Produktive Einsatzpunkte und Ambivalenzen
In den letzten Jahren hat der Begriff „Commons“, zu Deutsch Gemeingüter oder Allmende, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er steht für die Kritik an herrschenden Entwicklungen, für konkrete Forderungen und alternative Praktiken wie etwa gemeinschaftliche Nutzungsregeln. Es gibt keine fixe Definition von Commons, sondern es handelt sich um einen politischen Begriff, der Teil sozialer Auseinandersetzungen ist und in diesen immer wieder aktualisiert und präzisiert wird. Immer wieder werden der Mindestlohn oder die wesentlich von der öffentlichen Hand organisierte soziale Infrastruktur wie Bildung, Mobilität und Gesundheit zu den Commons gezählt. Commons ist also nicht der große Hebel, das alleinige Prinzip, das alle Probleme löst. Commons – das sind Prinzipien und Praktiken sowie politische und strategische Perspektiven und damit Teil umfassenderer Auseinandersetzungen.
Gemeinsam mit anderen Diskussionen wie aktuell jene um Degrowth (Post-Wachstum) oder die Rückgewinnung des Öffentlichen ist jene um Commons Teil der gerade in der aktuellen Krise immer dringenderen politischen Frage: Wie kann allen Menschen ein auskömmliches, gutes Leben gesichert werden? Wiekann die Produktion von und der Zugang zu guten Mitteln für das eigene Leben ermöglicht werden? Wie werden angemessene individuelle und kollektive Beteiligung und Handlungsfähigkeit, die nicht Herrschaft über andere ausübt, ermöglicht? Wie können die natürlichen Lebensgrundlagen erhalten und deren sinnvolle Nutzung und Nicht-Nutzung ausgebaut werden?
Ein starker Konsens in der Commons-Debatte besteht darin, dass dies über die kapitalistisch verfasste Ökonomie und die damit verbundenen kulturellen und staatlichen Verhältnisse immer weniger möglich ist. Das lässt sich neben den vielfältigen Dimensionen der sozial-ökologischen Krise auch an der für viele Menschen im globalen Norden immer brutaler werdende Austeritätspolitik deutlich besichtigen. Privatisierung, Kommodifizierung und Inwertsetzung der Gemeinressourcen nehmen tendenziell zu. Das bedeutet, dass die Diskussionen um und die Praktiken zum Erhalt bzw. der Ausweitung der Commons zwar de facto zu einer neuerlichen und dringenden Rethematisierung der Verfügung über Eigentum führen.
Sie gehen aber nicht darin auf. Insofern ist der Begriff des „Gemeineigentums“ zwar wichtig, aber nicht erschöpfend. „Gemeineigentum“ suggeriert Eigentum als Rechtsverhältnis im Gegensatz zum „Privateigentum“. Doch Gemeinressourcen für alle Menschen verfügbar zu halten, impliziert in vielen Fällen mehr als die Definition kollektiver Eigentumsrechte. Es geht um soziale und kulturelle Praktiken, um andere Konsumnormen und um den gesellschaftlichen Umgang mit Natur, Kultur und Wissensbeständen.
Der Commons-Begriff ist nicht per se kritisch und emanzipatorisch besetzt. Er kann durchaus mit herrschenden Logiken kompatibel sein bzw. gemacht werden. Gemeinschaftliche Managementformen können auch eine Folge neoliberaler Politik der Entstaatlichung, sie können konservativ und ausgrenzend sein. Ein Beispiel hierfür ist ein „community management“, in denen Bewohner eines Stadtteils selbst für Sicherheit sorgen und denunziatorisch oder gar gewalttätig gegen „Fremde“, „Eindringlinge“, „Andere“ vorgehen.
Der Commons-Begriff gefährdet zudem seine kritische Ausrichtung, wenn Commons nur als die zweitbeste „Lösung“ angesehen werden, nämlich wenn Markt und Staat versagen. Dann werden Commons in die Richtung interpretiert, dass bei Markt- oder Staatsversagen nun eine wie auch immer geartete Gemeinschaft oder das Gemeineigentum „zuständig“ seien. Eine Beschränkung der Perspektive auf bestimmte Bereiche, in denen Markt und Staat nicht „funktionieren“, könnte dem Begriff der Commons seinen kritisch-emanzipatorischen Stachel ziehen. Damit soll nicht gesagt werden, dass staatliche Treuhandschaft oder Management per se schlecht sind. Entscheidend ist vielmehr, dass Commons nicht nur als Platzhalter für den „Rest“ steht.
Eine damit verbundene Gefahr liegt darin – auch hier insbesondere bei emanzipatorischen Akteuren des Nordens –, die Sicherung bzw. Bereitstellung der Commons weitgehend dem Staat zu überlassen. Wenn es aber darum geht, soziale Netze jenseits von Konkurrenz sowie kapitalistischer Warenproduktion und Marktvergesellschaftung wieder dichter werden zu lassen, dann kann nicht zu sehr auf den Staat vertraut werden. Er ist zwar ein wichtiges Terrain sozialer Auseinandersetzungen und der Sicherung von populären Errungenschaften, die in harten Auseinandersetzungen durchgesetzt werden und immer wieder verteidigt werden müssen. Zudem bedarf es neben gesellschaftlich akzeptierten Normen und Wertvorstellungen allgemein verbindlicher Regeln sozialen Zusammenlebens. Diese werden heute wesentlich vom Staat und – über die Regierungen – von internationalen politischen Institutionen gemacht.
Der Staat bleibt jedoch als Bestandteil und Ausdruck der Verfasstheit der Gesellschaft grundlegend kapitalistisch, patriarchal, rassistisch und imperial. Die hauptsächliche Funktion des Staates ist nicht die eines Schiedsrichters, sondern die konfliktreiche Sicherung der bürgerlichen Eigentumsordnung und Sozialstruktur. Den Staat zum zentralen Hüter des Gemeinwohls zu machen, würde der Realität vieler Probleme und Konflikte nicht entsprechen. Dies sollten die Commons-Debatte und die damit verbundenen politischen Initiativen in den Blick nehmen. Notwendig ist also die Neuausrichtung staatlicher und zwischenstaatlicher Politik jenseits ihrer aktuellen neoliberal-imperialen Orientierung. Dann kann der Staat zum wichtigen Teil des Erhalts und des Ausbaus von Commons und Commoning werden. In einer solchen Konstellation können sich Commons und das „Öffentliche“ annähern.
Die Commons-Debatte verweist auch auf die notwendige Veränderung der „imperialen Lebensweise“, die wenigen Menschen in der Welt einen oligarchischen Lebensstil ermöglicht. In den wohlhabenden Gesellschaften hingegen sind viele Menschen trotz der zunehmenden Polarisierung immer noch vergleichsweise vorteilhaft in die internationale Arbeitsteilung eingebunden. Sie erfahren die Bedrohung oder Zerstörung der Commons nicht derart direkt. Aber auch in den kapitalistischen Zentren bringt der Begriff der Commons aktuelle problematische wie produktive Entwicklungen auf den Punkt.
In der Commons-Debatte kann deutlich werden, dass linke Politik nicht nur darin besteht, angemessene Strategien zu entwickeln, sondern auch politische, soziale, kulturelle und ökonomische Räume zu öffnen. Diese Räume von Austausch, Lernprozessen und alternativen Erfahrungen zum Unterlaufen von Konkurrenz und privater Aneignung gesellschaftlich produzierten Reichtums sind selbst Commons, d.h. soziale Beziehungen, die nicht herrschaftlich von Staat, Unternehmen oder dominanter Öffentlichkeit strukturiert sind. Sie ermöglichen die Schaffung sozialer Netze. In diesen Räumen könnten Erfahrungen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen oder aus unterschiedlichen Gesellschaften zusammengeführt werden. Das ist Teil und Voraussetzung von Veränderungen, die ja meist über harte Konflikte mit herrschenden Interessen erreicht werden und nicht (allein) mit guten Argumenten.
Schließlich bezeichnet der Begriff der Commons eine strategische Perspektive, die zwar in den je spezifischen Feldern konkretisiert werden muss, aber allgemein benennt, dass es um Strategien gegen herrschende Tendenzen der Privatisierung, Deregulierung, Kommodifizierung und Inwertsetzung gesellschaftlicher und natürlicher Prozesse geht. Insofern – das macht den Begriff potenziell so attraktiv für emanzipatorische Akteure – ist eine Stärkung der Commons eine herrschaftskritische Perspektive.
Ulrich Brand arbeitet als Professor für Internationale Politik an der Universität Wien, ist Mitherausgeber des „ABC der Alternativen 2.0“ (Hamburg 2012), leitet seit November 2013 das Forschungsprojekt „Green Urban Commons“ und war sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ (2011-2013) des Deutschen Bundestages.
Literaturhinweise:
Die Armutskonferenz (2013): Was allen gehört. Commons – Neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung. Wien: ÖGB-Verlag.