GIZ-Ratgeberliteratur: Einen geeigneten islamistischen Partner finden

in (20.04.2016)

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) ist ein Bundesunternehmen, das hauptsächlich im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), aber auch für Institutionen der Europäischen Union, die Vereinten Nationen und Regierungen anderer Länder arbeitet. Sie bietet „nachfrageorientierte, maßgeschneiderte und wirksame Dienstleistungen für nachhaltige Entwicklung an“. 2013 veröffentlichte die GIZ in Kooperation mit der Universität Tübingen das Buch Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit von Oliver Schlumberger, Peer Gatter und Danaë Panissié.

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Nachdem im Zuge der Umbrüche ab 2011 Parteien des politischen Islam in einigen nordafrikanischen Ländern Regierungsverantwortung übernommen haben und die syrische Opposition maßgeblich von eben solchen Kräften getragen wird, muss sich die Politik mit der Frage auseinander setzen, wie sie mit den neuen Partnern und Spielern umgeht. Beeinflussen die neuen Mehrheitsverhältnisse auch zwangsläufig die Entwicklungszusammenarbeit? Was die GIZ angeht, so hat deren Programmbüro „Interkulturelle Beziehungen mit islamisch geprägten Ländern“ von 2006 bis 2013 mehrere Studien zum Thema Islam und Entwicklungszusammenarbeit veröffentlicht, also bereits im Rahmen der europäischen Nachbarschaftsabkommen mit den Mittelmeeranrainern und der Debatte um externe Demokratisierung.

In seiner Einleitung für das vorliegende Buch schreibt Gatter, die Religion strukturiere in vielen islamisch geprägten Ländern den Alltag, und religiöse Einrichtungen übernähmen soziale Aufgaben, die die Staaten oft nicht mehr leisteten. Er folgert: „Die zunehmende Bedeutung von islamischen Bewegungen, von religiösen Bildungseinrichtungen, Moscheen und religiösen Würdenträgern ist daher nicht zwangsläufig mit Radikalisierungstendenzen gleichzusetzen, sondern vielmehr Ausdruck von sozialen Nöten und der sozialpolitischen Rolle, die diesen Institutionen in Staaten mit einem schwach ausgeprägten Wohlfahrtssystem in immer stärkerem Maße zukommt.“ Weder in dieser noch in den anderen Publikationen des Programmbüros finden säkulare zivilgesellschaftliche oder säkulare staatliche Organisationen Beachtung. Die Frage, warum die Staaten die Bevölkerung nicht mehr ausreichend versorgen, wird nicht gestellt.

Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit stellt acht Gruppierungen vor: die ägyptische Muslimbruderschaft, die salafistische Bewegung Ägyptens, die Nahda-Partei in Tunesien, die Parti de la Justice et du Développement in Marokko, die palästinensische Hamas, die Hizbollah im Libanon, die Taliban in Afghanistan sowie al-Qaeda auf der arabischen Halbinsel. Übersichtlich strukturiert, werden für jede Gruppierung in eigenen Abschnitten der gesellschaftliche Kontext, ihre Entstehungsgeschichte und ihr Verhältnis zum Regime, soweit wie möglich ihre Finanzierung, ihre Rolle in den Umbrüchen 2011/12 und danach, ihre politischen und gesellschaftlichen Ziele sowie ihre Bedeutung für die Entwicklungszusammenarbeit dargestellt. Soviel vorweg: Die Zusammenarbeit oder Koordination mit al-Qaeda auf der arabischen Halbinsel verbietet sich für die GIZ im Grundsatz. Die Kooperation mit der Hamas, dem palästinensischen Ableger der Muslimbruderschaft, ist nicht möglich, da die Bewegung auf der Terrorliste steht. „In der deutschen wie internationalen Forschungsgemeinde werden jedoch starke Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieser Klassifikation [der Hamas] und der durch sie begründeten Politik geäußert“, bemerken die AutorInnen. Mit den anderen Organisationen wird der Schulterschluss empfohlen. Nur bei der Hizbollah merken sie an, dass die Bewegung auf den Terrorlisten der USA und Israels steht und sich gerade Deutsche deshalb die Kooperation überlegen sollten. Ansonsten gebe es beim sozial- und wirtschaftspolitischen Profil der Hizbollah durchaus Überlappungen mit den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit. Besonders erstaunt die Einschätzung der ExpertInnen, dass die Partei Gottes in ihrer politischen Agenda nur selten Bezug auf islamische Werte nehme. „Denn sie weist entschieden zurück, dass die Instabilität des Libanon auf religiöse Konflikte zurückzuführen ist. Vielmehr seien Korruption, Verteilungsungerechtigkeit und eine ungerechte Repräsentation der Bevölkerung hierfür verantwortlich.“ Beim Blick auf die offizielle Webseite der Partei findet man im Banner neben dem Logo die Worte „Der islamische Widerstand – Libanon“. Die Verurteilung von Korruption seitens islamistischer und salafistischer Organisationen sowie deren starkes soziales Engagement ist in allen Porträts das Argument für die Vertrauenswürdigkeit der jeweiligen Gruppierungen. Es gibt an keiner Stelle Begriffsdefinitionen oder eine kritische Auseinandersetzung zum Beispiel mit der Absicht, die hinter der oft repressiven Wohlfahrt und den Strategien der Öffentlichkeitsarbeit islamistischer und salafistischer Parteien und Bewegungen steht. Vielmehr gehen die drei Fachleute letzteren offenbar auf den Leim. Aus der Literaturliste ist ersichtlich, dass sich die AutorInnen weder auf arabischsprachige Literatur noch auf die harten innerarabischen Debatten über den Umgang mit dem politischen Islam beziehen. Selbst arabische Gelehrte, die auf Englisch publizieren, finden sich in den Quellen kaum wieder. Vor diesem Hintergrund verwundert die sorglose Solidarisierung mit der Idee der Korruptionsbekämpfung und dem sozialen Engagement nicht mehr so sehr. Die Fachkompetenz und die Seriosität der AutorInnen stellt sie jedoch in Frage. Korruption z. B. ist ein zentraler Begriff im islamistischen und salafistischen Lager. Sie entsteht durch Abfall vom Glauben, ihre Überwindung erreicht man, ich verkürze kaum, durch Hinwendung zu Allah und Unterwerfung. Die Lektüre des einen oder anderen Links nach Eingabe der Begriffe „Allah“ und „Korruption“ in eine Internetsuchmaschine gibt einen realistischeren Einblick in die Ideenwelt und den moralischen Kodex politisch-islamischer Gruppierungen zum Thema als das Studium des GIZ Handbuches.

Seinem Anliegen, MitarbeiterInnen und Führungskräfte in der Entwicklungszusammenarbeit interkulturell zu sensibilisieren, wird das Buch nicht gerecht, gerade weil es keinen Teil mit tiefgehenden Begriffsdefinitionen hat und damit die angestrebte innergesellschaftliche sowie die interkulturelle Kontextualisierung der vorgestellten Akteure unterlässt. Die umfangreiche Bibliographie gibt keinen Hinweis auf weiterführende Literatur für diejenigen, die sich ernsthaft mit der Idee tragen, mit einer der vorgestellten Gruppierungen zusammenzuarbeiten.

Inwieweit die wissenschaftliche Mangelhaftigkeit des Buches der Kooperation einer universitären Einrichtung mit einem bundeseigenen Dienstleister geschuldet ist, lässt sich nicht endgültig bemessen. Grundsätzlich jedoch verbietet sich eine solche Zusammenarbeit. Es gehört nicht zum Aufgabenbereich von Wissenschaft und Forschung, Erfüllungsgehilfe der Exekutive zu sein. Exemplarisch zeigt ein Blick auf die ersten Wochen des Jahres 2016 deren Interessen deutlich: Am 24.1.2016 schreibt F.A.S. exklusiv, dass Außenminister Steinmeier auf die Beteiligung syrischer islamistischer Rebellengruppen an den Genfer Friedensgesprächen dringe. In dem Kontext fällt auch der Name Ahrar al-Sham (Freie Männer der Levante), deren Selbstbezeichnung auf Arabisch Harikat Aharar al-Sham al Islamiya – islamische Bewegung der Freien Männer der Levante ist und die von der deutschen Generalbundesanwaltschaft als ausländische terroristische Vereinigung gelistet wurde. Gerichtsverfahren gegen Unterstützer der Bewegung werden derzeit in der Bundesrepublik geführt. Dass sich an der Einstellung von Kriegshandlungen alle Kriegsparteien beteiligen müssen, ist nachvollziehbar. Steinmeier dazu in der F.A.S. weiter: „Natürlich gehören keine Terroristen und islamistischen Extremisten an den Tisch, die eine politische Lösung ja nur sabotieren wollen. Aber wir brauchen eine Allianz all derjenigen, die ihren Teil der syrischen Gesellschaft vertreten, die de facto Macht ausüben.“ Die angestrebte politische Lösung von Gruppen wie Ahrar al-Sham und Jaysh al-Islam (Armee des Islam), die Steinmeier ebenfalls am Verhandlungstisch wissen möchte, ist ein islamischer Gottesstaat. Sie versuchen diese mit kriegerischen Mitteln zu erreichen und wissen ihren Teil der Bevölkerung hinter sich. In Anbetracht der Einschätzung des Generalbundesanwalts wäre eine Definition von Terrorismus und islamistischem Extremismus seitens des Außenministers dienlich. Am 3.2.2016 meldeten die Deutschen Wirtschafts Nachrichten: „Die Bundesregierung gibt der ‚Syrischen Opposition‘ in Genf rechtliche Hilfestellung und übernimmt die Kosten für das Sekretariat der Delegation. Außerdem wurde eine Agentur beauftragt, die die Anliegen der Opposition auf Facebook und Twitter verbreiten soll. Das Oppositionsbündnis wurde allerdings von Saudi-Arabien gegründet.“ Dienstleister für das deutsche Unterstützungspaket der syrischen Oppositiondelegation bei den Genfer Friedensverhandlungen, in die Steinmeier, wie gesagt, die Ahrar al-Sham und Jaysh al-Islam (die auf ihrer englischen Webseite den Begriff der Korruption übrigens ausführlich erklärt) ist die GIZ. Zwei Wochen später schließlich, am 17.2. 2016, gab das BMZ eine Pressemitteilung heraus, in der die International Partnership on Religion and Sustainable Development, PaRD, vorgestellt wurde: „Ohne den Beitrag der Religionen werden wir die globalen Herausforderungen nicht bewältigen können. Gerade heute, wo Religion als Rechtfertigung für Terror und Gewalt missbraucht wird, müssen wir die Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften verbessern. Wir dürfen das Feld nicht den Extremisten überlassen, sondern müssen die stark machen, die sich für Frieden und Entwicklung einsetzen“, so Bundesentwicklungsminister Müller. Mit an Bord sind u. a. die USA, Großbritannien, Schweden, die Vereinten Nationen und die Weltbank. „PaRD wird durch ein internationales Sekretariat mit Sitz bei der GIZ in Bonn und Berlin unterstützt werden.“ Ganz unabhängig von der fahrlässigen Präzisionslosigkeit dieser mächtigen Worte hat Gott in sich noch als demokratisch definierenden Systemen nichts zu suchen. Seine Allmacht und Pflichtenbindung widersprechen dem Prinzip des Rechtsstaates fundamental.

 

Schlumberger, Oliver; Gatter, Peer; Panissié, Danaë: Islamistische und jihadistische Akteure in den Partnerländern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit/[Hrsg.] Programmbüro Interkulturelle Beziehungen mit islamisch geprägten Ländern; Institut für Politikwissenschaft Tübingen. - Eschborn: Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), 2013. - 126 S. : Ill., 978-3-00-041118-2, als E-Book im PDF-Format kostenfrei auf den Seiten der GIZ und der Uni Tübingen.