Wege aus der Krise

Ist das die Krise des Kapitalismus? So sieht es nicht aus. Dazu fehlen die aktiven Gegenkräfte des Kapitals. Stellen wir also fest, dass es sich lediglich um eine Krise des Kapitalismus handelt. Nur eine seiner zahllosen Krisen? Das nun wieder auch nicht. Wir haben es nicht nur mit einer der immer wiederkehrenden zyklischen Krisen zu tun, dem Auf und Ab der Konjunktur, dem Ab- und Anschwellen der industriellen Reservearmee (also der ganz gemeinen Arbeitslosigkeit), sondern mit einer systemischen Krise des Kapitalismus. Anders ausgedrückt: das bis zum Ausbruch der Krise praktizierte Wachstums- oder Akkumulationsmodell kann nicht mehr weitergeführt werden, es hat – so scheint es – ausgedient.  

Aber es geht auch nicht ganz von selbst zugrunde und wird nicht ganz von selbst von einem noch strahlenderen Kapitalismusmodell abgelöst. Auch hat diese Krise wie jede die unangenehme Eigenschaft, das Leben der Menschen in ganz konkret-materieller Weise zu beeinträchtigen. Arbeitslosigkeit und Armut kommen zur ganz gewöhnlichen Plage der unsicheren Zukunft hinzu. Auswege aus der Krise müssen gesucht und gefunden werden. Dazu zunächst eine extrem kurze Skizze, wie die Weltwirtschaft in die aktuelle prekäre Lage geraten ist.

Das neoliberale Modell des Kapitalismus ist aus einer Krise des Kapitalismus, ähnlich der heutigen, in den späten siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstanden. Dieses Vorgängermodell war wirtschaftspolitisch vom Keynesianismus geprägt, es orientierte auf eine teilweise Befriedung der Arbeiterklasse, es setzte in betonter Form staatliche Mittel zur Stärkung der jeweils nationalen Kapitalakkumulation ein, es wird von manchen mit der in großen Industriebetrieben mit langen Fertigungsstraßen gewonnenen größeren Arbeitsproduktivität auch als „Fordismus“ bezeichnet. Dieses frühere Wachstumsmodell ging aufgrund einer Mischung aus inneren Widersprüchen (steigender Inflation, fallender Dollar) und äußerem Widerstand (relativ starkes sozialistisches Lager, Sieg Vietnams, steigende Rohstoffpreise) zu Ende. Die Regierungen von Thatcher (in Großbritannien von 1979 bis 90) und Reagan (in den USA von 1980 bis 88) markieren auf der offiziellen politischen Ebene den Beginn des Neoliberalismus. (Interessant in diesem Zusammenhang, dass in den USA schon 1979 der vom Demokraten Jimmy Carter eingesetzte Zentralbankchef Paul Volcker mit radikal restriktiver Hochzinspolitik die Phase des Neoliberalismus einleitet. Den alten Volcker findet man heute als engen Wirtschaftsberater des neuen US-Präsidenten Barack Obama wieder.)

Vier markante Merkmale kennzeichnen das neoliberale kapitalistische Wirtschaftsmodell:
Es zielt radikaler und direkter als das Vorgängermodell auf eine Erhöhung der Kapitalrendite. Zu diesem Zweck werden die Gewerkschaften systematisch geschwächt, von Seiten des Staates Druck auf die Löhne ausgeübt. Marxistisch gesprochen wird mit allen Mitteln versucht, die Mehrwertrate zu erhöhen.

Nationale Schutzschranken für den Warenhandel und den Kapitalverkehr werden systematisch abgebaut, um stärkere Kapitale zu bevorzugen und die Monopolisierung voranzutreiben.

Die transnationalen Konzerne bauen zunächst in den Industrieländern, nach 1989/90 auch in den Ländern der 2. und 3. Welt im Rahmen der so genannten Globalisierung Produktionsverbünde auf. Damit gelingt es Arbeitskräfte und natürliche Ressourcen billig einzukaufen und die Früchte des Produktivitätsfortschritts vollständig der Kapitalseite zukommen zu lassen.

Schließlich entsteht im Zentrum des neoliberalen Modells ein rasant und immer schneller wachsender, überdimensionierter Finanzsektor. Er ist Resultat der ungleicher werdenden Einkommensverteilung, da die wachsenden Profitmassen in den Händen der Wenigen in Anlagen außerhalb der Produktionssphäre drängen. Umgekehrt gelingt es, über die Spekulation im Finanzsektor die Kapitalrendite weiter zu erhöhen.

Ungleicher werdende Einkommensverteilung

Der Finanzsektor ist vor allem aufgrund der immer ungleicher werdenden Einkommensverteilung so viel stärker gewachsen als die übrige Ökonomie. Er ist seinerseits Instrument dieser Umverteilung von unten nach oben. Die Instrumente und Institutionen des Finanzsektors dienen ihrerseits dazu, die aus der Arbeit der vielen abgezweigten Profite in den Schatullen der wenigen zu konzentrieren. Die hohen, im Finanzsektor erzielbaren Renditen führen auch dazu, dass die Investitionen des Anlage suchenden Kapitals vorwiegend weiter im Finanzsektor getätigt werden, während Investitionen in die übrige, die „Realwirtschaft“ mäßig bleiben. Dies ist ein Grund dafür, dass das Wirtschaftswachstum in der Phase des Neoliberalismus gering geblieben ist. Der wichtigere Grund ist freilich die Tendenz stagnierender oder generell schwächer werdender Nachfrage. Alle hoch entwickelten, reifen kapitalistischen Länder haben mit diesem Problem zu kämpfen. Auch dieses Problem hat eine einfache Ursache. Es ist wiederum die ungleicher werdende Einkommensverteilung. Da die unteren Einkommens- und Lohngruppen in der Gesellschaft – auch dank der systematischen Zerstörung der Macht der Gewerkschaften – über allenfalls geringe Zuwächse ihrer Einkommen verfügen, wächst auch die Endnachfrage der Haushalte nicht. Da die Nachfrage nach Konsumgütern stagniert, steuert die neoliberale Volkswirtschaft chronisch in eine Unterkonsumtions- oder Überproduktionskrise. Diese von Karl Marx stammenden Ausdrücke beschreiben deutlich, dass die produzierten Güter am Schluss, anders als die bürgerliche (und neoliberale) Volkswirtschaftslehre uns weismachen will, nicht gekauft werden. Der Markt wird nicht geräumt. Relativ zur kümmerlichen Nachfrage wird zu viel produziert. Relativ zum Angebot an Waren wird zu wenig konsumiert. 

In spekulativen Hochphasen wird diese Tendenz des neoliberalen Wirtschaftsmodells zu Stagnation und Unterkonsumtion überspielt. Der bei steigenden Vermögenspreise explodierende Reichtum in der Hand der an der Spekulation beteiligten, färbt auf die übrige Gesellschaft ab. Die immer reicher werdenden Spekulanten fragen mehr Luxusgüter nach, sie bauen sich Häuser und Paläste und richten sie ein. Die zahlungskräftige Nachfrage nach Porsches, nach Immobilien, nach Reisen in der Business- oder der ersten Klasse steigt. Auch dadurch wird die Realwirtschaft angeregt. Wenn die Spekulationsblase geplatzt ist, schrumpft diese Nachfrage umgekehrt drastisch. 

Auch die verrückteste Spekulation umkreist immer eine Ware oder Gruppe von Waren. Die Objekte der großen Spekulationswellen in der Phase des Neoliberalismus waren:Ende der 70er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Staatsschulden der lateinamerikanischen und anderer Entwicklungsländer. Diese Blase platzte 1982, als Mexiko zahlungsunfähig wurde. Die Periode danach gilt für Lateinamerika auch heute noch als das verlorene Jahrzehnt.

Ende der 80er Jahre erreichte die Spekulation um japanische Aktien und Immobilien ihren Höhepunkt. Zum Jahreswechsel 1989/90 platzte diese Blase. Die zuvor kräftig und dauerhaft wachsende japanische Wirtschaft, die auch der Anlass für diese Spekulationswelle gewesen war, geriet in eine Stagnationsphase, die zuweilen nur von Rezessionen unterbrochen war. Bis heute hat sich Japan nicht erholt.

1997 brach die Spekulation auf die boomenden Ökonomien der asiatischen Tigerstaaten (Südkorea, Taiwan, Hongkong, Singapur, Thailand und Indonesien) in sich zusammen. Die realwirtschaftlichen Folgen auch dieser Finanzkrise betrafen hauptsächlich diese Länder. Sie erlitten schwere Rezessionen. Eine Spätfolge war die Russlandkrise, in deren Gefolge schließlich der von zwei Nobelpreisträgern für Wirtschaft geführte Hedge-Fonds LTCM fast zusammenbrach und von der US-Notenbank gerettet werden musste.

Die letzte große Spekulationskrise betraf den internationalen Aktienmarkt und da besonders das Teilsegment der Internet- und Telekommunikationsaktien. Der Preisanstieg dieser Aktien verlief bis ins Frühjahr 2000 hinein außergewöhnlich spektakulär. Der folgende Crash dauerte zwei Jahre. Als Konsequenz gingen die Investitionen drastisch zurück. In Deutschland dauerte die dadurch eingeleitete Rezessions- und Stagnationsperiode bis 2005. Sie war damit die längste Stagnationsperiode nach dem II. Weltkrieg.

Das Objekt der aktuellen Finanzkrise ist, knapp gesagt, die US-Volkswirtschaft. Spekuliert wurde mit Hypothekenkrediten der Durchschnittsamerikaner. Die US-Haushalte, deren Lohneinkommen ebenso stagnierten wie die ihrer Kollegen in anderen Ländern, finanzierten einen wachsenden Anteil ihres laufenden Konsums mit wachsender Verschuldung. Dank der damit kräftigeren Endnachfrage war das Wachstums in den USA stetig höher als in Europa oder gar Japan. Da die Haushalte in der Volkswirtschaft der USA ein Gewicht von 70 Prozent haben und die US-Wirtschaft wiederum mit etwa 30 Prozent am Weltsozialprodukt immer noch die bei weitem größte Volkswirtschaft der Erde ist, wirkte die durch Verschuldung aufgepeppte Nachfrage als effektiver Nachfragesog der Weltwirtschaft. Das aufstrebende China richtete sich mit einer auf rasantes Wachstum getrimmten Exportindustrie von Konsumgütern ganz darauf aus. Andere Exportländer wie Japan und Deutschland lieferten vorwiegend die Investitionsgüter in alle Welt, waren aber indirekt ebenso von der stetig steigenden Konsumgüternachfrage der USA abhängig. Knapp zusammengefasst hat die Spekulation die Verschuldung der USA ermöglicht und damit der Tendenz zur wirtschaftlichen Stagnation entgegengewirkt, die aus der Unterkonsumtion der breiten Massen in von wachsender Ungleichheit gekennzeichneten Gesellschaften entsteht. Als die Finanzkrise ausbrach, hörte auch das internationale Kapital auf, den Konsum der US-Haushalte zu finanzieren. Er hörte zu wachsen auf. Aufgrund der nachlassenden Nachfrage glitt die US-Volkswirtschaft Ende 2007 in die Rezession. Es dauerte etwa neun Monate, bis sich die schwach werdende Nachfrage auch in den Aufträgen der deutschen Exportwirtschaft niederschlug. Aber es war unvermeidlich. Schließlich hatten die USA (und einige andere Länder wie Großbritannien) mit ihrer Importnachfrage die Weltkonjunktur in Schwung gehalten. Die resultierende Weltwirtschaftskrise ist die typische Unterkonsumtionskrise, wo es an effektiver Nachfrage fehlt. Die lohnabhängigen Konsumenten kaufen nicht, weil es ihnen an Geld fehlt, die Unternehmen investieren nicht, weil die Absatzchancen mager sind. Die Banken geben keinen Kredit, weil sie angesichts magerer Konjunkturaussichten um die Rückzahlung fürchten und weil sie aus ihren spekulativen Altengagements noch weitere Löcher in ihren Bilanzen erwarten.

Klassische Liquiditätsfalle

Das ist die klassische Situation, wo die Spekulanten und Investoren zum Bargeld drängen, wo der vorher überreichlich gebotene Kredit nicht mehr gewährt und schon gar nicht mehr aufgenommen wird, die John Maynard Keynes als „Liquiditätsfalle“ beschrieben hat. Eine Falle ist es auch deshalb, weil die Notenbank(en) den Zins so tief setzen können, wie sie wollen. Wenn die Endnachfrage fehlt, hilft das gar nichts mehr. Das ist deshalb auch die klassische Situation, in der der kapitalistische Staat eingreifen soll. Er allein kann anders als Unternehmen und Haushalte handeln, er kann mitten in der Krise, wenn die Geschäftsaussichten düster sind, Ausgaben vornehmen, Investitionen tätigen, die Nachfrage ankurbeln und sich dafür verschulden. 

Da wir es mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun haben, in der die globale Nachfrage absackt, wird es auch notwendig sein, dass nicht nur ein Land sondern eine ganze Reihe von Staaten solche Konjunkturprogramme auflegt. Dabei wäre es vernünftig, wenn jene Staaten wie die USA oder Großbritannien, die schon im Boom mit steigender Verschuldung die Nachfrage gefördert und angeheizt haben, nun eher zurückhaltend vorgehen. Andere, wie Japan, China und Deutschland, deren Wirtschaftspolitik darauf ausgerichtet war, ihre Exportwirtschaft zu fördern und ihren Binnenmarkt durch eine restriktive Geld-, Sozial- und Fiskalpolitik klein und kümmerlich zu halten, sollten dagegen bei der Ausweitung der Staatsverschuldung und bei der Dimensionierung des effektiven Nachfrageschubs großzügig sein. Sie könnten damit ihre Exportüberschüsse verringern oder, anders ausgedrückt, den Weltmarkt ausnahmsweise ein wenig auf der Nachfrageseite stimulieren. Japan, Deutschland und China sind nach den USA die größten Volkswirtschaften der Erde. Alle drei Länder weisen riesige Exportüberschüsse auf. Die in diesen Ländern anfallenden Profite waren die wesentlichen Treiber für den Finanzboom. Ein Schwenk in der Wirtschaftspolitik dieser drei Länder in Richtung einer Förderung ihrer Binnenmärkte würde mit großer Wahrscheinlichkeit die bisher vorgezeichnete große Rezession auf dem Globus mildern und verkürzen.

„Es wäre vernünftig“, hieß es im vorigen Absatz ein wenig naiv klingend. Und tatsächlich geschieht leider fast genau das Gegenteil der so skizzierten Arbeitsteilung. Lediglich China hat mit der Ankündigung eines riesigen Konjunkturprogramms von mehr als 500 Mrd. Dollar seine Absicht bekundet, den Schwenk von der einseitigen Bevorzugung der Exportindustrie zur Stärkung des eigenen Binnenmarktes zu vollziehen. Ansonsten sind es just die USA und Großbritannien, die mit Staatsmitteln die Konjunktur auch von der Nachfrageseite wieder in Schuss zu bekommen sich bemühen. In den noch vagen Verlautbarungen der künftigen Regierung Obama ist von einem Konjunkturprogramm in der Größenordnung von einer Billion Dollar über zwei Jahre die Rede. In Großbritannien hat die Regierung schon eine Senkung der Mehrwertsteuer um 2,5 Punkte beschlossen. Es ist verständlich, dass gerade in diesen beiden Ländern die Regierungen versuchen, die Nachfrage mit allen Mitteln wieder anzukurbeln. Denn die Finanzkrise ist in diesen Ländern bei der notwendigen Einschränkung des Konsums unmittelbar betroffen. Zudem drängt das auf den eigenen Binnenmarkt als Absatzgebiet konzentrierte Industrie- und Handelskapital darauf, dass die alten Zeiten wieder mit den alten Mitteln herbeigeführt werden. 

Genau das Gegenteil geschieht in Deutschland. Hier war bis zur Etablierung des Bankenschirms staatliches wirtschaftliches Handeln Tabu. Danach wurde ein Konjunkturpäckchen aufgelegt, das wegen des Tabus nicht Konjunkturprogramm heißen durfte. Statt dessen erkor Kanzlerin Merkel auf dem CDU-Parteitag in Stuttgart die „schwäbische Hausfrau“ zum Vorbild der Wirtschaftspolitik, denn diese wisse, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben als einnehmen könne. Finanzminister Peer Steinbrück fühlte sich bemüßigt, die britische Regierung ob ihres laxen Umgangs mit Geld zu tadeln. Tatsächlich ist der Appell an hausfrauliche und kaufmännische Grundtugenden durchaus populär. Die Regierung der Großen Koalition macht in den Umfragen Boden gut. Der eher laxe Umgang mit Steuergeldern bei der Rettung und versuchten Wiederaufpäppelung der deutschen Banken scheint dabei vergessen. Tatsächlich hat die Weigerung der Regierung, Staatsgeld zur Belebung der Nachfrage einzusetzen, vor allem den Grund, dass es der eingefahrenen und im engen Sinne bewährten Strategie des deutschen Kapitals zuwiderläuft. Eine Stärkung der Konsumnachfrage käme zu einem erheblichen Teil auch ausländischen Anbietern auf dem deutschen Markt zugute. Sofern diese Stärkung über eine Einkommensverbesserung der breiten Masse läuft, verbessert sich außerdem die Situation der Arbeiter und Angestellten auf dem Arbeitsmarkt. Der für das deutsche Kapital so erfolgreiche Druck auf die Löhne wäre gemildert. Vor allem aus diesem Grund sind keynesianische Rezepte der Krisenbekämpfung in Deutschland verpönt.

Abneigung gegen Staatsschulden

Bis weit in die Linke und die marxistische Linke hinein gibt es diese grundsätzliche Ablehnung keynesianischer Krisenbekämpfung durch die Erhöhung der Staatsschulden. Sie stoßen sich daran, dass sowohl die höhere Staatsschuld als auch die durch Staatsausgaben bewirkte höhere Nachfrage auf dem Gütermarkt in erster Linie dazu dienen, die ins Stocken gekommene Profitmacherei wieder in Gang zu bringen. Als besonders skandalös wird empfunden, dass die Staatsschuld eine wesentliche Quelle des Profits des Finanzsektors ist. Diese Feststellung ist allerdings ähnlich trivial wie die Aussage, dass Banken generell mit dem Geld der anderen Kapitalisten sowie der Lohnabhängigen, und zwar mit ihren Guthaben wie mit ihren Schulden, Profite machen. Die löblich klingende Forderung, staatliche Konjunkturprogramme nur insoweit durchzuziehen, wie gleichzeitig Geld über die höhere Besteuerung der Einkommen und Vermögen der wirklich Reichen hereinkommt, heißt die Krisenbekämpfung aufzugeben. In der Krise schrumpfen sowohl die Vermögen als auch die Einkommen auf diese Vermögen. Das ist schließlich der Kern jeder Verwertungskrise. Ganz abgesehen davon, dass Gesetzgebung und Durchführung selbst radikal formulierter Einkommens- und Vermögenssteuerreformen ein nennenswertes Plus bei den Staatseinnahmen frühestens in zwei Jahren abwerfen. 

Es wirkt zwar wenig klassenkämpferisch, wenn sich die Linke und/oder die Gewerkschaften darum bemühen, den Kapitalismus wieder in Schwung zu bringen. Genau um diesen Schwung aber geht es. Es gilt, die aktuelle Überproduktions- und Unterkonsumtionskrise daran zu hindern, von einer scharfen Rezession zu einer tiefen und lang dauernden Depression zu werden. Man sollte sich auch nicht wundern, dass im Namen der (keynesianischen) Konjunkturankurbelung von den real existierenden Regierungen Steuersenkungen für Reiche und Subventionen aller Sorten für mächtige Konzerne beschlossen und durchgezogen werden. Es gibt eben auch schlecht wirkende Konjunkturprogramme. Das aber macht die generelle Forderung nach einer Nachfragestärkung durch den Staat immer noch nicht falsch. Vernünftig sind generell Forderungen und Maßnahmen, die die Realeinkommen der Lohnabhängigen, der Arbeitslosen und Rentner stärken. In diesem Sinne wirken Rentenerhöhungen, höhere Sätze für Hartz-IV-Empfänger, höhere Tarifabschlüsse im Öffentlichen Dienst, aber auch eine Senkung der Mehrwertsteuer oder die Ausgabe von Konsumgutscheinen. Diese Maßnahmen wirken kurzfristig positiv auf die Konsumnachfrage, sie wirken zusätzlich in Richtung der Bekämpfung des Grundübels, der schreienden Ungleichheit der Einkommen. Sinnvoll, ja dringend notwendig sind außerdem Investitionen des Staates in Infrastruktur, Bildungs- und Sozialeinrichtungen. Auch diese Maßnahmen zählen zu den klassischen Maßnahmen, die über den Umweg der öffentlichen Aufträge oder die Einstellung von mehr Personal bei Bund, Ländern und Gemeinden die effektive Nachfrage stützen können.

Kontrolle des Finanzsektors

Ein positiver Aspekt der Krise besteht darin, dass der Finanzsektor zu schrumpfen begonnen hat. Etwa 2 Billionen Dollar (1,4 Billionen Euro) an bei Banken und Vermögen angehäuftem Kapital ist nach verschiedenen Überschlagsrechnungen bereits vernichtet worden. Eine unbekannte Zahl an Hedge-Fonds und Private-Equity-Fonds haben ihr Geschäft aufgegeben und das eingesammelte Geld an ihre reiche Klientel zurückgegeben. Dies ist sehr wahrscheinlich nur der Anfang eines länger dauernden Schrumpfungsprozesses. Die ungeheuren Summen, die die Regierungen und die Zentralbanken ins Bankensystem pumpen, wirken diesem Prozess entgegen. Sie haben erklärtermaßen das Ziel, die Banken vor der Insolvenz, der Pleite zu bewahren und sie darüber hinaus in die Lage zu versetzen, Kredite zu vergeben. Die Rettung von wichtigen, einigermaßen relevanten Banken ist ein vernünftiges Ziel der Politik. Die Pleite einer größeren Bank hätte für den Zahlungsverkehr und für das Überleben aller anderen Finanzinstitute zumindest in einem Währungsraum verheerende Folgen. Dazu bedürfte es allerdings nicht der riesigen Summen, die nun aufgewendet werden. Das zweite Ziel wird man auch mit den enormen Beträgen nicht erreichen. Weil die Konkurswelle in der gesamten Wirtschaft nach mittlerweile allgemeiner Meinung noch bevorsteht, werden selbst bilanziell gesunde Banken nur äußerst vorsichtig Kredite vergeben.

Die Schrumpfung des Finanzsektors muss von Seiten des Staates begleitet und kontrolliert werden. Da die Kreditvergabe stockt, werden staatlich garantierte Kredite ausgehändigt werden. Das aber heißt zweierlei. Es gibt damit eine Art staatliche Investitionsplanung (da staatlich entschieden wird, wer Kreditgarantien erhält und wer nicht) und es gibt eine Stärkung der öffentlichen Sparkassen und der genossenschaftlichen Banken, die wie bisher die Kreditvergabe im eher kleinvolumigen Bereich regeln. Die ebenfalls öffentlichen Landesbanken müssen ihre Zockerabteilungen stilllegen, falls das noch nicht geschehen ist. Wenn es ihnen gelingt, das für die Sparkassen zu große Kreditgeschäft von den großen Privatbanken zu übernehmen, werden sie überleben. Möglicherweise kann auch die Übernahme privater Banken und/oder Versicherungen durch den Staat notwendig werden. Ohne Kontrollmöglichkeiten ist die Übernahme des Eigentums in die öffentliche Hand aber ein Schritt ohne großen Wert. 

Zentral dagegen ist die Kontrolle über die bei weitem größte öffentliche Finanzbehörde, die Zentralbank. Nach derzeitigem Recht sind die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank (EZB), bei der die Bundesbank größter Anteilseigner ist, von allen politischen Weisungen unabhängig. Sie sind damit die einzigen Staatsorgane, die nicht einmal indirekt parlamentarischer Kontrolle unterstehen. Die EZB und die anderen europäischen Zentralbanken geben die Währung Euro heraus. Sie sind damit direkt verantwortlich für die Stabilität des Finanzmarktes und des Finanzgeschehens. Die Bundesbank ist außerdem konkret verantwortlich für die Bankenaufsicht in Deutschland. Sie hat diese Verantwortung ganz einseitig im Interesse der Gewinnmaximierung der Banken wahrgenommen. Ohne die Unabhängigkeit von Bundesbank und EZB (einschließlich der entsprechenden EU-Verträge) zu beseitigen, wird eine effektive Kontrolle des Finanzsektors nicht gelingen.

Von der Sache her wäre die Kontrolle des Finanzsektors durch staatliche Behörden nicht sehr schwer. Es ist im Prinzip nicht anders als bei der Gewerbeaufsicht. Woran es gefehlt hat und noch fehlt, ist der politische Wille. Wichtig sind zwei Prinzipien. Das erste besteht in einer wirksamen und lückenlos geltenden Kreditbegrenzung. Die alte Regel des nationalen Kreditwesengesetzes und der internationalen Eigenkapitalunterlegungsvorschriften (bekannt als Basler Übereinkunft), wonach eine Bank nicht mehr als das 12 1/2fache ihres Eigenkapitals an Krediten vergeben darf, muss lückenlos wieder hergestellt werden. Sie muss selbstverständlich für verbriefte Kredite und überhaupt für Wertpapiere gelten, sie darf keine Ausnahmen für außerbilanzielle Geschäfte zulassen und sie muss bankähnliche Institutionen wie Hedge-Fonds dieser Regel ebenfalls unterstellen. 

Zweitens muss die Freiheit des Kapitalverkehrs (wieder) beschränkt werden. Hierbei handelt es sich tatsächlich um einen Eckpunkt im Akkumulationsregime des Neoliberalismus. Es hat lange gedauert, bis diese Freiheit des Kapitals durchgesetzt war. Ohne diese Freiheit durch die nationalen (oder meinetwegen auch internationalen) Institutionen zu begrenzen, werden die Spekulationsexzesse des Finanzsektors nicht vermieden werden können. Schon die notwendige Begrenzung der Kreditvergabe wäre nicht möglich. Die Auseinandersetzung um diese Frage dürfte hart werden. Schließlich hat die Freiheit des Kapitalverkehrs im Europa der EU den Status des obersten Verfassungsranges. Es lohnt sich daher, diese Frage zum Eckpunkt auch der Wahlen zum EU-Parlament zu machen.