Die Lehnitzsee-Konferenz

Der Vorgang ist ungeheuerlich. Da treffen sich am 25. November 2023 im „Landhaus Adlon“ am Neufahrländer Lehnitzsee vor den Toren Berlins einige Herrschaften, um das Wochenende miteinander zu verbringen. Das ist zunächst nichts Verwerfliches, die Gegend hat auch an trüben Herbsttagen ihren Reiz.

Dass es sich um Leute handelt, die in ihren „Zusammenhängen“ einen gewissen Einfluss ausüben, ist in den Nobelherbergen rund um Potsdam auch nicht unüblich, hier allerdings nicht ganz ohne. Am 10. Januar 2024 hat das unabhängige Medienhaus CORRECTIV das Treiben und die Protagonisten öffentlich gemacht. Von der AfD-Bundesspitze erschien ein gewisser Roland Hartwig. Hartwig agiert als „rechte Hand“ der Parteivorsitzenden Alice Weidel. Die hat natürlich von allem nichts gewusst. Gerrit Huy sitzt für die Partei im Deutschen Bundestag. Frau MdB Huy trat vor rund sieben Jahren in die AfD ein und brachte nach eigener Aussage sozusagen als „Morgengabe“ einen „Remigrationsplan“ mit. Ulrich Siegmund ist Fraktionsvorsitzender im Landtag von Sachsen-Anhalt, Tim Krause stellvertretender Kreisvorsitzender in Potsdam. Der gibt sich übrigens gerne als Schöngeist. Für seine Homepage ließ er sich vor der Akademie der Künste fotografieren. Dazu kamen ein ehemaliges Mitglied des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Simone Baum und Michaela Schneider von der WerteUnion der CDU aus Nordrhein-Westfalen waren natürlich rein privat anwesend. WerteUnion? Da war doch was … Will aus der nicht ein gewisser Hans-Georg Maaßen eine neue Rechts-Partei basteln? Auch eine gewisse Silke Schröder, Vorstand im Verein Deutsche Sprache, interessierte sich sicher nur für neue Ideen zwecks Reinhaltung der deutschen Sprache. „Deutscher, sprich deutsch!“ So hieß das einmal, bevor uns der Führer den Krieg vermasselte. Harmlose Irre? Wer das tatsächlich glaubt, sollte zu Victor Klemperers „LTI“ greifen. Das mit der Sprache ist nur der Anfang …

Und Alexander von Bismarck, ein Nachfahre des „Eisernen Kanzlers“, wird ganz sicher ebenso naiv in die Sache reingerutscht sein wie einstmals Heinrich XXIII. Prinz Reuß, dem böse Menschen partout Putschpläne in die Schuhe schieben wollen. Der verhinderte Reichsverweser konnte an diesem Treffen aber „aus Gründen“ nicht teilnehmen.

Spannend sind die Organisatoren. Miteigentümerin des „Landhaus Adlon“ ist Mathilda Martina Huss, eine kreative Netzwerkerin der Neuen Rechten. 2021erwarb sie Schloss Reinsberg in der Nähe von Freiberg/Sachsen. Sie wolle aus dem verfallenden Bau ein wissenschaftliches Tagungszentrum mit Hotel machen, verkündete sie im Frühjahr 2023 der erfreuten Einwohnerschaft. Die hatte zuvor erfolgreich einen Ankauf der Immobilie durch die Identitären gestoppt. Ihr Potsdamer Partner Wilhelm Wilderink weiß von nichts. Sagt er jedenfalls. Als Einlader fungierte ein inzwischen im Ruhestand befindlicher Zahnarzt aus Düsseldorf, Gernot Mörig. Der Mann hat eine Geschichte: In den 1970er Jahren war er beim „Bund Heimattreue Jugend“ und einer späteren rechtsextremen Abspaltung aktiv. Aus dem „Bund“ selbst – aus seinem Umfeld kamen u.a. der 1987 verurteilte Rechtsterrorist Odfried Hepp und ein Waffendepot-Anleger aus der Lüneburger Heide – erwuchs der heutige „Freibund e.V.“. Der „Freibund“ macht Kinder- und Jugendarbeit, „deutsche“ natürlich. Götz Kubitschek – Inhaber des Antaios-Verlages und Schlüsselfigur der rechtsextremen Szene – samt Gattin Ellen Kositza aus Schnellroda sind hier aktiv.

Diese Leute sind hervorragend vernetzt. Bruno Apitz schildert in „Nackt unter Wölfen“ die Strategie die Buchenwalder Widerständler: Ein festes Netz knüpfen und es dann absenken, unsichtbar machen. Die haben Apitz gelesen. Die Linken haben ihn weggeschmissen. Das rechte Netz ist offenbar tatsächlich ziemlich rissfest. Auch vermeintliche „Ausrutscher“ wie der aufgeflogene Mordfeldzug des NSU, der einen Angriffspunkt zum konsequenten Ausräuchern dieser Szene geboten hätte, richteten keinen größeren Schaden an. Man distanzierte sich, orientierte sich programmatisch ein wenig auf „zivilisiert“ um, schaltete einige „Kameraden“ ab – und wartete. Man wusste, die nächste Krise des verabscheuten Staatswesens kommt mit Sicherheit. Man weiß sehr wohl, dass das immer handlungsunfähiger werdende bürgerliche politische Lager leicht zu unterwandern ist. Eine sich selbst zerlegende Linke kommt katalytisch wirkend dazu.

Die Krise ist da. Das Vertrauen des Volks in seine „politische Klasse“ tendiert gegen Null. Viele Jahre stritten die deutschen Historiker, ob das mit den Nazis 1933 eher eine Machtübergabe oder eine Übernahme war. Die Politik hat aus dieser Debatte kaum belastbare Schlüsse gezogen. Es riecht heute eher nach „Übernahme“.

Eine Regierungsübernahme durch die AfD in Thüringen und Sachsen im Herbst 2024 jedenfalls ist in den Bereich des Möglichen geraten. In Brandenburg ist das noch unklar. Einen Tag, nachdem Civey um den Jahreswechsel der sächsischen SPD 3,0 % prognostizierte, forderte Saskia Esken zum AfD-Verbot auf. Die AfD erzielte bei derselben Umfrage 37,0 %. Eskens Idee wäre der beste Weg, die Weigel-Chrupalla-Truppe Richtung 40 % (in Sachsen jedenfalls) zu treiben. Schon jetzt bestünde die einzige stabile Koalitionsvariante jenseits der AfD in beiden ostdeutschen Freistaaten nur in einem Zusammengehen von CDU und Linkspartei (mit möglichen Kleinstfraktionen der anderen drei). Und keiner weiß, wie sich Sahra Wagenknechts politische Neuschöpfung auf das Kräfteverhältnis vor Ort auswirken wird.

Drei Dinge sind allerdings gewiss: Wenn nicht ein sofortiges Umsteuern in der Regierungspolitik dieses Landes erfolgt, droht noch in diesem Jahr eine politische Krise sondergleichen. In den Umfragen liegt die CDU vorn. Allerdings beträgt ihr Vorsprung – nicht zur SPD, die liegt abgeschlagen auf Platz drei der Wählergunst – nach der Yougov-Umfrage vom 11. Januar zur AfD nur noch fünf Prozentpunkte. Hier dämmert die Stunde der Rechtsextremen auf. Und wer glaubt, man könne mit denen trefflich „Druck auf die da oben“ machen, die wären ja leicht wieder abzuwählen, ist auf dem Holzweg. Gewiss ist auch, wenn diese Leute erst einmal an den Hebeln der Macht sitzen, gehen die da nicht wieder freiwilllig weg.

„Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. […] Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren. […] Wir kommen nicht als Freunde, auch nicht als Neutrale. Wir kommen als Feinde! Wie der Wolf in die Schafherde einbricht, so kommen wir.“ Das erklärte Joseph Goebbels 1928 im Angriff. Gottfried Küssel, Zentralfigur der österreichischen Nazi-Szene, stand 1993 vor dem Wiener Landesgericht. In einem bei diesem Prozess vorgeführten Video erklärt er: „Wir werden diesen Staat zertrümmern.“ Damals zu elf Jahren Haft verurteilt, kam Küssel bereits 1999 „wegen guter Führung“ wieder frei. Immerhin verweigert ihm die Stadt Wien derzeit noch einen Reisepass.

Zu Küssels politischen Ziehkindern gehört Martin Sellner. Sellner war von 2015 bis 2023 Sprecher der Identitären Bewegung Österreich. Auf der Lehnitzsee-Konferenz war er Stargast. CORRECTIV zitiert ihn mit der Idee, die „Remigration“ aus Deutschland – diese Leute denken übrigens in großdeutschen Dimensionen – in Richtung eines „Musterstaates in Nordafrika“ zu befördern. „Und alle, die sich für Geflüchtete einsetzen, könnten auch dorthin“, soll es aus dem Landhaus gedröhnt haben. Das ist die unverhohlene Wiederaufnahme des „Madagaskar-Planes“ der Nazis. Ganz ernst zu nehmen war der wahrscheinlich nie. Die Historiker Eberhard Jäckel und Götz Aly stuften ihn zu Recht als bloßes Feigenblatt ein. Das ist der dritte Punkt: Diese Leute verfügen inzwischen über sehr konkrete Vorstellungen, wie sie im Fall des Falles ihre bösartigen Ideen umsetzen wollen.

Die Demokraten dieser Republik verfügen darüber nicht. Überzeugende alternative Politikangebote zur „Alternative“? Fehlanzeige! Daniel Bax stellte am 11. Januar in der taz fest, dass es „das erklärte Ziel von Martin Sellner und Götz Kubitschek“ gewesen sei, den Begriff der „Remigration“ „in die Debatte einzubringen und damit die Grenzen des Sagbaren zu verschieben, um ihn gesellschaftsfähig zu machen. Das ist ihnen gelungen.“ Allerdings warb schon im bayerischen Landtagswahlkampf 2023 die AfD mit dem Slogan „Remigration statt Massenmigration!“ Solche Sprüche wuchteten die Partei in Bayern auf Platz drei.

Die Lehnitzsee-Konferenz debattierte nicht mehr das Was. Ähnlich wie auf dem Treffen vom 20. Januar 1942 am Großen Wannsee ging es eigentlich nur noch um das Wie. AfD-MdB René Springer teilte am 10. Januar auf der Plattform X mit: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein # Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“

Wie lange will sich diese Republik noch von Leuten, die sie abschaffen wollen, auf der Nase herumtanzen lassen?