Der neue US-Präsident hat seine Strategie für Afghanistan und Pakistan vorgestellt - und die schlimmsten Befürchtungen bestätigt, meint Irmgard Wurdack.
Der neue US-Präsident hat seine
Strategie für Afghanistan und Pakistan vorgestellt - und die
schlimmsten Befürchtungen bestätigt, meint Irmgard Wurdack.
Barack Obama versuchte gar nicht erst, die Situation zu beschönigen.
»Wir sind nicht dabei, den Krieg in Afghanistan zu gewinnen«, erklärte
der US-Präsident gleich zu Beginn der Konferenz, auf der er seine neue
Strategie für die Region vorstellte. Die Einzelheiten dieser Strategie
ergeben ein düsteres Bild. Zehntausende zusätzliche US-Soldaten sollen
in den geschundenen Süden des Landes geschickt, die afghanische Armee
von 65.000 auf 230.000 Soldaten aufgestockt und der Krieg nach Pakistan
ausgedehnt werden.
Dieses Vorgehen ist nahezu eine Kopie dessen, was die USA bereits
2006/07 im Irak gemacht haben. Damals wurden 30.000 zusätzliche
US-Soldaten rund um Bagdad in den Straßenkampf geschickt und, wichtiger
noch, eine ganze Reihe von Sunniten-Führern durch Bestechung und das
Versprechen auf Machtbeteiligung dazu gebracht, ihre Leute als
Hilfstruppen zur Verfügung zu stellen. So halfen schließlich über
100.000 von der US-Armee bezahlte Milizionäre der US-Armee den
Widerstand gegen die Besatzung zu unterdrücken.
Die dadurch erreichte relative Stabilität ist äußerst zerbrechlich.
Anfang April läuft die Finanzierung der Milizen durch die US-Armee aus
- die irakische Regierung soll nun die Zahlungen übernehmen. Diese
weigert sich jedoch: Zum einen weil ihr durch den sinkenden Ölpreis das
Geld fehlt, zum anderen weil sie in den Milizen eine potenzielle
Bedrohung sieht. Erste Gefechte zwischen Regierungstruppen und den
Milizen bei Entwaffnungsaktionen in den Vororten Bagdads sind Ausdruck
dieser Spannungen.
Selbst wenn das Zweckbündnis zwischen US-Armee und sunnitischen Milizen
im Irak halten sollte, ist höchst zweifelhaft, ob sich diese Strategie
auf Afghanistan übertragen lässt. Die Sunniten-Führer im Irak haben die
Seiten gewechselt, weil sie zuvor den Bürgerkrieg gegen jene
schiitischen Gruppen verloren hatten, die in der von den USA
unterstützten Regierung saßen. Todesschwadronen militanter schiitischer
Gruppen töteten und vertrieben Tausende aus sunnitischen Vorstädten. In
dieser Situation tauschten sunnitische Führer den Widerstand gegen
Schutz, Waffen und Dollar.
In Afghanistan gibt es hingegen für die Taliban und die anderen
Widerstandsgruppen keinen offensichtlichen Grund, sich der Besatzung
oder der Regierung von Hamid Karzai zu beugen. Zwar fügen die weitaus
besser ausgestatteten NATO-Kräfte den Taliban erhebliche Verluste zu.
Dennoch ist deren strategische Position besser denn je - wie die
verheerenden Angriffe auf die westlichen Truppen und alle
Frontkommandeur-Berichte zeigen. Aufgrund der massiven Probleme erhöhen
die Amerikaner den Druck auf die anderen NATO-Staaten: »USA schwören
Verbündete auf blutige Afghanistan-Offensive ein«, titelte Spiegel
online Ende März im Hinblick auf die Tagung des Bündnisses in Straßburg.
Auch die politischen Änderungen in Obamas Strategie stellen keine
Verbesserung dar. Der US-Präsident plant, Afghanistan einen »Chief
Executive« - zu deutsch: Generalbevollmächtigten - nach kolonialer Art
aufzuzwingen. Diese Person soll dann »neben« Hamid Karzai regieren. Die
Aufgabe dieses von den USA ernannten Generalbevollmächtigten wird darin
bestehen, die Macht des afghanischen Präsidenten zu beschneiden.
Mohammed Hanif Atmar, derzeitiger Innenminister und ehemaliger
Geheimdienstoffizier während der sowjetischen Besetzung Afghanistans,
wird als die Person gehandelt, die diese Rolle spielen soll. Karzai,
der von George W. Bushs Regierung nach dem Einmarsch der USA im Jahr
2001 eingesetzt worden war, hat auf diese Enthüllungen schon scharf
reagiert. Er erklärte, dass "Afghanistan niemals ein Marionettenstaat
sein wird".
Die USA haben die Geduld mit ihrem ehemaligen Verbündeten verloren. Sie
beschuldigen Karzai, Korruption und Drogenproduktion zu dulden - was
zwar beides stimmt, aber nicht neu ist. Viele Afghanen betrachten
Obamas Schritt hingegen als Versuch, Karzais Pläne für eine Versöhnung
mit dem Widerstand, einschließlich teilweise der Taliban, zu
durchkreuzen.
Nach den amerikanischen Plänen sollen alle Ressourcen direkt zu den
Provinzen gelenkt werden und nicht über die Zentralregierung. Auf diese
Weise wird das Land faktisch geteilt, indem die Macht der regionalen
Kriegsherren und der Führer ethnischer Gruppen gestärkt wird. Zugleich
sind die Vergabekriterien für die zur Verfügung gestellten Mittel so
strikt, dass das Geld in den meisten Fällen zurück an westliche
Konzerne fließen wird. Eine ähnliche Maßnahme, noch von der
Bush-Regierung eingeführt, führte vor allem zu Korruption unter diesen
Firmen. Viele Projekte wurden nie umgesetzt oder in so schlechter
Qualität realisiert, dass sie keinen Nutzen für die afghanische
Bevölkerung hatten. Die Unternehmen konnten dabei Milliarden Dollar
einstreichen.
Beunruhigend ist auch die nun offiziell erklärte Ausweitung des Krieges
auf Pakistan. Obama nennt seine Strategie "AfPak" - als Zeichen dafür,
dass er Afghanistan und Pakistan als ein Kriegsgebiet ansieht. Seit
August haben die USA 38 Raketenangriffe auf pakistanisches Territorium
verübt. Zudem habe sie zum ersten Mal islamistische Milizen attackiert,
die nichts mit den Kämpfen in Afghanistan zu tun haben.
Inzwischen lautet ein Standardargument der US-Regierung, dass die
Vernichtung der "Rückzugsgebiete" der Taliban in Pakistan eine
entscheidende Voraussetzung für den Sieg über die Aufständischen in
Afghanistan sei. Und dafür sei nötig, dass die pakistanische Regierung
»mehr tut«.
Doch genau dieses "mehr tun" ist eine zentrale Quelle der Instabilität
in Pakistan. Unter dem Druck Washingtons führt das pakistanische
Militär seit Jahren offensive Operationen in den traditionell autonomen
»zentral verwalteten Stammesgebieten« (FATA) im Norden des Landes
durch, beschießt Dörfer, lässt angebliche Gegner der amerikanischen
Besatzung Afghanistans »verschwinden« und verhängt im Stile einer
Kolonialmacht Kollektivstrafen gegen »nicht kooperationswillige«
Stämme. In den letzten sechs Monaten wurden diese militärischen
Operationen noch verschärft.
Anfang des Monats gab das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen
bekannt, dass die Kämpfe im Norden Pakistans 450.000 Menschen zu
Flüchtlingen gemacht hätten. Die Behörde äußerte die Befürchtung,
innerhalb weniger Wochen könnte die Zahl auf 600.000 steigen. Selbst
Richard Holbrooke, Obamas Sonderbeauftragte für Pakistan und
Afghanistan, sagte im staatlichen Fernsehsender PBS, er habe auf seinen
Flügen über die FATA »platt gemachte Dörfer« gesehen.
Doch Washington übt starken Druck auf seine pakistanischen Verbündeten
aus, noch rücksichtsloser vorzugehen, selbst wenn das den Zorn der
Bevölkerung gegen die Regierung weiter anzuheizen und das Militär zu
spalten droht. Dieses rekrutiert einen erheblichen Teil seines
Personals aus dem paschtunischen Bevölkerungsteil. Die Paschtunen haben
in Afghanistan am meisten unter der amerikanischen Besetzung gelitten.
Auch in Pakistan sind sie die Hauptleidtragenden der Angriffe auf die
FATA.
Angesichts der schon jetzt bestehenden Gegensätze in der pakistanischen
Gesellschaft ist davon auszugehen, dass Obamas Strategie keineswegs zu
Frieden in der Region führen wird. Vielmehr wird die Instabilität
zunehmen.
Zur Autorin:
Irmgard Wurdack ist Mitglied im Bezirksvorstand der LINKEN.Berlin-Neukölln.
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