Ein Gespräch über soziale Folgen des Klimawandels und den drohenden Untergang der pazifischen Inselwelten
prager frühling (pf): Es gibt Gegenden auf der Welt, in denen sich der menschengemachte Klimawandel nicht mehr so einfach ignorieren lässt. Im Südpazifik sind ganze Inselketten, die im Schnitt nur 1,8 Meter über dem Meeresspiegel liegen, vom Untergang bedroht. Davon kriegt man hierzulande nicht so viel mit. Viviana und Mark Uriona, ihr habt lange zu diesem Thema gearbeitet, was genau habt ihr gemacht?
Vivi Uriona: Wir waren ein Jahr im zentralen Pazifik, vor allem auf Majuro, das zu den Marshall-Islands gehört. Dort haben wir einen partizipativen Dokumentarfilm gedreht. Wenn Leute üblicherweise eine Doku in der Region machen, sind sie maximal zwei Wochen da und fliegen wieder weg. Wir haben das anders gemacht, sind nicht einfach mit einer fertigen Geschichte im Kopf hingefahren. Wir haben zunächst mit der örtlichen NGO Jo-Jikum eine offene Veranstaltung für alle, die am Film mitarbeiten wollten, organisiert. Letztendlich kristallisierte sich aus ganz vielen Leuten, eine feste Gruppe heraus, die dann den Film mit uns gemacht hat. Das waren Leute aus allen gesellschaftlichen Schichten und mit ganz unterschiedlichen Bildungshintergründen.
Mark Uriona: Somit ist das auch nicht „unser Film“, sondern der Film von am Ende fast 80 Leuten. Partizipativer Filmdreh heißt, dass man sich in einen Austausch begibt. Die Leute lassen uns oftmals sehr nah an sich und ihre Lebenswelt heran. Wir lernen Hintergründe und kulturelle Besonderheiten kennen. Im Austausch geben wir ihnen auch etwas: Wir bringen ihnen bei, wie man Filme macht. Alle beteiligten Personen standen hinter der Kamera, haben Recherche gemacht und auch die grundsätzlichen dramaturgischen Entscheidungen mit uns gemeinsam getroffen. Es muss an dieser Stelle gesagt werden, ohne unsere großartige Produzentin, Maria Kling von Studio Kalliope, wäre das so nicht möglich gewesen.
pf: Der Untertitel des Films lautet: „We are not drowning, we are fighting.“ — Wir ertrinken nicht, wir kämpfen. Wie sehen diese Kämpfe auf den Marshall Inseln aus?
Vivi: Die sind sehr subtil und auf der anderen Seite sehr präsent. Dort ist eben nicht nur Thema wie menschengemachte Klimaerwärmung via Social Media und über Kongresse auf die Tagesordnung gebracht werden kann. Es gibt ganz viele alltagspraktische Dinge, die damit zusammenhängen. Wie geht man zum Beispiel mit Überschwemmungen um? Wie kann man bestimmte Strukturen auf der Insel so verändern, dass das Ansteigen des Meeresspiegels sich weniger desaströs auswirkt? Wie kann man den Verlust der eigenen Heimat und des eigenen Ortes verhindern?
Da geht es dann um Veränderungen der Baustruktur, um den Umgang mit der Versalzung des Grundwassers. Trinkwasser kann man vielleicht noch kaufen, aber viele Pflanzen lassen sich dann eben nicht mehr anbauen.
Mark: Kämpfen meint ja nicht das Kämpfen mit Waffen. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die pazifischen Staaten haben, obwohl sie dünn besiedelt sind, viel Aufmerksamkeit für ihre ganz klare Argumentation erzeugt. Sie sagen: Wir sind die vorderste Front des Klimawandels. Dinge, die euch vielleicht erst verzögert treffen, treffen uns schon heute. Wenn ihr euch vorstellen wollt, was mit euren Küstenregionen und in den tief liegenden Bereichen eurer Länder passiert, dann können wir euch das sagen. Wir sehen es vor unserer Haustür. Das ist der Kampf für Bewusstsein und für die Notwendigkeit, das Verhalten zu ändern. Wenn man andere ermahnt, muss man aber auch vorlegen. Und wenn man sich die Wirtschaftsleistung dieser Länder anschaut und die Möglichkeiten, die sie haben, dann geschieht dort sehr viel. Da wird darüber nachgedacht, dass Elektrifizierung grundsätzlich nur mit Solarenergie erfolgen soll. Das alte Kraftwerk auf Majuro soll ersetzt werden und mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden. Es gibt Fährprojekte, wo Segel eingesetzt oder umgebaute Dieselmotoren mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben werden. Auf dem winzigen Majuro gibt es sogar Ladestationen für Elektroautos.
Die machen zwar nur Nullkommanull-irgendwas der weltweiten Emissionen aus. Aber sie beweisen, dass es einen anderen Weg gibt. Die Botschaft an die Industrienationen ist: „Wenn wir das können, dann müsst ihr das schon lange können.“
pf: Noch mal ein Stück zurück. Es klang schon an: Das Meer prägt das Leben auf den Inseln, ist Lebensgrundlage und wird nun zu einer Gefahr. An welchen Stellen zeigt sich das im Alltag?
Mark: Wir konnten das selbst in der kurzen Zeit, wir waren ja nur knapp ein Jahr auf Majuro, beobachten. Das darf man sich nicht so vorstellen, dass das Wasser quasi einmal über die Insel schwappt und das Land mitnimmt. Das passiert, wenn ein besonders starker Sturm wütet. Aber in der Regel läuft es anders ab. Der Bewuchs der Insel hält das Land fest. Wo Pflanzen stehen, kann das Wasser ruhig einmal überschwappen. Es läuft dann eben irgendwann wieder zurück. Wenn das Land aber häufiger überflutet wird und das tut es eben, dann versalzt die sogenannte Grundwasserlinse. Auch auf den Inseln gibt es Grundwasser. Das liegt in Kammern und wenn zu oft Salzwasser reinschwappt, dann versalzt es. Die Pflanzen können nicht mit Salzwasser umgehen, sterben und halten das Land nicht mehr fest. Und das kann man sehen, wie ein ganzer Landstrich stirbt. Erst werden die Pflanzen grau, die Palmen fallen um und dann ist da am Ende eine Kieslandschaft. Wenn dann der nächste Sturm kommt, dann nimmt er das Land mit.
Das kann man auch im Film sehen. Es gibt eine Szene am Anfang, wo eine Flutschutzmauer gebaut wird und dahinter sieht man einen Baum. Der Plan war es, diesen Baum, der aus kulturellen Gründen eine große Rolle spielt, zu beschützen. Dann sieht man Arbeiter, die eine Verschalung errichten, in die später Beton gegossen wird. Wer genau guckt, sieht später links im Bild diesen wunderschönen großen Baum, der da schon zu kippen beginnt. Die Wurzeln sind freigelegt.
Vivi: Es ist ein schleichender Prozess, der gar nicht mehr so schleichend ist. Wir hatten den Gedanken: Wie können wir bildlich einen Prozess, der eigentlich sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, festhalten? Und dann stellten wir fest, dass der gar nicht mehr so langsam abläuft. Wir waren gerade angekommen und sahen an einer Stelle Palmen stehen. Dann fahren wir noch mal ein paar Wochen später an der Stelle vorbei und dann sind sie schon am Kippen.
Ich weiß noch, wie wir uns mit Mahendra Kumar, einem unserer Protagonisten, unterhalten haben: Wie können wir Klimawandel in Bildern festhalten? Er sagt das auch im Film: Es geht nicht darum, dass etwas geschieht, das sich etwas verändert, sondern es geht darum in welcher Zeitspanne.
Mark: Das ist ein Umschlagen von Quantität in Qualität. Manche sagen: „Das Klima hat sich immer verändert.“ Stimmt. Es ist nur nicht der entscheidende Punkt. Denn es tut es jetzt derartig schnell, dass den Variablen drumherum die Möglichkeit fehlt, sich anzupassen. Der Klimawandel läuft zu schnell ab, als dass Flora und Fauna mithalten und sich die menschliche Zivilisation anpassen könnte. Das trifft auch auf die kleine Palme zu, die am Strand steht und ins Meer kippt. Das geschah früher auch, nicht normal ist, dass es in einer Geschwindigkeit geschieht, dass gar nichts nachwachsen kann und nicht bloß die Reihen gelichtet werden, damit die nächsten Pflanzen hochkommen. Wenn man das Land mit einer Drohne überfliegt, kann man die ganzen Stellen sehen, die früher mal Land waren. Man kann Teile der Vegetation und die Strukturen im flachen Wasser sehen. All das passierte in einem Zeitraum von nicht mal zehn Jahren und beschleunigt sich. Es ist schockierend.
pf: Zu welchen Konflikten führt es zwischen Menschen die unterschiedlich schwer davon betroffen sind, dass das Land unter den Füßen der Leute verschwindet?
Vivi: Das ist eine spannende Frage, die allerdings von einem Unwissen über die dortige Gesellschaft, geprägt ist. Diese Gesellschaft ist wahnsinnig friedlich. Solche Konflikte haben wir weder persönlich, noch als Erzählung erlebt. Die Leute sind sehr verbunden miteinander, so dass das keine Rolle spielt. Wenn Du auf Majuro lebst, könntest du sagen: Ich habe den Jackpot gewonnen. Besser kann es mir nicht gehen. Auf der Hauptinsel der Republik geht es sehr modern zu. Es gibt ein Krankenhaus und man kann alles kaufen. Das ist auf den kleinen Inseln anders. Und doch gibt es eine Verbundenheit: Alle gehören zusammen, alle helfen sich und alle unterstützen sich — nicht nur in schweren Situationen, sondern auch, um Sachen voranzutreiben. Soetwas habe ich persönlich noch nie erlebt. Das geht auch über eine soziale Bewegung hinaus, das ist die Art, wie diese Gesellschaft funktioniert. Dabei ist diese wahnsinnig durchmischt. Man kann nicht sagen, das seien nur die Marshallesen, sondern alle Leute, die vor Ort sind, fühlen sich verbunden. Es dauert nicht lange, wenn du angekommen bist, dass du dich ebenfalls verbunden fühlen musst, weil das die Art und Weise ist, wie die Leute, miteinander umgehen.
Mark: Es gab einfach keinen Anlass, Fragen zu stellen, wie: „Bringt euch die Klimaerwärmung gegeneinander auf? Streitet ihr vielleicht um ein Stück Land jetzt heftiger, weil das Land an einer anderen Stelle verschwunden ist?“ Hätten wir dergleichen beobachtet, dann hätten wir natürlich versucht, auch das zu ergründen. Aber es ist, das soll jetzt wirklich nicht kitschig klingen, eine unglaubliche friedliche Gesellschaft. Der Umgang mit der nahenden Katastrophe ist erst mal komplett unaggressiv — sogar gegenüber jenen, die sie letztendlich verursachen. Das Meer ja wie ein Transmissionsriemen zwischen den westlichen Industriegesellschaften und den Gesellschaften dort. Das Meer überträgt unsere Schwierigkeiten auf sie. Trotzdem gibt es da keine böse Haltung. Es gibt ein allgemein sehr respektvolles und freundliches Umgehen der Menschen miteinander. Aus dem Grund ist auch diese drohende Katastrophe nichts, was sie gegeneinander aufbringt. Ich glaube für uns ist das normal, wir kennen sozusagen den Netflix-Katastrophenfilm. Wenn das normale Gefüge der Welt gestört wird, dann bewaffnen sich alle und kämpfen um die letzte Konservendose. Dort kämpfen Leute eben nicht um die letzte Konservendose, sondern teilen sie.
Für uns hat es das alles noch viel dramatischer gemacht. Als wir das so langsam verstanden, ja was für eine Schande ist das, dass ausgerechnet diese Gesellschaften am Stärksten bedroht sind. Die sollten Seminare oder Workshops für den Rest der Welt geben, wie man miteinander leben kann.
pf: Wie hat sich eure Perspektive auf die Debatten hierzulande dadurch verändert?
Mark: Also, das ist schwierig. Der Restmarxist in mir hat natürlich versucht, das zu analysieren. Ich sehe, das ist eben keine bürgerliche Gesellschaft, nicht nur nicht im kulturellen Sinne, sondern auch in sozioökonomischer Hinsicht nicht. Es ist eine eigenartige Mischform aus einer urgesellschaftlichen Gesellschaft, die relativ spät kolonialisiert wurde und damit einige technologische Bereicherungen erfährt, in der aber ganz stark der Familienverband und eine starke Beziehung zur Natur wirkt. In der Gesellschaft ist es so, wenn irgendwer in der Familie zu Geld kommt — und Familie ist da fast ein Synonym für Kleinstadt — dann zuckt der oder die mit den Achseln. Man weiß dann schon, wo das Geld bleibt: bei allen anderen. Es ist eine Gesellschaft mit einer großen Gleichheit. Die Geschichte kann zynisch sein: Diese Welt ist weitaus besser auf den katastrophalen Einschnitt vorbereitet als unsere vereinzelnde leistungsoptimierende Konsumentengesellschaft. Kann man davon etwas übertragen? Nein, kann man nicht, die Parameter sind bei uns andere. Wir sind mit dem Irrsinn, dass wir uns bei jeder Veränderung unseres Lebens fragen, ob Andere besser dabei weggekommen sind, groß geworden.
Das liegt an der sozioökonomischen Struktur und nicht so sehr daran, dass der einzelne noch nicht klug genug ist, das abzustreifen. Man kann das deswegen überhaupt nicht übertragen, aber man kann es vielleicht als eine Art Provokation nehmen. Man kann sagen, das ärgert mich, dass diese Gesellschaften zu etwas in der Lage sind, wozu ich nicht in der Lage bin. Man kann vielleicht aus dieser Provokation, aus dieser Irritation irgendwas für sich gewinnen.
pf: Noch ein Themenwechsel. Ich weiß, dass Ihr mit Problemen gekämpft habt, die an der Schnittstelle von Technik und Gesellschaft liegen. Was war das …
Mark: Was wir als Technik bezeichnen, wird ja unter bestimmten Bedingungen getestet. Und wir sind an zwei Grenzen gestoßen. Die eine ist irgendwie noch verständlich, die andere gar nicht. Es war zunächst schwierig, mit unseren Kameras länger zu arbeiten. Die Geräte haben eine Notabschaltung, wenn eine gewisse Betriebstemperatur erreicht ist, dann fahren die runter, um eine Beschädigung zu vermeiden. Wir haben also fünf Minuten gefilmt und dann hat die Kamera sich verabschiedet. „Good bye“ steht auf dem Display und dann ist Schluss. Wir haben dann eine Weile gebraucht, um das Equipment so zu nutzen, dass das nicht mehr passiert.
Aber die zweite Grenze ist wirklich ganz hässlich und auch vorwerfbar. Als Kameramensch bei uns musste ich erkennen, dass der automatische Farbabgleich in den Kameras zutiefst rassistisch ist. Und das meine ich ganz ernst. Die sind für helle Haut gemacht und können im Automatikmodus nicht mit dunkler Haut umgehen. Da wird dunkle Haut als etwas Aufzuhellendes bewertet. Bei der Kombination aus Farbe und Belichtung, ist nur im manuellen Modus gewährleistet, dass man tatsächlich die Realität einfängt. Das finde ich krass, weil Kameras werden ja auch getestet. Da ist schwer vorstellbar, dass man das nicht bemerkt.
pf: Letzte Frage: Wo kann den Film überhaupt zu Gesicht bekommen?
Vivi: Jetzt geht der Film erstmal auf Festival-Tour. Wir haben den sowohl im deutschsprachigen Raum als auch international eingereicht. Das machen wir bis Mitte des Jahres und planen im Herbst für die Premiere in den Kinos bereit zu sein.
pf: Vielen Dank.
One Word — We are not drowning. We are fighting. Eine Produktion von Kameradisten und Studio Kalliope. Deutschland/Marshall-Inseln, 1 Stunde und 23 Minuten.
Das Gespräch führte Stefan Gerbing. Eine Rezension des Films findet sich hier.