Eine zeitgeschichtliche Studie zum KPD-Verbot
Aggressiver Antikommunismus war die Staatsdokrin der frühen Bundesrepublik. Deutlichstes Zeichen dafür ist das (bis heute nicht aufgehobene) Verbot der KPD. Eine historische Aufarbeitung der damit verbundenen Repression ist bisher über bescheidene Anfänge nicht hinausgekommen. Immerhin ist nun eine umfangreiche zeitgeschichtliche Studie erschienen. Wilma Ruth Albrecht stellt Josef Foschepoth: "Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg"1 vor.
60 Jahre, zwei Generationen, mussten vergehen, bis auch die akademische Geschichtsschreibung in Deutschland die "erste wissenschaftliche Erforschung des KPD-Verbots" (467) vorlegte, in der konstatiert wird, dass das KPD-Verbot nicht rechtens, also illegal, war. Der Autor der Studie ist Jahrgang 1947 und seit 2005 außerplanmäßiger Professor für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg i.Br.
"Das Verfahren des Bundesverfassungsgerichts zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der KPD, das am 24. Januar 1952 begann und mit dem Verbot der Partei und aller ihrer Nebenorganisationen am 17. August 1956 endete, war ein durch und durch verfassungswidriges Verfahren. Der ganze Prozess ist von Anfang an zwischen der Bundesregierung und dem Bundesverfassungsgericht inhaltlich und taktisch zu Lasten der anderen Prozesspartei, der KPD, abgestimmt worden. Es gab in diesem Verfahren keine getrennten Gewalten mehr, sondern nur noch einen Staat, der unter dem Druck der Bundesregierung darauf bestand, dass die KPD verboten wurde." Seine Kernaussage beruht sowohl auf bekannten als auch auf "bislang unter Verschluss gehaltenen Dokumente[n] zum KPD-Prozess": "Die neuen historischen Dokumente stammen überwiegend aus Geheim-Archiven der Bundesregierung, die nur mit einer Sondererlaubnis aufgesucht werden konnten."(10)
Einige dieser Dokumente finden sich im Schlusskapitel "Die Quellen-Dokumentation. Neue historische Dokumente zum KPD-Prozess" (367-466).
In elf Kapiteln wird die "Geschichte des KPD-Verbots im Kalten Krieg" unter einem zugrunde liegenden "historisch vergleichenden und gegenüber der DDR beziehungsgeschichtlichen Ansatz" (17) dargestellt. Dieser beruht auf C. Kleßmanns zu Beginn des 21. Jahrhunderts skizziertem Konzept einer "asymmetrisch verflochtenen Parallel- und Kontrastgeschichte" beider 1949 gegründeten und bis 1990 real-existierenden deutschen Staaten: Seitdem soll deutsche "Nationalgeschichte" so neu wie einvernehmlich erzählt werden.
KPD als Milieupartei
Im 1. Kapitel "Die KPD. Kommunistische Milieupartei und SED-gesteuerte Kaderpartei" (1-50) zeichnet Foschepoth kurz die Herausbildung der KPD aus der SPD Ende 1918 nach, beschreibt den Bedeutungszuwachs der Kommunisten in der Weimarer Republik (1927: zehn verschiedene Gruppierungen, 1929: mit 17 Prozent größter Wahlerfolg), skizziert ihre verschiedenen Handlungsfelder mit je eigener Sub- und Gegenkultur, erinnert an die zweitstärkste Sektion der Komintern als internationale revolutionäre Bewegung, erwähnt die etwa 100.000 Opfer der Kommunisten in der Nazi-Diktatur und den politischen Strategiewechsel seit 1935 zu einer Politik der Einheitsfront- und Volksfrontbewegung, die auch die Nachkriegsentwicklung kennzeichnete.
Er kennzeichnet die KPD als eine in ihrem selbst geschaffenen kommunistischen Sozialmilieu verankerte Partei: "Charakteristisch für das kommunistische Milieu war eine enge Verbindung von Alltags- und Arbeitswelt, von bestimmten Stadtteilen und industriellen Großbetrieben, etwa der Kohle- und Stahlindustrie des Rhein-Ruhr-Gebietes, der Chemischen Industrie des Rhein-Neckar-Raumes oder der Schiffs- und Werftindustrie in Hamburg, Bremen, Rostock oder Kiel." (26) In diesem Milieu spielte die "kommunistische Familie eine besondere Rolle. Die Familie war das stabilisierende Rückgrat der Partei." (27) Sie federte die Betriebs-, Gewerkschafts- und regionale Parlamentstätigkeit ab. Diese sich in den zwanziger Jahren ausgebildeten Milieumuster blieben bis in "die frühe Geschichte der Bundesrepublik hinein wichtige Bedeutungsfaktoren kommunistischer Politik in Deutschland." (29)
Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die KPD auch in den westlichen Besatzungszonen Deutschlands und der jungen Bundesrepublik noch politisches Gewicht, etwa mit 1947 325.000 Mitgliedern, die 1956 auf 78.000 schrumpften. 1945-1948 waren Kommunisten außer in Württemberg-Hohenzollern in allen Landesregierungen und in 174 von 175 Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern vertreten. Besonders stark war die KPD in den Betrieben, in denen sie auch zahlreiche Betriebsräte und Betriebsratsvorsitzende stellte. Der Niedergang setzte nach Foschepoths Meinung ein, als die KPD im nationalen Konflikt um Deutschland in der Zeit des Kalten Krieges zunehmend "integraler Bestandteil der SED" wurde, um "deren Politik im Westen zu propagieren" (39). Damit wurde aus der KPD als Milieupartei eine Kaderpartei, die von der "Westkommission" im Politbüro der SED geführt wurde und zunehmend die alten, erfahren-einheimischen Kader ausschaltete. (Begleitet wurde dieser Prozess von einer hetzerischen antikommunistischen Propaganda, die nicht nur die Regierungsparteien der westlichen BRD, sondern auch die "Schumacher-SPD" betrieb.)
Das 2. Kapitel "Die Radikalisierung. Nationale Politik, Nationale Front und Nationales Programm" (51-82) thematisiert die "Radikalisierung" der KPD im Zusammenhang mit der ihr mehr oder weniger aufgezwungenen "nationalen Politik", die die nationale Einheit in den Grenzen von 1945 verfolgte. An dieser Grenzziehung habe die UdSSR ein strategisches Interesse gehabt, damit Wiedergutmachungs- und Reparationsleistungen garantiert würden. Außerdem verfolgte sie die Neutralisierung Deutschlands, um einen Sicherheitscordon in Mitteleuropa zu schaffen. Als Voraussetzungen dafür galten die Einheit der Arbeiterbewegung durch Zusammenschluss von SPD und KPD und der Erhalt der Anti-Hitler-Koalition. Dieser Strategie musste sich die Politik der KPD unterordnen. Besonders nach 1949 geriet die KPD "immer stärker unter Kuratel der SED" (54) in finanzieller, ideologischer und organisatorischer Hinsicht. Sie musste Kampagnen wie die Volkskongressbewegung oder die Nationale Front organisieren, die angesichts der politischen Lage in Westdeutschland und der ideologischen Ausrichtung der Westparteien scheitern mussten. Je erfolgloser diese Kampagnen, desto wortradikaler die Programmatik, die dann im Zusammenhang mit der Stalinnote (März 1952) in der Propagierung der "Wiedervereinigung" Deutschlands und auf dem Hamburger Parteitag im Dezember 1954 im Aufruf zum "revolutionären Sturz der Adenauer-Regierung" mündete. Dieses "Nationale Programm" der KPD, so Foschepoth, sei im Interesse Walter Ulbrichts gewesen und habe damit geholfen den "deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg" (77) zu entfachen. Zumal mit Stalins Tod 1953 ein Machtvakuum entstanden sei, dass die DDR nutzen wollte, um den Sozialismus im eigenen Land aufzubauen.
Kriminalisierung der KPD
War es einerseits der Druck der SED, dem die KPD ausgesetzt war, so andererseits und gleichzeitig die von FDP und Schumacher-SPD sekundierte Politik der Adenauerregierung, die der KPD zum Verhängnis wurde; entsprechend geht es im 3. Kapitel um "Die Kriminalisierung. Strafrechtliche Verfolgung politischer Gesinnung" (83-105). Dabei konnte willentlich und wissentlich im Zuge der "Renazifizierung" auf bewährte, dem Nazi-Regime dienende Juristen und Beamte zurückgegriffen werden: So beim "Ersten Strafrechtsänderungsgesetz" vom 30.8.1951 und beim "Gesetz über das Bundesverfassungsgericht" vom 12.3.1951.
Parallel mit dem "Ersten Strafrechtsänderungsgesetz" wurden der Verfassungsschutz (seit November 1951 als Bundesamt in Köln) aufgebaut und Sonderstrafkammern auf Bundesebene (sog. 74er Strafkammern) geschaffen. Diese verfolgten aufgrund eines Grundsatzurteils des Bundesgerichtshofes (BGH) von 1952 nicht nur politische Gesinnungen, sondern auch angeblich kommunistisch beeinflusste politische Organisationen, ohne sich auf ein Bundesverfassungsgerichtsurteil berufen zu können: 1951-1960 waren 125 Organisationen betroffen, darunter die Freie Deutsche Jugend (FDJ), die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), der Demokratische Frauenbund Deutschlands (DFD) oder die Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (GDSF); die Verwaltungen wurden von tatsächlichen oder angeblichen Kommunisten über "Berufsverbote" gesäubert, zahlreiche Personen bespitzelt und denunziert.
Im 4. Kapitel "Die Verbotsdebatte. Kein Verbot der SRP ohne ein Verbot der KPD" (106-137) erinnert der Autor zunächst daran, dass das Grundgesetz ursprünglich die Rechtsvorschriften der Anti-Hitler-Koalition des Potsdamer Abkommens, wie Verbot des Nationalsozialismus und Militarismus, enthielt (Artikel 139 GG). Jede Form von Nachfolgeorganisationen der NSDAP und ihrer Gliederungen waren verboten. Die am 2.10.1949 gegründete Sozialistische Reichspartei (SRP) war eine solche Nachfolgeorganisation; sie erreichte bei der Landtagswahl in Niedersachsen 1951 elf Prozent der abgegeben Stimmen. Gegen ein Verbot der SRP wehrten sich jedoch Konrad Adenauer (CDU-Bundesanzler), Thomas Dehler (FDP-Bundesinnenminister) und die Deutsche Partei (DP). Auf Druck der westlichen Alliierten verbot die Bundesregierung die SRP und entschied: Wenn schon dieses Verbot - dann auch eines gegen die KPD. Am 19.11.1951 wurde der SRP-Verbotsantrag, am 22.11.1951 der KPD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Voraus ging die Washingtoner Außenministerkonferenz am 10.-14.11.1951, die die Integration der BRD in eine europäische und atlantische Gemeinschaft und ihre Wiederbewaffnung proklamierte: "So wurde das KPD-Verbot zu einem entscheidenden Instrument im antikommunistisch begründeten Staatswerdungsprozess der Bundesrepublik und deren Integration in die Bündnisstrukturen des Westens." (137)
Während die SRP schon am 23. Oktober 1952 verboten wurde, zog sich das Verfahren gegen die KPD über Jahre hin. Dabei ging es um Kompetenzstreitigkeiten zwischen 1. und 2. Senat im BVerfG, um Überlastung des Gerichts sowie vor allem darum, die Verträge zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft störungsfrei durchzusetzen. Zwischenzeitlich kam sogar die Frage auf, ob das KPD-Verbot tatsächlich weiter verfolgt werden solle. Wie schon 1951, 1952 und 1953 zwischen dem ersten Präsidenten des BverfG, Hermann Höpker-Aschoff (1883-1954), und Bundesinnenminister Thomas Dehler (FDP) kam es auch zwischen seinem Nachfolger Josef Wintrich (1891-1958) und Vertretern der Bundesregierung zu direkten Absprachen. Um "Prozessverzögerung und Einwirkung der Bundesregierung auf das Bundesverfassungsgericht" geht es im 5. Kapitel "Die Karlsruher Verhältnisse" (138-165).
Foschepoth vermutet, dass hinter der offensichtlichen Verzögerung des KPD-Prozesses Strategie und Absicht standen, weshalb er sich auf biografische Spurensuche über den ersten Präsidenten des BVerG Höpker-Aschoff im 6. Kapitel "Die belastete Vergangenheit. Warum der erste Präsident des Bundesverfassungsgerichts den KPD-Prozess nicht wollte" (166-197) begibt. Höpker-Aschoff kam aus einer national geprägten preußisch-protestantischen Apotheker- und Beamtenfamilie, studierte Jura in Jena, München und Bonn, war im Ersten Weltkrieg Soldat und trat nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs in die Deutsche Demokratische Partei (DDP) ein, wo er Karriere machte. Von 1921 bis 1932 vertrat er als Abgeordneter Südwestfalen im Preußischen Landtag und war von 1925 bis 1932 preußischer Finanzminister. Am Ende der Weimarer Republik galt er als Verfechter der "Notwendigkeit einer Diktatur", begrüßte Hitlers Reichskanzlerschaft und das Ermächtigungsgesetz, dem die fünf Reichstags-Abgeordneten der Staatspartei, vormals DDP, zustimmten. Allerdings wollten die Nazis auf Höpker-Aschoff nicht zurückgreifen, obwohl er sich opportunistisch andiente. Erst mit dem Polenüberfall und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 fand Höpker-Aschoff wieder Verwendung in der Haupttreuhandstelle Ost, dem "Instrument der Ausplünderungspolitik in den annektierten Gebieten" (182), und leitete dort seit 1943 die Abteilung, "die für die Beschlagnahme, Verwaltung und Enteignung des gesamten öffentlichen Vermögens und die Abwicklung von Schulden und Forderungen zuständig war" (184). Ab 1.11.1944 wurde er innerhalb der Behörde Direktor der "Industriekontor GmbH" in Wernigerode, einer Rüstungsfirma, die mit KZ-Häftlingen arbeitete. Nach dem Krieg gelang es Höpker-Aschoff - trotz Vorbehalten und Ablehnung durch die britischen Besatzungskräfte - erneut Karriere zu machen. Protegiert von Thomas Dehler, Konrad Adenauer und Theodor Heuss (Bundespräsident) wurde er schließlich 1951 zum Präsidenten des BVerfG ernannt; alle drei wussten von seiner Karriere im Nazi-Regime und seiner strafrechtlichen Verfolgung durch polnische Behörden. Dass Höpker-Aschoff den KPD-Prozess verzögerte, lag nach Foschepoths Meinung daran, dass der Verfassungsgerichtspräsident Angst vor "den politischen und persönlichen Folgen und Implikationen des höchst umstrittenen Prozesses" gehabt habe (197).
Aufhebung der Gewaltenteilung?
Im neue, prozessual relevante Dokumente verarbeitenden 7. Kapitel "Die Geheimabsprachen. Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht" (198-229) weist der Autor anhand zuvor als geheim gekennzeichneter Quellen Treffen und Absprachen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung, des BVerfG und des BGH nach und stellt fest, dass ein mündliches Verfahren gegen die KPD niemals hätte eröffnet werden dürfen, genauer: "Der KPD-Prozess war somit von Anfang an verfassungswidrig, weil dessen staatliche Akteure fortgesetzt gegen grundlegende Prinzipien des Rechtsstaates verstießen. Der KPD-Prozess war kein Prozess eines unabhängigen Gerichts. Er war ein ›Staatsprozess‹ […], in dem die rechtsstaatliche Teilung [recte: Trennung, WRA] der Gewalten aufgehoben war." (228)
Die schon im Vorfeld des Prozesses vorgenommenen Absprachen zwischen Regierung(svertretern) und BVerfG-Richtern wurden auch während des Verfahrens selbst (23.11.1954 bis 17.11.1956) fortgesetzt, vor allem zwischen Hans Ritter von Lex (1893-1970) als Leiter der Prozessführungsstelle und dem Berichterstatter im KPD-Prozess, BVerfG-Richter Erwin Stein (1903-1992). Dies wird en détail im 8. Kapitel "Der Staatsprozess. War der KPD-Prozess verfassungswidrig?" (235-278) dargelegt. Besonders offensichtlich sind die Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze im Zusammenhang mit einem Zeugen, dem ehemaligen SED-Funktionär Georg Wilhelm Jost und dessen Aussagen über seine Tätigkeit im "Auftrag des Büros des Präsidiums des Nationalrats der Nationalen Front und im Auftrag des Politbüros der SED im Hauptausschuss für Volksbefragung", deren Bedeutung anhand der abgedruckten Quellen (438-466) nachgeprüft werden kann, und der Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG vom 20.6.1956) mit dem Ziel, "den Prozess bis zum 31. August 1956 zu beenden und die KPD zu verbieten." (269)
"So wurden die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und der Strafprozessordnung über Bord geworfen, wenn sie dem Zwecke dienten, die KPD der Verfassungswidrigkeit überführen zu können. So wurden durch Richter Stein Dokumente gefälscht und als Beweismittel in den KPD-Prozess eingeführt. So wurden Strategie und Taktik des Verfahrens zwischen dem Berichterstatter und der Prozessvertretung der Bundesregierung abgestimmt, Geheimakten geführt und immer wieder Recht gebeugt. So wurden die Richter von der Exekutive immer wieder bedrängt und ihnen zuletzt sogar per Gesetz angedroht, die Zuständigkeit für das Verfahren zu entziehen, wenn sie nicht bis zum 31. August 1956 zu einem Urteil kämen." (273)
In dieses Bild passt auch, dass noch vor der Verkündung des Urteils über das KPD-Verbot am 17.8.1956 Kriminal- und Schutzpolizei in Aktion traten, um Parteibüros der KPD zu durchsuchen, zu schließen und Beschlagnahmungen sowie vereinzelt Verhaftungen vorzunehmen. In der Folge gab es von 1957 bis 1967 etwa 3.000 Urteile gegen Kommunisten und deren Vermögenseinzüge (284: Grafik 10).
Gleichzeitig kam es 1956 zu Entspannungsinitiativen von Seiten der UdSSR und der DDR gegenüber der BRD, die sich einerseits darin zeigten, dass die UdSSR 9.500 Kriegsgefangene freiließ und die DDR der BRD anbot, gegenseitig politische Gefangene auszutauschen. Adenauer, der bei seinem Moskaubesuch die Existenz der DDR faktisch anerkennen musste, verweigerte jedoch entsprechend der Hallstein-Doktrin jeden diplomatischen Kontakt und lehnte eine Amnestie politischer Gefangener sowie deren Austausch ab. Hingegen hatte die Bundesregierung zuvor schon alles unternommen, um großzügig ehemalige NS-Funktionsträger, Wehrmachtsoffiziere und selbst Kriegsverbrecher faktisch zu amnestieren, dies durch Rücknahme der Entnazifizierung, durch das Straffreiheitsgesetz vom 31.12.1949 oder die Aufhebung der durch Artikel 131 GG Betroffenen, wodurch eine nachhaltige Renazifizierung von öffentlicher Verwaltung, Ministerialbürokratie und Justiz erfolgte. Dies legt Foschepoth ausführlich im 9. Kapitel "Die verweigerte Amnestie. Initiativen zur Freilassung politischer Häftlinge in der DDR und der Bundesrepublik" (279-313) dar.
Wohl gab es einzelne Initiativen für ein Amnestiegesetz, etwa von Seiten der FDP nach deren Ausscheiden aus der Bundesregierung 1957. Diese wurden von Bundesregierung und Parlament abgelehnt. Dagegen wurden strafrechtliche Verfahren gegen Kommunisten eingeleitet: Bis 1956 4.421 und 1957 zusätzlich 2.358, die jedoch nur zu wenigen Verurteilungen führten (306-308). Diese Verfahren hatten nicht nur finanzielle und soziale Konsequenzen für die Betroffenen, sondern einen erheblichen Disziplinierungseffekt auf Sympathisanten. Das KPD-Verbot sollte jede "radikale Opposition unterdrücken" und die "›Staatsautorität‹ der BRD im deutsch-deutschen Kalten Bürgerkrieg stärken." (311)
Kein Ende der Geschichte
Mit dem KPD-Verbot war die Geschichte der KPD oder gar des Kommunismus in Deutschland jedoch nicht beendet, wie im 10. Kapitel "Die deutsch-deutsche Verständigung. Beibehaltung des KPD-Verbots und Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei" (314-353) dargestellt. Zunächst wurde die KPD in den Untergrund und ins DDR-Exil, wo sich die SED auch weiterhin als Vormund der KPD aufspielte, verbannt, von wo sie für die Aufhebung des KPD-Verbotes kämpfte. Dabei gab es indirekte Unterstützung durch die allgemeine politische Weltlage, die im Übergang zu den sechziger Jahren auf Entspannung unter den Hauptweltmächten USA und UdSSR setzte, durch die Stärke der italienischen und französischen Kommunistischen Partei (PCI und PCF) im Westen, eine teilweise kritischer werdende bundesdeutsche Presse und vereinzelte Politiker wie Dr. Gustav Heinemann (1899-1976) und Juristen wie Max Güde (1902-1984).
Schubkraft kam in die Bewegung zur Wiederzulassung der KPD und Aufhebung des KPD-Verbots im Zusammenhang mit der Stärkung außerparlamentarischer Aktivitäten Mitte/Ende der 1960er Jahre (Studentenproteste, Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg der USA, Kampf gegen die Notstandsgesetze, Septemberstreiks). Institutionell-politisch ging es um die große Strafrechtsreform und die Reform des politischen Strafrechts. Dabei kam es 1967/68 zu verschiedenen Treffen von SPD-Regierungsmitgliedern und KPD-Funktionären. Ergebnis war schließlich die Verabschiedung des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes am 1. August 1968 und eine Amnestie für alle bis zum 1.7. 1968 begangenen politischen Straftaten. Rechtlich ermöglicht wurde die Gründung der DKP (22.9.1968). Allerdings bestanden sowohl die illegale KPD als auch das KPD-Verbot von 1956 weiter, so dass es jederzeit wieder aktiviert werden konnte. Im politischen Klima der endsechziger Jahre verzichtete die Bundesregierung zunächst auf Verfolgungen von DKP, des SDS und NPD.
Abschließend urteilt Josef Foschepoth: "Die Bundesrepublik hatte jedenfalls mit der Reform des politischen Strafrechts, der Amnestie für Kommunisten und der Bereitschaft, die Gründung einer neuen kommunistischen Partei zu akzeptieren, einen enormen Sprung auf dem Weg nach mehr Rechtsstaatlichkeit, mehr Liberalität und mehr Demokratie getan." (352)
So sehr es zu begrüßen ist, dass ein deutscher Hochschullehrer endlich mit alten Mythen von der demokratischen Tradition und dem freiheitlichen System der Alt-BRD aufräumt, so möchte ich als demokratischen Traditionen verpflichtete außeruniversitäre "Altlinke" doch kritisch anmerken: Was der Autor vorträgt, ist abgesehen von einigen Geheimdokumenten erstens nicht neu: Interessenten (allerlei Geschlechts) können sowohl auf zahlreiche thematisch einschlägige Veröffentlichungen der 1960er und 1970er Jahre, etwa der Verlage Fischer, Rowohlt, Suhrkamp, Luchterhand, Pahl-Rugenstein, Hammer und Röderberg zurückgreifen oder sich die Mühe machen, Periodika und Flugschriften dieser Zeit durchzusehen.
Foschepoths materialreiche Studie hat zweitens einen methodischen Grundmangel: Geschichtsschreibung, die glaubt, allein mittels Erschließung und Interpretation von Dokumenten als Quellen historische Prozesse wesentlich erklären zu können,[i] muss [/i]soziale Wirklichkeit auf bürokratische Prozesse verkürzen und [i]kann[/i] zu, sozialwissenschaftlich[i] bias [/i]genannten, systematischen Verzerrungen, Erkenntnisfallen und Fehldeutungen führen, wenn sozio-ökonomische Entwicklungen und Wirkungsprozesse sowie theoriegeleitete Erklärungsansätze desinteressieren. Leitbegriffe wie Rechtsstaatlichkeit, Liberalität, Demokratie werden abstrakt-allgemein und taugen immer dann zur Rechtfertigung von Verhältnissen des real-existierenden Status Quo, wenn sie nicht konkret-historisch entwickelt werden.[/i]
Anmerkung
1) Alle Textstellen beziehen sich auf: Josef Foschepoth 2017: Verfassungswidrig! Das KPD-Verbot im Kalten Bürgerkrieg, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 492 Seiten, 40 Euro.
Wilma Ruth Albrecht ist Sprach- und Sozialwissenschaftlerin (Dr.rer.soc., Lic.rer.reg.), lebt als Autorin in Bad Münstereifel und veröffentlichte zuletzt die Bücher Nachkriegsgeschichte(n) (Shaker Verlag 2008), Max Slevogt 1868-1932 (Hintergrund Verlag 2014), PFALZ & PFÄLZER. LeseBuch Pfälzer Volksaufstand 1849 (Verlag freiheitsbaum 2014) sowie die ersten drei Bände von ÜBER LEBEN. Roman des Kurzen Jahrhunderts (freiheitsbaum: Edition Spinoza 2016/17).