Nächste Woche erscheint eine neue Ausgabe von marx21. Vorab Auszüge aus einem Gespräch mit Noam Chomsky über den neuen US-Präsidenten Barack Obama
"Ich würde nicht zu viel erwarten"marx21: Noam, in erster Linie haben arme und junge Menschen Obama ihre Stimme gegeben, doch seine Wahlkampagne wurde massiv von Großkonzernen und der Wall Street finanziert. Warum unterstützen diese einen eher linken Kandidaten?
Noam Chomsky: Die Großkonzerne, vor allem aber die Wall Street, sind der Meinung, dass Obama ihre Interessen am besten vertritt. Er wird sie nicht enttäuschen:Der Mann seiner Wahl für das Team von wirtschaftspolitischen Beratern ist
Robert Rubin, Bill Clintons ehemaliger Finanzminister. Es war Rubin, der die
Beseitigung des Glass-Steagall-Gesetzes aus der Zeit des New Deal durchboxte.
Das Gesetz sollte Banken mehr Sicherheit gewähren und sie vor riskanten
Spekulationen schützen, indem es die Trennung zwischen Geschäftsbanken
einerseits und Investmentbanken, Versicherung oder ähnlichem anderseits
vorschrieb. Es abzuschaffen hat die derzeitige Finanzkrise mitverschuldet.
Nachdem die Gesetzesänderung durchgesetzt worden war, verließ Rubin die
Regierung und wurde Direktor der Citigroup. Unmittelbar darauf kaufte diese mit
großem Gewinn Versicherungsgesellschaften auf. Rubin blieb auf seinem Posten
bis die Citigroup zusammenbrach. Erst kürzlich trat er zurück. Die Bank wurde
mit einem riesigen staatlichen Rettungspaket bedacht, das sie dazu verwendete,
all den Ballast, den Rubin ihr aufgebürdet hatte, wieder loszuwerden. Dieser
Rubin berät nun den Präsidenten in Wirtschaftsfragen.
Obamas erste Wahl als Stabschef des Weißen Hauses, ein sehr wichtiger
Posten, ist Rahm Emanuel, einer der eifrigsten Verfechter des Irakkriegs im
US-amerikanischen Kongress. Emanuels Wurzeln liegen ebenfalls im Investmentbanking - ich vermute, dass er von der Finanzwelt mehr Gelder bekommt als irgendein anderes Kongressmitglied. Wir können also sicher sein, dass die Interessen der Finanzindustrie, Obamas wichtigstem Sponsor, gut vertreten werden.
Viele Menschen, die von der Wirtschaftskrise akut bedroht sind, hoffen dennoch, dass Obama ihnen helfen wird. Kann der neue amerikanische Präsident beiden dienen, den unteren Schichten und der Geschäftswelt?
Jeder ist sich der Tiefe der Finanzkrise bewusst. Ökonomen aller
Couleur sind sich darin einig, dass es einer Staatsintervention
außerordentlichen Ausmaßes bedarf, um das Finanzsystem zu retten. Die
Großbanken haben in Gestalt der Regierung sozusagen ihre eigene private
Versicherung. Sie trägt den Namen „too big to fail" („zu groß, um
fallengelassen zu werden"). Citigroup, die etliche Male in eine bedrohliche
Schieflage geraten ist, hat immer gewusst, dass sie auf staatliche Hilfe zählen
kann. Sogar die Reagan-Regierung griff ihr unter die Arme. Diese Sicherheit
verleiht den Großbanken einen Wettbewerbsvorteil vor ihren Konkurrenten. Sie
können risikoreiche Geschäfte tätigen, weil sie sich darauf verlassen können,
dass ihnen die Regierung zu Hilfe eilen wird, wenn etwas schief läuft. Das
erleben wir momentan. Ein Ende dieser milliardenschweren Rettungspakete ist
nicht in Sicht. Ist das gut für das Land? Wohl kaum.
Interessant ist, zu beobachten, dass die Krisenintervention der
reichen Länder, der USA und ihrer Verbündeten, im krassen Widerspruch zu jener
Politik steht, die sie stets von den armen Ländern einfordern. Der Internationale Währungsfonds verordnet ihnen Kürzungen der Staatsausgaben,
Zinserhöhungen und Privatisierungen - mit wahrhaft katastrophalen Folgen. Sich
selbst verordnen sie das genaue Gegenteil: massive Staatsausgaben,
Zinssenkungen und die Verstaatlichung von in Not geratenen Unternehmen. So
sorgen die Reichen für sich selbst - das ist die Fortsetzung der Geschichte des
Imperialismus. Die reichen Länder greifen auf üppige Staatshilfen zurück, um
die Wirtschaft zu stützen, während den armen Ländern ein neoliberaler Kurs, wie
es heute so schön heißt, aufgezwungen wird.
Um auf die Armen in den USA zurückzukommen: Wahrscheinlich werden auch sie etwas abbekommen, aber nicht viel. Sehen wir uns beispielsweise die Immobilienkrise an. Der jetzt eingeschlagene Weg sieht Gelder für die Banken und Zwangsenteignungen für zahlungsunfähige Hausbesitzer vor. Es ginge aber auch anders: Die Zwangsvollstreckungsgesetze könnten so geändert werden, dass die Menschen in ihren Häusern bleiben und Staatshilfen erhalten - so lange, bis
ihre finanzielle Lage es ihnen ermöglicht, ihre Hypothekenzahlungen wieder
aufzunehmen. Das wäre aus Regierungssicht sogar billiger und aus der Sicht der
Bevölkerung sowieso besser. Aber davon hätten die Reichen nichts, also wird es
nicht einmal in Erwägung gezogen. Das ist in allen Bereichen so.
Gebetsmühlenartig wird beteuert: „Wir müssen Arbeitsplätze sichern". Das ist
ein Euphemismus. Es gibt ein Wort mit sieben Buchstaben, ein wirklich obszönes
Wort, das man nicht aussprechen darf. „Profite" heißt es. Keiner nimmt dieses
Wort in den Mund. Also redet man davon, „Jobs" zu retten - und meint doch
eigentlich „Profite". Wenn sie Jobs abbauen, dann tun sie das, um Jobs zu
retten. Vielleicht wird die Obama-Regierung geringfügig andere Akzente als ihre
Vorgängerin setzen, aber ich würde nicht zu viel erwarten.
(Das Gespräch führte Stefan Bornost)
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