Klasse und Geschlecht als Dimensionen kapitalistischer Herrschaft

Mit einer Theorie des Geschlechterkampfes (ganz egal ob sie anstelle oder zusätzlich zu einer Klassenkampf-Theorie vertreten wird) geht immer auch eine Relativierung des Anteils der Kapitalherrschaft an der gesellschaftlichen Ungleichheit der Geschlechter einher. Der Zusammenhang der Geschlechterverhältnisse mit den Klassenverhältnissen wird dabei exakt in dem Maße zurückgenommen, wie die Frauenunterdrückung im Kapitalismus als Resultat eines eigenständigen Herrschaftsverhältnisses – dem Patriarchat – interpretiert wird. So kommt es zu dem eigenartigen Umstand, dass oftmals ausgerechnet jene Theorien, die die Diskriminierung der Frau in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen stellen, gerade daher den Kern der Sache verfehlen. Dagegen vertrete ich die Auffassung, dass eine adäquate Theorie der Geschlechterverhältnisse nur eine genuin marxistische sein kann, zu welcher ich mit den folgenden Thesen einen kleinen Beitrag leisten möchte.  


Antagonismus und Differenz

In der modernen Ungleichheitssoziologie werden Klasse und Geschlecht gemeinhin als zwei eigenständige, jedoch miteinander verflochtene Strukturkategorien sozialer Ungleichheit verstanden. Sie stehen jeweils für spezifische Dimensionen von Ausbeutung und Ausgrenzung, die sich gegenseitig überlagern Auf der unmittelbaren Erscheinungsebene also handelt es sich hierbei lediglich um – so ein gegenwärtiger Begriffsvorschlag – „analytische Relationalitätskategorien“ (Bieling 2007: 106 f.), die etwas über die Zuweisung von objektiven Lebenschancen aussagen. ‚Analytisch‘ bezeichnet dabei die jeweilige Bezogenheit auf bestimmte, ausgewählte Strukturdominanten (Klassen- bzw. Geschlechterverhältnisse) und ‚relational‘ meint, dass beide Kategorien Ausdrücke eines jeweils gegensätzlichen Verhältnisses sind (Lohnarbeit/Kapital bzw. Frau/ Mann). Klasse bezieht sich dabei auf die unmittelbar ökonomische Ebene des Lohnarbeitsverhältnisses in der Produktionssphäre, während Geschlecht auf, streng genommen, nicht-ökonomische, soziale Verhältnisse in der Reproduktionsshpäre (Haushalt, Familie) bezogen ist bzw. auf den Zusammenhang mit diesen.1  Es ist ebenfalls evident, dass sich Klasse und Geschlecht gegenseitig strukturieren: Während Klassenverhältnisse durch Geschlechterverhältnisse differenziert sind was sich z. B. auch darin ausdrückt, dass „jede Klasse und Klassenfraktion ihre je eigene Vorstellung und Realisierungsform von Weiblichkeit und Männlichkeit hat“ (Steinrücke 2006: 81), womit dann ebenfalls Geschlechterhierarchien etabliert werden –, sind auch die Geschlechterverhältnisse unbestreitbar durch Klassenverhältnisse strukturiert. So bestimmen sich die Teilhabechancen sowohl von Männern als auch von Frauen je nach ihrer konkreten Klassenlage. Beispielsweise formt sich der Zusammenhang von Hausarbeit und Erwerbsarbeit „für die Lehrerin oder die Journalistin anders aus als für die Verkäuferin oder die Küchenhilfe. Er strukturiert sich unterschiedlich aufgrund der unterschiedlichen Stellung in den Klassenverhältnissen” (Steinberg 1989: 19). 

Wenn wir allerdings die unmittelbare Erscheinungsebene verlassen, ergibt sich ein bedeutender Unterschied zwischen unseren „analytischen Relationalitätskategorien“: Anders als beim Verhältnis zwischen Lohnarbeit und Kapital, handelt es sich beim Verhältnis der Geschlechter zueinander nicht um einen Antagonismus, sondern um eine Differenz. Die gesellschaftlichen Interessen männlicher und weiblicher Lohnabhängiger stehen nicht notwendig in einem unversöhnlichen Gegensatz zueinander. Ferner: Während das Klassenverhältnis ein Ausdruck der antagonistischen Eigentumsverhältnisse und damit der treibende Widerspruch kapitalistischer Gesellschaften ist, handelt es sich bei der Geschlechterdifferenz an sich um kein Spezifikum der bürgerlichen Gesellschaft. Der Geschlechterunterschied ist zunächst gesellschaftlich unspezifisch und verweist lediglich darauf, „dass aus sozialen Unterschieden, aus sozialer Verschiedenartigkeit soziale Ungleichheit und Unterdrückung geworden ist“ (Pust 1989: 74 f).

Somit ist meine erste These, dass Klasse und Geschlecht zwar beides Strukturdeterminanten sozialer Ungleichheit sind, dass dabei jedoch das Klassenverhältnis „in einem sozio-ökonomischen Sinne vorrangig“ ist (Beer 1989: 69). Der Vorrang der Klassenverhältnisse resultiert aus ihrer unmittelbaren Konstituierung aus den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen – den Produktionsverhältnissen.2  Die Kategorie ‚Klasse‘ ist auf der Vertikale der Sozialstruktur angesiedelt und damit das „primäre soziologische Sozialstrukturelement“, (Steiner 2008: 778). Geschlechterverhältnisse hingegen können – wie andere Differenzen in der Sozialstruktur auch (z. B. nach Alter oder Nationalität/Hautfarbe) – als „differenzierende Aneignungsbedingungen und -weisen“ (Steiner 2005: 10) verstanden werden, die auf der Horizontale der Sozialstruktur zu verorten sind. Sie verweisen auf Differenzen im Rahmen antagonistischer Klassenverhältnisse. 


Unterschiedliche Dimensionen desselben Herrschaftsverhältnisses

Bekanntlich sind die Frauen in dieser Gesellschaft einer doppelten, sich wechselseitig bedingenden Benachteiligung ausgesetzt: „Die Zuständigkeit der Frauen für die Reproduktion behindert ihre Position in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft; umgekehrt sind sie aufgrund ihrer Benachteiligung im öffentlichen Sektor erst recht auf den Bereich der sozialen Reproduktion verwiesen“ (Klinger 2003: 33). Daraus wird gemeinhin die Schlussfolgerung gezogen, dass (lohnabhängige) Frauen in der bürgerlichen Gesellschaft zwei nicht-identischen Herrschaftsverhältnissen ausgesetzt seien: Kapitalismus und Patriarchat, die sich zu einem „Ineinander von kapitalistischer Ausbeutung und Arbeitsteilung in überkommenden Geschlechterverhältnissen“ (Haug 2005: 131) verdichteten: „Zwei ineinander überlagerte Herrschaftsarten bestimmen den Fortgang der Geschichte, die der Verfügung über Arbeitskraft in der Lebensmittelproduktion und die der Männer über die Frauen in der ‚Reproduktion‘“ (ebd.: 128).

Was hier allerdings wirklich zum Ausdruck kommt, ist etwas komplizierter: das Wechselverhältnis zwischen kapitalistischer Formbestimmung und der Fortdauer patriarchaler Strukturen in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Gegenüberstellung zweier Herrschaftsarten, wie sie Haug vornimmt, impliziert einen abstrakten, unhistorischen Begriff von Arbeitsteilung (vgl. z. B. Schwarz/Steinberg 1985: 35 ff.). Somit geht aber auch verloren, dass die geschlechterspezifische Arbeitsteilung ihren historischen Ursprung zwar in patriarchalen Eigentumsverhältnissen hat,3 dass ihr diese ökonomische Basis aber mit dem Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft – mit der Trennung der Familie vom Privateigentum an Produktionsmitteln und der Verallgemeinerung der doppelt freien Lohnarbeit – abhanden gekommen ist. Auch wenn die Frauenunterdrückung älter ist als der Kapitalismus, so sind die Formen der ursprünglich patriarchalischen Unterdrückung „immer konkret eingebunden in die Reproduktion bestimmter ökonomischer Gesellschaftsformationen und damit in ihrem Charakter durch die grundlegenden Widersprüche und Bewegungsgesetze der jeweiligen Formation bestimmt“ (Rudolph/Steinberg 1984: 177). Das Spezifische an der Benachteiligung der Frauen im Kapitalismus ist somit nicht ihre Abhängigkeit vom Mann oder ihre Festgelegtheit auf die Hausarbeit (Reproduktion). Kapitalismusspezifisch ist vielmehr, dass, unter den – formal gleichberechtigten – Bedingungen der kapitalistischen doppelt freien Lohnarbeit,6 das Kapital die vorgefundene Geschlechterdifferenz (inkl. der damit verbundenen diskriminierenden Ideologien) ausnutzt, um eine relative Überausbeutung der weiblichen Arbeitskraft zu legitimieren, indem ihr Wert geringer, als der der männlichen Arbeitskraft bewertet wird. Wir haben es mit einer gesellschaftlich-historisch bedingten (und ideologisch vermittelten) „Herstellung einer höheren Ausbeutungsrate der Frauenarbeit im Kapitalismus“ zu tun (Kuczynski 1948: 106, zit. n. Sörgel 1985: 146).

War also früher der Produktionsmittelbesitz in der Familie die Grundlage für die (patriarchale) persönliche und ökonomische Abhängigkeit der Frau vom Mann, so ist es heute die sachliche Abhängigkeit der doppelt freien Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter vom Kapital. Im Kapitalismus wird gerade die Eigentumslosigkeit der Familie (und die sich daraus ergebene lohnarbeitstypische Existenzunsicherheit) zur Grundlage für die (kapitalistische) persönliche Abhängigkeit der Frau von dem Mann. Denn der Charakter der doppelt freien Lohnarbeit ist für sie „spezifisch überformt und teilweise zurückgenommen“ (Rudolph/Steinberg 1984: 185): Während der Kapitalismus im Allgemeinen für die lohnabhängige Bevölkerung die persönliche Abhängigkeit abgeschafft bzw. durch sachliche Abhängigkeitsverhältnisse ersetzt hat, wird die Mehrheit der Frauen hingegen in kapitalismusspezifische persönliche Abhängigkeitsverhältnisse gedrängt: „Da die Frau ihre Arbeitskraft nicht immer und nicht zu dem zum durchschnittlichen Lebensstandart gehörenden Preis verkaufen kann, muß sie um ihrer Existenz willen sich in die ökonomische und damit persönliche Abhängigkeit zum Mann begeben“ (Rudolph 2004: 116). Die Verfügung der Männer über die Frauen in der Reproduktion ist damit nicht die Ursache, sondern die Folge der relativen Überausbeutung der Frau in der Produktion. Die Form der Geschlechterverhältnisse ist bestimmt durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse.

Damit wären wir wieder bei den Klassenverhältnissen als Ausdruck der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse (Produktionsverhältnisse), die entstehen „ohne durch das Bewusstsein der Menschen hindurchgegangen zu sein“ (LW 1: 130 f.). Dieser Lenin’schen Interpretation weiter folgend, ließen sich nunmehr die Geschlechterverhältnisse als ideologische gesellschaftliche Verhältnisse bezeichnen, die „vor ihrer Ausgestaltung durch das Bewusstsein der Menschen hindurchgegangen sind.“ Geschlechterverhältnisse wären somit nicht etwa als „Produktionsverhältnisse“ (Haug 2005) zu fassen, sondern als eine gesellschaftliche Praxis: Sie sind Ausdruck einer „sinnlich menschlichen Tätigkeit“ (MEW 3: 5), die – vollzogen über das Bewusstsein – zu einer vergegenständlichten, institutionalisierten Form von Ideologie geworden ist. Als gesellschaftliche Praxis nimmt die Ideologie zwar eine materielle Existenz an, ist aber dennoch nicht identisch mit jenen materiellen Lebensverhältnissen, deren ‚Anatomie‘ in der politischen Ökonomie zu suchen ist.

Somit ist meine zweite These, dass Klassen- und Geschlechterverhältnisse zwei von einander zu unterscheidende, also nicht-identische Dimensionen eines identischen Herrschaftsverhältnisses sind. Sie sind Ausdruck der materiellen und der ideologischen Dimension der gesellschaftlichen Verhältnisse.4 Die, eingangs erwähnte, doppelte Benachteiligung der lohnabhängigen Frau ist mit Bebel (1976: 29) exakter zu begreifen als einerseits ökonomische Abhängigkeit vom Kapital – also gleich ihren männlichen Kollegen in der Produktionssphäre – und andererseits „soziale und gesellschaftliche“ Abhängigkeit von einer patriarchalen Kultur (bei Bebel: „Männerwelt“), also einer institutionalisierten Ideologie, die die Lebensweisen in der Reproduktionssphäre strukturiert. Weil diese Ideologie aber der Herstellung einer höheren Ausbeutungsrate dienlich ist (s. o.), ist sie somit im genuinen Klasseninteresse des Kapitals.


Funktionalität für die kapitalistische Ausbeutung

Dennoch ist es keinesfalls so, dass die Geschlechterverhältnisse, als Ausdruck ideologischer gesellschaftlicher Verhältnisse, in keinem besonderen Zusammenhang mit den Produktionsverhältnissen stünden. Vielmehr sind sie funktional auf diese bezogen. Um dies zu begreifen – und damit auch die Geschlechterspezifik sozialer Ungleichheit –, bedarf es allerdings einer Erweiterung des Arbeitsbegriffs über den der warenförmigen Lohnarbeit hinaus. Denn in ihrer Eigenschaft als bloße Arbeitskrafteigentümer sind „vor dem Kapital alle Menschen gleich“ (MEW 23: 268 f.). Daher wird die „Doppelarbeit“ der lohnabhängigen Frau erst durch die Einbeziehung der nicht-warenförmigen Reproduktionsarbeit begreiflich: „Theoretisch und methodologisch ist nicht die Addition, sondern das Verhältnis beider Bereiche, ihre wechselseitige Beeinflussung auf allen gesellschaftlichen Ebenen, auf der ökonomischen, sozialen, kulturellen und politisch-ideologischen Ebene zu untersuchen“ (Friese 1989: 189). Genau dieser Anspruch, Produktion und Reproduktion nicht zu addieren, sondern in ihrem Wechselverhältnis begreifbar zu machen, wird verhindert, wenn sie, wie bei Frigga Haug, erst auseinandergerissen werden, um sie dann als „zwei einander überlagernde Herrschaftsarten“ verkaufen zu können (s. o.). Produktion und Reproduktion sind zwar eigenständige Dimensionen. Sie stehen jedoch in einem inneren strukturellen Zusammenhang, „derart, dass die Produktionssphäre in letzter Instanz die Rahmenbedingungen der familiären Reproduktion ökonomisch determiniert“ (Schunter-Kleemann 1985: 118). Die Reproduktions- bzw. Familien- und damit auch die Geschlechterverhältnisse sind variabel und werden in jeder Gesellschaftsformation als auch von jeder Klasse unterschiedlich hergestellt. Die lohnabhängige Familie ist eingebunden in die gesamte Reproduktion der kapitalistischen Produktion und somit dem Kapital indirekt subsumiert, eben durch die notwendige Aneignung der Arbeitskraft und des Arbeitsprozesses durch das Kapital (vgl. Mies 1990: 36).

Um also den Zusammenhang der Geschlechterverhältnisse mit den Produktionsverhältnissen zu verstehen, müssen die Tätigkeiten in der Reproduktionssphäre als „außerhalb des Lohnverhältnisses existierende komplementäre Formen von Mehrarbeit“ verstanden werden, „die unter den Rahmenbedingungen der beherrschenden kapitalistischen Produktionsweise indirekt auf den Mehrwert und die Profitrate einwirken“ (Schunter-Kleemann 1990: 520). Somit kann Reproduktionsarbeit als integrierte Dimension kapitalistischer Produktion verstanden werden, die nicht losgelöst von ihr analysiert werden muss.

Meine dritte These wäre also, dass nicht nur die Klassen-, sondern auch die Geschlechterverhältnisse funktional auf die kapitalistische Ausbeutung bezogen sind. Die Reproduktionsarbeit, die durch die Geschlechterverhältnisse reguliert wird, ist zwar nicht wertbildend (weil sie nicht warenförmig organisiert ist), aber sie ist Ausdruck einer verselbstständigten Funktion der wertbildenden Lohnarbeit. Marx notiert in seinen ‚Theorien über den Mehrwert‘, dass neben seiner produktiven Arbeit „jeder eine Masse von Funktionen zu verrichten“ hätte, „die nicht produktiv wären und zum Teil in die Konsumtionskosten eingehen. Die eigentlichen produktiven Arbeiter müssen die Konsumtionskosten selber tragen und selbst ihre unproduktive Arbeit verrichten“ (MEW 26.1: 270). Wenn sich eine Variante der unproduktiven Arbeit aber durch geschlechterspezifische Arbeitsteilung innerhalb der Klasse der Lohnabhängigen verselbstständigt und zur (weiblichen) Hausarbeit wird, dann wird sie zwar nicht produktiv,5  wirkt aber dennoch, „wenngleich vermittelt, auf die kapitalistische Mehrwertproduktion und die allgemeine Produktivität der Arbeit ein“ (Schunter-Kleemann 1985: 128). Sie ist eine notwendige Funktion der warenförmig organisierten Lohnarbeit. 


Aufrechterhaltung kapitalistischer Herrschaft

Mittlerweile sollte besser verständlich geworden sein, warum, wie auch Cornelia Klinger (vgl. 2003: 36, Fn. 64) behauptet, eine umfassende Gesellschaftsanalyse weder auf Klasse noch auf Geschlecht verzichten kann: Beide Dimensionen stehen im Zusammenhang mit den Produktionsverhältnissen, deren Kern die Eigentumsverhältnisse sind, „worin wir das innerste Geheimnis, die verborgene Grundlage der ganzen gesellschaftlichen Konstruktion [...] finden“ (MEW 23: 799 f.). Die Ausbeutung der Arbeitskraft im Produktionsbereich ist die Basis für die Akkumulation des Kapitals und damit für die, durch Klassenverhältnisse vermittelte, kapitalistische Herrschaft, welche ihrerseits die Ursache für die geschlechterspezifische Überausbeutung der weiblichen Arbeitskraft ist, während die vorgefundene Geschlechterdifferenz dazu lediglich die Bedingung darstellt. Die Benachteiligung der lohnabhängigen Frau im Produktionsbereich ist wiederum die materielle Basis für die Fortdauer patriarchalischer Strukturen (d. h. Bewusstseinsformen und Praktiken, kurz: Ideologie), die eine Benachteiligung auch im Reproduktionsbereich ermöglichen. Somit erfahren die Geschlechterverhältnisse eine kapitalismusspezifische Prägung: Die Diskriminierung der Frau ist geschlechterspezifische Diskriminierung durch das Kapital, die zwar ideologisch vermittelt, jedoch in seinem ökonomischen (Klassen-)Interesse begründet ist. Auch wenn die Unterdrückung der Frau geschichtlich viel früher entstanden ist als der Kapitalismus: ihre Kontinuität bis in die bürgerliche Gesellschaft hinein ist logisch nicht anders zu erklären, als durch die kapitalistische Formbestimmung.  

Die Stellung der Geschlechter zueinander ist also funktional auf die kapitalistische Akkumulation bezogen. Nicht dies, sondern die daraus resultierende diskriminierende Praxis als Ursache der doppelten Benachteiligung der lohnabhängigen Frauen zu verstehen verschleiert, inwieweit z. B. „männliches Verhalten durch Unternehmerstrategien der Disziplinierung und Entsolidarisierung erst erzeugt und aufrechterhalten wird“ (Rudolph/ Steinberg 1984: 178). Das Ausnutzen der Möglichkeit restriktiver Konkurrenzstrategien, die auf der Bedingung der gesellschaftlichen Geringschätzung weiblicher Arbeitskraft beruhen, mag dem einzelnen männlichen Kollegen kurzfristig zum Vorteil gereichen – von nachhaltiger Wirkung und in seinem Klasseninteresse als Lohnabhängiger begründet ist es indes nicht. Durch die gesellschaftlichen Bedingungen der realen Abwertung der weiblichen Arbeitskraft werden sie ihm dennoch nahegelegt.7  Wie sehr die Geschlechterverhältnisse – also sowohl ihre ideologische ‚Produktion‘ bzw. Konstruktion, als auch die reale Stellung der Geschlechter zueinander in Familie und Gesellschaft – durch den Stand der Produktivkraftentwicklung und den daraus resultierenden Verwertungsbedingungen für das Kapital reguliert sind, lässt sich am Beispiel des amerikanischen ‚Fordismus‘ zeigen. Es ist das Verdienst von Frigga Haug hier auf den Beitrag Antonio Gramscis für eine marxistische Theorie der Geschlechterverhältnisse aufmerksam gemacht zu haben (vgl. Haug 2005: 132 f.): Unter den Akkumulationsbedingungen einer expansiven Produktion war der männliche Produktionsarbeiter einer intensiven Ausbeutung seiner Arbeitskraft unterworfen – allerdings bei einem relativ hohen Reallohnniveau, das ihm nicht nur die massenhafte Teilnahme am Konsum, sondern auch das ‚Halten‘ einer Familie zur Reproduktion der Arbeitskraft ermöglichte. Die proletarische Frau hingegen war damit festgelegt auf die Hausarbeit und Erziehung sowie auf die Absicherung und Kontrolle einer disziplinierten Lebensführung, die sich normativ in einer entsprechenden Moral ausdrückte und die Aufrechterhaltung der intensiven Ausbeutung überhaupt erst ermöglichte (vgl. Gef. 4: §52, 529). 

Daran anknüpfend möchte ich meine vierte und letzte These formulieren, wonach Klassen- und Geschlechterverhältnisse beide konstitutiv für die Aufrechterhaltung kapitalistische Herrschaft sind. Unzweifelhaft kann der Prozess, der das Kapitalverhältnis schafft, „nichts anderes sein als der Scheidungsprozess des Arbeiters vom Eigentum an seinen Arbeitsbedingungen, ein Prozess, der einerseits die gesellschaftlichen Lebens- und Produktionsmittel in Kapital verwandelt, andererseits die unmittelbaren Produzenten in Lohnarbeiter“ (MEW 23: 742). Damit sind die Eigentumsverhältnisse die Basis der kapitalistischen Herrschaft, die sich auf der Dimension der materiellen gesellschaftlichen Verhältnisse in den Klassenverhältnissen ausdrückt. Weil aber auch – wie gezeigt – die Geschlechterverhältnisse, als Ausdruck der ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der konkreten Ausgestaltung der kapitalistischen Akkumulation stehen, sind sie „zutiefst in das Klassenverhältnis eingelassen“ und liefern zu seiner „Zementierung [...] erst den Kitt“ (Beer 1989: 71).


Fazit

„Wenn Marxist(inn)en konstatieren, der Kapitalismus könne seiner Funktionsweise nach auch ohne Frauenunterdrückung existieren, muss allerdings hinzugefügt werden, dass er in der Praxis nie ohne sie funktioniert hat“ (Fischer 2008: 92). Dieser Widerspruch, den Cristina Fischer hier pointiert formuliert, bleibt solange unauflösbar, solange man Geschlechterverhältnisse lediglich als ein verselbstständigtes ideologisches Phänomen begreift, das in keinem Zusammenhang mit den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen stünde. Die Behauptung, Geschlechterverhältnisse seien nicht konstitutiv für die Aufrechterhaltung kapitalistischer Herrschaft, weil sie nicht „aus den materiellen Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ableitbar“ wären, wie sie z. B. von Bischoff et al. (2002: 108) vertreten wird, zeugt von einer Ignoranz gegenüber der kapitalistischen Formbestimmung der ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Reduziert auf ein ‚Überbleibsel‘ aus vorkapitalistischen, patriarchalen Verhältnissen, können die Geschlechterverhältnisse nur noch aus sich selbst heraus (und damit also gar nicht) erklärt werden, womit verkannt wird, dass sie, obwohl sie nicht ihren Ursprung in den Klassenverhältnissen haben, dennoch von diesen durchdrungen sind. Ute Osterkamp (1983) hat einst – und in einem anderen Zusammenhang – solche Verkürzungen der marxistischen Theorie treffend mit der nur scheinbar paradoxen Formulierung „Ideologismus als Konsequenz des Ökonomismus“ kommentiert. – Vielmehr gehört es gerade zur Funktionsweise des Kapitalismus, die ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse so sehr zu durchdringen, dass sie, komplementär zu den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen, diese stützen.

Das kapitalistische Klasseninteresse, das nicht nur in seinem streng-ökonomischen, sondern auch in seinem politisch-strategischen Aspekt und ideologischem Bedarf begriffen werden muss, ist also der Schlüssel zum Verständnis der Ursache und Wirkungsweise der durch die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gezeichneten Geschlechterverhältnisse. Das gilt umso mehr in einer Epoche, die bereits Ausdruck der Krise des Kapitalismus ist und wo unter dem verschärften Konkurrenzdruck und den sich weiter zuspitzenden Verwertungsschwierigkeiten mitunter jede noch so kleine Barriere für die kapitalistische Landnahme eine ernsthafte Bedrohung der kapitalistischer Herrschaft sein kann. Daraus ergeben sich m.E. zwei politische Schlussfolgerungen: Zum einen ist die ‚Frauenfrage’ nicht im Sinne einer Nachrangigkeit der sozialen bzw. ‚Klassenfrage’ unterzuordnen. Sie ist vielmehr Bestandteil bzw. „eine Seite der allgemeinen sozialen Frage“ (Bebel 1976: 41), die damit aber zum anderen nur im Klassenkampf gegen das Kapital zu beantworten ist. Nur durch die Erhöhung der verallgemeinerten Durchsetzungsfähigkeit der Lohnabhängigen gegenüber dem Kapital – was freilich auch die Reduzierung der geschlechterspezifischen Konkurrenz innerhalb der Klasse voraussetzt – kann eine Erweiterung der kollektiven Verfügung über die Lebensbedingungen der Geschlechter erreicht werden. Erst so ist auch zu verstehen, wie die Emanzipation der Frau „mit der Emanzipation der Gesellschaft unbedingt verbunden“ ist (Mechtel 1969: 287).


Literatur


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1 Der Begriff „Reproduktion“ wird hier also zunächst lediglich als (häusliche) Reproduktion der Arbeitskraft verstanden und nicht im umfassenden Marx’schen Sinne als kontinuierliche Wiederherstellung des gesamten Produktionsprozesses (vgl. z. B. MEW 23: 591).

2 Der hier theoretisch begründete Vorrang von Klasse gegenüber Geschlecht entspricht auch den Ergebnissen empirischer Untersuchungen. (Frerichs 1997).

3 Daran anknüpfend konnte Engels formulieren, dass der „erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt“ zusammenfällt mit dem Gegensatz der Geschlechter in der Einzelehe und „die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche“ (MEW 21: 68).

4 Natürlich erlangen nicht nur die Geschlechterverhälnisse, als gesellschaftliche Praxis, eine materielle Existenz, sondern es vermitteln sich ihrerseits die Klassenverhältnisse ebenfalls ideologisch. Während aber die ideologischen gesellschaftlichen Verhältnisse sich erst in der Praxis materiell realisieren, ist es bei den materiellen gesellschaftlichen Verhältnissen genau umgekehrt: die Produktionsverhältnisse, als notwendige und vom Willen der Menschen unabhängige Verhältnisse, sind die reale Basis, „welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen“ (MEW 13: 8).

5 „Die Teilung der Arbeit, die Verselbstständigung einer Funktion, macht sie nicht produkt- oder wertbildend, wenn sie es nicht an sich, also schon vor ihrer Verselbstständigung ist“ (MEW 24: 136).


6 Dies beweist nicht zuletzt das Beispiel der Prekarisierung, die lange Zeit als spezifisch weibliche Form der Lohnarbeit (vgl. Mayer-Ahuja 2003) zur Sicherung des männlichen „Normalarbeitsverhältnisses‘ beigetragen hat und sich nun aber immer mehr verallgemeinert – eine Entwicklung hin zu mehr „Gleichberechtigung‘, die jedoch für die weiblichen Lohnabhängigen ebenfalls nicht zum Vorteil gereicht.

7 Es versteht sich von selbst, dass dies zwar eine Erklärung, aber keine Entschuldigung sein kann! Es ist gerade das Spezifikum der menschlichen Gattung, dass seine Repräsentanten (beiderlei Geschlechts) in der Lage sind, sich zu ihren gesellschftlichen Bedingungen bewusst so oder auch anders – zu verhalten (Holzkamp 1983: 237; vgl. auch bereits MEW 3: 30 f.).