Wege und Umwege transnationaler Frauennetzwerke und der Globalisierung von Frauenrechten
Aufbruch von den Rändern bedeutete für die neuen Frauenbewegungen die Geschlechterfrage als Machtfrage zu stellen.
Aufbruch zur Sichtbarkeit
Aufbruch von den Rändern bedeutete für die neuen Frauenbewegungen, die sich seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts nach dem Schneeball-Prinzip in den Metropolen, den Peripherien und auch transnational auf den Weg machten, die Geschlechterfrage als Machtfrage zu stellen. Die Richtung dieses Aufbruchs wurde durch die gesellschaftlich zugewiesene Randständigkeit bestimmt, die auf der Trennung von Öffentlichem und Privatem beruhte. Zentrale frauenpolitische Strategie war deshalb, das Private zu politisieren, das Persönliche öffentlich zu machen und die herrschaftskonstitutive Kultur des Schweigens über Geschlechterregime zu brechen. Seit den 1970er Jahren machten Frauenbewegungen mit einer provokanten Politik der Aufmerksamkeit das bislang Unsichtbare sichtbar, benannten und artikulierten das Unausgesprochene und Verschwiegene. Dies leisteten Parolen wie "mein Bauch gehört mir", die Eroberung öffentlicher Räume durch Demonstrationen und laute Proteste wie Kochlöffelgetrommel auf leeren Kochtöpfen oder die Skandalisierung von Gewalt gegen Frauen durch nächtliche Trillerpfeifenkonzerte vor den Slumhütten in Lima, in denen Männer prügelten. Solche Methoden zur Hör- und Sichtbarkeit sind für alle sozialen Kräfte und Bewegungen Einstiegsmechanismen in die umkämpften Aushandlungsterrains gesellschaftlicher Macht. Sie konstituieren mit einem hohen Anteil von symbolischer Kraft politische Identität und werben um gesellschaftliche Anerkennung. Aufgrund des Mobilisierungsdrucks der Basis wurde Geschlechtergleichheit mit der 1. Weltfrauenkonferenz 1975 in Mexiko auch auf die internationale Tagesordnung gesetzt, und Ausschluss und Diskriminierung von Frauen bei den Vereinten Nationen mit der Frauenrechtskonvention (CEDAW) völkerrechtsverbindlich thematisiert. Die Weltbank übernahm die Topoi der Anerkennung und Sichtbarkeit in ihre Frauenförderprogrammatik: "Recognizing the 'Invisible' Women in Development" (1979). Anerkennung ist jedoch, wie Nancy Fraser sagt, nur die eine Seite der Machtfrage, Verteilung, besser: Umverteilung ist die andere. Die Forderung der schwarzen Feministin bel hooks von 1983, Ausschluss und Marginalität zu überwinden, klingt im Nachhinein wie eine Richtungs-Weisung: "From margin to centre". In dem Maße, wie Frauenbewegungen einen Prozess der Formalisierung als NGOs und eine Professionalisierung durchliefen, akzentuierten sie ihre Ansprüche auf Einmischung und Partizipation gegenüber der Politik .Partizipation und Frauenrechtsparadigma
So nahmen die meisten Frauennetzwerke die Partizipationsangebote an, die Regierungen in Demokratisierungsprozessen und die UN beim Aushandeln von Global-Governance-Regimen an die Zivilgesellschaft machten. Sie ließen sich auf die markierten Verhandlungsfelder und die Spielregeln ein, ja, drängten sich hinein, weil sie glaubten, mit kooperativen Politikformen mehr erreichen zu können als mit den konfrontativen Formen der sozialen Bewegungen aus den 1970er und 1980er Jahren. Angesichts der historisch günstigen Gelegenheitsstrukturen erschien die Hoffnung berechtigt, durch Lobbying und Einmischung in die Institutionenpolitik die Geschlechterblindheit nationaler Politiken und der Global Governance beseitigen und dabei auch nach Zipfeln politischer Macht greifen zu können. Die Machtfrage sollte - statt von den Rändern her - inmitten der Macht gestellt werden. Hatte das Südnetzwerk DAWN 1985 noch auf den Aufbau von Gegenmacht durch kollektives Empowerment mittels Organisierung gesetzt (siehe Peripherie 25/26), so plädierte es jetzt für eine Strategie der "Transformation durch Partizipation". Das politische Pfund, mit dem sich internationale Frauennetzwerke in den 1990er Jahren bei der Serie der großen UN-Konferenzen einklinkten, war das Paradigma "Frauenrechte sind Menschenrechte". Es beruhte auf einer feministischen Redefinition von Menschenrechten und einem multidimensionalen Konzept von Rechten, das wiederum in ein ganzheitliches Verständnis von Entwicklung eingebettet war. Konsensbildung über das Frauenrechtskonzept fand auf der Grundlage einer strategischen Identitätsbildung ("Wir Frauen"), der Verschwisterung über innere Differenzen und nationalstaatliche Grenzen hinweg statt. Mit dem Andocken an das Menschenrechtsparadigma als globalem normativem Referenzrahmen für internationale Politik gelang es, über die Sichtbarmachung von Unrecht an Frauen und ihres Opferstatus hinauszugehen und sie als aktive Rechts- und Handlungssubjekte zu legitimieren. Mit dem erklärten Ziel, Frauenrechte zu globalisieren, agierte ein informelles Bündnis von transnationalen Frauennetzwerken, die "Global Women`s Lobby", im internationalen Aushandlungsfeld von Interessen und Machtkonstellationen in Global-Governance-Regimen. Die 1990er Jahre mit dem UN-Konferenzmarathon wurden zum goldenen Zeitalter internationaler Frauenpolitik, eine Erfolgsdekade. Die zunehmend professionalisierte, frauenpolitische Elite der Netzwerke profilierte sich als handlungsfähige Akteurin und gewann Anerkennung als transnationales politisches Subjekt. Erstmalig mischte sie sich bei allen globalen Themen und Problemen ein, konnte UN-Aktionspläne und Programme auf der sprachlichen Ebene zumindest punktuell beeinflussen und damit normativ einen Konsens über Frauenrechte und Geschlechtergleichheit erzielen. Parallel verankerte sie als neue zentrale Strategie das Gender Mainstreaming bei der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, um die Integration geschlechterspezifischer Zugänge zu allen Politiken institutionell zu sichern. Mit diesem "langen Marsch durch die Institutionen" wurde Gleichstellungs- und Frauenrechtspolitik in effizienzorientierte Verfahrenstechniken, betriebswirtschaftliche log frames und neoliberales Qualitätsmanagement kanalisiert. Mainstreaming nicht nur in den "weichen", sondern auch in den "harten" Politikfeldern erschien als Patentrezeptur zur Teilhabe an Macht, Mit-Machen sollte zu Mit-Macht führen.Kooperation und Konvergenz, Ernüchterung und Enteignung
Ernüchterung stellte sich bald ob der Folgenlosigkeit der Erfolge ein. Mehr Partizipation bedeutet nicht schon automatisch ein Mehr an Einfluss und Entscheidungsmacht. Eine große Umsetzungslücke tat sich zwischen den internationalen Aktionsplänen einerseits und der nationalen und lokalen Frauenpolitik andererseits auf. Das Konzept, nationale Politiken in einen Schraubstock von oben - durch die Normsetzung beim Global-Governance-Regime der UN - und von unten - durch lokale und nationale Mobilisierung zu nehmen -, ging nicht auf: Die globale Normierung übersetzte sich nur wenig in Handlungsdruck auf die Regierungen und noch weniger in eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Frauen. Die Mobilisierung an der Basis fragmentierte und zerbröselte zusehends. In der Zeit, in der NGOs einen neo-etatistischen Tunnelblick von Globalisierung entwickelten, wo die Nationalstaaten und die UN als lichte Gemeinwohlgaranten und Steuerungsinstanzen zur Umsetzung von Menschen- und Frauenrechte am Ende des Tunnels erscheinen, zogen sich die Staaten unter dem Einfluss von Strukturanpassungsdiktaten und des Washington Consensus zunehmend aus der Regulierung der Märkte und aus öffentlichen Leistungen zurück. Die Wucht der neoliberalen Globalisierung einerseits und erstarkende neokonservative und fundamentalistische Kräfte andererseits waren es, die die Rechtswirklichkeit bestimmten und Frauenrechte aus unterschiedlichen Richtungen torpedierten oder aushöhlten. Genau diese realen Machtverhältnisse gerieten jedoch der Global Women's Lobby aus dem Blickfeld, als sie sich darauf konzentrierte, neue politische Räume und die formale Anerkennung von Frauenrechten zu erkämpfen. Auf der Peking+10-Konferenz im März 2005 bei den Vereinten Nationen fiel die Bilanz, was die enorme Investition politischer Energien für Partizipation, Gender Mainstreaming und das Frauenrechtskonzept auf der internationalen Ebene gebracht hat, widersprüchlich aus. Zweifellos gab es Thematisierungs- und Institutionalisierungserfolge für vorher Namenloses: für Gewalt in der Familie, Vergewaltigung als Kriegsverbrechen, sexuelle und reproduktive Rechte. Paradoxerweise hat Frauenpolitik jedoch trotz dieser Mainstreaming-Erfolge stetig an Bedeutung verloren. Obwohl sozialpolitische Themen ganz oben auf internationalen und nationalen Agenden stehen, sind Frauenthemen - mit Ausnahme weniger Skandalthemen - so out wie lange nicht mehr. Das politische Interesse an Gleichstellungspolitik ist in den neoliberalen Wettbewerbsstaaten ebenso weggeschrumpft oder weggespart worden wie der politische Wille zu sozialer Umverteilungspolitik. Innerhalb des extrem hierarchischen UN-Systems ist Frauenrechtspolitik seit der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking institutionell heruntergestuft und abgewertet worden, die entsprechenden Organisationen werden ausgetrocknet. Nach der großen Öffnung in den 1990er Jahren schließen sich nun die Räume wieder. Die Zielachsen vieler Frauenbewegungen orientierten auf Leitbilder von Selbstbestimmung, Eigenständigkeit und individueller Freiheit. Ihre Forderungen - von eigenständiger Existenzsicherung bis hin zur Emanzipation von patriarchaler Kontrolle - treffen sich jetzt mit der Logik der globalisierten Märkte, die Frauen zunehmend integrieren, und mit den neuen Vergesellschaftungsmustern, die den neoliberalen Umbau der Staaten und den Abbau der Sozialstaatlichkeit bestimmen: Vergesellschaftung findet paradoxerweise durch ihr Gegenprinzip, nämlich durch fortschreitende Individualisierung, durch die Fokussierung auf die Eigenverantwortung und Konkurrenzfähigkeit als homo oeconomicus oder oeconomica statt. Veronica Schild hat kürzlich am Beispiel von Chile nachgezeichnet (siehe Peripherie 92), wie die Forderungen von Frauenorganisationen nach individuellem Empowerment der neoliberalen Rationalität der Regierung, ihrem Ziel der Wettbewerbsfähigkeit durch flexibilisierte Frauenarbeit und eigenverantwortliche, autonome Bürgerschaftlichkeit in die Hände spielte. Diese bisher wenig analysierte Konvergenz feministischer und neoliberaler Ziele legt derzeit den transformatorischen Anspruch von Frauenbewegungen lahm.Die neuen Ränder
Die transnationalen Frauennetzwerke haben auf der Ebene von Global Governance einen hohen Preis für das Dabeisein gezahlt: Autonome Positionen sind kaum mehr erkennbar, Frauenpolitik ist in institutionellen Verfahrenstechniken entpolitisiert und entradikalisiert worden, kritische Begriffe und emanzipatorische Prozesse sind enteignet. Die Partizipations- und Inklusionsfortschritte waren Teil der neoliberalen Umstrukturierung von multilateraler Politik durch zivilgesellschaftliche Beteiligung und Konsensbildung. Wie die Märkte so haben sich auch politische Systeme durch Öffnung flexibilisiert. Mit Schaudern stellten die früher transformationsorientierten Netzwerke am Ende einer 30jährigen Reise von den Rändern internationaler Politikfelder hinein in die Zentren fest, dass sie es zunehmend versäumt hatten, die Frage zu stellen, mit der sie aufgebrochen waren - die Machtfrage: "Wir sind keine change agents mehr." Es wäre zu einfach, die Verstrickungen der transnationalen Frauennetzwerke auf politische Vereinnahmung zu reduzieren. Vielmehr werden hier Mechanismen der Gouvernementalität offensichtlich, wie nämlich Regulierung von außen sich übersetzt in Selbstregulierung, wie neue Mechanismen von Vergesellschaftung durchgesetzt werden, wie der Aufbau von Hegemonie funktioniert, wie sich ein neoliberaler gesellschaftlicher Konsens bildet. Da stehen die meisten Frauennetzwerke nicht draußen vor, sondern mitten drin im Mainstream und doch an neuen Rändern der Macht. Gemainstreamt finden sich Frauenrechtlerinnen an der Peripherie wieder. Die Dialektik der Aufklärung setzt sich in der Dialektik sozialer Bewegungen fort. Anschrift der Autorin Christa Wichterich christawic@aol.comAus PERIPHERIE 100 "100 PERIPHERIEN - Die Welt von den Rändern her denken", Münster 2005, S. 534-538
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