antirassismus praktisch

Do-it-yourself für PolitikerInnen der LINKEN und anderer Parteien

PolitikerInnen, die es mit „Menschen mit Migrationshintergrund” gut meinen, wollen sie integrieren. Doch wir wollen niemanden integrieren. Wohin auch? Was wäre denn bitte deutsch, selbst wenn wir es voraussetzen wollten? Leben in Berlin-Kreuzberg, mit türkischem Gemüsehändler, Bio-Laden und Demo zum 1. Mai? Oder bayrisches Dorfleben mit katholischer Fronleichnamsprozession, Schuaplattler und Maibaum? Wir setzen auf Inklusion statt Integration. Inklusion bedeutet mehr, als ungestört nebeneinander her zu leben. Inklusion bedeutet Auseinandersetzung und Konflikt, nicht Harmonie. Sie zielt auf Weiterentwicklung aller.

Wir stellen einige praktische Vorschläge für eine Politik der Inklusion vor:

I. Wer hier lebt, ist deutsch

Alle auf deutschem Boden lebenden Menschen, können die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Das Prinzip ist transparent und gerecht. Deutsche Stammbaumkunde wird konsequent abgeschafft. Doppelte Staatsangehörigkeit wird auch für Volljährige ermöglicht. Staatsbürgerschaft und Wahlrecht führen dazu, dass Menschen ihre Interessen gleichberechtigt artikulieren können, die gegenwärtig von demokratischen Entscheidungen ausgeschlossen sind.

II. Teilhabe spricht sich herum

Inklusion bedeutet Teilhabe. Ämter müssen deshalb die Sprache der Bevölkerung sprechen. Neben Deutsch gibt es weitere Amtssprachen. Bürger_innen können somit die Behördenkommunikation in allen EU-Sprachen führen. Die Kommunen können weitere regional häufig gesprochene Sprachen, etwa türkisch, arabisch oder japanisch, als Behördensprache zulassen. Formulare und Erläuterungen sind auch in diesen Sprachen erhältlich.

III. Laizismus statt christlicher Fundamentalismus

Deutschland ist wie Italien oder der Iran ein fundamentalistisches Land. Selbst im stockkatholischen Spanien besorgt der Staat nicht der Kirche den Einzug ihrer Mitgliedsbeiträge. Damit er nicht andere ausgrenzt, beispielsweise Atheisten, Buddhisten oder Muslime, ist der Staat konsequent weltanschaulich neutral – das ist übrigens kein linkes, sondern ein liberales Konzept. Hieraus folgt: a) Staatliche statt konfessionelle KiTas und Schulen, die nicht- und andersgläubige Kinder ausgrenzen, b) staatliche Feiertage berücksichtigen verschiedene Religionen und Weltanschauungen – Weihnachten, Ramadan, Karneval, Pessach, Tag der Arbeit, Internationaler Frauentag, Tag der Menschenrechte. c) Religionsunterricht wird abgeschafft. Nur solange Religionsunterricht noch besteht, erhalten alle religiösen Weltanschauungen gleichen Zugang zur Schule. Schüler_innen dürfen also zwischen der Bekehrung durch Benedict XVI., Dalai Lama I. oder Kim Jong Il selbstbestimmt wählen.

IV. Bildung für alle und zwar gemeinsam.

Inklusion heißt, dass Kinder gemeinsam lernen. Statt Aufteilung der Schüler_innen gibt es eine Gemeinschaftsschule. Bildung gibt es deshalb nur „gemischt”: Keine Schulklasse und kein Studiengang ohne Migrant_innen, keine KiTa ohne biodeutsche Zwerge. In der KiTa und bei der Hochschulzulassung wird in beide Richtungen quotiert. Schulbezirke sorgen für gemeinsames Lernen von Jacqueline, Selim, Ho und Luis. Getrennt war gestern; ab sofort wird gemeinsam gelernt, und das gilt auch für den Sport-, Schwimm- und Sexualkundeunterricht.

V. Museum für Einwanderung

New York hat eins, London hat eines. Da sollte Berlin nicht fehlen: Ein Einwanderungs-Museum über die polnischen Arbeiter_innen im Ruhrgebiet, die Anwerbung so genannter Gastarbeiter_innen bis zu den Computer-Indern, mit Exponaten über Migrationsmotive und den Ressentiments der Eingeborenen. Wir haben auch bereits einen Ortsvorschlag parat: den Schlossplatz in Berlin-Mitte, wo einst der Palast der Republik stand.

VI. Quoten im öffentlichen Dienst

Inklusion zeigt Gesicht: Deshalb gibt es eine Quote im öffentlichen Dienst für Menschen mit Migrationshintergrund. Ob Polizei, Stadtverwaltung, Feuerwehr oder Schule – wir brauchen diese MitarbeiterInnen, damit deren Sichtweise im Behördenalltag präsent ist. Gleiches gilt für die Förderung von Personalkosten bei freien Trägern – ohne Migrant_innen-Quote nix Moos. Ein Beispiel dafür, dass Politik etwas verändern kann: Die rot-rote Berliner Landesregierung erhöhte mit einer Kampagne „Berlin braucht dich!” den Anteil Auszubildender mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst von 2% auf 15%. Applaus!

VII. Soziale Stadtteilpolitik

Die Arbeitsmigration der 60er Jahre war vor allem eine Migration der schlecht Ausgebildeten. Die wohlstandschauvinistische BRD war sich zu fein, die Drecksarbeit selbst zu machen. Dafür wurden Arbeiter_innen aus südlichen Ländern angeworben. Heute leben diese in ihren Stadtvierteln. Inklusion will aber durch gezielte Bebauungspolitik sozial und kulturell homogene Stadtteile verhindern. Gemeinsam leben heißt auch gemeinsam wohnen: Wir wollen die Vermietungspraxis der kommunalen Wohnungsgesellschaften deshalb so gestalten, dass migrantische Bewohner_innen Wohnkontingente bevorrechtigt erhalten, aber auch – umgekehrt – Anreize für den Zuzug biodeutscher Gartenzwerg-Aufsteller_innen in migrantische Viertel geschaffen werden.

VIII. Kein Zwangslager für Flüchtlinge

Noch immer werden Flüchtlinge ins Sammellager gesteckt. Das verhindert Inklusion. Besser ist: Sie erhalten Geld, um eigene Wohnungen anzumieten.

IX. Vereine für Migrant_innen öffnen, DIE LINKE „entdeutschen”

Engagement ist bisher stark an den Wohnort gekoppelt. Wer sich in Feuerwehren, Turnvereinen und Kirchen engagieren will, muss daher lang präsent sein. Die moderne Arbeitswelt basiert aber auf häufigem Wohnortwechsel. Linke Organisationen und Vereine müssen deshalb durchlässiger werden und attraktive Mitmach-Angebote für Migrierende unterbreiten; sie müssen ihre Bindung an die lokale, meist deutsche Bürger_innenschaft lösen und sich eher als globales Netzwerk verstehen. Praktischer Antirassismus bedeutet also auch für DIE LINKE und ihr Umfeld Veränderung. Aus eigenen „deutschen“ Politikstilen müssen internationalistische „Selbstverständlichkeiten“ entwickelt werden, die für migrantische Mitglieder attraktiv sind. Solche Organisationsformen überschreiten partiell die nationalen Grenzen oder verdeutlichen dies mindestens symbolisch. Regelmäßige Besuche zwischen Partnerparteigliederungen gehören ebenso dazu wie das Ernst nehmen von migrantischen Kandidaturen. Dies heißt auch, parteiinterne „Nützlichkeitskandidaturen“ (also die Kandidatur auf so genannten „Migranten-Tickets“) zu beenden und migrantische Mitglieder nicht für „Migrantenthemen“ oder bloß als (erhoffter) Wahlmagnet für bestimmte Milieus vorzusehen. Mitglieder der assoziierten Parteien der Europäischen Linken erhalten einen gegenseitigen automatischen Mitgliedsstatus: Hierdurch wird die Teilhabe dieser Mitglieder, wenn sie sich – ob dauerhaft oder vorübergehend – in der BRD aufhalten, praktisch ermöglicht. Landes- und Kreisverbände erhalten Sonderzuschüsse im Partei-Länderfinanzausgleich, wenn der migrantische Mitgliederanteil mindestens dem regionalen Bevölkerungsanteil entspricht. Parteitage könnten als Livestream simultan ins Englische, Arabische und Russische übersetzt werden. Statt langweiligem Kartoffelsalat und oller Bockwurst gibt es Smørrebrød und Tapas, statt Krombacher gibt es Rotwein und Guinness. Und statt Wichtigtuer-Small-Talk-Stehpulten stehen Backgammontische bereit – die prager-frühling-Redaktion erläutert gern die Grundzüge des Spiels am Rande des kommenden Parteitags.