Vor gut 100 Jahren illustrierte W. I. Lenin am Beispiel der damals vorherrschenden Transporttechnologie, wie fest im „Imperialismus als höchstem Stadium des Kapitalismus“ die Machtverhältnisse gefügt sind: „Rund 80 Prozent der gesamten Eisenbahnen der Welt sind ... in den Händen von fünf Großmächten konzentriert.“1 Gemeint waren England, Frankreich, Deutschland, die USA und Japan. 50 Jahre später – nach dem Zweiten Weltkrieg – konzentrierten die gleichen „fünf Großmächte“ mehr als 80 Prozent der Herstellung des neuen, maßgeblichen Transportmittels, der Kfz-Produktion, auf sich.
Heute – ein Jahrhundert nachdem Lenin derart den Eisenbahn-Imperialismus analysierte – konzentrieren sich immer noch gut drei Viertel der entscheidenden aktuellen, Mobilität spendenden Transportmittel – der Personenkraftwagen, der Lastkraftwagen und der Busse – auf Konzerne, die in „fünf Großmächten“ beheimatet sind, wovon uns vier „alte Bekannte“ begegnen: in den USA, in Deutschland, in Japan, in Frankreich und in Italien.2
Es gibt eine weitere Parallele: Vor hundert Jahren befanden wir uns am Ende des Eisenbahnzeitalters. Eine aufsteigende Kapitalgruppe um Rockefeller/Standard Oil und die junge, überwiegend US-amerikanische Autoindustrie bewirkten die – nicht nur mit Marktmacht, sondern auch durch Korruption, politische Macht und Aufkauf bewirkte – Verdrängung der Eisenbahnen und den Siegeszug der Autogesellschaft.3 Der Niedergang der damals führenden Industrie des Eisenbahnbaus und Eisenbahnbetriebs stand im Zentrum großer imperialistischer Krisen, so derjenigen von 1873 und derjenigen von 1929. Hundert Jahre später erleben wir eine neue weltweite Krise, die sich zu einer neuen Weltwirtschaftskrise entwickeln dürfte. Im Rahmen der Krise der Realwirtschaft spielt nun die hinsichtlich der Dynamik und des Produktivitätsniveaus wichtigste führende Branche, die Autoindustrie, eine entscheidende Rolle. Der Fahrzeugbau in Nordamerika, in Westeuropa, in Japan und auch in China steht vor einer beispiellosen strukturellen Krise.
Canossa
Nirgendwo wird dies deutlicher als im Mutterland der Autoproduktion, in den USA. Der Pkw-Absatz lag hier bereits im November um knapp 40 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Mitte Dezember beschlossen die drei Autokonzerne, ihre Fabriken für mehrere Wochen komplett zu schließen – bei Chrysler, der Nummer drei, soll das für vier Wochen, bei Ford, der Nummer 2, soll das für drei Wochen der Fall sein. Auch GM, die Nummer 1, stoppt jede Produktion und gibt erst gar keine genaue Zeit an, wie lange keine Pkw von den Bändern rollen.
In dieser Situation sind dramatische PR-Aktionen angesagt. So am 5. Dezember 2008 anlässlich einer Anhörung im US-Kongress. Die Bosse der drei US-Autokonzerne – Rick Wagoner (GM), Alan Mulally (Ford) und Robert Nardelli (Chrysler) – gaben an, je einen Pkw aus konzerneigener Fertigung mehr als acht Stunden lang auf der Strecke Detroit-Washington D. C. selber gesteuert zu haben, um auf diese Weise Publicity für ihren Bittgang zum Kongreß-Hearing am 5. Dezember zu gewinnen, das über öffentliche Hilfen für die US-Autoindustrie entscheiden sollte. Ihr wichtigstes Argument war der Hinweis auf mehrere hunderttausend Jobs, die gefährdet seien. Der Einsatz scheint sich gelohnt zu haben. Nach einigem Hin und Her gewährten US-Präsident Bush und der Kongreß am 18. Dezember neue Kredite in Höhe von 15 Milliarden US-Dollar. Damit sollen die drei Konzerne bis zur Übernahme der Präsidentschaft durch Barack Obama überleben. Allerdings gibt es auch Mutmaßungen, dass auch diese Gelder nicht ausreichen, dass den Konzernen die Zeit davonläuft und dass sie sich noch vor dem Wechsel in der US-Präsidentschaft veranlasst sehen, Konkurs anzumelden, um im Rahmen des Konkursrechtes eine grundsätzliche Umstrukturierung vorzunehmen und Massenentlassungen praktizieren zu können.
Welch ein Déja-vu! Vor 29 Jahren, ebenfalls in den letzten Tagen der Amtszeit eines US-Präsidenten, damals war es Jimmy Carter, hatte der Chrysler-Boss Lee A. Iacocca eine ähnliche Bittstellertour von Detroit nach Washington zurückgelegt. Seine einleitenden Sätze bei einem vergleichbar spektakulären Kongreß-Hearing waren: „Ich spreche im Namen von Hunderttausenden Menschen, deren Existenz davon abhängt, dass Chrysler erhalten bleibt.“ Am letzten Tag der Regierung Carter wurde Chrysler mit einem 1,2 Milliarden-Dollar-Kredit gerettet. In den achtziger Jahren feierte der kapitalistische Westen Iacocca – trotz dieses offensichtlich „regelwidrigen“ Eingriffs des Staats ins Marktgeschehen – als Personifizierung des freien Unternehmertums. Sein Buch Iacocca - An Autobiographie(deutsch: Iacocca – Eine amerikanische Karriere) wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und viele Millionen Mal verkauft.
So erstaunlich die Parallelen zwischen 1979 und 2008 auch sind, es gibt drei entscheidende Unterschiede: Erstens 1979 wurde die Kredithilfe unter einem demokratischen Präsidenten gewährt; dass der bereits gewählte, kurz darauf im Amt nachfolgende republikanische Präsident Ronald Reagan so etwas tun würde, galt als ausgeschlossen. 2008/2009 war es der noch amtierende republikanische Präsident, der sich – nach einigem Zögern – zu der Nothilfe entschloß. Dieser Paradigmenwechsel muss als Indiz für die dramatische Lage gelten. Bushs demokratischer Nachfolger kann unter diesen Bedingungen kaum anders, als die Finanzierung der angeschlagenen Konzerne – insoweit sie dann noch als selbständige Unternehmen existieren – fortzusetzen. Zweitenss zeigen allein das Beispiel Chrysler und der Mythos Iacocca, wie kurzlebig diese Hilfen sein können: Nach dem kometenhaften Wiederaufstieg von Chrysler in den achtziger Jahren wurde das Unternehmen 1998 vom Daimler-Konzern übernommen; Daimler präsentierte sich neun Jahre lang als deutsch-US-amerikanisches Unternehmen „DaimlerChrysler“. 2007 dann warf Daimler Chrysler dem private-equity-Kettenhund Cerberus zum Fraß vor. Drittens schließlich geht es heute um mehr als 1979. Der Demokrat Christopher Dodd, Vorsitzender des Bankenausschusses des US-Senats, erklärte anläßlich des Hearings am 5. Dezember schlicht: „Es geht nicht darum, eine Handvoll Konzerne zu retten. Es geht um die gesamte Wirtschaft.“
Autoindustrie-Zyklus – Weltzyklus
Der Kapitalismus erlebte historische Krisen, die jeweils mehrere Jahre dauerten. So in den Jahren 1857, 1873 und 1929. Diese Krisen waren im wesentlichen durch ein Zusammenfallen von drei unterschiedlichen Ebenen des Krisengeschehens charakterisiert: Finanzkrise, allgemeine zyklische Krise und Branchenkrise, der Krise des tonangebenden Industriezweigs mit dem Zusammenbruch großer, für die jeweilige Epoche maßgeblicher Unternehmen, allen voran den privaten Eisenbahn-Unternehmen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg schienen Börsen- und Bankenkrachs sowie Branchenkrisen derVergangenheit anzugehören. Sogar ein normaler internationaler Industriezyklus war bis Ende der sechziger Jahre eine Angelegenheit, die man lediglich in den Büchern zur Wirtschaftsgeschichte studieren konnte.
1974/75 gab es die erste internationale Nachkriegsrezession. Seither gibt es wieder einen weltweiten Konjunktur- und Krisenzyklus – mit weiteren allgemeinen Krisen 1980-82, 1990-92, 2001/2002 und nun 2008 ff. 1987 kam es erstmals seit einem halben Jahrhundert wieder zu einem weltweiten Börsenkrach. Ein solches Ereignis wiederholte sich 1997/98 (Asien- und Rußlandkrise) und 2000/2001 (Zusammenbruch der „neuen Märkte“). Seit Sommer 2007 zeichnete sich ein weltweiter Finanzcrash als kombinierter Immobilien-, Banken- und Börsenkrach ab. Anfang 2009 befinden sich die entscheidenden imperialistischen Zentren Nordamerika, Europa und Japan in einer Rezession.
Es stellt sich die Frage: Gibt es in dieser Situation, in der vieles auf eine erneute Krise von historischen Dimensionen hindeutet, auch die Krise einer maßgeblichen industriellen Branche, die mit derjenigen des Eisenbahnsektors in den genannten vorausgegangenen historischen Krisen vergleichbar ist? Ja: Es ist die Krise der weltweiten Autoindustrie, derjenigen Branche, die bis in die neunziger Jahre hinein in den drei imperialistischen Zentren die die Industrie prägende und in Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien auch heute noch die dynamischste Branche ist. Sie befindet sich seit Herbst 2008 am Beginn einer Krise, die die übrigen Tendenzen der weltweiten Krise verstärken muss.
Das Krisenpotential im internationalen Fahrzeugbau hat sich über Jahrzehnte akkumuliert. In allen Krisen seit Mitte der siebziger Jahre war und ist der internationale Fahrzeugbau Vorreiter der Krisenentwicklung. In den Krisen 1974/75, 1980/82, 1990-93 und 2001/2002 kündigten Branchenkrisen im Fahrzeugbau die allgemeinen Rezessionen an. In der Regel war die Krise in diesem Industriesektor deutlich schwerer als die jeweilige allgemeine Rezession. Tabelle 1 zeichnet das dynamische Wachstum der Kfz-Produktion seit 1960 und den Zusammenhang zwischen der regelmäßig wiederkehrenden Krise des weltweiten Fahrzeugbaus und den allgemeinen weltweiten zyklischen Krisen nach.
Die Tabelle zeigt die gewaltigen Steigerungen im Output der Branche: Im Zeitraum 1960 bis 2007 wurde die Zahl der pro Jahr erstellten Kraftfahrzeuge um das Viereinhalbfache – von 16,5 auf 73,2 Millionen – gesteigert; im ersten Jahrzehnt lag diese Steigerung bei 13 Millionen Einheiten, in den zwei darauf folgenden Jahrzehnten jeweils bei zehn Millionen Einheiten. Die größte absolute Steigerung erfolgte im jüngsten, bereits 2007 abgeschlossenen Zyklus, als binnen sieben Jahren der Ausstoß um 15 Millionen Kfz-Einheiten erhöht wurde.
In den Branchenkrisen gab es jeweils einen – im Vergleich zu den dann folgenden allgemeinen Rezessionen im industriellen Sektor – deutlich überproportionalen Einbruch. Eine Ausnahme war die Rezession 2000/01. Auch dauerten die Krisen in der internationalen Autoindustrie in der Regel länger als die allgemeine Rezession.
Immer wieder wird bei Vorliegen von Krisen in der Autoindustrie auf deren Bedeutung für die allgemeine Beschäftigung verwiesen. Schlagworte wie „Jeder siebte Arbeitsplatz hängt vom Auto ab“ sind bekannt. Tatsächlich relativiert sich diese Betrachtung erheblich, wenn man den langfristigen Trend betrachtet: Im gesamten Zeitraum 1960 bis 2007 blieb die – in der Tabelle nicht ausgewiesene – Beschäftigtenzahl weitgehend konstant. Mitte der siebziger Jahre und im Jahr 1980 zählte die Branche weltweit – im direkten Fahrzeugbau und in der Zulieferindustrie – neun bis zehn Millionen Beschäftigte. Aktuell liegt laut Angaben des Internationalen Verbandes der Autohersteller (Organisation Internationale des Constructeur d'Automobiles, OICA) die Beschäftigtenzahl in der weltweiten Autoindustrie bei achteinhalb Millionen. Es gibt also eine extreme Auseinanderentwicklung von Output (= Vervierfachung) und dem weitgehend konstanten Beschäftigungsniveau; gemessen an der Entwicklung des Umsatzes oder gemessen an der qualitativen Ausstattung des Produktes Auto fällt diese Auseinanderentwicklung nochmals deutlicher aus. Darin findet die immense Steigerung der Produktivkraft und die stark gestiegene organische Zusammensetzung des Branchenkapitals (bzw. die ständig steigende Kapitalintensität) ihren Ausdruck.
In den Regionen mit relativ hohen Lohnkosten setzt sich in der eigentlichen Pkw-Fertigung die weitgehend automatisierte Produktion durch. Unter kapitalistischen Bedingungen hat dies enorme negative Folgen es mündet in massenhafte „Freisetzung“ von Arbeitskraft, in der Arbeitslosigkeit von Hunderttausenden. Darin wird allerdings auch die Möglichkeit reflektiert, wie massiv unter anderen – unter sozialistischen - gesellschaftlichen Bedingungen die allgemeine Reduktion der notwendigen Arbeitszeit sein kann.
Jüngster Branchenzyklus – jüngste Branchenkrise
Bereits in der Rezession 2000/2001 brach die weltweite Kfz-Fertigung deutlich ein. Noch 2001 lag die Kfz-Produktion auf dem gleichen Niveau wie 1999; in diesem Jahr konnte lediglich die Delle wieder eingeebnet werden. In dem darauf folgenden Wirtschaftsaufschwung und im jüngsten Zyklus 2001-2007 kam es zu der genannten beträchtlichen Produktionssteigerung. 2007 wurden weltweit 73 Millionen Kraftfahrzeuge gebaut – 30 Prozent mehr als 1999 (und, wegen der besagten Delle, auch 30 Prozent mehr als 2001). Betrachtet man nur die Pkw-Fertigung, so lag das Wachstum noch höher (bei 33,4 Prozent). In Europa stieg der Produktionsausstoß in der Kfz-Fertigung im genannten Zeitraum „nur“ um 4,7 Prozent. In Deutschland allerdings um 9,2 Prozent.
An den letztgenannten Zahlen erkennt man bereits, daß es in dieser Periode zu Disproportionalitäten kam, wie sie in der 100jährigen Geschichte der Autoindustrie einmalig sind. Tabelle 2 gibt dazu Auskunft.
In den USA gab es im genannten Acht-Jahres-Zeitraum – trotz des weltweiten Booms – einen massiven Rückgang der Produktion (um gut 17 Prozent). In Japan konnte die Produktion im gleichen Zeitraum um (zufällig) den gleichen Prozentsatz gesteigert werden. Japan löste damit die USA als das Land mit der größten Kfz-Fertigung ab. In Europa fiel das Wachstum mit 4,7 Prozent bescheiden aus, wobei dieser Anstieg in erster Linie in den mittel- und osteuropäischen Staaten mit einer Verdopplung der Kfz-Produktion stattfand. Darauf wird noch einzugehen sein.
Die mit Abstand größten Produktionssteigerungen erfolgten in China (mit fast einer Vervierfachung der Kfz-Fertigung), in Indien (mit einer Steigerung um 82 Prozent) und im übrigen Asien (plus 64 Prozent).
Interessant ist der gewaltige Abbau der US-amerikanischen Autoindustrie als Teil der weltweiten Branche.1937 entfielen 80 Prozent der weltweiten Autoproduktion auf die Fertigung in den USA selbst. 1950 lag dieser Anteil auf demselben Niveau. Bis 1961 war der US-Anteil auf 53 Prozent gesunken. 1970 waren es noch 29 Prozent. Bis dahin handelte es sich bei der US-Autoproduktion ausschließlich um diejenige der US-Konzerne. Obgleich dann ab Ende der 1970er Jahre japanische, deutsche Autokonzerne und der südkoreanische Konzern Hyundai mit Fertigungen in den USA selbst begannen, setzte sich der Niedergang fort. 1999 entfielen nur noch ein knappes Viertel (23,2 Prozent) und 2007 nur noch ein gutes Siebtel (14,7 Prozent) der weltweiten Autofertigung auf die US-Produktion.
Autoproduktion in Europa
Der Anteil Europas am Weltautomobilbau, der bis in die 1980er Jahre ansteigend war, ist inzwischen – trotz der gewaltigen Produktionssteigerungen in Mittel- und Osteuropa - rückläufig (1999: 33,5 Prozent; 2007: 26,9). Selbst Japan, das bis Ende der 1980er Jahre als der große Aufsteiger in dieser führenden Industriebranche gefeiert wurden, büßte im genannten Zeitraum Anteile ein (von 17,6 auf 15,9). Gleichzeitig gingen die Anteile der übrigen asiatischen Länder steil nach oben, am deutlichsten in China (von 3,3 Prozent im Jahr 1999 auf 12,1 im Jahr 2007). Hier muss allerdings relativierend erwähnt werden, dass ein erheblicher Teil der Autofertigung in China und im übrigen Asien von den europäischen, japanischen und US-amerikanischen Konzernen dominiert wird.
Innerhalb Europas gab es deutliche strukturelle Veränderungen. Sie betrifft vor allem den Aufstieg der Autofertigung in Mittel- und Osteuropa, wie dies bereits in Tabelle 2 allgemein dokumentiert wurde. Tabelle 3 schlüsselt diese Veränderung nochmals für einzelne Länder auf. Gleichzeitig gibt es innerhalb Westeuropas einen gravierenden Unterschied: Während die deutsche Autofertigung weiter gesteigert wurde, war sie im gesamten übrigen Westeuropa rückläufig.
Die Herstellung von Kraftfahrzeugen in ganz Europa wurde im Zeitraum 1999 bis 2007, wie bereits dokumentiert, nochmals um fünf Prozent gesteigert. Die Krise 2000 bewirkte allerdings, dass der Produktionsrückgang erst 2001 wettgemacht wurde. Selbst in den mittel- und osteuropäischen Ländern gab es in diesen Rezessionsjahren einen Rückgang; das Niveau von 2001 lag unterhalb des 1999er Niveaus. Deutschland konnte als einziges klassisches europäisches Land mit großer Kfz-Fertigung im gesamten Zeitraum nochmal deutlich zulegen. Dadurch stieg der Anteil der BRD an der gesamten europäischen Autoproduktion nochmals leicht an, sodass heute mit 31,5 Prozent fast ein Drittel der europäischen Autoproduktion auf Deutschland fällt. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um die Anteile an den erstellten Kfz-Einheiten. Bekanntlich werden in Deutschland vor allem großvolumige und eher teure Pkw hergestellt. Entsprechend entfallen auf die deutsche Kfz-Branche bereits fast 40 Prozent des addierten Umsatzes der europäischen Autobranche.
In klassischen Autoherstellländern wie Italien, Frankreich und Großbritannien war im Zeitraum 1999 bis 2007 die Produktion sogar absolut rückläufig: In Frankreich „nur“ um gut fünf Prozent, in Großbritannien bereits um 11,4 Prozent. In Italien gab es einen richtig gehenden Einbruch; 2007 liegt das Produktionsniveau um fast ein Viertel unter demjenigen von 1999 (-24,5 %). Spanien ist ein interessantes Beispiel. Das Land verfügt einerseits über eine traditionsreiche Pkw-Fertigung (Seat). Gleichzeitig spielte Spanien – zusammen mit Portugal – in den 1970er und 1980er Jahren die Rolle, die heute die mittel- und osteuropäischen Länder im Fahrzeugbau spielen. Es gab ein niedriges Lohnniveau, hohe staatliche Subventionen zum Aufbau neuer Werke und den Einsatz moderner Technologie. Neben VW mit der Tochter Seat investierten damals vor allem GM/Opel und Ford in großem Maßstab auf der iberischen Halbinsel. Doch inzwischen haben sich diese Standortvorteile relativiert; die VW-Tochter Seat ist sogar existentiell gefährdet. Im Zeitraum 1999 bis 2007 stagnierte die gesamte Kfz-Fertigung in Spanien weitgehend (+ 1,3 %). In Portugal gab es einen drastischen Rückgang um 30 Prozent.
Mit Ausnahme der BRD gingen die Anteile aller europäischen Länder mit traditioneller Autofertigung (Frankreich, Italien,Großbritannien und Spanien) an der europäischen Autoherstellung deutlich zurück.
Autoboom in Mittel- und Osteuropa
In den mittel- und osteuropäischen Ländern wurde seit Ende der 1990er Jahre eine moderne Autoindustrie aufgebaut. Dabei konnte man teilweise – so in Polen und in Tschechien – an eine längere Tradition anknüpfen. Insgesamt wurde die Fertigung gut verdoppelt
(+112 %; siehe Tabelle 2). Die niedrigste Steigerung erfolgte dabei in Polen, wo es „nur“ einen Anstieg um knapp 40 Prozent gab. Das dürfte zum einen damit zusammenhängen, dass es die bekannte Tradition im Autobau gab und diese alten Strukturen nicht so einfach aufgebrochen werden können. Zum anderen dürfte hier das bereits höhere Lohnnivau bzw. die Erwartung, dass das Niveau der polnischen Löhne bald deutlich anziehen würde, eine Rolle gespielt haben. Geradezu explosionsartig entwickelte sich die Autofertigung vor allem in Tschechien, in der Slowakei, in Ungarn und Rumänien, wo im beschriebenen Achtjahreszeitraum die Produktion um das 2,3-fache anstieg. In Slowenien wurde sie sogar vervierfacht.
Diese allgemeinen Steigerungen im MOE-Raum sind neben dem niedrigeren Lohnniveau auch auf massive steuerliche Anreize zurückzuführen. Hinzu kommen spezifische Faktoren. Die Steigerung der rumänischen Autofertigung von 106 000 auf 241 000 Einheiten im Zeitraum 1999 bis 2007 geht auf das neue Engagement von Renault zurück; der französische Autokonzern entwickelte bei seiner rumänischen Tochter Dacia die Konzeption des Billigautos Logan, das zunächst nur für den osteuropäischen Raum, für Russland und für Schwellenländer geplant war, mit dem inzwischen jedoch auch in Westeuropa erhebliche Absatzerfolge realisiert werden. In Tschechien und in der Slowakischen Republik wurde eine teilweise eng verzahnte moderne Autofertigung hochgezogen, weshalb auch eine Zusammenfassung der Produktionszahlen der beiden Länder in der Tabelle sinnvoll ist.4
Gründe für Krise und Umstrukturierungen
Die Gründe für das jüngste Wachstum und für die dokumentierten, beträchtlichen Umstrukturierungen, die es in der Automobilindustrie weltweit und innerhalb Europas gab, lassen sich in fünf Punkten zusammenfassen:
1. Weltweite Konzentration auf Öl, Auto- und Flugzeugbau. Nimmt man die 100 größten Konzerne der Welt – aus der Liste der Global 5005 – dann entfällt von deren addiertem Umsatz rund 50 bis 60 Prozent allein auf die Sektoren Ölförderung, Ölverarbeitung, Autoindustrie und Flugzeugbau. Die modernen Mobiliätsformen bilden sich in deutlicher Form als stoffliche Konzentration in der Struktur des Weltkapitals ab. Diese stoffliche Fixierung unter den größten Unternehmen hat in den letzten zwanzig Jahren zugenommen – groteskerweise parallel mit der Entdeckung der Endlichkeit der Ölvorräte. Von dieser spezifischen – extrem umwelt- und klimaschädigenden – Struktur geht ein gewaltiger objektiver Druck auf die allgemeine Politik, auf die Verkehrs- und Umwelt- und Klimapolitik aus.6
2. Begrenzte traditionelle Pkw-Märkte: In Nordamerika, Japan und Westeuropa werden zwar Pkw-Absatz und Pkw-Dichte immer weiter gesteigert (USA: 750 Pkw je 1 000 Einwohner; Westeuropa 550 Pkw/1000 Einwohner). In den USA haben wir die Situation, dass es in ersten Städten mehr Autos als Einwohner gibt (immer Kinder und Greise eingerechnet). In Westeuropa sind es immerhin soviele Pkw, dass alle Einwohner auf den beiden Vordersitzen ihrer Pkw Platz nehmen und die hinteren Sitze für Einwanderer zur Verfügung stellen könnten. Trotz all diesen teilweise grotesken Steigerungen der Pkw-Dichten bleiben infolge des neoliberalen Modells, teilweise auch durch Umweltauflagen und aktuell schließlich durch die Grenzen für die weitere Kreditausweitung die Wachstumsraten deutlich hinter dem Produktionswachstum zurück. In der Folge wachsen die Exportquoten der traditionellen Autokonzerne. Gleichzeitig wird dadurch die Anlage von neuen Fertigungsanlagen der traditionellen Autokonzerne in den neuen Märkten massiv begünstigt. Aus den Punkten eins und zwei resultiert ein immenser Druck zur ständigen Fortsetzung und Steigerung dieses Mobilitäts- und Transportmodells.
3. Kopie des fatalen Mobilitäts- und Transportmodells in den Schwellenländern: In Asien und in Mittel- und Osteuropa (und ähnlich in Russland) wird seit fünfzehn bis 20 Jahren das westliche Modell der „erzwungenen Mobilität“ und der Transportinflation kopiert. Durch gewaltige Strukturzerstörungen – Zerstörungen von Nähe, von regionalem Wirtschaften, von dezentralen Wohnstrukturen usw. – wird ein flächendeckender Zwang zur Nutzung von Pkw und zu langen Lkw-Transporten gefördert – ein Prozess, der in Nordamerika in den 1920-1950er Jahren und in Westeuropa in den 1960er bis 1980er Jahren stattfand. Diese Entwicklung an der Basis erhält als Überbau das Prädikat „Recht auf Mobilität“. Selbst wenn man das Thema Umwelt/Klima außer acht lässt, so müsste allein der aktuelle Blutzoll alarmieren: In China gibt es inzwischen jährlich mehr als 100 000 Straßenverkehrstote; in Indien sind es pro Jahr 85 000. Es ist erst diese zerstörerische Strukturentwicklung, die aus diesen Regionen den gewaltigen neuen Pkw-Absatzmarkt schafft.
4. Regionale Machteliten und die traditionellen Autokonzerne puschen diese Entwicklung: In den genannten Regionen wird die Pro-Auto-Politik von den herrschenden Eliten vorangetrieben. Es darf aber nicht übersehen werden, dass der Fahrzeugbau in Mittel- und Osteuropa zu 100 Prozent, in Russland zu 75 Prozent, in China zu 50 Prozent und in Indien zu 40 Prozent von den nordamerikanischen, europäischen und japanischen Autokonzernen (in Teilbereichen ergänzt um Hyundai, Südkorea) kontrolliert wird. Diese Mesalliance nationaler Eliten mit der traditionellen, überwiegend westlichen Autoindustrie ist der Motor dieser Entwicklung.
5. Standortvorteile: Das niedrige Lohnniveau und oftmals sehr weit reichende steuerliche Vorteile bzw. niedrige Umweltauflagen befördern die Kapitalanlage der internationalen Autokonzerne in den genannten Regionen. Mit solchen neuen Fertigungsstätten – oft als joint ventures ausgestaltet – umgehen sie vielfach vorhandene protektionistische Maßnahmen gegen den Import von Pkw. Gleichzeitig nutzen sie die dort gegebenen Export fördernden Anreize: ein Großteil der spanischen und mittel- und osteuropäischen Pkw-Fertigung gehen in den Export.
6. Managementfehler. Für den Niedergang der US-amerikanischen Autoindustrie werden gewöhnlich „Managementfehler“ verantwortlich gemacht: Man habe zu viele spritfressende großvolumige Pkw – SUVs, Sport & Utility-Vehicles – gebaut und den Trend zu energiesparenden Pkw verschlafen. Natürlich spielen diese Fehler bei den Umstrukturierungen und der aktuellen Krise eine gewisse Rolle. Jedoch muss berücksichtigt werden, dass bei den Zahlen zum Einbruch der US-amerikanischen Autoindustrie alle in den USA produzierenden Konzerne erfasst sind, also außer GM, Ford und Chrysler auch Toyota, Nissan, Honda, Hyundai, BMW und Daimler. Auch Toyota setzte in den letzten Jahren in diesem Markt auf klassische SUVs nach US-amerikanischer Art. Chrysler wurde in den Jahren 1999 bis 2006 zu 100 Prozent vom Daimler-Konzern beherrscht; mehrere Jahre lang hörte der Chrysler-Chef auf den Namen Zetsche. Dennoch wurden gerade bei Chrysler in erster Linie die genannten spritfressenden SUVs hergestellt. In diesem Segment waren bis zum Jahr 2006 schlicht die Renditen die höchsten. Unter anderem hatten die Autokonzerne in den USA bereits Mitte der 1990er Jahre erreicht, dass SUVs statistisch als Lkw erfasst und damit steuerlich massiv bevorzugt werden. Im übrigen ist es auch keine überzeugende Ingenieursleistung, wenn in den letzten 25 Jahren die deutschen Autos um 50 Prozent schwerer wurden, während zugleich der Besetzungsgrad von 1,6 auf 1,2 Personen je Pkw zurückging. Kaum irgendwo sonst gibt es ein derart krass unproduktives Verhältnis, wonach 1,2 Tonnen Totgewicht eingesetzt werden müssen, um eine menschliche Last von 85 bis 90 Kilogramm zu befördern.
Autoproduktion und Massenkaufkraft
Noch ohne die jüngsten Einbrüche im Absatz von Pkw müssen bereits die Steigerungen der Fertigung in Japan, Europa und vor allem in Asien als Indiz für ein besonders großes Krisenpotential gelten. Das gilt insbesondere dann, wenn man berücksichtigt, daß gerade in diesem Bereich des Massenkonsums die Ausweitung der Käufe auf Kredit eine wichtige Rolle spielt. Es tat sich der klassische Widerspruch zwischen der fast unbeschränkten Produktionskraft und der stark beschränkten Massenkaufkraft auf.
Bereits im zweiten Quartal 2008 kam es zu ersten Einbrüchen im weltweiten Fahrzeugbau. In der zweiten Hälfte des Jahres 2008 nahmen sie, besonders in den USA, die bereits angeführten dramatischen Ausmaße an. Auch wenn die US-Konzerne besonders betroffen sind, so handelt es sich keineswegs um ein Phänomen, das allein oder auch nur primär auf Managementfehler usw. zurückzuführen wäre. Auch die japanischen und die europäischen Autokonzerne mußten die beschriebenen Einbrüche im zweistelligen Prozentbereich hinnehmen. Rückgänge solchen Ausmaßes gab es bisher nur in den genannten historischen Krisen bei den Eisenbahnen und in der 1929er Krise im Fall der damals in Nordamerika bereits starken Autobranche.
Nicht ganz so hohe, aber immer noch massive Einbrüche in dieser Branche gab es auch in Westeuropa. In Großbritannien, einem Land, in dem – ohne dass es eine eigene, britische Autoindustrie geben würde, durch Toyota, GM/Vauxhall, Ford, Jaguar/Landrover (= Tata; indisch) – immer noch 1,7 Millionen Autos und Lastwagen hergestellt werden (= Zahlen für 2007), brach der Absatz im November um mehr als 50 Prozent ein (bei Landrover und Jaguar sogar um 64 Prozent).
Bei der deutschen Autoindustrie gingen im November 2008 die Auftragsorders aus dem Inland um 28 Prozent zurück. Die Pkw-Zulassungen lagen im November um 18 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Die Krise betrifft längst auch den Sektor der Luxus-Pkw: Porsche vermeldete für die Monate ab September bis November 2008 einen Rückgang der Verkäufe von rund einem Fünftel.
Für 2009 erwartet der Verband der Automobilindustrie (VDA) einen weiteren Rückgang des Absatzes im Inland und Ausland jeweils „im zweistelligen Prozentbereich“. Auch im Lkw-Sektor sind die Einbrüche dramatisch. MAN meldete Anfang Dezember einen Rückgang der Aufträge im dritten Quartal 2008 um 39 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Vorstandschef des führenden Lkw-Herstellers Volvo, Leif Johansson, berichtete zum selben Zeitpunkt, der Auftragseingang für große Lkw sei „nahe null“.
Man kann das Einbrechen des Pkw-Absatzes mit schönen Zitaten von Karl Marx zum Widerspruch zwischen einer im Kapitalismus kaum begrenzten Steigerung der Produktion und einer grundsätzlich beschränkten kaufkräftigen Massennachfrage untermauern. Mindestens so überzeugend ist dies allerdings, wenn Vergleichbares von Topmanagern der Autobranche formuliert wird: „Wir haben die Produktion so erfolgreich vorangetrieben, daß wir vor dem Problem stehen, wie die Güter, die wir produzierten, zu konsumieren sind ... Wir sind genötigt, die Produktionsmaschinerie zu verlangsamen. Wir wagen nicht, ihre latenten Möglichkeiten zu entwickeln. Unsere Fortschritte im Export waren so groß, aber die Bedingungen der Welt setzten diesem Fortschritt ihre Grenzen.“ So John J. Rascob, der langjährige Vizechef von General Motors und maßgebliche Manager des Chemiekonzerns DuPont, der damals strategischer Großaktionär bei GM war, 1930 mit Blick auf die damalige historische Krise des Kapitalismus.7
Branchenkrise als Exempel für die allgemeine Krise
Einiges spricht dafür, daß die aktuelle Krise der Autoindustrie charakteristisch ist für die gesamte gegenwärtige weltweite Krise.
Erstens: Die aktuelle globale Krise wird möglicherweise nicht ganz so gravierend wie die Branchenkrise im Fahrzeugbau ausfallen, doch die sie kennzeichnenden Rückgänge könnten sich – bezogen auf die gesamte Industrie und auf einen Zeitraum von zwei und mehr Jahren – ebenfalls im zweistelligen Bereich bewegen. Das allerdings käme einer Steigerung der allgemeinen Massenarbeitslosigkeit um 30 bis 50 Prozent gleich. Vieles spricht daür, daß wir es derzeit nicht mit der üblichen “nächsten Krise“, sondern mit einer besonders schweren, wenn nicht gar mit einer Weltwirtschaftskrise zu tun haben.8
Zweitens: Die Autoindustrie zielt auf drei unterschiedliche Nachfrageformen: mit kleinen und Mittelklasse-Pkw auf die Massennachfrage (auf „v“, das sogenannte "variable Kapital"), mit Luxus-Pkw auf die Nachfrage der Reichen und Vermögenden (auf einen Teil des Mehrwerts, „m“, der als Einkommen der Kapitalbesitzer erscheint) und schließlich in Form von Lkw auf die Nachfrage von Unternehmen („c“, einen Teil des konstanten Kapitals – zur Reproduktion des betrieblichen Vermögens – bzw. auf denjenigen Teil des Mehrwerts, der im Rahmen der erweiterten Akkumulation investiert wird). Tatsächlich bricht der Absatz bei allen drei Segmenten ein: Die Massennachfrage bricht ein wegen des Anstiegs der Erwerbslosigkeit und der Kreditklemme. Der Luxuskonsum geht wegen der Gewinneinbrüche zurück. Die Investitionen werden zurückgefahren wegen der allgemeinen Krise. Die aktuelle Krise ist also nicht auf einen Bereich – etwa „Unterkonsumtion“ – einzugrenzen.
Drittens: Die Autoindustrie gilt als moderne, hochinnovative und flexible Branche. Doch gerade bei diesem Industriezweig zeigt sich in diesen Tagen: Nur der Staat kann diese Branche in ihrer Substanz retten. Das ist so in den USA. Das ist so in Schweden: Saab (= GM) und Volvo (= Ford) stehen zum Verkauf. Das ist so in Italien, wo Fiat-Boss Sergio Marchionne am 8. Dezember nach staatlicher Hilfe und einem „strategischen Partner“ rief. Und das könnte auch in Spanien und Portugal kommen: Die VW-Marke Seat steht zur Disposition, die Werke von GM/Opel bzw. Ford auf der iberischen Halbinsel sind gefährdet.
Viertens: Es droht eine neue Ära des Protektionismus, wodurch die Krise verschärft wird, und ein Schub mit Produktivitätssteigerungen und Kapitalkonzentrationen, wodurch massenhaft Arbeitsplätze abgebaut werden. Der US-Kongreß will GM, Ford und Chrysler neue Kredite nur geben, wenn sie nicht ins Ausland abwandern. GM und Ford sind bereits bei strategischen Auslandsengagements ausgestiegen (GM bei Isuzu, Suzuki und Subaru; Ford bei Mazda und Jaguar/Land Rover). Sie werden wohl auch Saab und Volvo aufgeben. Die Bundesregierung will Opel finanzielle Hilfen nur dann gewähren, wenn diese Gelder nicht in den GM-Gesamtverbund fließen. Es gibt erste Gedankenspiele, Opel als selbständiges Unternehmen zu führen (was nicht funktionieren kann). Die schwedische Regierung will den Erhalt von Volvo und Saab als eigenständige Unternehmen prüfen (was ähnlich illusionär ist). In jedem Fall wird es zu einem neuen Schub der Kapitalkonzentration kommen. Die Überlebensfähigkeit etwa von Chrysler als selbständiges Unternehmen ist nicht vorstellbar. Fiat-Boß Marchionne geht davon aus, daß von den derzeit noch zehn unabhängigen Autokonzernen in zwei Jahren nur noch sechs übrig sein werden.
Dies muss vor dem Hintergrund der hundertjährigen Geschichte der Branche – einer gewaltigen Geschichte der Kapitalkonzentration gesehen werden. Als General Motors 1908 – als eine Fusion unterschiedlicher Autohersteller und Autozulieferer – gegründet wurde, gab es allein in den USA dutzende und weltweit bald Hunderte Autohersteller. GM allerdings war bereits der Beginn einer großangelegten Kapitalkonzentration. Bald versammelten sich unter dem Dach dieser „Allgemeinen Motoren-Gesellschaft“ die Marken Buick, Oldsmobile, Pontiac, Chevrolet und Cadillac. Am 17. März 1929, verkauften Adam von Opel und Fritz von Opel den damals führenden deutschen Autohersteller Opel an GM – für einen Rekordbetrag von 120 Millionen Reichsmark. Damals gab es weltweit noch rund 50 relevante Autohersteller.
1974/75, zum Zeitpunkt der sogenannten „Ölkrise“ gab es noch rund 25 international relevante unabhängige Kfz-Hersteller. Seither kam es zu weitreichenden neuen Prozessen von Fusionen und Übernahmen.
Damit verbleiben Anfang 2009 noch vierzehn international relevante Autohersteller in Klammer jeweils die Kfz-Fertigungszahlen im Jahr 2007: 1. GM (9,3 Millionen Kfz-Einheiten), 2. Toyota (8,5 Mio), 3. VW (6,2 Mio), 4. Ford (6,2 Mio) 5. Renault mit Nissan (6,1 Mio), 6. Hyundai mit Kia (3,9 Mio), 7. Honda (3,9 Mio) 8. PSA Peugeot-Citroen (3,5 Mio), 9. Fiat (2,7 Mio), 10. Suzuki (2,6 Mio), 11. Chrysler (2,5 Mio), 12. Daimler (2,0 Mio), 13. BMW mit Mini und Rolls Royce (1,6 Mio), 14. Mitsubishi (1,4 Mio), 15. Mazda (1,3 Mio).9
Von diesen Autokonzernen dürften alle, die weniger als vier Millionen Einheiten im Jahr produzieren und vor allem alle, die – wie Fiat, Suzuki, Chrysler, Mazda und Mitsubishi – nicht oder nicht mehr über eine weltweite Präsenz und nicht mehr über weltweit verteilte Produktionstätten verfügen – dem Untergang geweiht sein.
Alternative
Eine alternative Mobilitäts- und Transportpolitik könnte und müste – zusammen mit einer alternativen Energiepolitik – im Zentrum eines Konjunkturprogamms stehen, das auch den Anforderungen einer verantwortlichen Umwelt- und Klimapolitik gerecht wird.
Ein solches Programm müsste in den Mittelpunkt Investitionen und Maßnahmen stellen, die Dezentralität und Nähe fördern und auf diese Weise die nichtmotorisierten Verkehrsarten (zu Fuß gehen und Rad fahren) und öffentliche Verkehrsträger (Bahn, Tram, S-Bahnen, teilweise Busse) fördern.10 Die zwei Standardargumente, die dagegen vorgebracht werden – es gehe um Millionen Arbeitsplätze bzw. es gäbe dafür keine Mehrheiten – sind nicht überzeugend. Weltweit gibt es in der Autobranche, wie dargelegt, nach offiziellen Angaben nur acht Millionen Arbeitsplätze (OICA). In Mittel- und Osteuropa und in China sind weit mehr Menschen bei der Eisenbahn und in der Bahntechnik als in der Autoindustrie beschäftigt, wobei die Ausweitung der Automotorisierung genau diese umweltpolitisch akzeptablen – Arbeitsplätze zerstört. In Deutschland sind seit einem halben Jahrhundert immer rund 800 000 in der Autoindustrie beschäftigt (derzeit nur 770 000, Ende 2009 wohl nur 730 000) und dies, obgleich die Branche ihren Output in dieser Zeit vervielfacht hat. Der Grund liegt auf der Hand: Im Fahrzeugbau wird modernste Technik in Massenfertigung eingesetzt. Im übrigen arbeiten im Maschinenbau oder im deutschen inländischen Tourismusgewerbe jeweils deutlich mehr Menschen als in der Autoindustrie; in der deutschen Fahrradbranche (Fertigung plus Reparatur und Handel) sind mehr Menschen als bei GM/Opel beschäftigt.
Eine alternative Verkehrspolitik ist, wenn sie überzeugend ausgearbeitet wird, mehrheitsfähig. Das zeigen bereits heute Teilaspekte dieser Alternative: Mehr als 75 Prozent der BRD-Bevölkerung wollen eine Bahn in öffentlichem Eigentum. Die Forderung nach einem allgemeinen Tempolimit wird von einer klaren Mehrheit unterstützt. Als sich die Delegierten des Hamburger SPD-Parteitags am 27. Oktober 2007 gegen den erklärten Willen der Parteiführung für ein Tempolimit aussprachen, erklärten noch am selben Tag Fraktionschef Peter Struck und die Pseudolinke Andrea Nahles, das sei „nicht durchsetzbar“. Beide haben sie recht. Die Autolobby verhindert seit einem Dreivierteljahrhundert die Durchsetzung dieses Mehrheitswillens.
Anmerkungen
1 LW, Band 22, Berlin 1974, S.280.
2 Dabei ist zu berücksichtigen, dass rund die Hälfte der chinesischen Autoindustrie durch joint ventures von den Autokonzernen Nordamerikas, Westeuropas und Japans kontrolliert werden.
3 Für die USA wurde umfassend dokumentiert, wie die Zerstörung der schienengebundenen Transportsysteme, vor allem derjenigen in den Städten, durch eine organisierte konspirative Arbeit der Autokonzerne GM, Ford und Chrysler und des Reifenherstellers Firestone bewerkstelligt wurde. Es handelt sich dabei nicht um Verschwörungstheorie, sondern um Verschwörungspraxis. Vgl. Winfried Wolf, Verkehr. Umwelt. Klima – Die Globalisierung des Tempowahns, Wien, 2007 (Promedia), S.126ff
4 2008 wurden in der tschechischen Autobranche 12 Milliarden Euro umgesetzt, in der slowakischen waren es 8,7 Milliarden Euro; letzteres entsprach 72 Prozent des Niveaus im größeren Nachbarland. In der Herstellerstatistik werden allerdings für Tschechien im selben Jahr 939 000 gefertigte Kfz genannt, für die Slowakei nur 571 000, was 61 Prozent entspricht. Die Differenz rührt vor allem daher, dass in der slowakischen Republik eine starke Motorenfertigung entstand, die jedoch überwiegend als Zulieferer für Werke in anderen Ländern fungieren.
5 Global 500, in: Fortune, USA, vom 25.8.2008.
6 Vgl. dazu umfassend: Winfried Wolf, Fusionsfieber Das große Fressen, Köln 200 (PapyRossa). Auch in. W. Wolf, Verkehr. Umwelt. Klima ..., a.a.O., S. 251ff.
7 Zitiert bei: Eugen Varga, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im vierten Quartal 1929, erstmals erschienen in Internationale Pressekorrespondenz am 3.2.1930, hier nach. Eugen Varga, die Krise des Kapitalismus und ihre politischen Folgen, Frankfurt/M. 1969 (Europäische Verlagsanstalt – EVA), S.92f.
8 Vgl. Winfried Wolf, .... in: Marxistische Blätter 6/08
9 Angaben zu den Fertigungszahlen nach dem Internationalen Verband der Autohersteller OICA, November 2008.
10 Eine solche alternative Verkehrs- und Transportpolitik kann hier nur skizziert werden. Vgl. hierzu die „Sieben Tugenden einer alternativen Verkehrspolitik“ in W. Wolf, Verkehr. Umwelt. Klima – Die Globalisierung des Tempowahns, Wien 2007, S.372-395.
Zur aktuellen Krise in der Autobranche erschien vom Autor ein erster Artikel in der Tageszeitung junge Welt und ein weiterer in Konkret, Januar 2009. Eine weitere Veröffentlichung aus jüngster Zeit: Verkehr. Umwelt. Klima – Die Globalisierung des Tempowahns, Wien 2007 (Promedia).