Maximal borniert

Hefteditorial iz3w 377 (März/April 2020)

Mitte Januar war es wieder einmal soweit. Deutsche Politiker*innen und ihre Entourage bei den staatstragenden Medien liefen zu Hochform auf in Sachen eitler außenpolitischer Selbstbespiegelung. Anlass war die internationale Libyenkonferenz, zu der die Bundesregierung mit dem Segen der UN nach Berlin geladen hatte. Schon im Vorfeld wurden altbekannte Narrative bemüht, etwa jenes, Deutschland sei in der Weltpolitik ein »ehrlicher Makler« (so die Titelzeile im SPIEGEL 4/2020). Den Vogel schoss der einstige Bundesaußenminister Sigmar Gabriel ab, als er twitterte: »In der Welt harter Interessenpolitik erreichen manchmal die Interessenlosen mehr. Wir haben stärkeres als Waffen & Geld: Legitimität! Wir waren nicht am Libyen-Krieg beteiligt u. nie Kolonialstaat. Gut, dass Deutschland Libyen nicht den Autokraten überlässt. #FriedenfürLibyen.«

Dass Deutschland nie Kolonialstaat gewesen ist, hat Gabriel exklusiv. Dass er nichts wissen will von deutschen Waffenexporten an Länder, die in Libyen mitmischen, wie etwa die Vereinigten Arabischen Emirate, Katar, Ägypten und die Türkei: Geschenkt. Aber dass ausgerechnet er, dessen Wahl in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank kurz bevor steht, von Interesselosigkeit schwadroniert, entbehrt nicht der Komik. (Fun Fact am Rande: Der Kritik am Wechsel zur Deutschen Bank begegnete Gabriel mit den Worten »Ich werde auch in Zukunft nicht anders denken und handeln als vorher«. Das wirft in erster Linie ein bezeichnendes Licht auf sein Denken und Handeln bei der SPD.)

Was von der Schimäre zu halten ist, deutsche Außenpolitik sei interesselos, haben Karl Marx und Friedrich Engels schon vor 175 Jahren in ihrem Manuskript »Die deutsche Ideologie« festgehalten: »Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier mit der Illusion, über die Nationalität und über alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen auf wirklichen Interessen offen eingestehen.« Das klingt wie ein hochaktueller Kommentar zur Tatsache, dass Frankreich, Italien, Russland oder die Türkei niemanden über ihre knallharten Machtinteressen in Libyen im Unklaren lassen. Scharfe Kritik an deren Libyenpolitik ist selbstverständlich dennoch notwendig.

Nach der Berliner Konferenz ging es in Deutschland erwartungsgemäß weiter mit der außenpolitischen Angeberei. Bundeskanzlerin Angela Merkel resümierte zufrieden, man habe sich darauf geeinigt, das vom UN-Sicherheitsrat verhängte Waffenembargo »respektieren« zu wollen. Außenminister Heiko Maas bekräftigte: »Wir haben unsere Ziele erreicht«. Das mag sein, aber die Ziele müssen sehr bescheiden gewesen sein. Ein konsistenter Friedensplan für Libyen kann nicht dazu gezählt haben. Selbst für einen Waffenstillstand hat es nicht gereicht.

So muss zum Beispiel das in Berlin ausgehandelte, unpräzise Agreement erst vom UN-Sicherheitsrat bestätigt werden, bevor Verstöße in Libyen dagegen sanktioniert werden könnten. Das ist nicht gerade wahrscheinlich, bedenkt man die gängige Praxis der Vetomacht Russland und ihre klare Unterstützung der Kriegspartei rund um General Khalifa Haftar. Offen bleibt auch, inwieweit Deutschland die EU in die Libyenpolitik »einbeziehen« will, wie Maas ankündigte. Einzig konkret im Raum steht die Wiederbelebung der EU-Marinemission »Sophia«. Ihre Aufgabe ist die Flüchtlingsabwehr, bekanntlich ein besonders gut geeignetes Instrument zur Friedensicherung.

In internationalen Medien stieß die Libyenkonferenz denn auch auf deutlich weniger Lob als hierzulande. Insbesondere in Libyen selbst waren die Reaktionen verhalten. »Ich weiß nicht, was ich von den Ergebnissen der Berliner Konferenz halten soll, sie sind sehr allgemein gehalten«, sagte beispielsweise Youssef Alheri, Leiter des Auswärtigen Ausschusses des libyschen Parlaments und Haftar-Unterstützer, gegenüber der taz. Und auch in Tripolis, dem Sitz der »Regierung der nationalen Übereinkunft« des Haftar-Widersachers Fajez as-Sarradsch, war man wenig begeistert. Ein Reporter der Nachrichtenagentur afp hörte sich dort auf den Straßen um und zitiert den Bewohner Abdul Rahman Miloud mit den Worten: »In Wahrheit war die Berliner Konferenz nicht anders als die vorherigen Konferenzen in Skhirat, Frankreich oder Rom (…) Es gab keine Notwendigkeit für eine weitere Konferenz.«

Miloud ergänzte: »Das Wichtigste ist, dass es unter den Libyer*innen selbst einen Konsens gibt.« Und weiter: »Um unser Land versöhnen zu können, ist eine Schlichtung in Libyen notwendig.« Genau dies sollte man sich nicht nur in Berlin hinter die Ohren schreiben, findet

 

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