Die derzeitige Ampelregierung erklärte sich bei ihrem Antreten 2021 zu einem „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“. Nicht lange dauerte es, da entpuppte sie sich als „schlechteste Regierung, die die Bundesrepublik je hatte“ (Sahra Wagenknecht). Ressorts sind mit Ministern besetzt, denen eine entsprechende Fachkompetenz fehlt, etlichen auch die Kenntnis der juristischen Voraussetzungen für ein Regierungshandeln; der Regierung ermangelt es an Verständnis für die Lage und die Nöte der Bevölkerung. Ein Mangel an politischem Stil kommt hinzu, Moralpredigten und verbohrte Besserwisserei sollen das politische Argument ersetzen.
Die gleichzeitigen Proteste der Bauern, der Streiks der Lokführer, Streiks von Haus- und Fachärzten, die weiterhin offenen Auseinandersetzungen um die Bezahlung von Krankenhaus- und Pflegepersonal weisen darauf hin, dass wir auf eine Destabilisierung der inneren Verhältnisse des Landes zulaufen. Die Außenpolitik ist die Fortsetzung der verkorksten Innenpolitik mit anderen Mitteln: dem großmäuligen Belehren von China, der Türkei, Ungarn und anderen sowie der „wertegeleiteten“ Verurteilung des russischen Krieges in der Ukraine steht ein monatelanges auffälliges Schweigen zu den israelischen Kriegsverbrechen im Gaza-Streifen gegenüber. Das wurde erst spät durch verdruckste Ermahnungen an die rechte Netanjahu-Regierung ergänzt, die sich jedoch praktisch einen Teufel darum schert.
Meinungsumfragen sind stets „mit Vorsicht zu genießen“, deuten jedoch auf Positionierungen und Meinungstrends hin. Das Berliner Civey-Institut macht digitale Meinungs- und Marktforschung, auch zu zentralen politischen Themen. Am 9. Januar 2024 wurde nach dem „Verständnis“ für die aktuellen Proteste der Bauern, insbesondere durch Straßenblockaden gefragt. Das Ergebnis lautete: Ja, auf jeden Fall 57,5 %; eher ja 7,3 %; unentschieden 3,7 %; eher nein 10,8 %, Nein, auf keinen Fall 20,7 %. Das heißt, 64,8 % der Befragten haben Verständnis für die Bauern-Proteste.
Am 10. Januar wurde die Frage noch zugespitzter gestellt, nämlich ob der / die Befragte Verständnis für die Straßenblockaden bei den Protesten der Landwirte oder denen der „letzten Generation“ habe. Diese Frage ist besonders deshalb interessant, da seit Anbeginn der Klima-Kleber-Aktionen ein großer Teil der Journalisten diese positiv begleitet und kommentiert hat. Eine Umfrage unter Politikjournalisten (aus dem Jahre 2010) über deren Parteipräferenz ergab, dass nur 36,1 % „keine Partei“ bevorzugen, während 26,9 % eine Grünen-Präferenz haben, 15,5 % für die SPD, 9 % für die CDU/CSU, 7,4 % für die FDP und 4,2 % für die Linke. Das dürfte sich bis heute nicht grundlegend verändert, eher verstärkt haben und erklärt den aktivistischen Zeitgeist-Journalismus. Dem folgt die real existierende Bevölkerung nicht. Die Civey-Umfrage nach dem Verständnis für die Straßenblockaden der Bauern oder der „letzten Generation“ ergab, dass 65 % Verständnis „eindeutig“ und 8,4 % „eher“ für die Bauern haben, zusammen 73,4 % oder drei Viertel der Befragten. 10,8 % hatten Verständnis für beide, das heißt auch für die Bauern, womit wir deutlich über 80 % wären. 9,6 % bekundeten Verständnis „eindeutig“ und 6,2 % „eher“ für die Klima-Kleber.
Nachdem die deutschen Bauernproteste dabei sind, französische Ausmaße anzunehmen, wird nach Gründen gefragt. Einer ist: Zu Zeiten von Helmut Schmidt gehörte zum Staatsverständnis, dass sich Deutschland (damals BRD) mit wichtigen Lebensmitteln, wie Getreide, Fleisch, hier wachsendem Gemüse und Obst selbst versorgt, und aus dem Ausland nur Zukäufe kommen, etwa bei Viehfutter und Südfrüchten, jedenfalls die Ernährungssicherheit der hiesigen Bevölkerung nicht von Importen abhängig sein soll. Die DDR hatte sich übrigens ebenfalls im Wesentlichen selbst versorgt, es waren nur weniger Devisen zum Zukauf von Bananen da. Insofern ist eine der relevanten Fragen, ob die Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln nicht ein zentrales Staatsziel sein sollte.
Hinzu kommt das Planungsproblem. Ein Bauernhof, der in der fünften oder neunten Generation weitergeführt werden soll, braucht Planungssicherheit. Das bedeutet, der Bauer, der „aufs Altenteil“ geht, hat den Hof weitgehend schuldenfrei gemacht, der Sohn oder der Übernehmende nimmt neue Kredite auf, um die Produktionsweise zu verändern und in neue Technik zu investieren. Die Kredite zahlt er in den 20 oder 25 Jahren ab, die er den Hof bewirtschaftet. Mit den Preisschwankungen im Detailhandel kann er auf mittlere Sicht leben, weil sich die guten und die schlechten Jahre in einem gewissen Durchschnitt ausgleichen. Wenn sich die staatlich verordneten Rahmenbedingungen für Tierhaltung, Umweltbedingungen, Treibstoff, Düngereinsatz jedoch immer unberechenbarer und schneller ändern, ist für den Bauern das Gesamtkonstrukt des Hofes und der Landwirtschaft nicht mehr beherrschbar.
Das betrifft ähnlich die Bauwirtschaft. Die Ampel-Regierung hatte zu ihrem Antritt großmäulig erklärt, dass hunderttausende Wohnungen errichtet werden sollten. Tatsächlich ist das Baugewerbe weitgehend eingebrochen, und zwar seit 2021. Die „Bundesanstalt für Immobilienaufgaben“ (BImA) teilte kürzlich mit, dass sie 3000 Wohnungen in Berlin baut, die in erster Linie den Bedarf von Bundesbediensteten decken sollen. Ziel sei es, günstig Wohnungen zur Verfügung zu stellen; der Mietpreis soll unter zehn Euro je Quadratmeter liegen – was bereits jetzt unter dem Niveau frei finanzierter Neubauwohnungen in Berlin liegt, Renditeerwartung sei nicht Ziel der BImA. Aber auch diese kritisiert die sich „beständig ändernden Anforderungen an den Wohnungsbau und die Stadtentwicklung“, die zu immer aufwendigeren, zeitintensiveren Planungs- und Abstimmungsprozessen führen und Realisierungsprozesse verzögern. Der zeitliche und personelle Aufwand, um Baugenehmigungen und Planungsrecht zu erhalten, belaste Kosten- und Zeitpläne „in einer nicht vorhersehbaren und einschätzbaren Weise“, zudem würden sich die ökologischen Standards und politischen Vorgaben auch während des Geschehens immer wieder ändern.
Insofern handelt es sich bei Habecks Heizungsgesetz, bei der Situation in der Bauwirtschaft und bei der Lage der Bauern überall um dasselbe Problem: Inkompetenz gepaart mit ideologischem Eifer. Die Bauern reagieren mit massiven Protesten auf der Straße, die Bauwirtschaft, indem sie das Bauen weitgehend eingestellt hat, obwohl Wohnungen dringend nötig sind, und die Bürger, die Opfer der Heizungsrestriktionen und anderer Einschränkungen sind, werden spätestens an den Wahlurnen antworten.
Die tiefe Kluft zwischen der Regierung und der Bevölkerung zeigt sich auch in den Umfragen zu außenpolitischen Themen. Civey fragte am 7. Januar, sehr vorsichtig formuliert: „Wie zufrieden sind Sie ganz allgemein mit den aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung bezüglich Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen (z.B. Energieknappheit)?“ Hier antworteten: sehr zufrieden 7,2 %, eher zufrieden 16,5 %; unentschieden 11,2 %; weniger zufrieden 13,8 % und gar nicht zufrieden 51,3 %. Das heißt 65,1 % oder zwei Drittel der Befragten kritisieren diese Maßnahmen, obwohl doch Politik und Medien seit fast zwei Jahren der Bevölkerung einzuhämmern versuchen, die Verteuerung der Energie sei alternativlos, um Russland in die Knie zu zwingen.
Noch interessanter ist eine Umfrage vom 8. Januar. Die Frage lautete, ob Deutschland „eine Führungsrolle bei der militärischen Unterstützung der Ukraine übernehmen“ sollte. Ja, auf jeden Fall antworteten 25,9 %, eher ja 8 %; unentschieden 5,2 %; eher nein 8,8 % und „nein, auf keinen Fall“ 52,1 %. Auch nach zwei Jahren Krieg ist die Mehrheit der Bevölkerung, über 60 %, gegen ein stärkeres militärisches Agieren Deutschlands an der Ostfront. Trotz aller Propaganda der vergangenen zwei Jahre.