Professorales Vorrecht oder Aufgabe der Wissenschaftler*innen
Unter dem Schlagwort der "Professorenmehrheit" privilegierte das Bundesverfassungsgericht 1973 in seinem Hochschul-Urteil die Gruppe der Hochschullehrer*innen und stoppte damit die Demokratisierungsbestrebungen intrahochschulischer Entscheidungsgremien. Lukas C. Gundling zeichnet in seinem Beitrag die Genese des Urteils nach und diskutiert Alternativen.
I. Ende der Demokratisierung?
Universitäten in Deutschland genießen traditionell eine gewisse Unabhängigkeit vom Staat. Der Einfluss der Hochschullehrer*innen auf die Geschicke der Hochschule ist zugleich hoch und in der frühen Bundesrepublik dominierte die Ordinarienuniversität, die den Gelehrten die Entscheidungen an den Universitäten exklusiv übertrug. Spätestens in den 1960er-Jahren wurde eine Demokratisierung der Hochschulen von verschiedenen Seiten gefordert. Eingebunden waren die Forderungen bezüglich der Demokratisierung der Hochschulen in solche der Demokratisierung weiterer gesellschaftlicher Bereiche.1
Sowohl in der studentischen Protestbewegung als auch im akademischen Mittelbau und in der Professor*innenschaft gab es Vertreter*innen, die einer Reform der Hochschulorganisation positiv gegenüberstanden oder diese forderten. Die Durchsetzung der Demokratisierung mittels Bundesgesetzgebung konnte jedoch zunächst nicht realisiert werden; das geplante Hochschulrahmengesetz (HRG) scheiterte 1972 am Widerstand der Länder und am Grundsatz der Diskontinuität. Das HRG wurde schließlich erst 1976 verabschiedet.2
1. Das Hochschul-Urteil
Mit Blick auf das mögliche HRG hielten sich viele Länder mit der Reform ihrer noch jungen hochschulrechtlichen Normen zurück. Ein erstes Hochschulgesetz wurde 1966 in Hessen verabschiedet, nachdem zuvor schon Gesetze zu einzelnen Universitäten bestanden. Bis dahin hatten Universitäten ihr Recht durch eigene Satzungen selbst geschaffen. In Niedersachsen hingegen wurde eine Reform angestrengt, die 1971 durch das Vorschaltgesetz zum Niedersächsischen Hochgesetz zu weitgehenden Mitbestimmungsrechten der mit der Hochschule verbundenen Menschen führte. Erwartbar stieß das Gesetz auf Widerstand der Ordinarien und in der Folge kam es zu einer Überprüfung der Norm durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe.3
Aus der knappen Formulierung "Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei" und deren Verankerung im Grundgesetz las das BVerfG eine Vielzahl an Schutzgehalten für die Wissenschaft heraus.4 Das Ergebnis der Überprüfung des niedersächsischen Vorstoßes war die Entscheidung im Mai 1973, die unter der Bezeichnung Hochschul-Urteil bis heute als zentrale Referenz für die verfassungsrechtliche Determination hochschulorganisationsrechtlicher Gestaltungsräume der Gesetzgebung herangezogen wird. Gerade die Notwendigkeit einer Hochschullehrer*innenmehrheit in Entscheidungen über wissenschaftliche Angelegenheiten hat sich allen Reformvorhaben zum Trotz zum Allgemeingut der Wissenschaftsorganisation in Deutschland entwickelt, und das, obwohl der Wortlaut des Art. 5 Abs. 3 GG gerade keine expliziten Aussagen zur Hochschulorganisation enthält.5
Dass das Urteil nicht bloß zeitgeschichtliche Bedeutung hat, sondern die damals zu klärenden Rechtsfragen bis heute Bedeutung entfalten, ist einerseits der Gestaltung der Entscheidung selbst geschuldet, indem diese erstmals die Wissenschaftsfreiheit konturiert, und zeigt sich andererseits in den Diskussionen zu den Reformen der Landeshochschulgesetze.6 Letztere haben durch die Föderalismusreform 2006 wieder an Bedeutung gewonnen, da die Gesetzgebungskompetenz, die Hochschulen betreffend, vom Bund an die Länder zurückgereicht wurde.7
2. Gehalte für die Mitwirkung
Das Hochschul-Urteil führte nicht zu einer Zementierung der Ordinarienuniversität. Im Gegenteil: Das Urteil erkannte die Gruppenhochschule als grundsätzlich verfassungskonform an:
"[Das Modell] ist nicht von vornherein ›wissenschaftsfremd‹; denn ein Mitspracherecht aller Hochschulangehörigen führt noch nicht notwendig zu einem gegen die Wissenschaftsfreiheit gerichteten ›Verfremdungsprozeß‹."8
Die Entscheidung ist im Kern von der Intention getragen, dass die Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit durch die Gruppenhochschule nicht in Gefahr geraten dürfe; die gesetzlichen Vorgaben für die Hochschulorganisation müssten den Schutz von Forschung und Lehre gewährleisten. Im Zentrum steht also nicht der Gedanke der Demokratie an Hochschulen, sondern die Garantie der Wissenschaftsfreiheit.9
Im Hochschul-Urteil differenziert das Gericht bei der Frage, wie dieser Schutz bewirkt werden kann, zwischen Lehre und Forschung. Allerdings erkannte das Gericht die Entscheidungsmacht der Hochschullehrer*innen als Garant des Schutzes der Wissenschaftsfreiheit sowohl in ihrer Ausprägung als Forschungs- wie auch als Lehrfreiheit. Bei hochschulischen Entscheidungen, die Lehre betreffend, müssen sie einen maßgebenden Einfluss - d.h. mindestens die Hälfte der Stimmen - haben, bei Entscheidungen über Forschung gar einen ausschlaggebenden und damit über Stimmmehrheit verfügen.10
Allerdings stellte das BVerfG auch fest, dass "[…] die Vertreter der Hochschullehrergruppe [nicht] generell über eine ›eindeutige Mehrheit‹ verfügen müßten."11 Letztlich lassen schon diese Ausführungen von 1973 paritätische Entscheidungen in allen den Angelegenheiten zu, die gerade nicht zur Wissenschaft, mithin zu Forschung und Lehre zählen.
Auch rechtfertigt das Gericht in seinem Urteil, weshalb wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, Student*innen und nichtwissenschaftlichen Mitarbeiter*innen eine Mitsprache an Hochschulen eingeräumt werden darf. Der akademische Mittelbau schöpft das Mitspracherecht demnach unmittelbar aus der Wissenschaftsfreiheit.12 Mit Blick auf das Mitspracherecht der Student*innen formuliert das Gericht:
"Die Studenten […] sollen selbständig mitarbeitende, an den wissenschaftlichen Erörterungen beteiligte Mitglieder der Hochschule sein. Deshalb kann die studentische Mitsprache nicht generell als ›wissenschaftsfremd‹ angesehen werden."13
Betrachtet man den klaren Wissenschaftsbezug der Vorausführungen, war das BVerfG bei der Rechtfertigung der Mitwirkung des nichtwissenschaftlichen Personals vor Herausforderungen gestellt, obwohl diese Gruppe mitunter als weiteres Gewicht gegen die "radikale Studierendenschaft" vorgesehen war.14 Es löste diese, in dem es ausführte:
"Ebensowenig widerspricht jedenfalls dem Grundsatz nach eine Mitbeteiligung der nichtwissenschaftlichen (sonstigen) Bediensteten an der Selbstverwaltung der Universität der Verfassungsgarantie einer freien Wissenschaft. Daß diese Hochschulangehörigen nicht eine durch Art. 5 Abs. 3 GG geschützte Tätigkeit ausüben, gibt keinen hinreichenden Grund, sie von der Beteiligung generell auszuschließen. […] In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die wissenschaftliche Tätigkeit in den Hochschulen in zunehmendem Maße der Unterstützung von Nichtwissenschaftlern bedarf, die für die Ausführung der Forschungsarbeiten und Lehrveranstaltungen technische oder verwaltungsmäßige Voraussetzungen schaffen und auch entsprechende Verantwortung tragen."15
Das Hochschul-Urteil kann als erster Schritt zu einer demokratischeren Hochschule gewertet werden, zumindest zu einer breiten Einbindung16 der an einer Hochschule wirkenden Menschen.
Dennoch betrifft an einer Hochschule naturgemäß der ganz überwiegende Teil der Entscheidungen Forschung und Lehre, so dass im Hochschulalltag weiterhin häufig nach Entscheidungssituationen der Eindruck verbleibt, dass die effektive Entscheidungsmacht bei den Hochschullehrer*innen liege. Dieser Eindruck wird durch das Hochschul-Urteil bestätigt, wenn es ganz explizit davon spricht, dass den Hochschullehrer*innen eine Schlüsselfunktion an Hochschulen zukommen soll. Trotz alledem wurde die Billigung der Gruppenuniversität durch das BVerfG weiterhin kritisch betrachtet; mitunter wurde gar vertreten, die Universität sei hierdurch im Kern verrottet.17
II. Weiterentwicklung der Gruppenhochschule
Das Hochschul-Urteil war eine Reaktion auf den zeit- und gesellschaftspolitischen Kontext.18 Dem war sich der Karlsruher Senat insoweit bewusst, dass die Entscheidung selbst eine gewisse Öffnung für Veränderungen enthält, in dem er feststellt:
"Die Garantie der Wissenschaftsfreiheit hat jedoch weder das überlieferte Strukturmodell der deutschen Universität zur Grundlage, noch schreibt sie überhaupt eine bestimmte Organisationsform des Wissenschaftsbetriebs an den Hochschulen vor. Dem Gesetzgeber steht es zu, innerhalb der aufgezeigten Grenzen die Organisation der Hochschulen nach seinem Ermessen zu ordnen und sie den heutigen gesellschaftlichen und wissenschaftssoziologischen Gegebenheiten anzupassen."19
Deutlicher wird das Gericht 2004 in Rekurs auf diese Formulierung in seiner Entscheidung zum Brandenburgischen Hochschulgesetz: "vielmehr ist er [der Gesetzgeber] sogar verpflichtet, bisherige Organisationsformen kritisch zu beobachten und zeitgemäß zu reformieren."20 Wenn sich Wissenschaft und Hochschulen verändern, so muss auch das Recht und damit auch die Rechtsprechung in der Lage sein, darauf zu reagieren. Dass sich der Wissenschaftsbetrieb verändert hat, lässt sich an verschiedenen Stellen zeigen. Dass darauf auch die Judikatur der Verfassungsgerichte einzugehen vermag, lassen Entscheidungen des 21. Jahrhunderts erkennen.21
1. Verfassungsrechtliche Basis
"Organisationsnormen müssen den Hochschulangehörigen, insbesondere den Hochschullehrern, einen möglichst breiten Raum für freie wissenschaftliche Betätigung sichern, andererseits müssen sie die Funktionsfähigkeit der wissenschaftlichen Hochschule und ihrer Organe gewährleisten."22
Dabei ist konkretisierend sich auch vor Augen zu rufen, was die Hochschulorganisation respektive die Selbstverwaltung der Hochschulen zu leisten hat. Das BVerfG hat dies 2015 zuletzt in der Entscheidung zur Brandenburgischen Technischen Universität formuliert:
"Als pluralistisch zusammengesetzte Vertretungsorgane der selbst wissenschaftlich Tätigen dienen sie [die Selbstverwaltungsgremien] gerade dazu, Gefährdungen der Wissenschaftsfreiheit abzuwehren und die erforderliche fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit einzubringen. Daher müssen sie so beschaffen sein, dass Gefahren für die Freiheit von Lehre und Forschung vermieden werden."23
Hochschulen sind Orte der Wissenschaft mit ihren zentralen Aufgaben der Forschung und Lehre,24 die als autonome Bereiche der Wissenschaft durch die Entscheidungen der Wissenschaftler*innen gestaltet und nicht von außen fremdbestimmt werden. Zentral ist also die Befassung mit der Verwirklichung der Wissenschaftsfreiheit; dies kann auch als regelmäßiges Ergebnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung erkannt werden. Es stellt sich also die Frage, wer diese Wissenschaftler*innen sind. Ist dieser Begriff nur auf die Hochschullehrer*innen zu beschränken, wie es noch 2017 Silvia Pernice-Warnke vertrat?
2. Gestaltungsmöglichkeiten
Ein Ergebnis der Entwicklungsoffenheit war die Stärkung der Hochschulleitungen und damit das Gegenteil des immer wieder artikulierten Ziels der Drittel- oder Viertelparität in Entscheidungsgremien an Hochschulen, also einer Gleichberechtigung aller Hochschulmitglieder. Wer genau alles Mitglied der Hochschule ist, war in der juristischen Literatur lange umstritten und differiert je nach Hochschulgesetz.26
An den Entscheidungsprozessen zu beteiligen sind grundsätzlich die Mitglieder, wobei diese nach der Art ihrer Zugehörigkeit zusammengefasst werden: Klassischerweise gibt es die Gruppe der Hochschullehrer*innen, die der Student*innen sowie die der Mitarbeiter*innen, wobei letztere zumindest an den großen wissenschaftlichen Hochschulen in wissenschaftliche und weitere Mitarbeiter*innen unterschieden werden. Dieser Zuschnitt ist jedoch nicht zwingend.27 Das Hochschul-Urteil hat als Notwendigkeit formuliert, dass diese Gruppen in sich homogen zusammengesetzt sein müssen. Es formuliert:
"Wenn der Gesetzgeber die Gruppenzugehörigkeit zu einem Organisationsprinzip macht, dann muß er sich bei der Bestimmung der Gruppen an eindeutige konstitutive Merkmale halten; andernfalls wird der aus der Gruppenorganisation folgende Proporz willkürlich. Wenn die Gruppen […] nach vorgegebenen typischen Interessenlagen rechtlich formiert werden, dann ergibt sich das Unterscheidungsmerkmal der Gruppen gerade aus dieser verschiedenen Interessenlage. […] Damit entbehrt die Abgrenzung gegenüber anderen Gruppen des hinreichenden sachlichen Grundes."28
Man kann spätestens seit Einführung der Juniorprofessur die Homogenität der Hochschullehrer*innengruppe anzweifeln, denn was unterscheidet mit Blick auf die wissenschaftliche Erfahrung (Qualifikation), den Grund der Mitgliedschaft (Funktion/Verantwortlichkeit) und die voraussichtliche Dauer der Mitgliedschaft (Betroffenheit) - so die Argumente des BVerfG für eine Privilegierung der Hochschullehrer*innen - frisch promovierte Juniorprofessor*innen von frisch promovierten Habilitand*innen? Sowohl die einen als auch die anderen verfügen über eine längerfristige Zugehörigkeit zu Hochschulen und über einen Ausweis ihrer Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten.29
Die Konsequenz muss nicht lauten, dass Juniorprofessor*innen aus der Gruppe der Hochschullehrer*innen auszuschließen sind. Die Gestaltung der Hochschulorganisation muss einen Schutz der Wissenschaftsfreiheit bewirken. Dass daher die Student*innen und das nichtwissenschaftliche Personal nicht ausschlaggebend sein dürfen für Entscheidungen über Forschung und Lehre mag noch eine vertretbare Annahme sein, bedarf es eines gewissen Verständnisses der Wissenschaft und ihrer Eigengesetzlichkeiten. Fraglich ist jedoch die Notwendigkeit der Exklusivität der Gruppe der Hochschullehrer*innen.30
Ansatzpunkt einer wissenschaftsadäquaten und zugleich weniger exklusiven Gestaltung könnte die Frage sein, wer denn die Befähigung zur selbstständigen wissenschaftlichen Arbeit nachgewiesen hat. Hier dient regelmäßig die Promotion als Indikator, die durch den hochschulischen Wissenschaftsbetrieb selbst nach den eigenen Regeln vorgenommen wird. Daher erscheint es jedenfalls mit Blick auf die Judikatur des BVerfG möglich, eine Gruppe der Wissenschaftler*innen anstatt der Hochschullehrer*innen zu bilden, in die neben den Hochschullehrer*innen auch die promovierten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen aufgenommen werden. Wirft man einen Blick auf die Realität an Hochschulen, ergibt dies auch Sinn, da promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter*innen meist eine längere Zeit an Hochschulen verbracht haben, zu Forschung und Lehre beitragen und darin bereits erhebliche Erfahrung sammelten. Somit kann der Gruppe der Wissenschaftler*innen eine vom Gericht geforderte gemeinsame typische Interessenslage unterstellt werden. Für die Aufteilung des nichtpromovierten wissenschaftlichen Personals ist auf den Schwerpunkt der Arbeitsstelle abzustellen. Handelt es sich in erster Linie um eine Qualifizierungsstelle, können sie der Gruppe der Student*innen (sich in Qualifizierung befindenden Mitglieder) zugeschlagen werden, liegt der Schwerpunkt ihrer Stelle in wissenschaftlicher Zuarbeit, Verwaltungstätigkeit o.Ä. sind sie den sonstigen Mitarbeiter*innen zuzuordnen. Soweit ein Vorschlag.31
Bei zunehmender Autonomie der Hochschulen und der damit steigenden Verantwortung der Hochschulverwaltung für ein Funktionieren der Hochschulen und damit der wissenschaftlichen Arbeit gibt es Argumente, auch das nichtwissenschaftliche Personal in seiner Mitwirkung zu stärken.32
Von den derzeit geltenden Hochschulgesetzen hat Thüringen die am weitesten reichende Reform der Entscheidungsstruktur vorgenommen. Hochschulorgane wie Fakultätsräte und Senate sind grundsätzlich paritätisch besetzt. Nur bei Entscheidungen, die die Wissenschaft betreffen, treten weitere Hochschullehrer*innen hinzu. Obwohl sich gegen diese Reform Protest der Hochschullehrer*innen formierte und eine Entscheidung der Verfassungsgerichtsbarkeit noch aussteht,33 zeigt sich, dass sie in der hochschulischen Entscheidungspraxis kaum Auswirkung hat, denn die ganz überwiegende Zahl an Entscheidungen an einer Hochschule betreffen Forschung und Lehre. Das Hochschulgesetz in Nordrhein-Westfalen ermöglicht den Hochschulen eine Viertelparität in gewissen Gremien, wobei auch hier die Hochschullehrer*innenmehrheit bei die Wissenschaft betreffenden Entscheidungen gewahrt bleiben muss (§22 HG NRW).
III. Schlussbemerkungen
Das Hochschul-Urteil hat das Entscheidungsmonopol der Hochschullehrer*innen gebrochen. Dennoch bleibt ihnen bis heute eine starke Entscheidungsmacht. So formulierte 2016 der Verfassungsgerichtshof des Landes Baden-Württemberg in einer der letzten großen verfassungsrechtlichen Entscheidungen zum Hochschulrecht, dass die Hochschullehrer*innen einer Hochschule sich von einem
"Mitglied des Leitungsorgans, […], trennen können [müssen], ohne im Selbstverwaltungsgremium auf eine Einigung mit Vertretern anderer Gruppen […] angewiesen zu sein."34
Es ist bezeichnend, wenn Klaus Ferdinand Gärditz im Grundgesetzkommentar Dürig/Herzog/Scholz ausführt: "der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, die Wissenschaftsadäquanz von Entscheidungen der Hochschulorgane sicherzustellen, ist die Gewährleistung von Entscheidungsmehrheiten der Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer."35 Die Rechtsprechung zementiert die Entscheidungsmacht, so das BVerfG zuletzt 2015 in Rekurs auf die vorangegangene Rechtsprechung.36
Sie ist allerdings nicht sakrosankt. Es bedarf kreativer und zugleich verfassungskonformer Lösungen, die zugleich den Gruppenzuschnitt angehen. Am Ende bleibt in Bezug auf die einführende Frage festzustellen, dass das Hochschul-Urteil zwar das Modell der Gruppenhochschule gebilligt, dennoch die Demokratisierungsbemühungen, wenn man als deren Ziel die Parität annimmt, zumindest unterbrochen hat.
Anmerkungen
1) Vgl. Wolfgang Löwer 2017: "Art. 5 III GG im Blick: ›Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei‹", in: Wissenschaftsrecht 50, H. 3: 317-346; hier: 321ff.; Florian Meinel 2017: "Das erste Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 1973", in: Wissenschaftsrecht 50, H. 1: 3-27; hier: 3ff.; Gerrit Hellmuth Stumpf 2017: "Innere Organisation und Interorganbeziehungen von Hochschulen. Wie veränderungsfest ist die Professorenmehrheit", in: Die Öffentliche Verwaltung 70, H. 15: 620-628; hier: 622f.; Lothar Zechlin 2017: "Wissenschaftsfreiheit und Organisation. Die ›Hochschullehrermehrheit‹ im Grundrechtsverständnis der autonomen Universität", in: Ordnung der Wissenschaft 5: 161-174; hier: 163; Werner Thieme 3 2004: Deutsches Hochschulrecht, Köln [u.a.]: Rn. 620.
2) Vgl. Meinel 2017 (s. Anm. 1): 3-27 hier: 3ff.; Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 161-174, hier: 164; Dieter Leuze 2 1996: "Mitwirkungsrechte der Mitglieder" in: Handbuch des Wissenschaftsrechts, Bd.2, Berlin: 861ff.; Löwer 2017 (s. Anm. 1): 331; Thieme 2004 (s. Anm. 1): Rn. 41.
3) Meinel 2017 (s. Anm. 1): 3ff.; Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 164; Löwer 2017 (s. Anm. 1): 330; Thieme 2004 (s. Anm. 1): Rn. 40.
4) Ähnlich Bernhard Kempen 3 2017: "Grundfragen des institutionellen Hochschulrechts", in: Handbuch Hochschulrecht, Heidelberg: Kap.1. Rn. 1f.
5) Vgl. Stumpf 2017 (s. Anm. 1): 620; Leuze 1996 (s. Anm. 2): 861 m. w. N.; Löwer 2017 (s. Anm. 1): 335.
6) Vgl. z.B. Hermann-Josef Blanke et al. 2020: "Zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Thüringer Hochschulgesetzes", in: Wissenschaftsrecht 53, H. 3/4: 288-344; Silvia Pernice-Warnke 2017: "Die Mitwirkung der Gruppe der Hochschullehrer und der sonstigen Statusgruppen an der universitären Selbstverwaltung", in: Rechtswissenschaft 8, H. 2: 227-242.
7) Vgl. Kempen 2017 (s. Anm. 4): Kap.1. Rn. 6; Christian von Coelln 2017: "Das Binnenrecht der Hochschule", in: Handbuch Hochschulrecht, Heidelberg: Kap. 7, Rn. 1 ff.
8) BVerfGE 35, 79 (125).
9) St. Rsp. bspw. BVerfGE 127, 87 (116 ff.); 136, 338 (363); 139, 148 (183); Blanke et al. 2020 (s. Anm. 6): 297ff.; Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 228.
10) Vgl. BVerfGE 35, 79 (131 ff.).
11) BVerfGE 35, 79 (129).
12) Vgl. BVerfGE 35, 79 (125); zur Skepsis vgl. Leuze: 1996 (s. Anm. 2): 859ff.
13) BVerfGE 35, 79 (125).
14) Vgl. z.B. Ulrich Karpen 1983: "Mitbestimmung in Körperschaftsorganen und im Personalrat", in: Die Öffentliche Verwaltung 36, H. 3: 89ff.
15) BVerfGE 35, 79 (126).
16) Vgl. auch BVerfGE 111, 333 (370, 372).
17) Vgl. BVerfGE 35, 79 (127); Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 234f.; Löwer 2017 (s. Anm. 1): 332 m. w. N.
18) Ausführlich Meinel 2017 (s. Anm. 1): 3ff.; Stumpf 2017 (s. Anm. 1): 620ff. Zu verschiedenen Verständnissen der Wissenschaftsfreiheit zur Zeit des Hochschulurteils vgl. Peter Dallinger 1971: "Wissenschaftsfreiheit und Mitbestimmung", in: Juristenzeitung 26, H. 21: 665ff.; Leuze 1996 (s. Anm. 2): 859ff.
19) BVerfGE 35, 79 (116).
20) Vgl. BVerfGE 111, 333 (356).
21) Vgl. Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 162, 165ff.; Martin Burgi/Ilse-Dore Gräfe 2011: "Erweiterte Mitwirkungsrechte der ›sonstigen Mitarbeiter‹ als Konsequenz der erweiterten Hochschulautonomie", in: Wissenschaftsrecht 44, H. 4: 336-354; hier: 350ff.; Löwer 2017 (s. Anm. 1): 330ff.; die Wissenschaftsrelevanz der Veränderungen bezweifelnd Klaus Peters 2012: "Erstes Hochschulurteil (BVerfGE 35, 79) und Einschränkungen der Mitwirkungsrechte ›sonstiger Mitarbeiter‹ im Berufungsverfahren auf Fachbereichsebene. Eine Entgegnung auf Folgerungen von Burgi/Gräf aus der erweiterten Hochschulautonomie", in: Wissenschaftsrecht 45, H. 1: 13ff.
22) BVerfGE 35, 79 (7. Ls.).
23) BVerfGE 139, 148 (173), Einfügung LCG.
24) Vgl. bspw. BVerfGE 127, 87 (116), vgl. auch Lukas C. Gundling 2021: "Zum materiellen Hochschulbegriff", in: Wissenschaftsrecht 54, H. 1, 52-62; hier: 56ff.
25) Vgl. BVerfGE 39, 79 (113); 47, 327 (367); 90, 1 (12); 111, 333 (354); 127, 87 (116); 139, 148 (182); Gundling 2021 (s. Anm. 24): 56ff.; Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 162; zum Gedanken der Kompensation im Nachgang des MHH-Beschlusses vgl. Bernd J. Hartmann 2016: "Hochschulorganisationsrecht nach dem MHH-Beschluss", in: Wissenschaftsrecht 49, H. 3: 197-216, hier: 209ff.; Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 227ff., insb. 230ff.
26) Vgl. Leuze 1996 (s. Anm. 2): 859 ff.; vgl. bspw. die Abweisung des Antrags betreffend die Parität im schleswig-holsteinischen Konsistoriums: Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 166f.; Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 227; Blanke et al. 2020 (s. Anm. 6): 292f.; zur Stärkung der Hochschulleitung Hartmann 2016 (s. Anm. 25): 197ff.
27) Offenheit beim Gruppenzuschnitt sieht auch Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 235.
28) BVerfGE 35, 79 (134 f.).
29) Dazu Lukas C. Gundling 2016: "Professorenmehrheit: Ein sakrosanktes Institut des Verfassungsrechts?", in: Landes- und Kommunalverwaltung 26, H. 7: 301ff.; ders. 2017: "Eine rechtspolitische Darlegung zur Professorenmehrheit - Alternative Wissenschaftlermehrheit", in: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht 2, H. 2: , 50ff. Zur Homogenität: Klaus Ferdinand Gärditz 2021: "Art. 5 Abs. 3 GG [Freiheit der Wissenschaft, Forschung und Lehre]", in: Günter Dürig / Roman Herzog / Rupert Scholz (Hg.): Grundgesetz. Kommentar, 95. EL, München: Art. 5 Abs. 3, Rn. 235; Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 169f.; Thieme 2004 (s. Anm. 3): Rn. 631; Gundling 2016: 303f.; materieller Hochschullehrerbegriff bspw. Gärditz 2021: Art. 5 Abs. 3, Rn. 231 m. w. N.
30) BVerfGE 111, 333 (351), auch BVerfGE 35, 79 (128 f.); 43, 242, (268); dazu Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 229f., 232 u. Gärditz 2021 (s. Anm. 29): Art. 5 Abs. 3, Rn. 229.
31) Zur Promotion Lukas C. Gundling 2021: "Zur Verleihung des Ph.D.-Grades an deutschen Hochschulen. Ein kurzer Ländervergleich", in: Zeitschrift für Landesverfassungsrecht und Landesverwaltungsrecht 6, H. 1: 11-14 hier: 12 f.; ders. 2017 (s. Anm. 29): 50-56, hier: 54 f., jeweils m. w. N. Zur Veränderung und Möglichkeiten Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 166, 169; Hartmann 2016 (s. Anm. 25): 200; Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 233, 235.
32) Dazu Burgi/Gräf 2011 (s. Anm. 21): 348ff.; a. A. Peters 2012 (s. Anm. 21): 13ff. o. Pernice-Warnke 2017 (s. Anm. 6): 234; zur Hierarchisierung auch Löwer 2017 (s. Anm. 1): 332f.
33) Unter Az. 1 BvR 1141/19 ist beim BVerfG eine Verfassungsbeschwerde anhängig, vgl. dazu Blanke et al. 2020 (s. Anm. 6): 288; zur Reform auch Lukas C. Gundling / Hannes Berger 2017: "Zur Reform des Thüringer Hochschulrechts", in: Thüringer Verwaltungsblätter 26, H. 11: 257ff.
34) VerfGH BW, Urt. v. 14.11.2016 - 1 VB 16/15, Ls. 5 (juris), vgl. dazu auch Zechlin 2017 (s. Anm. 1): 167.
35) Gärditz 2021 (s. Anm. 29): Art. 5 Abs. 3, Rn. 226; ähnliche Wahrnehmung bei Helmut Goerlich / Georg Sandberger 2017: "Zurück zur Professoren-Universität?", in: Deutsches Verwaltungsblatt 132, H. 11: 667ff.
36) Vgl. BVerfGE 139, 148 (188 f.) verweist auf BVerfGE 35, 79 (126 f.); 43, 242 (272); 47, 327 (389); 61, 210 (240).
Lukas C. Gundling lehrt und forscht an der Universität Erfurt und ist dort Doktorand am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Neuere Rechtsgeschichte.