PERIPHERIE-Stichwort: Männlichkeiten

„Der Mann" wurde in der westlichen Moderne lange mit „dem Menschen" gleichgesetzt. Es schien so, als hätten nur Frauen - und nicht auch Männer - ein Geschlecht. „Der Mann" wurde in der westlichen Moderne lange mit „dem Menschen" gleichgesetzt. Es schien so, als hätten nur Frauen - und nicht auch Männer - ein Geschlecht. Die Frauenbewegung kritisierte allerdings die männliche Herrschaft und Gewalt. Die ersten Studien zur Männlichkeit erschienen dann Anfang der 1980er Jahre zunächst in den Vereinigten Staaten, später in Europa. Darauf wurde die Geschlechterforschung durch die kritische Männerforschung erweitert. „Männer", „Männlichkeit(en)" und „männliche Identität" werden auch im globalen Süden erforscht und diskutiert.

Der Titel von Raewyn Connells bahnbrechendem Buch von 1995 lautete Masculinities, deutsch: Der gemachte Mann (1999). Diese Titel deuten die Weiterentwicklung der kritischen Männlichkeitsforschung seit ihren Anfängen an. Connell spricht von Männlichkeiten im Plural, um zu zeigen, dass Männer unterschiedlich in Herrschaftsverhältnisse eingebunden sind. Diese Unterschiede gehen u.a. auf Klasse, Ethnizität und Begehren zurück. So unterscheidet Connell zwischen hegemonialer Männlichkeit und verschiedenen Formen untergeordneter Männlichkeiten. Männlichkeit beschreibt hier vor allem Positionen und Praktiken, die in Beziehungen zu Frauen, aber auch zwischen verschiedenen Gruppen von Männern definiert und gestaltet werden; es handelt sich um einen relationalen Begriff (vgl. auch Connell & Messerschmidt 2005).

Die Hegemonie ergibt sich aus den institutionellen Machtpositionen von Männern der Eliten in Politik und Wirtschaft und dem herrschenden kulturellen Ideal von Männlichkeit. Als solche Ideale können der weiße Kolonialherr im 19. Jh., der nationale Wirtschaftsführer im 20. Jh. und neuerdings der globale Manager aufgeführt werden. Damit verbindet sich der Ansatz der ungleichen Geschlechterordnung, die Connell auf drei Ebenen untersucht: 1. der Ebene der Machtbeziehungen, 2. der Produktionsbeziehungen und der geschlechtlichen Arbeitsteilung, 3. der emotionalen Bindungsstruktur (Kathexis) (Connell 1999: 92-96). Sowohl in Bezug auf die Machtbeziehungen - u.a. politische und wirtschaftliche Entscheidungspositionen - als auch auf die Arbeitsteilung besteht die männliche Dominanz fort.

Die hegemoniale Männlichkeit sichert sowohl die Dominanz der Männer ge­genüber den Frauen, wie auch die Ungleichheit zwischen Männern ideologisch und institutionell ab. Wie Connell im Anschluss an Antonio Gramscis klassische Fassung der Hegemonie vertritt, wirkt diese durch kulturelle Bilder und Formen auf ein Einverständnis der Beherrschten hin (Connell 1999: 98).

Wie der deutsche Titel von Connells Buch - Der gemachte Mann - andeutet, sind Männlichkeiten sozial konstruiert und kein schlichtes Ergebnis einer vorsozialen Biologie. Sie zeigen eine ungeheure interkulturelle Variation und unterscheiden sich auch innerhalb einer Kultur (vgl. z.B. Kam 2002; Ratele 2008). Die Machtdifferenzen und die Variabilität von Männlichkeiten sowie die soziale Konstruktion sind besonders wichtig, um die gesellschaftliche Entwicklung zu verstehen. So stellte im südlichen Afrika die imperiale Männlichkeit der englischen Kolonialherren die hegemoniale Form dar, die Fortschrittlichkeit, Rationalität und militärische Überlegenheit für sich reklamierte. Die untergeordnete Männlichkeit repräsentierten die „traditionellen" afrikanischen Männer in der Landwirtschaft, die jedoch Macht über „ihre" Frauen beanspruchten und von den Kolonialherren darin bestärkt wurden. Diese Subordination verschärfte sich bei den Migranten, die als Hausdiener und Arbeiter in der städtischen Wirtschaft dienten und boys genannt wurden. Während männliche Homosexualität in der vorkolonialen Gesellschaft in Zimbabwe toleriert, wenn auch eher missbilligt wurde, wurde sie unter dem Kolonialismus als eine spezielle deviante Sexualform definiert und sanktioniert - und damit marginalisiert (vgl. Morrell 1998).

Das Konzept von Männlichkeit, das Positionen und Praktiken beschreibt, wurde auch kritisiert, da es zu umfassend und zu diffus zugleich sei. So setzt Michael Meuser an Pierre Bourdieus Ansatz des Habitus und der männlichen Herrschaft an (vgl. Meuser 2006). Hegemoniale Männlichkeit bildet für ihn den Kern des männlichen Habitus; sie ist ein Erzeugungsprinzip unterschiedlicher Praktiken vom Beschützer oder Familienernährer bis hin zum Macho oder Rambo - aber nicht wie bei Connell die Praxis selbst. Dieser männliche Habitus verleiht habituelle Sicherheit; er wird bestätigt und bestärkt durch homosoziale Gruppen oder Männerbünde (ebd.: 120).

Was können diese Ansätze der kritischen Männlichkeitsforschung für ein Verständnis von Entwicklung und Ungleichheit erbringen? Zunächst ergibt sich ein neuer Zugang zu Modernisierung und Nation Building. In der nationalen hegemonialen Geschlechterordnung ist die Herrschaft nach Klasse, Ethnizität und Geschlecht so vermittelt, dass die Männer der herrschenden Klassen/Ethnien als Bürger und Soldaten volle Rechte haben und die Frauen dieser Gruppen eher als Mutter und Hausfrau anerkannt werden. Migrantinnen oder schwarzen Frauen werden Rechte und Anerkennung vorenthalten (Lenz 2000).

Die herrschenden kulturellen Männlichkeitsideale betonten die Semantik von Kampf, Führung und kollektivem männlichen Opfer für das Vaterland. Der Tod unzähliger Männer in militärischen Konflikten wurde unter diesem Vorzeichen legitimiert. Aber auch Gewalt gegen Frauen wird mit Verweis auf diese hegemoniale Männlichkeit begründet oder bagatellisiert. Zugleich beschworen die hegemonialen Gruppen oft die „Tradition" und eine „nationale Männlichkeit" herauf, die jedoch häufig auf eine Homogenisierung der vielfachen und komplexen Männlichkeiten der Vormoderne hinausläuft: Solche Ideale werden besonders wirkungsmächtig, wenn sie im Sinne der Selbstbehauptung gegen den „Westen" gerichtet werden. So wird die Verfolgung von Homosexuellen in vielen afrikanischen Ländern entgegen der historischen Faktenlage mit dem Verweis auf die „Tradition" legitimiert und damit die hegemoniale Norm gegenüber marginalisierten Männlichkeiten exerziert.

Der Ansatz der ungleichen Geschlechterordnung und der hegemonialen Männlichkeit hebt auf asymmetrische Geschlechterverhältnisse ab, die umkämpft und flexibel sind und in die auch Männer unterschiedlich eingebunden sind. Er erfasst die moderne ungleiche Geschlechterordnung, die sich angesichts der Frauen‑ und Gleichheitsbewegungen in der Krise befindet. Insofern unterscheidet er sich von dem älteren Begriff des Patriarchats, der eine umfassende Herrschaft der Väter und der alten Männer über die Söhne, die Frauen und die Töchter bezeichnete. Die neueste Form der hegemonialen Männlichkeit stellt die global masculinity dar: Ein Beispiel sind globale Manager, die von den lokalen Lebensräumen und teilweise auch von familialen Bindungen freigesetzt wurden, wobei auch einzelne Frauen in die globalen Mannschaften eingebunden werden (Connell 2009). Hegemoniale männliche Eliten bilden ihre nationalen und lokalen Bündnispartner, die sich teils auf retraditionalisierte Muster von weiblicher Unterordnung berufen. Dies bildet eine neue Herausforderung für globale und nationale Gleichheitspolitiken.

Ilse Lenz & Hildegard Scheu

Literatur

Connell, Robert W. (Raewyn) (1995): Masculinities, Cambridge.

Connell, Robert W. (Raewyn) (1999): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Opladen.

Connell, Raewyn (2009): Gender in World Perspective. Cambridge.

Connell, Robert W. (Raewyn), & James Messerschmidt (2005): „Hegemonic Masculinity. Rethinking the Concept". In: Gender & Society, Bd. 19, Nr. 6, S. 829-859.

Kam, Louie (2002): Theorising Chinese Masculinity. Society and Gender in China. Cambridge.

Ratele, Kopano (2008): „Studying Men in Africa Critically". In: Uchendu, Egodi (Hg.): Masculinities in Contemporary Africa. Dakar, S. 18-33.

Lenz, Ilse (2000): „Gender und Globalisierung: Neue Horizonte?" In: Cottmann, Angelika; Beate Kortendiek & Ulrike Schildmann (Hg.) (2000): Das undisziplinierte Geschlecht. Frauen‑ und Geschlechterforschung - Einblick und Ausblick. Opladen, S. 221-247.

Meuser, Michael (2006): Geschlecht und Männlichkeit. Wiesbaden.

Morrell, Robert (1998): „Of Boys and Men. Masculinity and Gender in Southern African Studies". In: Journal of Southern African Studies, Bd. 24, Nr. 4, S. 605-630.

 

PERIPHERIE Nr. 118/119, 30. Jg. 2010, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster, S. 309-311
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