Knapp gehalten

Hefteditorial iz3w 383 (März/April 2021)

Vergangenen Mai – zu einem Zeitpunkt, als es noch keinen Impfstoff gegen Covid-19 und noch keine aggressiven Covid-Mutanten gab – bezeichneten Angela Merkel und Emmanuel Macron einen möglichen Impfstoff gegen Corona als »globales öffentliches Gut«. Der Impfnationalismus war damals noch nicht en vogue. Inzwischen herrscht in den Medien Standortdenken vor: Haben »wir« uns die größtmögliche Menge vom knappen Gut gesichert?

Anfang Februar 2021 insistierten Aktivist*innen der BLM-Bewegung vor der Deutschen Botschaft in Südafrika auf das öffentliche Gut: #EndCovidEverywhere und #Vaccines4All. Denn die Vakzine sind, entgegen des Merkel-Macron-Versprechers vom Mai, mitnichten gleichermaßen zugänglich. Die Afrikanische Union hat sich bislang Lieferungen von rund 270 Millionen Impfdosen für dieses Jahr vertraglich gesichert, bei 1,27 Milliarden Einwohner*innen reicht das aber nur für drei Prozent der Bevölkerung. Zum Vergleich: Die EU mit nur 447 Millionen Einwohner*innen hatte bis Ende Januar 2,3 Milliarden Dosen bestellt.

     Das Paradox derzeitiger politischer Rhetorik: Die Spahns und von der Leyens wollen zeigen, alles fürs eigene Land getan und an alle anderen gedacht zu haben. Die mit zwanghafter Leidenschaft geführte Debatte um die Impfstoffverteilung fokussiert aktuell auf die »begrenzten Herstellungskapazitäten«. Zwar sind diese derzeit das Nadelöhr. Doch dass diese Kapazitäten begrenzt sind, ist keine schicksalhafte Laune der Natur, sondern die Folge von Versäumnissen. Der Mangel ist gemacht und droht noch verlängert zu werden.

Wesentlich ist die Frage, ob das Wissen um den Impfstoff und über die Verfahren seiner Massenproduktion verallgemeinert oder monopolisiert wird. Warum sollten die Pfizers oder AstraZenecas, die Johnsons und Modernas nicht bald in Nigeria, Mexiko und noch mehr Ländern vom Band gehen?

Ein Monopol auf die Herstellung wird am wirksamsten mit Patenten gesichert. Allerdings können die Mitgliedstaaten der WTO im Rahmen des TRIPS-Abkommens von ihrer Pflicht befreit werden, den Schutz bestimmter Patente durchzusetzen. Diese Ausnahme im Handelsrecht hat einen guten Grund: Das verbriefte Menschenrecht jeder Person auf das für sie erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit umfasst auch den Zugang zu essenziellen Medikamenten und Impfstoffen.

Indien und Südafrika hatten in der WTO beantragt, den Patentschutz auszusetzen, um Vakzine für die ärmsten Staaten finanzierbar zu machen. Die EU und die USA blockierten eine Lockerung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe. Auch Großbritannien, Norwegen, die Schweiz, Japan, Kanada und Australien lehnten den Antrag ab. Damit war erneut eine Chance vertan, dem Mangel an Impfdosen solidarisch zu begegnen und dem sonst gepriesenen Technologietransfer eine reale Chance zu bieten.

     Was es sehr wohl gibt, ist eine Goodwill-Initiative namens Covax. Das globale Hilfsprogramm firmiert seit April unter der Impfallianz Gavi, an der auch die WHO beteiligt ist. Covax soll den Zugang zum Impfstoff für alle ermöglichen. Das klingt gut. Werden Minister*innen oder EU Politiker*innen befragt, so verweisen sie nun reflexhaft auf die gute Covax-Fazilität. Aber Covax ist kein Rezept für Verteilungsgerechtigkeit.

Und zudem werden wieder einmal Kompetenzen, die es zur Aufbietung wirksamer Hilfe im Katastrophenfall braucht, im Pandemiefall die strategischen Denk- und genetischen Technikfabriken, recht exklusiv in den reichen Staaten vermutet und nicht inklusiv in jenen Ländern gefördert, die auf dem Entwicklungsindex das Mittelfeld oder die hinteren Ränge belegen. Eine weitere vertane Chance für den sonst so blumig gepriesenen Technologietransfer.

Umso vernünftiger, dass die Länder auf der Covax-Warteliste da lieber eigene Wege beschreiten. Kuba hat mit Soberana 02 einen Impfstoff entwickelt, der Phase II erfolgreich durchlaufen hat. Indien praktiziert Impfdiplomatie: Am 20. Januar kündigt das Außenhandelsministerium die Verschiffung des Impfstoffs Covishield nach Bhutan an, und als »Lieferung im Rahmen seiner Finanzhilfe« in eine Reihe von Nachbarländern. Die Malediven, Bangladesch, Nepal, Myanmar und die Seychellen werden die nächsten Begünstigten des im indischen Pune vom Fließband gehenden AstraZeneca-Impfstoffs sein.

Auf Anstoß des costa-ricanischen Präsidenten Carlos Alvarado Quesada wurde – für ein offenes Teilen von Wissen, Technologie und Patenten – der Covid-19 Technology Access Pool der WHO eingerichtet (C-TAP). Derzeit unterstützen 40 Regierungen die C-TAP Initiative. Doch die hängt fest. Blockiert wird sie vor allem von Ländern mit großen Pharmaunternehmen, darunter Deutschland. Dabei sagt Entwicklungsminister Müller, was passiert, wenn solidarisches Miteinander fehlt: »Das Virus kommt im nächsten Flieger zu uns zurück.« Apropos Flieger. Erste Medien berichten über einen sich anbahnenden Impftourismus für Wohlhabende mit dem richtigen Pass: Wer es sich leisten kann, holt sich seine Dosis in Dubai. Derweil bleibt die Auseindersetzung um den Patentschutz ein politisches Konfliktfeld, auf dem es um Menschenleben geht.

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