Streifzug durch Reichland

Die Lebenswelt der Reichen und Superreichen ist bisweilen Gegenstand medialer Betrachtungen - vornehmlich in verschiedenen Boulevardmedien. Dort wird denn auch manchmal ihr "wohltätiges Engagement" hervorgehoben. Deutlich seltener wird freilich thematisiert, welchen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen dieser Personenkreis ausübt. Rainer Rilling hat sich im Reichland einmal umgeschaut.

Bis weit hinein in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde das gute alte Reichland als terra incognita angesehen, deren solide, leistungsstarke und lebensfreudige, zumeist verantwortungsvolle und freigiebige Bewohner bis auf einige Angeber oder Nazis eher selten gesichtet wurden. Sie lebten privat und gingen ihren Geschäften nach. Besonders wenig zeigten sich die Scheuen Milliardäre. Doch mittlerweile hat sich Reichland dramatisch verändert. Das Reichland, das da oben über den ganzen Planeten verstreut ist, wächst unaufhörlich. Die Einwohnerzahl explodiert. Die soziale Gestalt von Reichland sollte man sich als Pyramide vorstellen, die Tag für Tag länger und deren Sockel im Sekundentakt ein bisschen dicker wird; ihre oberste Spitze wird durch einen aufgesetzten Reichenturm gebildet. In den stratosphärischen Etagen dort finden wir sehr viele Milliardäre, letztes Jahr sollen es bereits knapp 2.500 gewesen sein (davon ca. 160 Menschen mit meistens deutscher Staatsangehörigkeit). Schon 2013 lebten weit über eine Million deutsche Millionäre (in $) in Reichland und ihre Zahl steigt Jahr für Jahr um mehr als 100.000. Zu tun hat das mit der Entwicklung ihres Aktienvermögens, den Immobilienpreisen und Erbschaften - zwei von drei deutschen "Ultra high-net-worth individuals" (>30 Mio. $ Vermögen) haben "ihr" Vermögen geerbt.

Die Spitzenlagen

Das Wachstum Reichlands kennt natürlich keine Obergrenze. Umso mehr grenzt es sich nach unten ab. Reichland ist bekanntermaßen verhasst, beneidet und beliebt zugleich - genug Gründe für seine Ausdehnung. Aber auch die Unterschiede im Lande selbst werden immer größer und damit die Bestrebungen, die Untergrenze nach oben zu verschieben, um für sich zu bleiben - Seltenheit und Höherwertigkeit sind im Reichland die Hochwertbegriffe par excellence. "Die Welt ist flach"? Nicht in Reichland!

Wer also ist reich? Dort oben in Reichland leben offiziell mehr als 15 Millionen (Euro-)Millionäre - doppelt so viel wie die Einwohnerschaft von Berlin, Hamburg, München und Köln zusammen. 211.955 von ihnen - 0,003 % der Weltbevölkerung - werden zu der UHNWI-Gruppe gerechnet, also den Reichländern mit mindestens 30 Mio. $ Vermögen, die nebenbei Jahr für Jahr rund ein Viertel der Produkte der ständig wachsenden globalen Luxusbranche verbrauchen. Sodann das Obergeschoss der ca. 2.500 Milliardäre: sie sind im Schnitt 3,1 Mrd. $ schwer, haben drei Viertel ihres Kapitals in Privatunternehmen oder Aktiengesellschaften angelegt, halten ein knappes Fünftel in cash (700 Mio. $) vor und verwenden rund 5% (160 Mio. $) auf Grundbesitz bzw. Immobilien und Luxuswaren. Im Penthouse des Wolkenkratzers haben es sich seit 1993 Bill und Melinda Gates gemütlich gemacht (manchmal kommt Carlos Slim vorbei). Niemand weiß, wieviel illegale oder riches sans papiers es in Reichland gibt, aber die Zahl der undokumentierten Reichen geht in die Millionen.

Doch es sind die Spitzenlagen, denen das öffentliche Interesse gilt. Schauen wir uns diese am Beispiel der Deutschen etwas genauer an, denn auch hierzulande gilt die Beobachtung: Je höher man kommt, desto mehr Reichtum bei immer weniger Personen und Haushalten findet sich.

  • Das reichste "ein Prozent" aller deutschen Haushalte (etwa 400.000) besitzt aktuell mit einem Vermögen von mehr als 3 Billionen € zwischen 31 % und 34 % des gesamten Nettovermögens in Deutschland.
  • Die kleinere, aber reichere Gruppe der rund 18.000 "wohlhabenden" deutschen Vermögensmillionäre (die "UHNWIs", 6 % von ihnen sind Frauen) mit mehr als 30 Mio. $ (26,5 Mio. €) hielt 2014 gut 22 % dieses privaten Nettovermögens.
  • Für die obersten "0,1 %" ist der Alltagsbegriff der "Superreichen" naheliegend. Diese Topvermögensgruppe Deutschlands hat mit 1,3 Billionen € Gesamtvermögen rund 14 - 17 % des Nettovermögens.
  • An der Spitze dieser 0,1 % stehen schließlich die zwischen 100 und 160 Haushalte der deutschen Milliardäre. Ihnen dürften etwa 40 % des Vermögens der 1 %-Gruppe gehören. Rechnet man die Gesamthabe der 13 reichsten "Großfamilien" (82 Mrd. €) hinzu, dann gehört dieser Kleingruppe von ein paar Hundert Personen mehr als die Hälfte des Vermögens der 0,1 %. Hier geht es wohl nicht mehr um die 1 % oder 0,1 %, sondern um die 0,001 % der deutschen Haushalte. Im Detail schwanken die Angaben zu der Gruppe der Milliardäre in Deutschland stark. Die Schätzungen liegen meist bei etwa 150 - 160 Personen / Haushalten, denen etwa eine halbe Billion€ Vermögen zugerechnet wird. Einig sind sich alle, dass die Anzahl der Milliardäre in Deutschland nur äußerst selten stagnierte oder sank. Sonst steigt sie.


Im Reichenturm hausen sie natürlich in den Spitzenlagen: Milliardäre leben für sich und miteinander, weit da oben.

Der lange Schwanz wird abgehängt

Wir bewegen uns hier im Nebel der Schätzungen, Annahmen und Geheimnisse der Welt des Hochvermögens. Sein genauer Umfang ist unbekannt und gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen, während die "Vermögen" der kleinen Leute oder die "Negativvermögen" der Armen - ihre Schulden - bis zum letzten Cent eruiert werden. Milliardäre und diejenigen Millionäre, deren Vermögen bei etwa 5-600 Millionen € und mehr liegt, sind die eigentlich dominante Gruppe der Eigentümer, denn sie besitzen gemeinsam einen Großteil des Kapitals und Kapitaleinkommens und repräsentieren die Spitze der Hierarchie des kapitalistischen Reichtums. Da hierzulande die Gruppe derjenigen, die zwischen einer halben und einer ganzen MilliardeEuro besitzen, rasch wächst - das sind bis zu 1.000 Personen oder "Familien" - ist zu erwarten, dass sich die Zahl der Milliardäre in Deutschland in den kommenden Jahren verdoppeln wird, sofern es nicht krisenbedingt zu massiven Kapitalentwertungen kommt. Innerhalb der Gruppe der Milliardäre existiert eine sehr kleine Spitzengruppe von ein paar Handvoll "Reichen" (ob Personen oder "Familien"), deren Vermögen (40 - 80 Mrd. $) jenes der weit überwiegenden Mehrheit der Milliardäre um ein Vielfaches überschreitet. Diese Mehrheit macht in der Verteilungskurve aus, was so anschaulich der "lange Schwanz" (long tail) genannt wird. Zu ihr gehört das Gros der deutschen Milliardäre. Dass der Abstand zwischen diesem long tail  und der Top-Gruppe weiter wachsen wird, liegt nahe. Eine Randgruppe des long tail war oder ist die Kohorte der reichen Bezieher leistungslosen Einkommens aus geerbtem Vermögen - die Schickedanz, Oppenheim, Sachs, Flick, Bismarck, Horten, Haniel, Engelhorn etc. Sie agier(t)en zuweilen peripher etwa auch im Kunst- und Kulturbereich und werden oftmals in der Yellow Press-Öffentlichkeit fälschlicherweise als die eigentlichen Repräsentationen des Reichtums angesehen.

Oftmals ist auch die Rede von "Patriarchen", "Stämmen", "Clans", "Sippen" oder gar "Dynastien" und an die Stelle anonymer Großkonzerne treten plötzlich heimelige "Familienunternehmen" und diskrete Familiengesellschaften. Das Manager-Magazin präsentierte 2014 eine Aufzählung von 12 "reichsten Großfamilien" mit nicht weniger als 2.630 "Familienmitgliedern" und einem Gesamtvermögen von 90,3 Mrd. €. In der Rubrik "Milliardäre" der Zeitschrift tauchen sage und schreibe 76 sog. Familien auf. Dadurch steigen Anzahl und Gewicht der Milliardärsvermögen beträchtlich. Derlei Netzwerke besitzen zahlreiche Unternehmen, bei der "Quandt-Familie" etwa halten 22 Angehörige Beteiligungen an 316 Unternehmen. Das Revival dieser gemütlichen Unternehmenskategorie hat für die Eigentümer und Reichen große Vorteile. Es verschleiert, dass nur ein winziger Teil dieser "Clans" tatsächlich besitzt und entscheidet. Zugang und öffentliche Kontrolle werden dadurch massiv erschwert. Die Rede von der "Familie" fingiert eine Gemeinsamkeit zwischen den 0,001 % und dem ganzen Rest der Gesellschaft, so dass sich Unterschiede irgendwie leichter ertragen lassen und erst recht die dazu gehörenden Abhängigkeits-, Macht- und Ausbeutungsbeziehungen, von denen in Reichland ununterbrochen und überhaupt nicht die Rede ist.

Lifestyle

Worauf dieser Tage der Milliardär an sich, seine Familien, Freunde, Berater und Entouragen in Reichland so kommen, wenn sie über Lifestyles und dazu passende Anlagen nachsinnen, ist erstaunlich übersichtlich und von eigentümlich seriellem Zuschnitt. Diese imperiale Lebensweise langweilt doch. Je nach Gusto und Marktlage geht es um Sport (Golf, Ski, Tennis, Reiten, Rennen, Squash, Polo, Jagen und Fischen, Active Lifestyle & Endurance), um Mode, Gesundheit, Kosmetik, Mobilität (Yachten, Segeln, Flugzeuge, Hubschrauber, Autos, Oldtimer, Urlaub), um Immobilien (Häuser, Residenzen und Hotels), Land (Inseln, Seen, Berge, Küsten, Wege, Wälder), endlich um Technologie, Musik, Schmuck, Uhren, Antiquitäten, Kunst, Design oder Architektur. Die für alle die passion investments nötigen speziellen locations und events gehören naturgemäß dazu. Die Zielmaxime dieser Aktivitäten ist einfach: Je seltener, desto wertvoller, je mehr, desto besser.

Wie werden solche besonderen und zumeist privaten (zuweilen auch medienwirksam demonstrativen) Aktivitäten und der entsprechende Habitus möglich? Dazu bedarf es passend personalisierter Ressourcen. In Reichland wird daher Kapital angelegt in exklusive Institutionen, zahllose persönliche Dienstleistungen und gut organisierte Entouragen. Dazu gehören zum Beispiel: exklusives Herrschafts- und Marktwissen, eigene medizinische und psychologische Versorgung, gesonderte Bildung mitsamt dem passenden exklusiven Wortschatz ("household manager"), spezielle Klubs und Vereine, Restaurants, Vermögensberatung und -management, family offices, Vielzweckimmobilien für alle Jahreszeiten und Geschäftsfelder, umfassende private Sicherheitsarrangements von terrorfesten Immobilien über bodyguards bis zur Datensouveränität, korrekte Edelarmaturen in der Marmorbadewanne, townhouses, millionenschwere Parkplätze, aparte berufliche und exklusive persönliche Kommunikationsnetzwerke, Kulturevents, mediale Abhilfen, gadgets, dating services, dog walkers und personal trainers aller Art, concierge-services und zahllose andere stilsichere, sozialkompetente Selbstoptimierungen, bei denen Vermögende sich zum Beispiel am Cost of Living Extremely Well Index orientieren könnten, der seit 1976 von Forbes publiziert wird.

Was ist das Ergebnis dieses immensen Aufwands? Fünf Beispiele:

Wissenschaft

In Reichland liebt man die Rolle des Wissenschaftsmäzens. Oft akademisch ausgebildet, gründen Reichländer eigene Universitäten und Business Schools oder dominieren Private-Public-Hochschulen, halten zurückblickende Vorträge aus der unternehmerischen Praxis, finanzieren Studiengänge, arrangieren Lehrstühle, werden Institutsleiter, agieren in universitären Senaten und Beiräten oder sind Schirmherren oder Schirmherrinnen, wo es ihnen so gefällt. Anerkennung als geradezu inflationär verfügbare Dienstleistung der Wissenschaft ist leicht zu bekommen, wenn die Münze Geld das Entgelt ist. Unverzichtbar dabei das Sammeln oder der Verleih akademischer Würden (Doktor-, Professoren- oder Ehrenbürgertitel, Preise aller Art) oder die Auszeichnung entsprechender Einrichtungen und Orten mit den Namen der Mäzene oder ihrer Angehörigen. Bei aller Scheu und Anonymität - die Verbreitung des Namens durch Fonds, Stiftungen, Preise, Benennung von Lehrstühlen, Hörsälen, Räumen, Straßen, Parks, Gebäuden oder gleich den ganzen Einrichtungen wie Instituten, Hochschulen, Akademien etc. - ist zentral und in aller Regel äußerst wichtig. Das Ziel von alledem ist die Inwertsetzung von Wissenschaft. Im weiten Feld der Ökonomisierung von Wissenschaft und Hochschule sind hier Aktivitäten von mehr als zwei Dutzend MilliardärInnen relevant: von Dieter Schwarz, Klaus-Michael Kühne, Elisabeth Schaeffler, Reinhold Würth, Johanna Quandt (†), Susanne Klatten, Reinfried Pohl (†), Werner Otto, Hasso Plattner, Dietmar Hopp, Klaus Tschira (†), Karl Knauf, Heinz-Horst Deichmann, Erivan Haub, Hubert Burda, Günther Fielmann, Michael Schmidt-Ruthenbeck, Ernst Strüngmann, Elizabeth Mohn, Hans-Werner Hector, Christoph Henkel, Jens Mittelsten Scheid, Stefan von Holtzbrink, Götz Werner, Carsten Maschmeyer oder Hans Georg Näder. Hier geht es mittlerweile fast ausschließlich um strategische Mobilisierung von Wissenschaftskapital im Kontext der eigenen Verwertungsketten und um Hegemonie, wobei eine kleine, aber wachsende Zahl von Milliardären wie Tschira, Schwarz, die Strüngmanns, Plattner, Werner, Mittelsten Scheid, Hector oder Haub durchaus auch breit gefächerte, tief in die strategische Grundlagenforschung hineinreichende Projekte verfolgen oder verfolgten. Zu ihrer Förderungspalette gehören freilich fast nie Einrichtungen der Bildungsarmen und Wissenschaftsfernen.

Sport

Eher neueren Datums und sehr populär ist das Faible vieler Reichländer für sportive Kapitalanlagen. Die einen kaufen und verkaufen Sportrechteagenturen oder auf ein paar Jahre die Bildrechte an Christiano Ronaldo, die anderen erwerben gleich ganze Vereine oder beherrschen die Ligen, wie das Beispiel des American Football zeigt, wo 17 von 32 Clubbesitzern Milliardäre sind. In den internationalen Fußball investierten allein 2012 Sponsoren 4,5 Mrd. $. Mittlerweile gibt es in der ersten und zweiten Bundesliga bei 16 Vereinen direkte Club-Beteiligungen und Sponsoring-Verträge. Allerdings scheinen die deutschen Milliardäre in den Rundkurs der globalen Sportereignisse (Grand Prix in Monaco, der Snow World Polo Cup, die Antigua Sailing Week, das Royal Ascot Pferderennen, der Super Bowl oder das Masters Golf Tournament in Augusta) eher weniger involviert. Vergleichbare Attraktionen in Deutschland mit globaler Ausstrahlung gibt es nicht. Andererseits spielen die zahllosen Veranstaltungen, Rennen und Wettbewerbe für die auf sportliche Selbsterfahrung ausgerichteten Lebensstile eine viel größere Rolle. Sie werden von spezialisierten Unternehmen professionell arrangiert und auf profitable Wertschöpfungsketten zugerichtet, bei denen dann vom Fitness-Armband bis zur Spezialernährung weitere gewinnbringende Artikel auf den Markt geworfen werden. Ihre breite Zielgruppe ist die Mittelklasse. Es geht also auch hier schon lange nicht mehr in erster Linie um Luxuskonsum. Die Sorge um die Kapitalakkumulation, Luxuskonsum und die stete Pflege der Werte "Konkurrenz", "Autonomie" und "Souveränität" fließen ineinander.

Kunst


Ähnlich die Aktivitäten auf den Gebieten der Kunst und Kultur, die im Unterschied zum Sport einst ein Feld des Mäzenatentums und der Inszenierung historischer Traditionen und bedeutungsvoller Identität waren. Die Kunstpolitik der Superreichen ist mittlerweile zunehmend auch auf die Platzierung von Kapitalanlagen für unsichere Zeiten konzentriert - schließlich haben die Werte mittlerweile eine Größenordnung erreicht, die zumindest operative Bedeutung hat und es Sinn macht, sie zoll- und steuerbegünstigt in Freeports zwischenzulagern. Daneben sind Abweichungen zu spüren zum Beispiel im Falle Reinhold Würths, der in den deutschen Reichenlisten mit ca. 8 Mrd. € unter den top ten geführt wird und "im Hohenlohischen sein kleines privates Imperium errichtet hat" (Manager-Magazin). Würth besitzt nicht nur Schlösser, Luxushotels, eine Mega-Yacht, Restaurants, Villen und Flugzeuge. Er gründete und erhielt vier Museen und 12 Dependancen u. a. in Dänemark, Österreich, Holland, Norwegen, Italien, Belgien, Schweiz und Spanien. Seine Sammlung umfasst 16.000 Gemälde.

Immobilien , Grundbesitz und Stadt

Ebenfalls eine rasante Entwicklung nehmen die Immobilen- und Grundbesitzaktivitäten. Wer in Reichland wohnt oder gar in seinem Superwolkenkratzer residiert, muss sich in allen Fragen des Grundbesitzes, des landgrabbing und der Gewerbe- wie Wohnimmobilien perfekt auskennen. Genauer: er muss die profitable Expertise mobilisieren können. Deutsche UHNWIs haben aktuell 699,2 Milliarden € in Immobilien angelegt, 80% davon in der BRD. Hier geht es um die Expansion des Hotel- und Residenzgeschäfts, um Gewerbeimmobilien und Landkauf (Liebherr, Kipp, Kellerhals, Schmidt, Broermann). Die Arrondierung der eigenen Kerngeschäfte ist in weit größeren Umfang als bisher mit Raumerschließung und -nutzung verbunden und zuweilen weitet sich dies in den Aufkauf von ganzen Stadtvierteln und Straßenzügen aus, wie die Beispiele des "bescheidenen Milliardärs" Dieter Schwarz (Lidl, Kaufland) im Falle Heilbronn und von Reinfried Pohl (DVAG) im Falle Marburgs zeigen.

Die Mobilität der Reichländer richtet sich längst nicht mehr nach Müßiggang und Klima, sondern nach den Logiken der Reichtumsbildung und -sicherung. Sie wird bestimmt von Arbeitstreffen, Tagungen wie das World Economic Forum in Davos oder die Milken Institute Global Conference in Los Angeles, Unterhaltungsevents wie Film-Festivals oder Kunstausstellungen und -auktionen in Basel oder Singapur oder Oldtimer-Treffen wie den Oldtimer-Concours d'Élégance am Comer See oder in Ludwigsburg. Es geht es um Zugang, Sichtbarkeit, Kommunikation, exklusive Treffen und vor allem um Geschäft. Zudem auch um die Pflege des Standorts - und hier kommt ein letzter Punkt ins Spiel: die Politik.

Politik

Ein detailliertes richtungspolitisches Profil der Gruppe der deutschen Milliardäre gibt es nicht. Konstant ist etwa die Präferenz einer Reihe von Milliardären für das konservativ-liberale Lager CDU/FDP (Quandts, Oetkers, Deichmann, Müller, Engelhorn, Weiss, Mohn, Wild) - zuweilen mit Schwankungen ins extrem marktradikale oder ins nationale und gewerkschaftsfeindliche Lager (Würth, Pohl, Wobben, Finck, Loh, Weiss). Eine größere stabile sozialdemokratische oder -liberale Gruppierung ist nicht sichtbar. Bemerkenswert allerdings die libertär-liberalen SAP-Eigentümer (Plattner, Tschira, Hector - mit Abstrichen auch Hopp), Milliardäre mit ausgeprägten ökologischen Präferenzen (Haub, Fielmann) oder in Einzelfragen abweichenden Positionen (Roßmann, Scheid und insbesondere Werner).

Philantrokapitalismus

Der Luxus, solche Lebensstile auswählen, erfinden, imitieren und rechtfertigen zu können, also der demonstrative Konsum verbindet sich oft kompensatorisch und zugleich kalkulierend mit philanthropischer Geschäftigkeit. Philanthropie ist längst eine riesige Kapitalanlage und Branche geworden. Wohltätige Schenkungen gelten zwar als intrinsisch gute Taten, drücken eine zweckfreie Generosität beim Geben, Schenken und Helfen aus und demonstrieren einen verantwortungsvollen Reichtum, was für die übliche "Plusmacherei" (Marx) keineswegs gilt. Superreiche erfinden ihre guten Taten und vermarkten sie als Problemlösung. Der Philanthrokapitalismus verleiht aber nicht nur celebrity-Status, spart Steuern und stärkt private Wirtschaftsstrategien und -politik. Er soll auch das Selbstverständnis der Mehrheit der Superreichen propagieren, die sich als wohltätige Angehörige einer bodenständigen oberen Mittelklasse verstehen oder inszenieren und auf ihre Aufwendungen für Bildung, Kunst und Kultur, Gesundheit oder Tierschutz und Umwelt verweisen. Doch beim weitaus größten Teil solcher Aktivitäten handelt es sich um strategische Kapitalanlagen in Form von social business und social investment. Es geht um eine wohltätige Umverteilung von Geld und Macht. Dass die Eingeborenen Reichlands zuweilen in ihrem alten Häuschen vorbeischauen und ihre Stammbäume pflegen, gehört dazu.

Des Reichlands Sinn

Die Einwohner von Reichland achten auf die Unterschiede zu den Unteren und ziehen daher sorgfältig Grenzen. Der soziale Sinn Reichlands ist erstens Separierung, also gemeinsame Abgrenzung des soziokulturellen Status nach unten. Es gibt kein gemeinsames Leben zwischen Reichland und dem ganzen Rest. Brutale und harte oder subtile, unmerkliche Grenz- und Zugangskontrollen sind dabei im Spiel, um die Unterscheidungslinien zwischen "unten" und "oben" ständig neu zu ziehen. Man begegnet sich nicht, arbeitet und konsumiert nicht zusammen, hat keine gemeinsamen Ideen, Ziele und Vorstellungen voneinander, teilt weder Moral noch Ethik. Die wirtschaftliche Basis dieser ständig neuen Abgrenzung bilden Charakter und Umfang des Kapitals, das in Reichland bewegt wird. Zweitens arbeiten die Reichländer ökonomisch ständig an der gruppeninternen Distinktion, also an Exklusion, Konkurrenz und Kooperation unter- und gegeneinander. Reichland ist ein Kontinent der unaufhörlichen und immer neu krisenhaften Akkumulation der vielen Kapitale, ihrer Konkurrenz untereinander und der Kämpfe um die Top-Positionen und die Macht im globalen Richistan (Frank). Drittens führt daher die Explosion der Ungleichheit in Reichland zu einer Konzentration der Macht und in langer Sicht zu einer kaum zu überschätzenden Neukonfiguration der Politik. Fragt man, für welche politische ratio Reichland steht, dann ist dort die einfache Antwort: für die Ablösung der alten Souveränität des bürgerlichen Staates durch die neue, andere, grenzenlose private Souveränität des bürgerlichen Reichtums und Kapitals.

Rainer Rilling, Jg.1945, ist Apl. Prof. für Soziologie an der Universität Marburg und war von 1983 bis 1998 als Geschäftsführer des BdWi tätig. In der Folgezeit war er wiss. Referent an der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit 2011 ist er Fellow am Institut für Gesellschaftsanalyse der RLS und seit 2014 auch Vorstandsmitglied der RLS. Der Beitrag geht auf seinen Text in dem eben erschienen Band "Die gekaufte Stadt? Der Fall Marburg: Auf dem Weg zur ›Pohl-City‹?", VSA 2016 zurück, der deshalb auch zu Recht unter einer ähnlichen Überschrift ("Besuch im Reichland") die Milliardärsfrage in Marburg thematisiert.