Rosa Luxemburgs Antikriegspolitik[1]
Manche historische Gestalten sind dermaßen umwoben von Mythen, dass kaum jemand sich mehr die Mühe macht, das Dickicht zu durchdringen. So geht es Rosa Luxemburg, der von den meisten Menschen gekannten Unbekannten. Die Legenden wissen sie als blutig und Gewalt verherrlichende Politikerin[2], als friedfertig und Freundin von Blumen und Tieren, als Märtyrerin und Revolutionärin. Letzteres, was sie am meisten war, verliert sich im Dunkel der Verehrung.
In den vielfältigen Kriegsszenarien dieses Gedenkjahres 2014 ist es nützlich, Luxemburg noch einmal zu lesen, um von der Art ihrer historisch-kritischen Analyse für die Geschichtsschreibung um den Ersten Weltkrieg zu lernen und vor allem für das Begreifen der Vorgänge 100 Jahre später. Was in diesem Beitrag am meisten interessiert, ist ihre unablässige Arbeit gegen den Krieg, die Weise ihres politischen Eingreifens. Dies ist nicht die Historikerfrage nach der Schuld am Krieg und auch nicht die simple, als Meinungserkundung gestellte, ob sie für oder gegen den Krieg war. Uns bewegt mit Luxemburg das Problem der Hegemoniegewinnung. Sie fragt, wie es gelingen konnte, eine internationalistische starke Arbeiterpartei, die bewusst für den Frieden eintrat, in eine kriegsbefürwortende Handlangerin des internationalen Kapitals zu verwandeln und entsprechend das Volk in Kriegsbegeisterung zu versetzen. Sie fragt in praktischer Absicht: nämlich in die Vergangenheit, was versäumt oder falsch gemacht wurde, um aus Fehlern zu lernen, nach vorn, was in dieser Lage zu tun, wie also zukünftig Politik zu machen sei. Dies macht ihre Analyse unentbehrlich und aktuell
(...) siehe pdf.
Copyright: Das Argument 310, S.662-677
[1]
Der Beitrag verwendet u.a. Materialien aus meinem Buch Rosa Luxemburg und die Kunst der Politik.
[2]
Manfred Scharrer, Gewerkschaftshistoriker, diagnostiziert, dass sie die sozialistische Arbeiterbewegung in eine »anti-demokratische Sackgasse« führte und dass – hier denkt er wie Helmut Kohl – nur Luxemburgs »Freiheitsdefinition Bestand hatte« (2002, 185). »Demokratie war für Rosa Luxemburg nur nützlich bis zum Tag der Revolution, dann kam die Phase der Diktatur […]. Sie ist fasziniert von der Revolution und nicht von der Demokratie, sie ist fasziniert von der Gewalt und nicht vom Parlieren. Sie beschwört den Glauben vom Zusammenbruch des Kapitalismus.« (15)