Über den Sinn und Unsinn von Werbung, Konsum und Kapitalismus
Im kapitalistsichen Wirtschaftssystem macht Werbung unter verschiedenen Gesichtspunkten Sinn. Unternehmen sind durch die im Kapitalismus bestehende Konkurrenz gezwungen, Gewinne zu erwirtschaften. Das machen sie, indem sie Produkte zu einem Preis verkaufen, der höher ist als die Herstellungskosten. Um zu erreichen, dass bestimmte Produkte beim eigenen Unternehmen gekauft werden und nicht bei der Konkurrenz, machen Unternehmen Werbung für sich und ihre Produkte.
Aber es wird nicht nur versucht, bestehende Bedürfnisse für den Verkauf der eigenen Produkte zu benutzen. Durch Werbung werden auch Bedürfnisse geschaffen, die vorher nicht existierten. Schließlich ist der Kapitalismus auf Wirtschaftswachstum angewiesen: Die Unternehmen müssen wachsen, um in der Konkurrenz nicht unterzugehen. Das geschieht, indem der Gewinn, der erwirtschaftet wird, direkt in neue Produktionsanlagen angelegt wird, die noch mehr Waren herstellen. Da die Nachfrage nach den bisher produzierten Waren begrenzt ist, müssen irgendwann neue Produkte auf den Markt. Die Nachfrage bzw. das Bedürfnis danach wird teilweise durch Werbung „künstlich" erzeugt.
Die Unterscheidung in „künstliche" und „natürliche" bzw. „echte" und „unechte" Bedürfnisse ist problematisch, weil nahezu all unsere Bedürfnisse durch unser soziales Umfeld entstanden und demnach „unnatürlich" sind. Wer nur „natürliche" Bedürfnisse als „richtig" ansieht, der dürfte - wenn überhaupt - nur noch Bedürfnisse wie das nach Nahrungsaufnahme oder nach Schlaf akzeptieren.
Dass es sich bei Werbung um zielgerichtete Erzeugung von Bedürfnissen handelt, ist auch nicht generell abzulehnen. Wenn die utopia ein Werbebanner auf einer anderen Website schaltet, will sie auch zielgerichtet zum Konsum der utopia anregen, was in diesem Fall sogar sehr positiv sein kann, weil es Leute auf eine Zeitung aufmerksam macht, die sie vorher vielleicht noch nicht kannten. Das eigentliche Problem liegt in der Art und Weise, wie Werbung oft wirkt.
Ein Großteil der kommerziellen Werbung liefert keine Informationen und Fakten, z.B. über die Leistung eines Produktes, sondern sie manipuliert. So heißt es in einer „Einführung in das Image-Marketing": „Wer glaubt, allein durch 'Fakten' sich im Feld behaupten zu können, und wer glaubt, auf suggestive Öffentlichkeitsarbeit und Werbung verzichten zu können, der wird in kurzer Zeit zumindest in den Sozialfeldern der Politik, Wirtschaft und Verwaltung in seiner Existenz bedroht sein". Unter suggestiver Öffentlichkeitsarbeit und Werbung versteht man dabei zum Beispiel, dass falsche Gedankenverbindungen geknüpft und Gefühle angeregt werden, die mit dem beworbenen Produkt eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Es werden Dinge versprochen, die nicht gehalten werden können. Das ist den meisten auch eigentlich völlig klar: Niemand glaubt wirklich, dass man durch das Fahren eines bestimmten Autos auf einmal so cool, charmant und sexy wird, wie der Schauspieler in dem dazugehörigen Werbespot. Trotzdem wirken solche Werbungen - und sei es nur durch die Tatsache, dass sich die Marke in unseren Köpfen festsetzt.
Würde diese offensichtlich unterbewusste Manipulation nicht wirken, gäben Unternehmen wohl kaum Milliarden für Werbung aus - allein in Deutschland jährlich ca. 30 Milliarden Euro, also durchschnittlich ca. 375 Euro pro Einwohner. Eine unvorstellbar hohe Summe, wenn man bedenkt, dass ein Großteil dieser Ausgaben keinen gesamtgesellschaftlichen Nutzen bringt, sondern uns lediglich hinter's Licht führt.
Eine weitere Form der Manipulation ist das bewusste Verheimlichen von Informationen. Miserable Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung bei der Produktion oder auch gesundheitliche Risiken sind keine Informationen, mit denen sich gut zum Konsum anregen lässt. Sie werden schlicht verschwiegen.
Diese Schwäche vieler Werbungen versuchen engagierte Menschen auszugleichen, indem sie auf soziale, ökologische und gesundheitliche Aspekte beim Kauf von Produkten hinweisen - zum Beispiel bei konsum- und globalisierungskritischen Stadtführungen, die mittlerweile in vielen Städten Deutschlands angeboten werden.
Gewusst, dass nur etwa sechs Prozent des Kaffeepreises an die Bauern und Bäuerinnen gehen? Dass in Afrika Kriege um Metalle für unsere Handys geführt werden? Dass die Näherinnen der Jeans von H&M in nahezu rechtsfreien Zonen arbeiten? Oder dass der Fleisch-Burger von McDonalds mitverantwortlich für den Klimawandel ist? Was in herkömmlicher Werbung nicht auch nur im Ansatz auftaucht, wird bei den Stadtführungen schonungslos offengelegt.
Dabei geht es nicht darum, den Zeigefinger zu erheben und zu sagen, dass man nichts mehr kaufen darf. Vielmehr soll bei den Stadtführungen zum Nachdenken und zum bewussten Konsum angeregt werden. Einen Gegenpol zum Großteil der Werbung, die tagtäglich auf uns einwirkt, bieten die Stadtführungen allemal.
-----
Dieser Artikel kann gerne weiterverbreitet werden, unter folgenden
Bedingungen: Nennung der Autorin bzw. des Autors und des Erscheinens
in der utopia; keine kommerziellen Zwecke; keine Bearbeitung. (Lizenz)