Hunderttausende gehen dieser Tage auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus und die Alternative für Deutschland (AfD), für die Verteidigung der Demokratie zu demonstrieren. Ausgelöst wurden die Proteste durch den Bericht des investigativen Recherchezentrums Correctiv über ein Potsdamer Treffen von Rechtsextremen aus AfD, CDU und Werteunion im November 2023. In Anwesenheit des aus Österreich kommenden Martin Sellner, der als einer der Begründer der „Identitären Bewegung“ gilt, sei es unter anderem um massenhafte „Remigration“ auch von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund gegangen. Die Geschichte – Titel: „Geheimplan gegen Deutschland“ (siehe Blättchen 2/2024) – wurde durch die Medien weit verbreitet und sorgte bundesweit für Entrüstung und berechtigte Empörung.
Mit der Übernahme des Berichts wurde meist die Selbstdarstellung von Correctiv übernommen, wonach es eine „unabhängige“ Medieneinrichtung sei. Unabhängig? Die NachDenkSeiten – rechter Umtriebe gewiss unverdächtig – haben 2022 einen „Faktencheck der Faktenchecker“ publiziert, in dem sie Correctiv „fragwürdige Finanzierung und Zertifizierung“ attestierten. Die bei Wikipedia auffindbaren Angaben bestätigen das. Gründer von Correctiv ist David Schraven, zuvor Chef des Recherche-Ressorts der Funke-Mediengruppe (bis 2013 der international tätige Medienkonzern WAZ – Westdeutsche Allgemeine Zeitung). Die Tätigkeit von Correctiv begann praktisch im Sommer 2014. Die Anschubfinanzierung in Höhe von drei Millionen Euro kam von der Brost-Stiftung; die Familie Brost war bis 2013 Eigentümerin der WAZ-Gruppe, Anneliese Brost hatte die Stiftung ins Leben gerufen. Die Hamburger Zeit schrieb dazu: „So finanziert ausgerechnet die langjährige Chefin des westfälischen Zeitungskonzerns, Anneliese Brost, ein Projekt, das den redaktionellen Verkündungsjournalismus früherer Tage auf eine neue Ebene hieven soll.“
Noch 2017 war die Brost-Stiftung der mit Abstand größte Einzelspender von Correctiv. Hinzu gekommen waren der „Digital News Innovation Fund“ von Google sowie Facebook und die „Open Society Foundation“ des US-amerikanischen Multimilliardärs George Soros. Ab 2018 war neuer Großspender der französisch-US-amerikanische Milliardär Pierre Omidyar, der sein Geld als Gründer und Chef von eBay sowie mit Beteiligungen an PayPal gemacht hatte, mit seinen Stiftungen „Omidyar Network Foundation“ und „Luminate“. Zu den Finanziers von Correctiv gehören darüber hinaus staatliche oder staatsnahe Einrichtungen wie die Bundeszentrale für politische Bildung, die NRW-Staatskanzlei, die Landesanstalt für Medien NRW und die Deutsche Telekom.
Die NachDenkSeiten hatten auch recherchiert, wie sich Correctiv inhaltlich präsentiert. So hieß es stolz, es sei zertifiziert durch das „unabhängige International Fact Checking Network“ (IFCN) in Florida, das „weltweit führend in der Forschung zu Desinformation“ sei. Das IFCN allerdings wird ebenfalls vom Omidyar-Netzwerk finanziert und darüber hinaus von der Stiftung des US-Milliardärs Charles Koch, der zu den Förderern der reaktionären Tea-Party-Bewegung gehörte, sowie der Open Society Stiftung von George Soros. Zudem wird das IFCN durch das „National Endowment for Democracy“ (NED) gefördert, eine Vorfeldorganisation der US-Außenpolitik. Diese Stiftung, 1983 während der Reagan-Regierung durch den Kongress gegründet, wird nach wie vor in erheblichem Maße aus dem Haushalt des Außenministeriums finanziert. Sie dient der Weitergabe staatlicher Mittel an ausländische Organisationen durch einen privatrechtlich organisierten Dritten. Als Aufgabe des NED gilt die „Förderung demokratischer Verhältnisse“ weltweit, praktisch in über 90 Ländern. Tatsächlich geht es um die Durchsetzung einer den USA und ihrer jeweiligen Regierung gegenüber folgsamen Politik.
Die NachDenkSeiten veröffentlichten im Juli 2022 einen kritischen Bericht zur Amtsenthebung der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten durch die Selenski-Administration. Das nahm Correctiv zum Anlass, den NachDenkSeiten zu unterstellen, sie folgten der russischen Propaganda, seien eine „für Desinformation bekannte Webseite“ und Verbreiter „russischer Narrative“. Die so Verrufenen kommentierten den Vorgang ironisch: „Als Correctiv-Faktenchecker hat man es nicht leicht, gerade im beginnenden Sommerloch. Man ist krampfhaft gezwungen, permanent Faktenchecks zu produzieren, denn man muss ja irgendwie die Existenz des ‚Recherchezentrums‘ und den damit verbundenen, recht gut bezahlten Job als ‚Faktenchecker‘ rechtfertigen, insbesondere gegenüber dem derzeitigen Hauptsponsor von Correctiv, dem US-Multimilliardär Pierre Omidyar.“
Folgt man einer solchen Lesart (auch ohne Sommerloch), so hat es Correctiv jetzt immerhin geschafft, weithin bekannt zu sein und überall zitiert zu werden. Darüber hinaus sind drei Punkte bemerkenswert. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hatte bereits vor einiger Zeit gefordert, die AfD zu verbieten. Verschiedene Politiker folgten dem. Demgegenüber äußerte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einem Verbotsverfahren gegenüber skeptisch, die Politiker sollten besser die aktuellen Probleme des Landes lösen. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält einen Verbotsantrag gegen die AfD derzeit für falsch. „Das würde der AfD nur in die Hände spielen.“ Der neue Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Michael Stübgen (Brandenburg, CDU), zeigte sich gleichfalls skeptisch: Für ein Parteiverbot gebe es hohe rechtliche Hürden.
Zu einer der ersten größeren Demonstrationen gegen Rechtsextremisten und AfD (die das Treffen am Lehnitzsee und die dort erörterten Pläne erklärlicherweise zu bagatellisieren versucht) hatte Potsdams SPD-Bürgermeister Mike Schubert am 14. Januar aufgerufen; gekommen waren etwa 10.000 Menschen. SPD-Kanzler Olaf Scholz, der in Potsdam wohnt, und Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen ließen sich ebenfalls sehen. Das zeugte von der Mobilisierungsfähigkeit von SPD und Grünen, trotz ihres Umfragetiefs. Zugleich signalisierte es einen Tag vor der großen Abschlusskundgebung der Bauern-Proteste in Berlin, der Kanzler sei handlungsfähig. Wenn schon nicht in der Realpolitik, so doch wenigstens im „Kampf gegen Rechts“.
Von einem Rückschlag für die AfD kann indes kaum die Rede sein – unter der Voraussetzung, dass das beigebrachte Material keine neue Grundlage für ein ernsthaftes Verbotsverfahren hergibt. Der Politologe Karl-Rudolf Korte zählt zu den möglichen Auswirkungen der Demonstrationen auch eine „Verhärtung mit Trotz-Wählern im radikalen Lager“. Gemäß statista.com stellt das Thema „Ausländer/Zuwanderung/Flüchtlinge“ für 26 Prozent der Befragten das derzeit wichtigste Problem dar (Zahlen vom 12. Januar). Geht man davon aus, dass nach allem, was man seit über 100 Jahren über Reklame und Propaganda weiß, auch negative Propaganda eben Propaganda ist, so haben alle Berichte über die Correctiv-Mitteilung auch dem letzten Hörer oder Leser mitgeteilt, dass die AfD gegen weitere Zuwanderung und für eine restriktive „Remigration“ ist – und zwar unabhängig davon, ob bei dem Potsdamer Treffen die Grenze der Verfassungsfeindlichkeit überschritten wurde oder nicht. Einen drastischen Rückschlag in den Umfragewerten für die AfD hat es bisher jedenfalls nicht gegeben. In diesem Sinne scheint es am Ende gar eine Win-Win-Situation: für Correctiv, die Ampel-Regierung und die AfD.