend an der Nachhaltigkeit und den Erfolgschancen der Umsiedlungsprojekte zweifeln. Manasir-Vertreter und in den Städten lebende Manasir suchten nach alternativen Möglichkeiten und deren Realisierbarkeit. Nachforschungen und Studien zu möglichen neuen Siedlungen um den künftigen Stausee wurden angestellt. In dem angeregten Diskussionsprozess, der Re-Evaluation eines unabhängigen Lebens am Nil und dem zunehmenden Misstrauen gegenüber der Verwaltung und ihrer "Politik der Verunsicherung", fand die Idee der "lokalen Option" (khiyar al-mahalli) unter den Bäuerinnen und Bauern vermehrten Anklang. Zwar standen viele Manasir einer Umsiedlung immer skeptisch gegenüber, hatten sie aber aus Mangel an Alternativen keine andere Perspektive entwickelt, so "eröffnete" sich den Menschen nun eine Vision, deren Umsetzung möglich und erfolgreich erschien (Hänsch 2012).
Aus der beschriebenen Konfliktsituation heraus, in der die Gemeinschaft der Manasir in einzelne Teile zu zerfallen drohte, riefen einige Mitglieder zu Einheit und Organisation auf. In dem über Jahrzehnte durch die landwirtschaftliche Praxis verkörperten Bewusstsein, dass Missgunst und Querulanten unter Umständen alles blockieren können, organisierte sich die Bauernschaft neu. Die Hoffnung war, so wie in der Vergangenheit häufig praktiziert, durch gemeinsame Anstrengungen, Übereinstimmung und Kooperation ihre Rechte und Interessen zu schützen sowie Einheit zu bewahren. 2004 wählten die Manasir unter der Aufsicht des Regierungsbezirksverwalters der Stadt Abu Hamed einen "Rat der Betroffenen" mit je zwei gewählten Personen aus jeder Gemeinde. Dabei war je einer der beiden Vertreter*innen in Khartum ansässig, stammte aber ursprünglich aus der entsprechenden Gemeinde. Ebenso wurden einige Manasir aus der Diaspora Ratsmitglieder. Der Rat bestand hauptsächlich aus Männern, nur einige wenige Frauen waren vertreten. Aus diesem Rat der Betroffenen wiederum bildete sich ein "Leitungskomitee". Dieses setzte sich hauptsächlich aus den in Khartum lebenden Manasir-Migranten, aber auch aus lokalen Vertretern zusammen. Diese neue Aufstellung ermöglichte den Manasir eine sehr gute Organisation ihrer Angelegenheiten "on the ground" und gleichzeitig war die Vermittlung und Kommunikation mit den zentralen Verwaltungsorganen durch die in den Städten lebenden Vertreter gesichert.
Das Leitungskomitee, der Rat der Betroffenen und die Gemeinderäte richteten, orientiert an der staatlichen Verwaltung, verschiedene Ausschüsse mit bestimmten Zuständigkeiten ein, z.B. für finanzielle Angelegenheiten, den landwirtschaftlichen Sektor, die Öffentlichkeitsarbeit und den Informationssektor. Als Antwort auf die zunehmende Bedrohung des Herzens ihrer Lebenswelt und auf die Vertreibungstechniken der Regierung hatte sich eine sehr gut organisierte Bauernschaft gebildet, die nicht wie ehemals an defensiven Strategien orientiert war, sondern offenen, aktiven Widerstand leistete, z.B. in offenen Konfrontationen mit der Dammverwaltung und in Demonstrationen in Provinzstädten. Eine kleine Gruppe von Bauern sah die Notwendigkeit zur Verteidigung und schloss die Möglichkeit eines bewaffneten Widerstands nicht aus. Diese Männer machten sich um 2004 nach Eritrea auf, um sich militärisch ausbilden zu lassen und bei dortigen sudanesischen Oppositionsgruppen für Unterstützung zu werben. Die Vertretung der Manasir war jedoch auf die friedliche Durchsetzung ihrer Rechte bedacht.
Es waren Interessens- und Machtkonflikte entstanden, die "offene Momente" produzierten, in denen verschiedene Akteure versuchten, ihre Ziele auf lokaler Ebene zu propagieren und Anhänger zu mobilisieren. Aus den "offenen Momenten" hatte sich eine neue Führerschaft gebildet (das Komitee und der Rat), bestehend aus einer Elite der städtischen Manasir und ihren jeweiligen Partner*innen aus den Dörfern ihrer Heimat. Die neue städtisch-lokale Führerschaft versprach Schutz und sich für die alternative Vision der Umsiedlung (die "lokale Option") sowie für das Erwirken rechtmäßiger Entschädigungen durch einen neuen Besitzstandszensus einzusetzen. Ebenso forderten sie, dass das Gebiet um den künftigen Stausee, das bis dahin zum Regierungsbezirk Abu Hamed gehört hatte, selbständig werden solle.[5] Zwangsläufig verloren einige der alten, anerkannten Manasir-Anführer aus der bürgerlich-bäuerlichen Elite, die ehemals als Mittelsmänner zwischen der Regierung und der Bauernschaft fungiert hatten, an Einfluss und gerieten in einen Loyalitätskonflikt. Sie verloren ihre bewährte Vermittlerposition, weil sie, auf gerechte Verhandlungen für rechtmäßige Bürger*innen hoffend, weder die illegitimen Praktiken der Dammverwaltung billigten, noch die Forderungen der Bäuerinnen und Bauern erfüllen konnten. Am Ende konnten sie es weder ihren Leuten noch der Regierung recht machen.
Befürworter*innen der staatlichen Umsiedlungsgebiete, unter ihnen auch ehemalige Anführer aus der bürgerlich-bäuerlichen Elite und Vertreter des von der Dammverwaltung eingesetzten Komitees, betrachteten die Anhänger*innen der "lokalen Option" als "Oppositionelle", die sich den Verhandlungen zur Umsiedlung entgegenstellten. Die Gemeinschaft zerfiel in Befürworter*innen einer Umsiedlung und ihre Gegner*innen, die für die "lokale Option" kämpften. Eine Gruppe "dazwischen" wartete ab, wie sich die Situation entwickeln würde, ließ sich zugleich aber zunehmend polarisieren. Die Positionen wurden radikaler, besonders als die ersten Bewohner*innen im Oktober 2007 nach al-Mukabrab umsiedelten und damit die Entschädigungsleistungen nach dem Besitzstandszensus von 1999 akzeptierten. Eine Umsiedlung in die staatlich propagierten Gebiete bedeutete den sozialen Tod. Befürworter*innen der "lokalen Option" und, darunter häufig Männer, brachen die Beziehungen zu "Verräter*innen" ab, selbst zu engsten Verwandten. Anfängliche Risse wurden zu tiefen Gräben der Feindschaft und des Mistrauens. Aus Streitgesprächen wurden handgreifliche Konfrontationen und Bedrohungen. Die Dramen einer nicht mehr überbrückbaren Spaltung mündeten in einer sozialen Krise (Hänsch i.E.).
Die Befürworter*innen der Umsiedlung in staatliche Gebiete befanden sich zunehmend in der Minderheit. Damit nahm die ohnehin bereits schwache Kontrolle der zentralen Regierung ab, ihre Mittelsmänner verloren lokal immer mehr an Einfluss. Als Antwort darauf wendete die Regierung despotische Formen der Herrschaft an, die willkürliche Androhung und Ausübung von Gewalt. 2005 kam es zur ersten großen, offenen Konfrontation zwischen den Bauern und der Regierung bzw. den Milizen der Dammverwaltung in Sani, einer Wüstenoase in Manasirland. Glücklicherweise konnte eine gewaltsame Eskalation durch Vermittlungen des Leitungskomitees verhindert werden. Demonstrationen und Verhaftungen von Mitgliedern des Leitungskomitees folgten. Öffentliche Diskussionen waren hauptsächlich von Männern dominiert, an größeren Versammlungen und Demonstrationen in Manasirland nahmen jedoch auch Frauen teil. Es kam zu weiteren Zwischenfällen und viele befürchteten eine weitere Destabilisierung der Situation durch Gewaltanwendungen der Regierung.
Immer wieder versuchte das Leitungskomitee mit der Dammverwaltung zu verhandeln, die jedoch ablehnte. Die Politik der Dammverwaltung war alles andere als transparent. "Die Dammverwaltung handelt im Geheimen -- aber mit unserer Vertretung verhandelt sie nicht", erläuterte mir ein Mitglied des Komitees im Jahr 2006. Daraufhin versuchten der Rat und das Leitungskomitee neue Verhandlungspartner zu gewinnen und die Verantwortung der Umsiedlung auf die regionale Regierung des River Nile State zu übertragen. Die eskalierende Situation führte zu Vermittlungen zwischen dem Leitungskomitee und der Regierung des River Nile State durch prominente Mitglieder der Regierungspartei NCP. Daraus folgte 2006 ein Abkommen zwischen den Manasir und dem River Nile State, das den Bau der lokalen Siedlungen um den künftigen Stausee beschloss. 2007 folgte ein erneutes Abkommen, das diesmal von der zentralen Regierung garantiert wurde. Kurz darauf erfolgte die offizielle Grundsteinlegung der ersten von sechs geplanten Siedlungen an dem künftigen Stausee. Aus der Sicht der Manasir behinderte die Dammverwaltung, die sich weiterhin als alleinige Handlungsbefugte betrachtete, jedoch die Umsetzung des Abkommens. Der Bau der neuen Siedlungen verzögerte sich immer wieder.
Der Staat selbst zog sich nach und nach aus Manasirland zurück. Staatliche Einrichtungen wie die Landwirtschaftsbank wurden geschlossen -- das Gebiet war dem Untergang geweiht und staatliche Vertreter sahen keine Zuständigkeiten mehr. Als die Situation zu eskalieren drohte, errichtete die Regierung an mehreren Orten im Hochland Militärlager. Die Umsiedlungswilligen interpretierten diese als Schutz vor Übergriffen durch Anhänger der "lokalen Option", diese wiederum betrachteten die Militärpräsenz als Gewaltandrohung und Mittel zur Vertreibung. Das Land der Manasir wurde isoliert und abgeriegelt; hier herrschten eigene Gesetze und Regeln. Die Mehrheit der Bäuerinnen und Bauern schloss sich dem Leitungskomitee an, sah deren Vertreter als ihre legitimen Führer an und verwehrte staatlichen Akteuren den Zutritt. Immer wieder, auch während der Überflutung, sprachen Manasir-Vertreter sowie einige Bäuerinnen und Bauern davon, das "Land zu schließen", das heißt, Regierungsvertretern und Verräter*innen den Zutritt zu verweigern. In den Augen der Manasir agierte die Dammverwaltung als ein "Staat im Staat" mit eigener Miliz und legislativer Entscheidungsmacht. Manasirland selbst bildete sich zu einer autonomen Zone heraus, die staatsähnliche Verwaltungscharakteristika besaß, um sich selbst zu verwalten und die territoriale Herrschaft beanspruchte. Diese Zone war ein Provisorium, immer wieder schwankte die Situation zwischen Eskalation und De-Eskalation: der Ablehnung des Zugriffs der Regierung oder der Öffnung zum Staat und Verhandlungen (ebd.).
Erweiterter Protest: Die Besetzung der Stadt Ed-Damer
Während der jährlichen Hochflut stieg der Nil dann im Sommer 2008 sehr stark an. Zu dieser Zeit warteten die Bewohner*innen auf den von der Regierung zugesagten Bau der neuen Siedlungsprojekte (die "lokale Option"). Offizielle, gesicherte Informationen zum Beginn der Aufstauung und dem Regime des Damms waren nicht erhältlich. Ende Juli überflutete der Nil die ersten Dörfer und zwang die Bewohner*innen zur Flucht in die Wüste. Die Überflutung dauerte, was zu Beginn niemand absehen konnte, insgesamt zehn Monate lang an. Das Komitee lieferte Hilfsgüter mit Nahrungsmitteln und Zelten an die am schwersten betroffenen Gebiete. Die Vertriebenen setzten die Überflutung mit den gewalttätigen Vertreibungen, Tötungen und Menschenrechtsverletzungen in Darfur gleich. Früher bereits hatten die Bewohner*innen Parallelen zum Darfur-Konflikt gezogen, indem sie von der Gefahr eines "zweiten Darfur" gesprochen hatten.
Im Laufe der Überflutung versuchten die Vertriebenen durch den selbstorganisierten Bau von neuen Häusern sowie den Wiederaufbau von landwirtschaftlichen Projekten und die Etablierung einer kommerziellen Fischerei das Land um den entstehenden Stausee in Besitz zu nehmen. Möglichst kein Fleckchen Land entlang der Ufer sollte unbesetzt bleiben, um Ansprüche potenzieller Neuankömmlinge abzuwehren und den Entschluss zu bleiben der Regierung gegenüber deutlich zu machen und zu legitimieren. Im weiteren Verlauf versuchten Manasir-Vertreter*innen immer wieder die Realisierung des Abkommens einzufordern und auf gesetzlicher Grundlage ihre Rechte zu erwirken. Vor den nationalen Wahlen und auf Drängen des Leitungskomitees besuchte der damalige Präsident Omar al-Bashir das Gebiet während der Überflutung im Januar 2009 und versprach Unterstützung für den Aufbau der Landwirtschaft, der sozialen Dienste, für Infrastrukturen und die neuen Siedlungen. Das Ziel der Manasir-Vertreter, das Gebiet um den Stausee als eigenen Regierungsbezirk zu etablieren, erfolgte bald darauf mit der offiziellen Gründung des "Regierungsbezirks um den Stausee", der als Verwaltungseinheit zum River Nile State zählt. Es wurden Verwaltungsgebäude, eine Polizeistation und später ein Krankenhaus gebaut. Damit wurde das Bleiben der Manasir gewissermaßen staatlich legitimiert; Gemeindevertreter übernahmen Positionen in der Verwaltung des Regierungsbezirks. Die versprochene Aufbauhilfe und der Bau der neuen Siedlungen (die "lokalen Option") ließen jedoch auf sich warten.
Um den Bau der neuen Siedlungen und weitere Rechte einzufordern, weiteten die Manasir ihren Protest aus und trugen ihn im November 2011 direkt in das Herz des River Nile State, dessen Hauptstadt Ed-Damer. Inspiriert vom arabischen Frühling besetzten Hunderte von Männern einen öffentlichen Platz mitten in Ed-Damer, den sie in Anlehnung an die Aufstände in Kairo "Tahrir-Platz" nannten. Sie errichteten Zelte, in denen sie schliefen, aßen und beteten. Täglich organisierten sie Demonstrationen vor Ort, Kundgebungen und andere Protestaktionen. Ebenso wie bei den Kairoer Protesten stand jeder Tag unter einem anderen Motto. Die Proteste richteten sich an die allgemeine Öffentlichkeit und gegen die Dammverwaltung und die zentrale Regierung. In kollektiven Aktionen riefen die Männer in Sprechchören Slogans wie: "Die Damm-Bande soll zerstört werden" oder "der Tod, der Tod ist besser als diese Tyrannei!" Mitglieder der Oppositionsparteien und anderer von den geplanten Dämmen betroffener Gruppen besuchten die Demonstranten und zeigten ihre Solidarität.
Ende Dezember 2011 organisierten Manasir-Student*innen Demonstrationen in der Universität Khartum und an mehreren Orten der Hauptstadt. Ihnen schlossen sich mehrere Hundert Studierende in einem Solidaritätsmarsch an. Die gewaltsame Auflösung der Proteste verursachte weitere Demonstrationen und schließlich die vorübergehende Schließung der Universität Khartum. Die Proteste 2010 und 2011, die in Tunis, Kairo und an anderen Orten der arabischen Welt stattfanden, hallten in der sudanesischen Provinz wider, indem die Protestpraktiken von den Manasir für ihre Anliegen übersetzt und angeeignet wurden. Im März 2012, nach mehr als drei Monaten, endete die friedlich verlaufene Besetzung von Ed-Damer mit einem weiteren Abkommen mit der Regierung. Darin wurde erneut Aufbauhilfe und der Bau der neuen Siedlungen um den Stausee garantiert.
Während der Demonstrationen in Khartum und der Besetzung von Ed-Damer gewannen die Manasir und ihre Vertreibung erstmals nationale und internationale Aufmerksamkeit. Mehrere Jahre lang hatten sie immer wieder an Universitäten und in Provinzstädten demonstriert. Manasir-Vertreter veröffentlichten Berichte in nationalen und internationalen Medien und kontaktierten die im Dammbau involvierten ausländischen Firmen, um auf die Probleme des Merowe-Damms und mögliche, gewaltsame Vertreibungen aufmerksam zu machen. Ebenso warnte die internationale Anti-Damm-NGO International Rivers Network (IRN) und zu einem späteren Zeitpunkt (2007) auch der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für angemessenes Wohnen vor Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen. Jedoch stießen die Anliegen der Manasir und die Problematik des Merowe-Damms im Vergleich zu anderen Megaprojekten und lokalen Protesten, die nationale und transnationale Bürgerbewegungen hervorrufen konnten, lange Zeit auf wenig Resonanz. Erst mit der Besetzung von Ed-Damer und mit der Unterstützung einer jungen Anti-Regierungsbewegung in den sudanesischen Städten erreichten sie die breite Öffentlichkeit und regten Diskussionen an. Durch die mediale Zensur war bis dahin wenig von der Überflutung und den Vertreibungen an die breitere Öffentlichkeit durchgesickert. Zudem vermittelte die Medienkampagne der Dammverwaltung das Bild einer erfolgreichen Umsiedlung nach al-Mukabrab.
Zusammenfassung und Ausblick
Der Dammbau, die Aufstauung des Nils und die Vertreibungen folgten der Realisierung technischer Pläne und Ziele -- wie es für die lineare, technische Ausrichtung von Projekten im Stil des "high modernism" charakteristisch ist -- und nicht dynamischen Prozessen gesellschaftspolitischer Verhandlungen. Das zeigt sich besonders deutlich in den ständigen Verzögerungen des Baus der neuen Siedlungen, vor allem aber in der Überflutung von bewohnten Dörfern, bevor eine Umsiedlung stattgefunden hatte. Meine Forschungspartner*innen interpretierten die Arbeitsweise des "high modernism", bei dem die Anliegen der Menschen meist ignoriert werden, als "Politik der Verunsicherung", die auf ihre Vertreibung abzielte.
Dieser Beitrag zeigt, dass die Realisierung von Großstaudämmen von politischen Prozessen geformt wird, die nicht durch einen technisch-rationalen, vorgefertigten Plan fassbar und kontrollierbar sind. Die anhaltende Ideologie des "high modernism" und ihre technokratische Umsetzung setzen auf die technische Planbarkeit, schließen soziale und politische Prozesse aus und trennen "Natur" von "Gesellschaft". Der Glaube an die technisch-rationale Durchführbarkeit, kombiniert mit dem Willen eines autoritären Regimes, seine Interessen mit dem Megaprojekt gegen alternative Visionen mit Zwang durchzusetzen, produziert Konflikte und Gewalt. In der Auseinandersetzung mit den Vertreibungstechniken der Regierung entwickelten die Akteure eigene Vorstellungen und versuchten Planungs- und Implementierungsprozesse zu formen und zu gestalten. Es entstanden "offene Momente", in denen sich Beziehungen, Ziele und Überzeugungen re-konfigurierten. Diese Momente sind weder vorhersehbar und planbar noch kontrollierbar. Gerade weil es um grundlegende Lebenschancen geht, ist der Prozess von Machtkämpfen gekennzeichnet und nur dann mit dem Begriff "technisch" einzufangen, wenn Technik grundsätzlich als politisch verstanden wird. Je mehr Bedeutung die Vision des Bleibens gewann, desto mehr staatlicher Druck wurde ausgeübt. Umso stärker wiederum spalteten sich die Bäuerinnen und Bauern in Form des aktiven, organisierten Widerstandes durch die quasi selbstregierte autonome Zone ab, die territoriale Souveränität beanspruchte und sich der Kontrolle der Regierung entzog. Die Formierung dieser Zone war von einer Re-Konfiguration der lokalen Machtverhältnisse hin zum Aufschwung einer Elite von Manasir-Migranten aus den Städten gekennzeichnet. In einer Situation der Ungewissheit und der Bedrohung des Lebens gewann die neue Führerschaft an Einfluss und setzte sich für die Vision der "lokalen Option" ein.
Durch die kritischen Ereignisse und Wendepunkte hatte der Prozess einen krisenhaften Verlauf angenommen, der mit der Überflutung, wahrgenommen als radikales Ereignis, in einer existenziellen Krise mündete. Die Vertreibung von tausenden Manasir-Familien aus ihren Dörfern am Nil in die angrenzende Wüste führte zum Verlust von fruchtbarem Land, Häusern, Arbeit, sozialen Beziehungen und schließlich zu einer ungewissen Zukunft. Sie wurden, um den Begriff von Thayer Scudder (1993: 124) zu verwenden, zu "Entwicklungsflüchtlingen". Die Menschen waren durch die Inbetriebnahme eines staatlichen Entwicklungsprojektes gezwungen zu fliehen.
Verbunden mit autoritären Regimen und der fortschreitenden Internationalisierung von Geldgebern und Dammexporteuren bilden die vorherrschenden Planungsparadigmen einen kritischen Nexus, der weiterhin zu gewaltsamen Vertreibungen, Krisen und Menschenrechtsverletzungen führen wird. Die internationalen Richtlinien und Standards zu Dammbauten und Umsiedlungsprozessen, z.B. der Weltbank und der WCD, stellen einen wichtigen Referenzrahmen für betroffene Gemeinschaften dar, werden aber tendenziell in den neuen, kritischen Konstellationen nicht eingehalten; sie sind ohnehin nur schwach verankert und rechtlich nicht bindend. Um die Dammbauindustrie zur Verantwortung zu ziehen, haben Manasir-Vertreter in Zusammenarbeit mit der in Berlin ansässigen Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) 2010 eine Strafanzeige in Frankfurt a.M. gegen zwei führende Mitarbeiter der deutschen Ingenieursfirma Lahmeyer eingereicht, die als Bauleitung des Merowe-Damms für die Durchführung und Inbetriebnahme verantwortlich waren; die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen auf einen dritten ausgeweitet (Hänsch & Saage-Maaß 2018). Um zu einer gerechteren Energiepolitik zu gelangen, könnten lokale Visionen und Praktiken in Zusammenarbeit mit Ingenieur*innen, Planer*innen und Politiker*innen -- und in Verbindung mit einer Stärkung internationaler Richtlinien und der Ausarbeitung der Verantwortlichkeit der Dammbauindustrie (Unternehmen und Geldgeber) -- schrittweise erprobt werden, um offenere und flexiblere Herangehensweisen zu ermöglichen, die zu alternativen Projekten führen.
Über die Monate und Jahre entstanden in Manasirland aus notdürftigen Unterkünften langsam wieder Dörfer. In einigen Gebieten um den Stausee kann Landwirtschaft betrieben werden, in anderen bleibt dies jedoch aufgrund der Pegelschwankungen des Stausees schwierig. Viele Männer migrieren zeitweise und arbeiten im Goldabbau, der derzeit im Sudan boomt. Die Spannungen zwischen den nach al-Mukabrab Umgesiedelten und den in Manasirland Gebliebenen haben sich mittlerweile größtenteils gelegt. Wechselseitige Besuche sind nun meist möglich, obwohl die Entzweiung und Enttäuschung noch immer tief sitzen. In dem Umsiedlungsgebiet al-Mukabrab haben sich viele der Befürchtungen bestätigt. Beispielsweise ist die Wasserzufuhr für die Bewässerung häufig unterbrochen und unzuverlässig. Wiederholt demonstrierten die Bewohner*innen von al-Mukabrab gegen die schlechten Bedingungen. Viele haben ihre Häuser verkauft und sind in die Städte abgewandert. Sowohl in Manasirland als auch in den Umsiedlungsgebieten ist die derzeitige ökonomische Depression im Sudan zu spüren. Das Ziel des Widerstands, weiterhin in Manasirland zu leben, scheint zwar erreicht zu sein und ist offiziell durch die Etablierung des Regierungsbezirks legitimiert, aber es bleibt unsicher, ob und wie es längerfristig gelingt zu bleiben. Die neuen Siedlungen sind immer noch nicht fertig gebaut und die Umstände sind in einigen Teilen des Gebietes sehr prekär. Mit Protestaktionen und der Besetzung von öffentlichen Plätzen in Khartum beteiligen sich die Manasir an den seit Dezember 2018 stattfindenden landesweiten Demonstrationen, die im April 2019 zum Sturz des Präsidenten Omar al-Bashir geführt haben.
Literatur
Abbink, Jon (2012): "Dam Controversies: Contested Governance and Developmental Discourse on the Ethiopian Omo River Dam". In: Social Anthropology, Bd. 20, Nr. 2, S. 125-144 (https://doi.org/10.1111/j.1469-8676.2012.00196.x).
Askouri, Ali (2007): "China's Investment in Sudan: Displacing Villages and Destroying Communities". In: Manji, Firoze, & Stephen Marks (Hg.): African Perspectives on China in Africa. Oxford, S. 71-86.
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Anschrift der Autorin:
Valerie Hänsch
valerie.haensch@ethnologie.lmu.de
https://doi.org/10.3224/peripherie.v39i2.05
[1] Abgesehen von weithin bekannten politischen Persönlichkeiten habe ich alle Namen der genannten Personen zum Schutz der Sicherheit und Privatsphäre sowie aus Datenschutzgründen geändert.
[2] Die Bezeichnung "dar" bedeutet Land, Heimatland. "Dar al-Manasir -- Land der Manasir" ist eine rechtliche Kategorie, die im Gegensatz zu anderen Gruppen, deren kommunale Nutzungsrechte auf der dar-Regelung basieren wie z.B. bei Nomaden, keine große Rolle spielt. Wie bei anderen Niltalgesellschaften im Nordsudan herrscht die Kategorie der privaten Landeigentumsrechte vor. Wenn die Bewohner*innen von ihrem Gebiet sprechen, dann meist als "balad" (Land, Heimat) oder im offiziellen Rahmen als "muntaqa al-Manasir" (Gebiet der Manasir).
[3] Gespräche und Interviews habe ich auf Arabisch geführt und wie auch alle anderen fremdsprachigen Zitate ins Deutsche übersetzt.
* Anm. d. Red.: Nach einem Versehen in der gedruckten Fassung nachträglich korrigiert.
[4] Die Bezeichnung karazaiyat (sing. karazai) leitet sich von dem ehemaligen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai ab, dem vorgeworfen wurde, eine Marionette der USA zu sein.
[5] Die Bundesstaaten sind in "mahalliyyat" (sing. "mahalliyya") unterteilt, das sind mit Regierungesbezirken vergleichbare Vewaltungseinheiten.