Aufgekochter „Schnee von gestern"?

Dieter Keiner, Bernd Drücke und Stefan Niehoff im Gespräch über Terroristenhysterie und „Buback. Ein Nachruf"

Der pseudonyme „Göttinger Mescalero" kommentierte 1977 die Ermordung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback durch die Rote Armee Fraktion. Sein „Buback. Ein Nachruf" erschien auf dem Höhepunkt der Terroristenhysterie in der Bundesrepublik. Erst 2001 bekannte sich Klaus Hülbrock öffentlich zu seiner Urheberschaft, nachdem er sich 1999 persönlich an den Sohn des Ermordeten, den Göttinger Chemie-Professor Michael Buback, gewandt hatte. Unter dem Druck der Massenmedien distanzierten sich 2001 die damaligen grünen Bundesminister Fischer und Trittin von dem „Hetzpamphlet". Stefan Niehoff vom Medienforum Münster interviewte dazu Dieter Keiner und Bernd Drücke für den Bürgerfunk auf Antenne Münster (95,4 Mhz). Der Antimilitarist und Erziehungswissenschaftler Dieter Keiner ist am 28. Dezember 2009 im Alter von 69 Jahren gestorben (siehe nebenstehenden Nachruf). Ihm zu Ehren dokumentieren wir Auszüge aus der am 20. März 2001 ausgestrahlten Radiosendung. (GWR-Red.)

 

Stefan Niehoff: Im Studio begrüße ich zum Gespräch die Uni-Dozenten Dr. Bernd Drücke und Dr. Dieter Keiner. Jetzt geht es um den „Mescalero-Nachruf" im Zusammenhang mit der Ermordung des Generalbundesanwalts Sieg­fried Buback am 7. April 1977 durch das RAF-„Kommando Ulrike Meinhof" sowie um die aktuelle Debatte um den Mescalero-Text. Das ist doch eigentlich schon lange her. Heute wird im Bundestag über diesen Text gesprochen. Wie kommt es, dass wir jetzt darüber diskutieren müssen?

 

Bernd Drücke: Ein Problem ist, dass in dieser Gesellschaft nicht wirklich über diesen Text diskutiert wurde und auch nicht diskutiert wird. Stattdessen geht es um bestimmte Aussagen, die sich in ihm finden, vor allem um die „klammheimliche Freude", die der Autor des Artikels, ein Mitglied der Göttinger Spontigruppe „Mescalero", damals empfunden habe, als bekannt wurde, dass die RAF den Generalbundesanwalt Bu­back ermordet hat. Der am 25. April 1977 unter dem Pseudonym „Mescalero" in den Göttinger Nachrichten, der Zeitung des dortigen Uni-AStA, veröffentlichte „Buback-Nachruf" ist nämlich primär eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte und Politik der RAF, mit der „Liquidierung von Persönlichkeiten der herrschenden Klasse". Ich denke, dass viele Menschen nicht wissen, was in „Buback. Ein Nachruf" steht. Viele Leute kennen nur bestimmte Passagen des in­kriminierten Diskussionspa­piers, aber nicht seine eigentlichen Kernaussagen. Ich zitiere eine wichtige Textstelle, die in der Öffentlichkeit unter den Teppich gekehrt wurde: „Wir brauchen nur die Zeitungen aufzuschlagen und die Ta­gesmeldungen zu verfolgen: die Strategie der Liquidierung, das ist eine Strategie der Herrschenden. Warum müssen wir sie kopieren? Die Leute (das Volk) haben Angst davor, sie haben ihre Erfahrungen damit gemacht, genauso wie mit Ein­kerkerung und Arbeits1ager. Was wir auch tun: es wirft im­mer ein Licht auf das, was wir anstreben. Wir werden unsere Feinde nicht liquidieren. Nicht in Gefängnisse und nicht in Arbeitslager sperren und deswegen gehen wir doch nicht sanft mit ihnen um. Unser Zweck, eine Gesellschaft ohne Terror und Gewalt (wenn auch nicht ohne Aggression und Militanz), eine Gesellschaft ohne Zwangsarbeit (wenn auch nicht ohne Plackerei), eine Gesellschaft ohne Justiz, Knast und Anstalten (wenn auch nicht ohne Regeln und Vorschriften oder besser: Empfehlungen), dieser Zweck heiligt eben nicht jedes Mittel, sondern nur manches. Unser Weg zum Sozialismus (wegen mir: Anarchie) kann nicht mit Leichen gepflastert werden."

Stefan Niehoff: 68er wie Trittin und Fischer distanzierten sich im Bundestag von dieser Zeit.  Wieso wird aktuell so darüber diskutiert? Das ist doch Schnee von gestern. So radikal ist doch heute keiner mehr.

Dieter Keiner: Ja, aber „Schnee von gestern" heißt nicht, dass der Schnee von gestern nicht immer wieder für neue Interessen geschmolzen und aufgekocht werden kann, so dass am Ende nichts mehr von dem Schnee erkennbar ist, sondern nur noch andere Aggregatzustände erkennbar bleiben. Der Kontext, in dem der Mescalero-Text erneut in die öffentliche Debatte gekommen ist, ist der der Debatte um die Biografie des derzeitigen Außenminis­ters, Herrn Joseph Fischer. Dieser Kontext ist, bezogen auf ein zentrales Problem, das die Geschichte des Mescalero-Textes kennzeichnet, sehr aktuell. Fischer hat in der Debatte deutlich gemacht, dass er das staatliche Gewaltmonopol voll befürwortet - bis hin zum Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien -, dass er sich von allen damaligen Gewaltanwendun­gen distanziert und sich bei möglichen Opfern seiner Gewalttätigkeit entschuldigt. Das staatliche Gewaltmonopol wird weiter legitimiert, und der Mescalero-Text dient in der ganzen Verzerrung, in den ausgewählten Zitaten dazu zu sagen: Die 68er, und in der Folgezeit die Bewegung in den 70er Jahren, die dann in den Terrorismus führte, hatte als zentrale Botschaft den Angriff auf das staatliche Gewaltmonopol. Und das gibt der Text nicht her. Im Anschluss an Bernds Zitat ist viel­leicht der letzte Satz noch zu zitieren: „Damit die Linken, die so handeln, nicht die gleichen Killervisagen wie die Bubacks kriegen." Das ist die zentrale Botschaft dieses Textes. Die Geschichte dieses Textes ist offenbar bis in die Gegenwart von Verzerrungen, von In­strumentalisierungen begleitet und lenkt insofern wieder den Blick auf die heute herrschenden Gruppen und Eliten, ihren Umgang mit ‘68 und der Phase des deutschen Terrorismus in den 70er Jahren.

Stefan Niehoff: Das wirft ein Licht auf die Verhältnismäßig­keit von staatlicher Gewalt, auch wenn man sich anguckt, was damals im Zusammenhang mit dem Mescalero-Text los war.

 

Bernd Drücke: Ich denke, dass der Umgang des Staates mit linksradikalen Bewegungen im Jahre 1977 tendenziell Züge von Staatsterrorismus angenommen hatte. Ich meine damit nicht nur die auch von amnesty international als Folter bezeichnete Isolationshaft und die Berufsverbote gegen radikale Linke. Die Repression war groß, Meinungs- und Pressefreiheit wurden massiv eingeschränkt. Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß und andere forderten 1977 die Wiedereinführung der Todesstrafe. Tatsächliche oder vermeintliche Mitglieder der „Baader-Meinhof-Bande" wurden von vielen nicht mehr als Menschen, sondern als Monster betrachtet. Die Forderung, „inhaftierte Terroristen als Geiseln zu erschießen", wurde ernsthaft diskutiert. Das ist zu hören auf der 1978 im Trikont-Verlag erschienenen Schallplatte „'Die Arbeit ist erledigt - oder? Die Dramatik hat auf meine Kopfhörer geschlagen'. Originalton-Dokumente zum Fall Schleyer im Herbst 1977". Der Mescalero-Text ist einer der am meisten kriminalisierten Artikel in der Geschichte der Bun­desrepublik. Betroffen waren nicht nur militante Linke. Ein damaliges Mitglied der Gewaltfreien Aktion Göttingen wurde zum Beispiel zu einer Geldstrafe von 1.800 D-Mark verurteilt, weil er als Mitglied des Göttinger Uni-AStA mitverantwortlich für die Veröffentlichung des Mescalero Textes gewesen sein soll. Die damalige Göttinger Redaktion der ge­waltfrei-anarchistischen Graswurzelrevolution wurde im Zu­ge der staatlichen Repression gegen den angeblichen „Sym pathisantensumpf" der „Rote Armee Fraktion" (RAF) durchsucht. Die Graswurzelgruppen haben aus diesem Anlass 1977 eine Broschüre zu staatlicher Repression und Terrorismus veröffentlicht: „Feldzüge für ein sauberes Deutschland. Politische Erklärung Ge­waltfreier Ak­tionsgruppen in der BRD zu Terrorismus und Repression am Beispiel der Mescalero-Affäre".2  Hierin hatten sie eine ge­waltfrei-anarchistische Posi­tionsbestimmung zur RAF formuliert, die die Politik im „Deutschen Herbst" 1977 und die Repression analysiert. Die „staatliche Terroristenhatz", so die AutorInnen der „Feldzüge", würde hauptsächlich als Vorwand dienen, um repressive Tendenzen vorbeugend gegen potentiell gefährliche soziale Bewegungen, allen voran die Anti-Atom-Bewegung, durchzusetzen. Der Göttinger AStA und viele Alternativmedien, die den Mescalero-Text nach der Inkriminie­rung dokumentiert haben, wurden kriminalisiert und eingeschüchtert. Es gab insgesamt mehr als 140 Beschuldigte. Gegen 13 niedersächsische Hochschullehrer und 35 Kolleginnen und Kollegen aus dem übrigen Bundesgebiet, die „Buback. Ein Nachruf" im Wortlaut dokumentiert hatten, wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Einige Prozesse, zum Beispiel gegen die Berliner Szenezeit­schrift radikal, endeten mit ho­hen Geldstrafen für die presserechtlich verantwortlichen Redakteure. Die presserechtlich verantwortliche Redakteurin der Arbeiterstimme wurde am 26. Februar 1978 zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil sie den Text dokumentiert hat.3  Es hat Berufsverbote für Menschen gegeben, weil sie den Buback-Nachruf nachgedruckt oder verbreitet oder sich für sei­ne ungekürzte Veröffentlichung eingesetzt haben. Der anonyme Autor wurde als Verrückter, als durchgedrehter Psychopath in den Massenmedien dargestellt. Auch die linksliberale Frankfurter Rundschau hat sich in diesem Zusammenhang nicht mit Ruhm bekleckert. Im Grunde waren, abgesehen von einigen, kleinen Alternativblät­tern, die Medien gleichgeschaltet. 1977 wurde über die Massenmedien eine staatlich geförderte Hetzkampagne losgetreten, die die repressive Stimmung innerhalb großer Teile der Bevölkerung verstärkte: die Terroristenhysterie. Das, was in den letzten Wochen dazu gelaufen ist, das sind so­zusagen Nachwehen. Um zu verdeutlichen, wie die Stimmung 1977 in weiten Kreisen der Bevölkerung war, möchte ich einen von vielen ähnlichen Leserbriefen vorlesen, der damals an den AStA der Uni Göttingen geschrieben wurde. Im Wortlaut: „ASTA - LUMPE-Strolche [sic!] und Verbrecher am deutschen Volk. Ihr Parasiten gehörtet alle in ein Straflager und jeden Tag vor dem Kaffee schon eine Tracht Prügel, daß ihr die Wände raufgeht. Euch Brüdern, ihr feigen Kojoten, Eucht [sic!] fehlte weiter nichts wie ein richtiger Krieg, jhr [sic!] wollt doch so Helden sein, aber ihr könnt ja nur feige aus dem Hintergrund kämpfen und morden. Ihr seit [sic!] die Brutstätte der Baader-Meinhof Bande. Ihr dreckiges Saupack, geht doch nach Rußland, da werden Sie schon der [sic!] Arsch aufreißen bis an den Stehkragen, ihr sehnt euch doch nach dem Kommunismus. Die würden mit Euch faulen Pack aber kurz Federlesen machen. Dies [sic!] ganzen letzten Anschläge habt ihr mit auf dem Gewissen."

 

Stefan Niehoff: Warum hat der Mescalero-Text solche Reaktionen ausgelöst? Wie könnte man darauf reagieren? Wie würde man heute darauf reagieren?

 

Dieter Keiner: Zu den Reaktionen, die es darauf gab, würde ich gerne auf zwei Kontexte verweisen. Einmal auf Erich Fried. Er hat ein Gedicht geschrieben mit dem Titel „Auf den Tod des Generalbundes­anwalts Siegfried Buback", und er beendet dieses Gedicht fol­gendermaßen: „es wäre besser gewesen so ein mensch wäre nicht so gestorben es wäre besser gewesen ein mensch hätte nicht so gelebt"

Erich Fried ist aufgrund dieses Gedichtes Angriffen, Verleumdungen ausgesetzt gewesen, und er hat dann, Ende November 1977, wie er sagt, veranlasst „durch ungute Auslegung" des Gedichtes „Auf den Tod des Generalbundesan­walts Siegfried Buback", ein Ge­dichtgeschrieben mit dem Titel „Klage um eine Klage". In diesem Gedicht klagt er sowohl um die, die sein Gedicht willentlich missverstanden haben, wie um die Täter, als auch um die Opfer. Er schreibt: „ich klage um ihre köpfe weil sie nicht denken wollen dass man auch klagen kann um einen der anders dachte und ich schrieb meine klage auf als klage gegen das morden als klage gegen das unrecht und gegen unsere zeit" Ein weiterer Kontext, der deutlich macht, mit welcher Schärfe im Zusammenhang mit dem Mescalero-Text verfolgt, diskriminiert und verleumdet wurde, ist mit dem Namen Peter Brüc­kner verbunden. Peter Brückner war Hochschullehrer für Psychologie in Hannover. Am 1. August 1977 berichtete dpa mit Blick auf den CDU-Vorsitzenden des Landes Niedersachsen und Bundesratsminister, Wil­fried Hasselmann, dass er gesagt habe, die Bevölkerung erwarte, dass nun endlich Taten folgten. Alle Lobredner des Terrors und alle Beschöniger terroristischer Ergüsse müssten von den Hochschulen entfernt werden. Für die Parteigänger der Gewalt dürfe es keinen Platz in den Hochschulen geben. Dieses Zitat, neben dem Gedicht von Erich Fried und den auf dieses Gedicht bezogenen Angriffen, verdeutlicht, welches Klima in der Bundesre­publik herrschte und welche Versuche gemacht wurden, die Rolle des Staates in der Gewalteskalation der 70er Jahre zu tabuisieren, nicht zu thematisieren und ausschließlich sich da­rauf zu beziehen, dass sich in der RAF ein Terrorismus ausdrücke, der mit anderen Mitteln bekämpft werden müsse. Dass es darum gehe, die geistigen Urheber dieses Terrorismus zu entlarven und zum Beispiel aus den Hochschulen zu entfernen. Das heißt also: keine Debatte, die mit analytischer Klarheit ge­führt worden wäre und in der auch Erkenntnisse hätten gewonnen werden können, in wel­cher Weise eigentlich die Ge­walteskalation in den 70er Jahren in der Bundesrepublik erklärt werden müsse. Diese Debatte ist deswegen noch so schwierig, weil jeder Versuch, dieses Wechselspiel von Staat und RAF zu diskutieren, diejenigen, die das tun, sofort in die Ecke derjenigen bringt, die die Gewalt befürworten, die die RAF-Morde befürworten. Das Spiel wird bis heute gespielt. Es ist von daher gut, dass wir auch anhand des Mescalero-Textes deutlich machen können, dass die Verzerrungen aktuell sind und eine lange Tradition haben.

Stefan Niehoff: Bernd, was für einen Eindruck hinterlässt es, wenn Du solche Diffamierungen mitbekommst, wie sie zum Beispiel in Reaktion auf den Mescalero-Aufruf hinten auf der Broschüre „Feldzüge für ein sauberes Deutschland" do­kumentiert sind. Aber auch, wenn man sich anguckt, welchen Verfolgungen Leute ausgesetzt waren, die einfach nur den Mescalero-Text in ihren Zeitungen und Publikationen nachgedruckt haben? Du bist auch Journalist, kannst Du das aus dieser Perspektive analysieren?

 

Bernd Drücke: Ich halte das nicht für ein historisches Ereignis in dem Sinne, dass es etwas Außergewöhnliches ist. Es gab verstärkt seit 1968 und bis heute immer wieder Ermittlungsverfahren und andere Repressionsmaßnahmen gegen unliebsame, linke Alternativmedien. Davon bekommt die Öffentlichkeit aber in der Regel kaum etwas mit. Ich sehe es so, dass die staatliche Repression noch aktuell ist, dass sie sich bei Bedarf verschärfen lässt, dass sie sozu­sagen als Damoklesschwert über den Macherinnen und Machern von alternativen Medien schwebt. Von Zeit zu Zeit werden kritische Journalistin­nen und Journalisten, kritische Menschen, Macherinnen und Macher von linken Bewegungsmedien kriminalisiert. Gegen mich wurde zum Beispiel während des NATO-Angriffskriegs gegen Jugoslawien 1999 ein Ermittlungsverfahren wegen „öffentlicher Aufforderung zu Straftaten" (§ 111 StGB) eingeleitet, weil ich als presserecht­lich verantwortlicher Redakteur der Graswurzelrevolution die Soldatinnen und Soldaten zur Desertion aufgerufen habe. Bundesweit wurden 1999 im Zu­sammenhang mit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien gegen 40 Leute Ermittlungsverfahren wegen Desertionsauf­rufen eingeleitet. Ein Aspekt der aktuellen „Bu­back-Debatte" ist, dass sich Grüne, allen voran Jürgen Trittin, von direkten gewaltfreien Aktionen gegen die Castor-Transporte distanziert haben. Das war im Grunde eine direkte Reaktion auf die CDU- und Bildzeitungs-Kampagne, die gegen Trittin und Fischer gelaufen ist, dass Trittin gesagt hat: „Aktionen gegen die Castortranspor­te sind nicht legitim." Diese Distanzierung ist ein nicht unerwünschter Nebeneffekt dieser Kampagne. Trittin war in seiner Göttinger Zeit als Student der Sozialwissenschaften Hausbesetzer, Aktivist in studentischen Gruppen, im „Kommunistischen Bund" und zeitweise im AStA. Noch, nachdem er 1990 grüner Minister in Niedersachsen geworden war, wollte er sich nicht von dem Mescalero-Text distanzieren. Er war kein Mitglied der „Mescalero"-Sponti-Gruppe, er war weder an der Entstehung noch an der Veröffentlichung des Textes beteiligt, hatte ihn aber noch 1993 als eine „radikal pazifistische Absage an den Terrorismus" charakterisiert. Damit hatte er recht. Aber eine solch unerwünschte Tatsache über einen von den Massenmedien und Politikern immer wieder verfälscht dargestellten Text zu äußern, das kann sich ein Bundesumweltminister nicht erlauben. Er muss sich distanzieren, wenn er sein Amt behalten will. Und das tat der von der Springerpresse ins Visier genommene Minister um­gehend. Ich denke, dass der Text „Bu­back. Ein Nachruf" immer noch aktuell ist, nämlich aufgrund der Fragen, die er aufwirft: Staatliche Legitimität, gibt es die? Gibt es ein legitimes Monopol auf Gewalt? Oder gibt es dies nicht? Und wenn nicht, wie kann gewaltfreier Widerstand, wie kann sogenannte „Gegengewalt" von unten aussehen, wenn sie nicht in Terror umschlagen soll?

Interview: Stefan Niehoff

Redaktionelle Bearbeitung/Transkription: Bernd Drücke

 

Anmerkungen:

 

1 Zitiert nach: „Buback. Ein Nachruf", ungekürzt auf: www.graswurzel.net/news/mescalero.shtml

2 Beilage in: Graswurzelrevolution Nr. 34/35, Göttingen, Februar 1978. Der Text ist dokumentiert in: Johann Bauer, Ein weltweiter Aufbruch!, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2009, S. 91 ff.

3 Siehe dazu: Schwarze Texte. Politische Zensur in der BRD 1968 bis heute, ID-Archiv im IISG, Amsterdam 1989

4 Anonymer Brief an den AStA der Uni Göttingen, 08.09.1977, dokumentiert in: Feldzüge für ein sauberes Deutschland. Politische Erklärung Gewaltfreier Aktionsgruppen in der BRD zu Terrorismus und Repression am Beispiel der Mescalero-Affaire, unveränderter Nachdruck, Verlag Graswurzelrevolution 2001, S. 38

Diverse alternative Radiosendungen von und mit Dieter Keiner werden in den nächsten Monaten dokumentiert unter: www.freie-radios.net

Literaturempfehlungen:

Dieter Keiner/Bernd Drücke: Twenty Years After: Deutscher Herbst 1977, Reader, Institut für Erziehungswissenschaften, Uni Münster, Wintersemester 1997/98, Münster 1997

Ulla Bracht (Hg.): „Leben, Texte, Kontexte" Festschrift für Dieter Keiner zum 66. Geburtstag, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 2006, mit Beiträgen u.a. von Ulla Bracht, Dieter Kramer, Peter Schönhöffer, Bernd Hülsmann, Edo Schmidt, Nikola Siller, Bernd Drücke und H.J. Krysmnanski

Dieter Keiner: Erziehungswissenschaft und Bildungspolitik, Peter Lang Verlag, Frankfurt/M. 1998

Interview aus: Graswurzelrevolution Nr. 347, März 2010, www.graswurzel.net