Faschismus oder Nationalsozialismus?

"Korrekt einzig vom Standpunkt der Nazis"

 

>Korrekt einzig vom Standpunkt der Nazis<

Ulla Pleners Weckruf begrüßen wir in der Sache. Aber im Eifer des Gefechts verlässt sie an einigen Stellen den Boden der Tatsachen. Das Problem der >faschistischen Eigennamen< ist bereits 1967 im Hilflosen Antifaschismus analysiert (siehe Kap. 1.2). In der um ein zweites Buch erweiterten Neuausgabe beginnt Teil III (1993) mit einem >Lexikon (1): Nazismus, nazistisch< und einem >Lexikon (2): nazistische Erfahrung< (Kap. 1.1 u. 1.2):

>In der Tat sind im West-Deutschen Ausdrücke wie ^Naziregime^^ oder ^Nazismus^^ noch heute Fremdwörter. Vielsagende Fremdheit: Hier war der ^Nationalsozialismus^^ zuhause, und hier ist es noch immer das Wort. [...] Hinter der im deutschsprachigen Westen (wieder, nach kurzem Intervall) üblichen Rede vom ^Nationalsozialismus^^ verbirgt sich oft bloß Denkfaulheit, Mangel an politischer und moralischer Sensibilität. Wer ohne Hintergedanken derart scheingenau spricht, rechnet nicht mit dem Charakter des Regimes. So wenig jeder Zug von der XY-Zigarette ^reine Natur^^ ist, wenngleich die Werbung es behauptet, so wenig war ^Euthanasie^^ Gutes Sterben. So wenig die NSDAP Arbeiterpartei, so wenig war der deutsche Faschismus nationaler Sozialismus. Eher ging es um corporate identity für die leistungsfähigen Auslesen der Klassengesellschaft, das Heer der Sonderführer. [...] Was anfangs naiv sein mochte, hat inzwischen jede Unschuld verloren. Man betrachte z.B. die in folgender Aussage gemachten Unterstellungen: ^These [...], dass keinem Deutschen schon deshalb ein Vorwurf gemacht werden sollte, weil er seine Hoffnungen auf die ‚deutsche Revolution‘ [...] setzte und die nationalsozialistische Machtergreifung als deren Verwirklichung betrachtete.^^ (Nolte 1988, 354) Diese ^These^^ setzt voraus, a) dass es eine ^Machtergreifung^^ [statt der Machteinsetzung durch die nationalkonservativen Eliten] gab; b) dass deren Subjekt wirklich ^nationalsozialistisch^^ war; c) dass der Hass auf die Republik, Juden, Marxisten usw. eine unschuldige ^Hoffnung^^ war. ^Verstehend^^ tradiert die ^These^^ d) das Imaginäre einer ^deutschen Revolution^^, so die Kostüme reinigend und aufbereitend, in denen die Faschisierung Deutschlands sich verkleidete.< (317f)

So viel zu Pleners Vorhaltung, im Argument-Umkreis sei zwar über Jahrzehnte hinweg Faschismus-Theorie behandelt, >auf den Begriff ^Nationalsozialismus^^ [...] aber nicht explizit eingegangen< worden.

Nun zu Karl Heinz Roths Impuls, für den wir als zunehmend vereinsamte Rufer in der Wüste sehr dankbar gewesen sind. Wir haben ihn jedoch nicht >aufgreifen< müssen, weil er der durchgängigen Linie dieser Zeitschrift entsprach. Nicht allzu lange vor Roths verdienstvollem Text war dies wiederholt bekräftigt worden. So heißt es etwa im Editorial zum schon durch den Umschlag besonders hervorgehobenen Heft 200 von 1993, Brauchen wir einen neuen Antifaschismus?, mit dem wir auf das mörderische Wiederaufleben faschistischer Aktivitäten reagierten:

>In der öffentlichen Rede ist der Gebrauch des Begriffs ^Faschismus^^ wieder, wo nicht auf Mussolini bezogen, stigmatisiert; man findet nichts dabei, von ^Neonationalsozialisten^^ (Pfahl-Traugber, FAZ 26.7.93) sowie von ^anderen nichtnationalsozialistischen Formen von Rechtsextremismus^^ (Jaschke) zu sprechen, um das Wort ja nicht in den Mund zu nehmen. Im besten (keineswegs vorherrschenden) Fall spielt die berechtigte Sorge mit, die unvergleichliche Vernichtungsqualität des NS, den Holocaust, auszublenden. ^‘Faschismus,^^, heißt es etwa in der Zeitschrift Das Historisch-Politische Buch (1-2/92), ^,ist irreführende Verharmlosung,, ^‘Nazi,^^ ein in Publikationen dümmlich wirkendes Wort-Kürzel^^; als die ^korrekten Bezeichnungen^^ gelten ^Nationalsozialisten^^ und ^Nationalsozialismus^^. Bei allem Respekt – das sind Selbstbezeichnungen, korrekt einzig vom Standpunkt der Nazis. [...] Man formuliere Christian Meiers Rede von der ^nazistischen Erfahrung^^ um in ^nationalsozialistische Erfahrung^^, um ein Gespür für den desartikulierenden Effekt einer Redeweise zu bekommen, die mit den Sanktionen eines Sprachtabus daherkommt.< (409f)

Zwei Jahre später, im Editorial zu dem Doppelheft 209, Der achte Mai ist nie vorbei, heißt es u.a.:

>Die Umstände der deutschen Vereinigung haben den Retuschierern neuen Auftrieb gegeben. Im öffentlichen Bewusstsein wurden [die Begriffe] ^Antifaschismus^^ und ^Faschismus^^ förmlich verfemt.< (171)

Kurz, wir haben nie aufgehört, im Sinne von Pleners Kritik an der verhängnisvollen Sprachregelung zu handeln. Anders als Plener bewerten wir allerdings Kürzel wie NS-Staat, NS-Verbrechen, NS-Regime, NS-Ideologie u. dgl. als Siglen, welche die kritisierte Sprachregelung nicht mitmachen, sondern bereits eine Distanzierung ausdrücken, wie wir auch Entnazifizierung nicht umbenennen wollen. Aber die unkritisch von Nationalsozialismus sprechen, reden in der Tat >korrekt einzig vom Standpunkt der Nazis<, und indem sie das tun, nehmen sie schon ein Stück weit deren Standpunkt ein – wenn nicht mit Bedacht, dann fahrlässig.

WFH