"Protest der Professoren"

Eine Neuerscheinung zur Geschichte des Bundes Freiheit der Wissenschaft (BFW)

BdWi und Bund Freiheit der Wissenschaft (BFW) waren Antipoden in der wissenschaftspolitischen Arena - und beeinflussten sich so auch indirekt in ihrer politischen Entwicklung gegenseitig.

Mittlerweile liegt die erste lückenlose und quellengesättigte Geschichte des BFW im Umfang von über 500 Seiten, verfasst von Nicolai Wehrs, vor.1 Es ist die überarbeitete Fassung einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung geförderten Dissertation. Die lohnenswerte Lektüre ist der Impuls sich auf eine kleine Zeitreise zu begeben.

Unmittelbarer Anlass der ersten Gründung des BdWi 1968 war das einige Monate zuvor an den Universitäten in Umlauf gebrachte "Marburger Manifest", durch welches eine Art Vorläuferinitiative des BFW konstituiert wurde. Dieses Manifest verteidigte die Ordinarienuniversität auf dem Level der 50er Jahre und formulierte eine scharfe Absage selbst an die bescheidensten Vorschläge von Mitbestimmung in Hochschulgremien. Innerhalb weniger Wochen unterschrieb ein Viertel der deutschen Professorinnen und Professoren diesen Text. Da auf diese Weise offenkundig eine konservative politische Sammlungsbewegung entstand, schien es auch für die damalige kleine Minderheit der linken Professorinnen und Professoren etwa um Werner Hofmann und Wolfgang Abendroth in Marburg - und zunächst weniger Assistentinnen und Assistenten - überfällig, sich politisch zu organisieren.

Vom Marburger Manifest zum Bund Freiheit der Wissenschaft

Das zentrale Motiv des Marburger Manifestes - wie des 1970 gegründeten BFW - war die Abwehr der damals sehr populären Forderung nach "Demokratisierung der Hochschulen". Unter dieser Flagge wurden die allerersten Landeshochschulgesetze überhaupt vorbereitet (das erste 1966 in Hessen in Kraft getreten), mit der deutlichen Tendenz, der Professorenschaft keine Mehrheit mehr in den neuen Kollegialorganen der Gruppenuniversität zu geben (64). Auch diejenigen Vertreter in den Staatsapparaten, denen lediglich eine technokratische Modernisierung des Wissenschaftsbetriebes vorschwebte, machte sich das Demokratisierungsparadigma zu Eigen, nicht zuletzt um die Assistentenschaft (1968 kamen auf 5.000 ProfessorInnen 20.000 AssistentInnen) und zumindest Teile der Studentenbewegung für das Projekt zu gewinnen. Durch diese politische Konstellation kam die konservative Professorenschaft "zunächst vollends in die Defensive." (137)2 Schließlich wurde das Demokratisierungsparadigma noch zum Leitmotiv der Regierungserklärung von Willy Brandt ("Demokratie wagen!") 1969.

Den zweiten Anstoß für eine konservative Sammlungsbewegung in Verbindung mit der Propagierung einer Notstandssituation bildete eine zunehmende Militanz der studentischen Proteste zwischen 1968 und 1970, wie sie insbesondere nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke und den folgenden Osterunruhen (Springer-Blockaden) 1968 einsetzte (wenn auch auf eine Minderheit der Hochschulstandorte beschränkt). Es kam vermehrt zu Vorlesungssprengungen, Go-Ins bei Gremiensitzungen und vereinzelt auch zu - politisch sicher nicht sehr rühmlichen - physischen Attacken auf einzelne Dozenten.

Im November 1970 sollte dann der Befreiungsschlag durch Gründung des BFW mit 1.500 anwesenden Teilnehmern und einem gigantischen Medienecho in der Bad Godesberger Stadthalle gelingen.3 Der Name "Bund Freiheit der Wissenschaft" stammt von Ernst Nolte, der in der Gründung einen "Auftakt", den "Anfang von etwas sehr Zukünftigem und durchaus nicht Ständischem" sah (168). Man versuchte tatsächlich jeden Anstrich des Konservativen, einer ewiggestrigen Besitzstandsverteidigung, zu vermeiden, um sich so auch vom Negativimage des "Marburger Manifestes" abzusetzen(155). Man sei nicht "berufsständisch" (172), sondern ein allen Bürgern offen stehender Freiheitsbund.4 So wurde etwa strikt auf den überparteilichen Charakter des BFW geachtet, indem man zahlreiche Hochschullehrer mit SPD-Parteibuch in die erste Reihe schob (Richard Löwenthal, Hermann Lübbe, Thomas Nipperdey). Der mehrere Monate anhaltende mediale Paukenschlag der BFW-Gründung war allein dadurch gewährleistet, dass zu seinen Initiatoren auch der damalige ZDF-Intendant Karl Holzamer und der Moderator Gerhard Löwenthal gehörte. Letzterer berichtete in seinem konservativem ZDF-Magazin fortan fast wöchentlich über ›verfassungsfeindliche‹ studentische Unruhen (vorrangig an der FU Berlin) in alle deutschen Wohnzimmer.

In den Kongressreferaten selbst wurde dann ausgiebig das Schreckensszenario entfaltet, wie mit den Mitteln der Wissenschaftspolitik oder gar mit der Forderung nach ›Politisierung der Wissenschaft‹ ein politischer Umsturz kommunistischer Provenienz vorbereitet werde - und dabei ein Nachbarstaat mit die Strippen ziehe. Ernst Nolte analysierte etwa, wie das Jahr 1970 eine "Periode der ideologischen Klärung und Machtergreifung (!)" herbeigeführt habe. "An die Stelle des antiautoritären SDS seien die DKP-Hochschulgruppen getreten, mit deren Hilfe an einigen Universitäten bereits Habilitationsschriften durchgebracht würden, die sich Inhalt und Methoden der DDR-Wissenschaften zu Eigen machten." (183). Das war eine deutliche Anspielung auf das Habilitationsverfahren von Reinhard Kühnl, welches Nolte an der Uni Marburg vergebens zu verhindern suchte.

Das zentrale BFW-Narrativ: kommunistischer Umsturz droht

Diese Art der Aufbereitung der Konflikte an den Hochschulen führt uns mitten in das zentrale BFW-Narrativ, welches in den Folgejahren in alle Richtungen durchdekliniert wurde. Im Gründungsaufruf des Verbandes heißt es etwa: "Wo Ideologien die Oberhand gewinnen, welche die Zerstörung des Bestehenden als Voraussetzung für die Verwirklichung utopischer Ziele betrachten, dient der Ruf nach Reformen nicht mehr einer Modernisierung und Steigerung der Leistungsfähigkeit der Institutionen, sondern ihrer Lähmung und Vernichtung. Vor einer solchen Gefahr stehen heute die Hochschulen in der Bundesrepublik. Vor der gleichen Gefahr könnte morgen der Staat stehen." Was bedeutet: Hochschulreformen sind eigentlich nur das Vehikel für wesentlich weiter reichende gesellschaftliche Umsturzpläne. Auf diese Weise wurde eine verschwörungstheoretische Grauzone des Verdachtes errichtet, in welcher der BFW in den folgenden Jahren seine Aktivitäten entfaltete. Das Narrativ diente hervorragend dazu, noch die harmlosesten politischen Forderungen zu kriminalisieren. Wer etwa drittel- und viertelparitätische Mitbestimmung in Hochschulgremien in der Auffassung forderte, auf diese Weise könnten die eigenen Interessen besser vertreten werden, bereitete in Wirklichkeit einen Staatsstreich vor. Wer alternative fachwissenschaftliche Inhalte wollte, verwirklichte eine Revolutionsstrategie usf.

Die Beschwörung einer Art Staatsnotstand rechtfertigte dann alles. Ich erinnere mich aus meiner eigenen Studienzeit, dass der BFW an der Uni Heidelberg in politisch aufgeheizten Situationen das Verfertigen von "Berichten" an das Rektorat in großer Stückzahl koordinierte, in deren Folge selbst die Forderung nach politischen Diskussionen in Seminaren und Vorlesungen für die Betreffenden zu Relegationen führen konnte.5 Am dollsten trieb dies der Westberliner BFW-Ableger, die Notgemeinschaft für eine Freie Universität (NoFu). In den 70er Jahren erstellte sie schwarze Listen von als "linksextremistisch" eingestuften Hochschulangehörigen, die zu Uniwahlen kandidierten oder bei allgemeinen Wahlen für die SEW. Betroffen davon waren auch die BdWi-Kollegen Wolfgang Fritz Haug, Urs Jaeggi und Klaus Holzkamp. Allein 1980 wurden so 1.700 Namen an 11.000 Adressen, vorrangig private Arbeitgeber, in der ganzen Bundesrepublik verschickt. Wolfgang Fritz Haug bezeichnete daher auf einer Podiumsdiskussion die NoFu als eine Art privaten Verfassungsschutz.6 Von diesen Aktionen distanzierte sich sogar die Bonner Geschäftsstelle des BFW (408-411).

Auf der Suche nach ›Sympathisanten‹

Die vom BFW-Narrativ definierte Gefahrenzone war dermaßen unbestimmt, dass der BFW behaupten konnte, in jeder Situation Recht zu haben. Die Militanz studentischer Proteste ging etwa 1970 spürbar zurück. Zum einen, weil die Aktionen zunehmend ins Leere liefen, zum anderen, weil andere politische Aktivitätsmuster die Oberhand gewannen. 1970 dominierten etwa der Sozialdemokratische Hochschulbund (seit 1972: Sozialistischer Hochschulbund, SHB) und die Assoziation Marxistischer Studenten (Vorläuferorganisation des 1971 gegründeten MSB Spartakus) den studentischen Dachverband VDS. Beide Verbände entwickelten das Konzept der gewerkschaftlichen Orientierung und konzentrierten sich fortan vor allem auf Bündnispolitik und Gremienarbeit (270). Für den BFW war diese formale Beruhigung jedoch gerade Ausdruck der besonderen Gefährlichkeit der Situation (Revolution auf Samtpfoten) und er mahnte "doppelte Vorsicht" an (399).7

Der BFW wäre schließlich nicht er selbst gewesen, wenn er im Deutschen Herbst 1977 nicht versucht hätte, die Terrorismusdebatte auf das wissenschaftspolitische Feld zu übertragen. Die politische Rechte versuchte damals, ein ›geistiges Umfeld‹ - und damit eine Quasi-Mitschuld am Terrorismus - zu konstruieren. Noch während die Entführung von Hanns Martin Schleyer lief, legte der BFW eine Dokumentation vor, in welcher er den "Extremismus" revoltierender Studierender als "Vorform des Terrorismus" kennzeichnete.8 Mehr noch: in der gleichen Dokumentation wurden "geistige Ziehväter" aus der Professorenschaft in dessen Nähe gerückt; namentlich aufgeführt etwa so unterschiedliche Persönlichkeiten wie u.a. Wolfgang Abendroth, Herbert Marcuse, Johannes Agnoli, Elmar Altvater, Peter Brückner, Wolf Lepenies oder Ossip K. Flechtheim (402f.). Von daher war es nur noch ein kleiner Schritt zur abenteuerlichen Behauptung des CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger, die ›Frankfurter Schule‹ sei schuld an der RAF (447). Eine solche Kriminalisierung politischer und wissenschaftlicher Positionen machte jede intellektuelle Auseinandersetzung unmöglich.

Eine reiche Organisation

Kurz nach seiner Gründung wurde der BFW stinkreich. Den höchsten Mitgliederstand hatte er nach eigenen Angaben 1975 mit 5.200 (davon 1.800 Professoren) erreicht (220) - also mehr als doppelt soviel wie der BdWi in seiner besten Zeit. Haupteinnahmequelle waren aber gar nicht so sehr die Mitgliedsbeiträge, da bereits unmittelbar nach Gründung des BFW Großspenden vorrangig aus Industrie und Banken reichlich flossen (u.a. Dresdner Bank, Daimler Benz, Siemens, Deutsche Bank, Bosch, Volkswagen...) Im Jahre 1971 summierte sich dies auf etwa 450.000 DM (212-214). Woher diese Spendenbereitschaft? Offenbar gelang es den BFW-Professoren, die eifrig als Spendeneintreiber den Kontakt zu Industrie und Banken suchten, diese von der typischen BFW-"Domino-Theorie" zu überzeugen, der zufolge "die linkssozialistische Unterwanderung der Universitäten in ihren Auswirkungen, wie den Staat, auch die freie Wirtschaft bedrohe..." (214). Für Nicolai Wehrs sind solch klandestine Unterwanderungsstrategien radikaler studentischer Gruppen eine erwiesene Tatsache und stellten offenbar aus seiner Sicht eine reale Gefahr dar (ebd.). Nicht nur an dieser Stelle geht er den Verschwörungstheorien und der Erfolgspropaganda des BFW zu sehr auf den Leim. Der Gedanke, dass es auch legitim sein kann, in Betrieben mit offenem politischem Visier antikapitalistische - oder mindestens gegen die jeweilige Unternehmensleitung gerichtete - Positionen zu vertreten, kurz: das alldem auch reale gesellschaftliche Interessengegensätze zugrunde liegen könnten, kommt ihm gar nicht erst.

Allerdings schien der BFW 1973 bereits seinen Zenit überschritten zu haben. Seitdem gingen die Spenden und spätestens seit 1975 auch die Mitgliederzahlen kontinuierlich zurück.

Zu Tode gesiegt?

1973 ist deswegen ein Schlüsseljahr der westdeutschen Hochschulentwicklung, weil am 29.Mai des gleichen Jahres das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Mitbestimmung in der akademischen Selbstverwaltung verkündet wurde. Dem lag eine Klage des Deutschen Hochschulverbandes, Standesorganisation der Universitätsprofessoren, gegen das niedersächsische Vorschaltgesetz zum Landeshochschulrecht zugrunde, durch welches sich die Professoren in einen Minderheitenstatus versetzt sahen. Indirekt zielte das Urteil auch auf Bremen, wo bereits ab 1970 für die in Gründung befindliche Reformuniversität drittelparitätische Berufungsausschüsse wirkten. Die Quintessenz des Urteils: gruppenparitätische Mitbestimmung sei zwar verfassungskonform - der Teil des Urteils richtete sich gegen die bisherige BFW-Position -, aber nur mit absoluten Professorenmehrheiten bei Entscheidungen über Forschung, Lehre und Berufungen. Eine für den BFW durch Erwin K. Scheuch formulierte Stellungnahme feierte das Urteil als einen Sieg über die Drittelparität. Mit ihm "ist ein verhängnisvoller Abschnitt in der Hochschulentwicklung beendet." (366)

Anders gesagt: die Hochschulreform war beendet. Das informelle Reformbündnis seit den 60er Jahren, welches von einer gegenseitigen Wirkungsverstärkung der Ziele technokratischer Modernisierung und Demokratisierung geprägt war und zur politischen Isolierung der konservativen Professorenschaft geführt hatte, war aufgekündigt. Fortan dominierten in der Hochschulentwicklung Ordnungs- und Sparpolitik. Damit hatte aber auch der BFW seinen Zenit überschritten. Er war objektiv überflüssig geworden. Darüber konnte sich nur wundern, wer sein blumiges Gerede über die "Freiheit der Wissenschaft" als sein eigentliches Anliegen betrachtet hatte. Vermutlich ist es ihm nie um etwas anderes gegangen als die traditionelle Professorendominanz in Hochschulentscheidungen. In der Mitbestimmungsfrage ging es im Kern nie um den Gegensatz von "Freiheit" und wissenschaftsfremder politischer Machtausübung, sondern um die Frage, wie viel Freiheit der nicht-professoralen Mehrheit der Hochschulangehörigen im Einfluss auf Entscheidungen, die alle betreffen, eingeräumt werde. In dieser Richtung zitiert Wehrs auch zutreffend das Minderheitenvotum der beiden Verfassungsrichter Wiltraut Rupp-von Brüneck und Helmut Simon, denen zufolge ein allgemeines Freiheitsrecht durch die obligate Professorenmehrheit "sinnwidrig in ein ständisches Gruppenprivileg und Herrschaftsrecht umgemünzt" werde (365).

Die politischen Gegner des BFW

Die Gegner des BFW, etwa im VDS oder im damaligen BdWi, subsumierten dessen Gründung unter ihre These eines in der Entwicklung befindlichen "Rechtskartells". Wolfgang Abendroth spitzte dies zu und warnte vor einer engeren Kooperation der parlamentarischen Opposition (im Bundestag erstmalig CSU/CDU) mit außerparlamentarischen Aktivitäten der Vertriebenverbände, der Monopolindustrie und der "Aktion Widerstand" der NPD. Dazu geselle sich nun "die Gegenrevolution der Ordinarien." (191f) Das war insofern nicht von der Hand zu weisen als wesentliche politische Ziele auf der Agenda der seit 1969 regierenden SPD/FDP-Koalition gesellschaftlich heftig umstritten (bis in jedes westdeutsche Wohnzimmer) und längst nicht durchgesetzt waren: Dazu gehörten eben nicht nur die Hochschulreform, sondern ebenso die Demokratisierung weiterer gesellschaftlicher Bereiche, vor allem jedoch die Entspannungspolitik mit den sozialistischen Ländern, gegen die CDU und Vertriebenenverbände heftig mobilisierten. Die Formierung der politischen Rechten im Zusammenhang zu betrachten, war durchaus naheliegend.

Wehrs wundert sich darüber, warum es den Befürwortern der Demokratisierung der Hochschulen, die schließlich an den Hochschulen sehr zahlreich und von der Studentenbewegung geprägt waren, nie gelang, eine schlagkräftige Gegenorganisation zum BFW zu bilden. Er stellt die Frage allerdings so, als sei der Grad des politischen Einflusses lediglich eine Folge ›richtiger‹ bzw. ›falscher‹ Entscheidungen. Dabei abstrahiert er völlig von den Asymmetrien der gesellschaftlichen Machtverhältnisse. Der Hinweis auf diese entschuldigt natürlich noch keine Fehler der Linken. Allerdings war es für diese ungleich schwieriger, ein vergleichbar einflussreiches Bündnis zu bilden, wie das finanzstarke Kartell aus Großindustrie, Leitmedien und Ordinarien, welches der BFW im Kern verkörperte.

Immerhin wird dem BdWi, dem ein eigenes Unterkapitel gewidmet ist, bescheinigt "die noch am ehesten erfolgreiche" Gegenorganisation zum BFW gewesen zu sein. Gerade die BFW-Gründung machte die Neugründung des BdWi als politisch kampagnenfähiger "Massenverband" statt des bisherigen "Honoratiorenvereins" (Reinhard Kühnl) einiger (überwiegend) Marburger und Frankfurter Professoren, die vor allen Dingen Presseerklärungen herausgaben, erforderlich. Im April 1972 trafen sich auf Einladung Reinhard Kühnls 35 Hochschullehrer in Marburg und beschlossen einen Aufruf zur Neugründung.9 Bis Juli fand dieser 985 Unterzeichner. In zeitlicher Kombination mit einem Kongress "Wissenschaft und Demokratie" an der Uni Marburg, der auch von VDS und GEW mitgetragen wurde (1.500 TeilnehmerInnen), wurde schließlich am 2. Juli von 352 Anwesenden der BdWi neugegründet. (321-325). Das Wachstum des Verbandes bis 1979, selbst wenn der BdWi nie mehr als die Hälfte der BFW-Mitglieder gewinnen konnte, "reichte [...] im Prinzip aus, um hochschulpolitisch mit dem BFW auf Augenhöhe agieren zu können." (325) Immerhin.

Langsames Siechtum - ohne Ende

Dazu trug sicher auch der permanente Rückgang von Finanzen, vor allem Spenden (391) und Mitgliederzahlen des BFW seit 1975 selbst bei. Paradoxerweise segelt er dermaßen - spätestens seit diesem Jahr - im politischen Mainstream, dass er sich, so darf vermutet werden, aus Sicht seiner ursprünglichen gesellschaftlich mächtigen Unterstützer überflüssig gemacht - oder zu Tode gesiegt - hatte. 2009 meldete die Bundesgeschäftsstelle noch 315 Mitglieder. Im gleichen Jahr musste die Berliner Geschäftstelle geschlossen und die viermal jährlich erscheinende Zeitschrift Freiheit der Wissenschaft eingestellt werden. Auf der Mitgliederversammlung am 11. Dezember 2009 wurde bei 28 anwesenden Mitgliedern ein Antrag des Vorstandes, den Verband aufzulösen, mit 14 zu 13 Stimmen (1 Enthaltung) abgelehnt. Aus der Mitschrift des Autors, der im Publikum anwesend war: "Die Linken feixen doch, wenn sie das mitkriegen", wurde gegen die Auflösung eingewandt (429). Es hat aber wohl keiner mitgekriegt.

Wer also bei google sucht, findet den BFW (http://bund-freiheit-der-wissenschaft.de) immer noch. 2012 eröffnete er wieder ein Büro in Hamburg. Zu den Aktivitäten gehören ein Mitgliederrundbrief, Presseerklärungen, Hinweise auf Veröffentlichungen und etwa einmal im Jahr eine Vortragsveranstaltung - ansonsten die Pflege einer ruhmreichen Tradition.

Trotz einiger kritischer Einwände: Nicolai Wehrs hat ein informatives, flüssig geschriebenes und historisch-chronologisch vollständiges Buch veröffentlicht.

Anmerkungen

1) Nicolai Wehrs 2014: Protest der Professoren - Der "Bund Freiheit der Wissenschaft" in den 70er Jahren, Göttingen (Seitenangaben im laufenden Text nach dieser Ausgabe).

2) Einer der Protagonisten des BFW, der Kölner Soziologieprofessor Erwin K. Scheuch, bezeichnete anlässlich seines zehnjährigen Jubiläums in einem Interview als dessen Hauptgegner "eine Allianz von linken Ideologen und technokratischen Bildungsbürokraten." (Deutsche Universitätszeitung 22/1980).

3) Ironie der Geschichte: in der gleichen Halle hatte die SPD 1959 ihr Godesberger Programm verabschiedet.

4) In der Außendarstellung des BFW dominierten zwar Universitätsprofessoren, grundsätzlich aber konnte jede(r) BürgerIn Mitglied werden (später traten auch zahlreiche LehrerInnen, vor allem konservative Schulleiter, ein, um sich mit Hilfe des BFW gegen das Reformprojekt der integrierten Gesamtschule zu munitionieren).

5) Manchmal nahm das auch skurrile Formen an. Ich erinnere mich, dass 1976 in der Heidelberger Lokalpresse anlässlich eines Streiks am Germanistischen Institut der Artikel der dort tätigen BFW-Ordinaria Roswitha Wisniewski (zeitgleich MdB CDU) erschien, welcher die Überschrift trug "Störaktionen an einem Universitätsinstitut als Teil des kommunistischen Angriffs auf die Bundesrepublik". An der Uni gab es etwa ein halbes Dutzend sich kommunistisch nennende Gruppen, die sich vor allem gegenseitig bekämpften. Die Verfasserin behauptete aber in dem Artikel, es gebe in Moskau - wo sonst? - ein Zentralkomitee aller kommunistischen Hochschulgruppen, welches bei alldem die Strippen ziehe. In der Sache ging es bei dem Streik lediglich um die Verhinderung einer neu eingeführten obligatorischen Klausur in der Mittelhochdeutschabteilung.

6) Argument-Studienheft 22/1979: Die NoFu. Rechtskräfte an der Uni. Berlin: 40. Damit füllte die NoFu im Übrigen eine Marktlücke, da private Arbeitgeber, die Uniabsolventen einstellen wollten, keine Regelanfrage beim Verfassungsschutz stellen konnten wie es für Bewerbungen im öffentlichen Dienst infolge des ›Radikalenerlasses‹ (1972) üblich war.

7) Wehrs nennt dies "die Zirkelschluss-Argumentation" des BFW (399). Der Faden lässt sich weiterspinnen: Da die Gefahren, vor denen der BFW ständig warnte, so nie bestanden hatten, konnte er sogar deren Nichteintreten als eigenen Erfolg feiern. So heißt es in einer Erklärung zum 10. Gründungsjubiläum: "An den meisten Hochschulen und in der Mehrzahl der Fächer konnte eine Machtübernahme durch die Gegner unserer Gesellschaftsordnung abgewehrt werden." (Freiheit der Wissenschaft 1-2/1981).

8) Mit exakt dieser Begründung - die Asten gehörten zum "Umfeld des Terrorismus" - wurde zeitgleich (Herbst 1977) die Verfasste Studierendenschaft in Baden Württemberg verboten.

9) Der traditionelle Marburger Kern wurde neben Walter Jens um eine Westberliner Gruppe (Margherita von Brentano, Wolfgang Fritz Haug) erweitert.

Torsten Bultmann ist politischer Geschäftsführer des BdWi.