Kann die Subalterne zahlen?

Die kolonialen Wurzeln der Finanzialisierung sozialer Reproduktion in Indien

in (24.11.2021)

Keywords: financial inclusion, financialisation of social reproduction, moneylender, colonial history, subalterns

Schlagwörter: finanzielle Inklusion, Finanzialisierung sozialer Reproduktion, Geldverleiher, Kolonialgeschichte, Subalterne

Einleitung: Die Unbanked als Entwicklungssubjekt des 21. Jahrhunderts

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich unter dem Begriff der finanziellen Inklusion eine neue, wirkmächtige Entwicklungsstrategie herausgebildet, die von einer breiten Koalition vorangetrieben wird.[1] Sie propagiert nicht weniger als die Universalisierung formaler Finanzdienstleistungen, so dass alle Erwachsenen auf diesem Planeten ein Bankkonto besitzen, Zahlungen elektronisch abwickeln sowie Kredite und Versicherungen von Banken und anderen Finanzinstitutionen erhalten können - und diese Dienste auch regelmäßig nutzen. Als Querschnittsthema zieht sich finanzielle Inklusion durch die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Befürworter*innen versprechen sich von dem ausgeweiteten Zugang zu Krediten und anderen Finanzdienstleistungen Fortschritte im Kampf gegen Armut, Hunger und Geschlechterdiskriminierung. Menschen ohne Bankkonto oder Zugang zu anderen Finanzinstituten, die sogenannten Unbanked, sind die Zielgruppe dieses neuen Entwicklungsprojekts. Laut Weltbank konnten in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte in Richtung universelle finanzielle Inklusion erzielt werden. Der Anteil Unbanked in so genannten Entwicklungsländern ist von 58 Prozent im Jahr 2011 auf 37 Prozent im Jahr 2017 gesunken (Demirgüç-Kunt u.a. 2018). Auf dem 10. Geburtstag der Alliance for Financial Inclusion (AFI) im September 2018, feierte die internationale Entwicklungsgemeinschaft, dass ihre politischen Maßnahmen dazu geführt hätten, dass im vergangenen Jahrzehnt 634 Mio. Erwachsene in das globale Finanzsystem integriert wurden.

Arturo Escobar hat vor über zwanzig Jahren aufgezeigt, wie Entwicklungspolitik Abnormalitäten wie „Unterentwicklung“ schafft, die anschließend durch ein entsprechendes Entwicklungsprojekt behandelt werden müssen (Escobar 1999). Dabei geht es vor allem darum Probleme neu zu definieren, und zwar auf eine Weise, in der die Behandlung durch die neue Agenda als einzig rationale, quasi selbstverständliche Intervention erscheint. Im Anschluss an diese Perspektive sind die Unbanked wohl zweifelsohne ein entscheidendes Entwicklungssubjekt des frühen 21. Jahrhunderts (Aitken 2017; Gabor & Brooks 2016). Durch zahlreiche Datenbanken, Berichte und Studien wird dieses neue Subjekt nicht nur vermessen und quantifiziert, sondern auch zum beherrschbaren Objekt der Entwicklungsbürokratie, die Fortschritte entsprechend messen und verkünden kann (Escobar 1999). Doch welches gesellschaftliche Problem wird neu definiert? Dieser Artikel basiert auf der Annahme, dass finanzielle Inklusion im Kern versucht, Antworten auf die Frage zu geben, wie subalterne Klassen ihr (Über-)Leben in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem sichern können, obwohl sie systematisch vom Zugang zu genügend (Re-)Produktionsmitteln ausgeschlossen werden. Schließlich verspricht das neue Paradigma Entwicklung und Teilhabe für arme Bevölkerungsgruppen am zunehmend finanzdominierten Wachstumsregime der Weltwirtschaft, indem diese als Neukund*innen in das globale Finanzsystem integriert werden und somit ihre Armut besser verwalten können. Die Notwendigkeit finanzieller Inklusion wird unter anderem damit begründet, dass arme Menschen ansonsten dem Wucher „informeller Geldverleiher“ ausgeliefert sind (s. z.B. GPFI 2020). Letztere erscheinen dabei als vormodernes Übel, das durch Interventionen moderner Entwicklungspolitik beseitigt werden soll.[2] Die Legitimation finanzieller Inklusion verläuft über diskursiv konstruierte Dichotomien wie banked/unbanked, Inklusion/Exklusion, formell/informell, die eine klare Einteilung in entwickelt und unterentwickelt bzw. modern und archaisch erlauben. Dabei erscheint finanzielle Inklusion nicht nur als moderne Errungenschaft, sondern implizit auch als Prozess, der keinerlei koloniale Vergangenheit hat. Im Gegenzug dazu untersucht dieser Artikel, wie subalterne Klassen in Südasien im Zuge der britischen Kolonialherrschaft zwangsweise finanziell inkludiert wurden. Durch eine historische Reflexion können die vorherrschenden Dichotomien sowie die Rationalität der Entwicklungsagenda der finanziellen Inklusion kritisch hinterfragt werden. Südasien dient als geeignetes Fallbeispiel, da mehr als die Hälfte der 1,7 Mrd. Unbanked gegenwärtig in nur sieben Ländern lebt, zu denen Indien, Pakistan und Bangladesch gehören. Die empirische Grundlage des vorliegenden Beitrags besteht aus historischen Analysen seit den 1960er Jahren zur Verschuldung subalterner Klassen, v.a. aus marxistischer Forschung, Beiträgen der Subaltern Studies und neueren Arbeiten aus dem Feld der Globalgeschichte. Analytisch kann der Beitrag als materialistisch-postkoloniale Intervention gelesen werden, in der die Verwobenheit von Verschuldung subalterner Klassen, Kolonialherrschaft und kapitalistischer Entwicklung im Mittelpunkt steht. Dabei wird vor allem auf die Dynamik von Kasten- und Klassenverhältnissen fokussiert, die sich im Zuge des Kolonialismus entscheidend veränderten und bis heute fortwirken.

Der Artikel ist in fünf Abschnitte unterteilt. Im folgenden Abschnitt zeige ich mit Bezug zu aktuellen Debatten in der Internationalen Politischen Ökonomie auf, dass finanzielle Inklusion rhetorisch die Finanzialisierung sozialer Reproduktion verdeckt, indem (a) die Unbanked zu einem neuen Marktsegment für internationale Kapitalmärkte werden und (b) Haushalte mit geringen und unsicheren Einkommen ihre prekarisierten Lebensverhältnisse zunehmend durch Verschuldung organisieren müssen. Im Anschluss argumentiere ich in drei Schritten, dass diese Dynamiken keine historisch neue Erfahrung subalterner Klassen sind. Vielmehr knüpft die gegenwärtige Expansion von Finanzmärkten und Schuldverhältnissen an die Geschichte der britischen Kolonialherrschaft an. Abschnitt 3 zeigt auf, dass die von imperialen Interessen geleitete Politik der Ostindien-Kompanie und der britischen Krone die Abhängigkeit der Bäuerinnen und Bauern von lokalen Geldverleihern entscheidend vertiefte. Der vierte Abschnitt beschreibt, wie die Macht der Geldverleiher im Zuge sich polarisierender Klassen- und Kastenverhältnisse zunahm und de facto unter britischer Kolonialherrschaft formalisiert wurde. Der fünfte Abschnitt diskutiert Formen des Widerstands sowie dessen Einbindung durch das Vehikel der Kredit-Kooperativen und zeigt auf, wie subalterner Klassen systematisch ausgeschlossen wurden. Der letzte Teil fasst die Erkenntnisse der historischen Reflexion zusammen und diskutiert deren Bedeutung für aktuelle Debatten zu finanzieller Inklusion.

Schulden als Voraussetzung für das (Über-)Leben: Die Finanzialisierung sozialer Reproduktion

Obwohl in der öffentlichen Debatte wie auch in wissenschaftlichen Studien meist der Fokus auf Mikrokredite als Förderinstrument für kleine Unternehmen liegt, sind sowohl die Zielgruppe des Mikrofinanzwesens als auch die Nutzung von Krediten wesentlich umfassender. Die Internationale Finanz-Corporation (IFC) der Weltbank definiert die „working poor“ - Menschen, die weniger als zwei US$ am Tag verdienen und die den Großteil der Arbeitskräfte in Entwicklungsländern ausmachen - als „primäres Marktsegment für die Expansion finanzieller Inklusion“ (Stein u.a. 2011: 2). Genau dieses „Marktsegment“ ist in den vergangenen Jahrzehnten der neoliberalen Globalisierung rapide angestiegen.[3] Von den 1,6 Mrd. erwachsenen „working poor“, die sich weitgehend mit den 1,7 Mrd. Unbanked überschneiden, sind gerade einmal 200 Mio. Unternehmer*innen. Der überwiegende Großteil sind Kleinbäuerinnen und -bauern, Tagelöhner*innen und andere prekarisierte Lohnabhängige, die ihr (Über-)Leben unter starken Einkommens- und Ausgabenschwankungen organisieren müssen (Ledgerwood u.a. 2013: 20). In diesem Kontext setzt die neue Entwicklungsagenda weniger auf Armutsbekämpfung als auf Armutsmanagement. Kredite und andere Finanzdienstleistungen sollen dabei helfen, fehlende Einkommen durch die Aufnahme von Schulden temporär zu kompensieren, beispielsweise um privatisierte oder gebührenfinanzierte Angebote der öffentlichen Daseinsvorsorge in Anspruch nehmen zu können. Raghuram Rajan, ehemaliger IWF-Chefökonom und ehemaliger Gouverneur der indischen Zentralbank, fasst diesen Punkt prägnant zusammen: „Finanzielle Inklusion bedeutet nicht nur Kredite für produktive Zwecke, es bedeutet Kredite für gesundheitliche Notfälle oder um pauschale Schul- oder Studiengebühren zu zahlen“ (Rajan 2005: 22, Übersetzung AS). Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (GIZ) schreibt auf ihrer Website zu finanzieller Inklusion, dass Finanzdienstleistungen „den Zugang zu wichtigen Gütern wie sauberem Wasser, Bildung oder Strom“ ermöglichen sollen (GIZ 2021). Und die UNO-Sonderbotschafterin für finanzielle Inklusion bewirbt die Entwicklungsagenda wie folgt: „Ziel finanzieller Inklusion ist es, Menschen und Gemeinschaften dabei zu helfen, Grundbedürfnisse wie Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln, sauberem Wasser, Wohnungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und weiteren, zu erfüllen.“ (UNSGSA 2021, Übers. AS). Mit anderen Worten: Die Inklusion von knapp zwei Mrd. Menschen in das globale Finanzsystem erlaubt, das Problem ihrer Exklusion vom Zugang zu gesellschaftlicher Infrastruktur temporär zu lösen - und zwar über Verschuldung.

Dabei bleibt zweifelhaft, ob der Zugang zu und die Nutzung von formalen Krediten und anderen Finanzdienstleistungen per se mit positiven Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse verbunden ist. In den USA, Großbritannien und vielen anderen OECD-Staaten liegt der Anteil der Unbanked im niedrigen einstelligen Bereich, was laut dem vorherrschenden Entwicklungsdiskurs für eine hohe finanzielle Inklusion spricht. Allerdings sind Haushalte mit geringen und unsicheren Einkommen in diesen Regionen - trotz Bankkonto und Zugang zu formalen Finanzdienstleistungen - zunehmend von chronischer Ver- und Überschuldung betroffen, etwa über Immobilien-, Studien-, oder Konsumkredite (Martin 2002; Lazzarato 2012; Soederberg 2015). Die Rhetorik der finanziellen Inklusion verdeckt die „Finanzialisierung des täglichen Lebens“, in der Banken und andere Finanzinstitutionen die prekäre Arbeiter*innenklasse als profitables Geschäftsfeld entdecken. Überdurchschnittlich hohe Gebühren und Zinszahlungen, die durch das höhere Ausfallrisiko gerechtfertigt werden und von ohnehin geringen und schwankenden Nettoeinkommen lohnabhängiger Haushalte abgezogen werden, erlauben eine „finanzielle Enteignung“ bzw. „sekundäre Ausbeutung“, die parallel zur Ausbeutung von Lohnarbeit verläuft (Lapavitsas 2009: 131, Übers. AS). Darüber hinaus vertieft diese Form der Inklusion vergeschlechtlichte und rassistische Diskriminierung und Marginalisierung tendenziell. Im Fall der US-Finanzkrise von 2007-2008 beispielsweise wurden insbesondere Frauen und Afro- sowie Hispano-Amerikaner*innen überproportional von Lockangeboten mit Immobilienkrediten geworben und waren deutlich häufiger von Zwangsräumungen betroffen (McNally  2011: 113ff; Dymski u.a. 2013).

Materialistisch-feministische Analysen betonen in diesem Zusammenhang, dass die Integration subalterner Klassen in das globale Finanzsystem Teil einer Rekonfiguration sozialer Reproduktion in Zeiten des neoliberalen Finanzkapitalismus ist (Fraser 2016: 112).[4] Während große Teile lohnabhängiger Haushalte durch Prekarisierung von stagnierenden oder sinkenden Löhnen betroffen sind und Staaten im Namen der Austeritätspolitik Ausgaben für öffentliche Daseinsvorsorge kürzen oder diese privatisieren, vertieft sich die Krise sozialer Reproduktion. Auf der einen Seite erhöht diese den Druck auf unbezahlte Sorgearbeit, etwa in der Betreuung und Pflege von Angehörigen, die vor allem von Frauen geleistet wird. Auf der anderen Seite wird chronische Haushaltsverschuldung zur „neuen Normalität“, weil immer mehr Menschen Kredite von Banken und anderen Finanzinstitutionen aufnehmen, um Zugang zu öffentlicher Daseinsvorsorge, beispielsweise in den Bereichen Bildung, Gesundheitsversorgung oder Alterssicherung zu erhalten (Roberts & Soederberg 2014; Bayliss u.a. 2018). Dabei werden Verschuldung und Zugang zu wohlfahrtstaatlichen Leistungen im neoliberalen Staat immer enger miteinander verschränkt, etwa indem Sozialleistungen als Kreditsicherungsmittel genutzt werden oder der Zugang zu Sozialsystemen über private Finanzdienstleistungen vermittelt wird (Lavinas 2018; Soederberg 2015). Zudem verschleiert die „neue Normalität“ die Expansion finanzdominierter Akkumulation, in der entsprechende Kredite zunehmend verbrieft und auf Sekundärmärkten gehandelt werden (können) (McNally 2011: 99f). Der Trend der Kommerzialisierung und Finanzialisierung hat sich auch im Mikrofinanzwesen seit den 2000er Jahren erheblich verstärkt (Mader 2015; Wichterich 2015). Zwischen 2008 und 2018 haben sich beispielsweise die Investitionen in Microfinance Investment Vehicles (MIV) mehr als verzehnfacht und belaufen sich inzwischen auf über 13 Mrd. US$ pro Jahr (Convergences 2018).[5] Diese Finanzierungsinstrumente erlauben einerseits, das operative Geschäft von lokalen Mikrofinanzunternehmen durch mehr Liquidität auszuweiten und damit neue Kund*innen zu akquirieren; andererseits profitieren institutionelle Investoren, wie Hedge- oder Pensionsfonds, von hohen Renditen und dem Prestige, „ihr“ Geld sozialverträglich angelegt zu haben. Die „Finanzialisierung sozialer Reproduktion“ ermöglicht subalternen Klassen auch im globalen Süden Zugang zu sozialer Infrastruktur, von der sie ansonsten ausgeschlossen wären und integriert reproduktive Tätigkeiten in die Dynamiken finanzieller Akkumulation (Federici 2014: 233). Dabei führt die temporäre Verlagerung eines Teils der Reproduktionskosten tendenziell zu chronischer Verschuldung, die wiederum gesellschaftliche Marginalisierung vertiefen kann und Arbeitskraft insofern diszipliniert, als dass Menschen jede noch so prekäre Einkommensmöglichkeit wahrnehmen müssen, um Schulden zurückzahlen und überleben zu können (Cavallaro & Gago 2021: 6f).

Während die allermeisten kritischen Studien die strukturelle Krise sozialer Reproduktion sowie die Massenverschuldung subalterner Klassen als alleiniges Resultat neoliberaler Politik darstellen, bleiben die kolonialen Wurzeln dieser Entwicklung sowohl in öffentlichen wie auch in wissenschaftlichen Debatten weitgehend unbeachtet. Dieser Befund trifft selbst für die umfassende und kritische Forschung zu Mikrokrediten zu.[6] Der vorliegende Artikel versucht diese Forschungslücke zu schließen, indem er die Zusammenhänge von Verschuldung subalterner Klassen, Kolonialherrschaft und kapitalistischer Entwicklung untersucht. Dabei soll gezeigt werden, dass die Wurzeln der Finanzialisierung sozialer Reproduktion im globalen Süden nur durch eine Reflexion der Kolonialgeschichte verständlich werden.

Finanzmärkte, Kolonialherrschaft und Subsistenzkrise: Die Politik der Ostindien-Kompanie

Finanzmärkte und -institutionen waren zentral für die Expansion des europäischen Kolonialismus. Sowohl der transatlantische Sklavenhandel als auch die Ausbeutung rassifizierter Arbeit auf den Plantagen und in den Minen der Kolonien erforderten massive kreditfinanzierte Investitionen und Absicherung über Versicherungen (Gruffydd Jones 2013; Majapra 2020). Neuartige Unternehmen, die als private Aktiengesellschaften organisiert waren, wie die britische oder niederländische Ostindien-Kompanie, die South Sea Company oder die Royal African Company standen im Mittelpunkt der sogenannten „finanziellen Revolution“ im späten 17. Jahrhundert (McNally 2020: 149ff). Doch im Gegensatz zur totalitär anmaßenden Macht in den Siedlerkolonien der „Neuen Welt“, blieb der Einfluss der europäischen Handelskompanien auf dem indischen Subkontinent bis ins 18. Jahrhundert relativ beschränkt. Die Aktiengesellschaften unterhielten zwar Handelsposten an den Küsten, waren aber im Wesentlichen abhängig von lokalen Händlern (banias), die ihnen Arbeitskraft und begehrte Produkte, wie etwa Tuch, aus dem Landesinneren vermittelten (Beckert 2014: 34). Dies änderte sich erst mit dem Wandel der britischen Ostindien-Kompanie von einer Handels- zur Territorialmacht, die ab 1757 wichtige Gebiete im Osten von Indien eroberte und in den folgenden Jahrzehnten die militärische und politische Vorherrschaft über weite Teile des Subkontinents ausbaute (Dalrymple 2019; Robins 2012). Somit legte eine private Aktiengesellschaft mit einer beachtlichen Söldnerarmee und dem Segen der britischen Krone das Fundament für die Kronkolonie Britisch-Indien. Das Unterfangen der Ostindien-Kompanie war eine risikoreiche, aber profitable Investition für die Anteilseigner. In einem Beitrag für die New York Tribune schreibt Karl Marx (1853), dass der Aktienkurs des Unternehmens mit dem Übergang von einer Handels- zur Territorialmacht stark anstieg und Dividenden von 12,5 Prozent ausgeschüttet wurden. Steigende Aktienkurse und Dividendenausschüttungen waren dabei kein reines Phantasma der Finanzmärkte. Vielmehr stand hinter solchen Werten reale Prozesse der Enteignung, Erniedrigung und Ausbeutung von Millionen von Menschen.

Ein Beispiel dafür sind die Waldgebiete, die rund ein Fünftel der Landfläche des indischen Subkontinents ausmachten und die angrenzende und nomadische Gemeinschaften als gemeinsamen Besitz nutzten. Diese Gebiete wurden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts gewaltsam vom Kolonialstaat angeeignet und für kommerzielle Zwecke ausgebeutet (Davis 2011: 378). Dies betraf insbesondere indigene Bevölkerungsgruppen (Adivasi), die in und von den Wäldern lebten, und insbesondere Frauen, die aufgrund der vorherrschenden Arbeitsteilung vornehmlich für das Sammeln von Lebensmitteln, Holz und anderen Waldprodukten verantwortlich waren (Damodaran 2002). Auch die Eingliederung der indischen Landwirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt wurde durch die Kolonialherrschaft entscheidend geprägt. Zwar war kommerzielle Landwirtschaft keineswegs neu auf dem Subkontinent und reichte mindestens bis ins 12. Jahrhundert zurück (Habib 1964; Prakash 1998). Doch unter britischer Kolonialherrschaft stieg der Anteil exportorientierter Agrarprodukte massiv an, angetrieben durch neue Transport- und Kommunikationsmittel wie das Dampfschiff, die Eisenbahn und die Telegraphen, sowie die massive Nachfrage nach Waren wie Baumwolle, Jute oder Indigo auf dem Weltmarkt (Banaji 1977; Washbrook 1994). Opium, das zuvor nur in kleinen Mengen (meist für medizinische Zwecke) angebaut wurde, entwickelte sich unter der Kontrolle der Ostindien-Kompanie zu einem der wichtigsten Exportgüter, welches von über 1,3 Mio. Bäuerinnen und Bauern unter strukturellem Zwang und unter teils großen Verlusten angebaut wurde, um das britische Handelsdefizit mit China auszugleichen (s. z.B. Bauer 2017). Sowohl die profitgetriebene Landnahme als auch die Integration von Teilen der indischen Landwirtschaft in den kapitalistischen Weltmarkt waren im beginnenden Zeitalter der Industrialisierung wichtige Einkommen für die europäische Großmacht. Die indische Ökonomin Utsa Patnaik schätzt, dass über ungleichen Handel und Steuern zwischen 1765 und 1938 eine Summe, die nach heutigen Maßstäben etwa 45 Bio. US$ entspricht, vom indischen Subkontinent nach Großbritannien abfloss - etwa 17-mal so viel, wie das gegenwärtige jährliche Bruttoinlandsprodukt von Großbritannien (Patnaik 2017).

Die Reform des Steuersystems war dabei zentral für die Plünderung des Subkontinents. Die Einnahmen waren die mit Abstand größten im Haushalt des entstehenden Kolonialstaates Britisch-Indien; sie machten im 19. Jahrhundert im Schnitt etwa die Hälfte aller Staatseinahmen aus und sicherten damit nicht zuletzt die kostspielige militärische Expansionspolitik auf dem Subkontinent sowie den imperialen Tribut an die britische Krone und die Anteilseigner der Ostindien-Kompanie (Reinhard 2017: 794). Andererseits veränderte das neue Steuersystem auch die Sozialstruktur grundsätzlich und nachhaltig, indem es regional unterschiedliche Eigentumstitel an Grund und Boden schaffte, die wiederum die Marginalisierung subalterner Klassen erhöhte.[7] Die Grundsteuer war zwar bereits unter der Herrschaft der Mogule, die ab dem frühen 16. Jahrhundert nach und nach weite Teile des indischen Subkontinents kontrollierten, eine zentrale Einnahmequelle. Doch aus der Zahlung von Steuern leitete sich kein Eigentumstitel ab und entsprechend gab es auch keine Enteignung aufgrund von Säumigkeit. Darüber hinaus wurden Zahlungen häufig in Form von Ernteanteilen oder anderen Naturalien entrichtet und in Zeiten von Missernten und Hungersnöten wurde bisweilen auf die Erhebung verzichtet. Im Ryotwari-System, das im frühen 19. Jahrhundert in den Provinzen Madras und Bombay eingeführt wurde, mussten bäuerliche Haushalte (ryot) ihre Abgaben direkt an den Kolonialstaat zahlen. Die Summe wurde von der Kolonialverwaltung nach dem geschätzten potenziellen Bodenertrag festgesetzt. Solange die Steuern bezahlt wurden, waren die Bäuerinnen und Bauern effektiv Besitzer des Landes. Doch die realen Ausgaben sowie der tatsächliche Ertrag spielten für die festgelegte Grundsteuer keine Rolle, so dass insbesondere kleinbäuerliche Haushalte kaum in der Lage waren, Steuern zu zahlen und ihr Überleben zu garantieren (Bagchi 1992; Washbrook 1994). Darüber hinaus vertiefte die Grundsteuer die ökologische Verwundbarkeit kleinbäuerlicher Haushalte, da diese nicht mehr genug Überschuss besaßen, den sie in traditionelle Bewässerungs- und Wasserspeichersysteme investieren konnten (Davis 2011: 327f).

Die Reform des Justizwesens nach britischem Vorbild war ein weiterer zentraler Wandel, der die Massenverschuldung subalterner Klassen begünstigte. In vorkolonialen Zeiten wurden Streitigkeiten zwischen Gläubigern und Schuldner*innen häufig über lokal verankerte, gemeinschaftliche Institutionen wie die Dorfräte (panchayat) geklärt. Diese waren zwar von Kastenhierachien geprägt, doch gegenüber den Geldverleihern, die nicht unbedingt Teil der Dorfgemeinschaften waren, tendenziell eher skeptisch eingestellt (Hardiman 1996). Das koloniale Ryotwari-System basierte hingegen ausschließlich auf schriftlich festgehaltenen Verträgen, die wiederum als Grundlage der Rechtsprechung galten. Der Großteil der Bäuerinnen und Bauern konnte die Verträge und Bedingungen weder lesen, noch hatten sie Zugang zu Anwälten, die sie vor Gericht vertreten konnten. Selbst der britische Politiker Thomas Macaulay, eine zentrale Figur für die koloniale Bildungspolitik auf dem Subkontinent, bezeichnete die Einführung des britischen Justizwesens in Südasien in einem Essay als „Schreckensherrschaft“ (reign of terror), in der Willkür über Vernunft und Arroganz über Verständnis siegte:

„[Die Schreckensherrschaft] bestand aus Richtern, von denen nicht einer mit den Gewohnheiten von Millionen Menschen vertraut war, über die sie grenzenlose Herrschaft ausübten. Akten wurden in einer unbekannten Schrift festgehalten; Sätze in unbekannten Klängen ausgesprochen.“ (Macaulay 1965: 449f, Übers. AS)

Der Geldverleiher-Staat-Nexus als kolonialer Klassenkompromiss

Das neue Steuer- und Justizwesen schaffte die über Jahrhunderte gewachsenen Gewohnheitsrechte ab, unter denen Bäuerinnen und Bauern das Land effektiv besaßen und kultivierten. Mehr noch, es vertiefte die Subsistenzkrise subalterner Klassen und trieb sie in die Hände der Geldverleiher. Vorkoloniale Subsistenzsysteme waren zwar weder frei von patriarchaler noch von kastenbasierter Ausgrenzung und Ausbeutung. Doch trotz rigider Hierarchien gab es ein stilles Einvernehmen, demzufolge die herrschenden Klassen die Subsistenz der subalternen Klassen sichern sollte. Dieses „Recht auf Subsistenz“ (Hardiman 1996: 115) wurde bisweilen durch Aufstände eingefordert. Unter britischer Kolonialherrschaft wurde dieses fragile Konstrukt der Subsistenz vollends ausgehöhlt. Nichts drückt diese strukturelle Subsistenzkrise besser aus als die Millionen Hungertote auf dem Subkontinent, die in Zeiten von klimatisch bedingten Ernteausfällen und steigenden Lebensmittelexporten starben und die Mike Davis aufgrund der unrühmlichen Rolle der kolonialen Verwaltung als „spätviktorianischen Völkermord“ bezeichnet (Davis 2011). Die voranschreitende Kommodifizierung der Landwirtschaft erhöhte den Druck auf subalterne Klassen, sich immer mehr über den Markt zu reproduzieren. Durch die unverrückbar festgelegte Grundsteuer stieg die Verschuldung eines großen Teils der ländlichen Haushalte stark an, insbesondere in Zeiten von Missernten (T.V. Kumar 2018: 178).

Der Aufstieg professioneller Geldverleiher speiste sich vor allem aus zwei Klassen und war eng mit der Neuordnung der Sozialstruktur auf dem Subkontinent verbunden. Auf der einen Seite waren oft große Familien aus Händlerkasten (je nach Region als baniya, marwari oder mahajan bekannt), die die Waren- und Finanzflüsse zwischen Städten und Dörfern garantierten, gleichzeitig auch Geldverleiher (sahukar oder sowkar). Sie reisten nicht selten über weite Distanzen, um Netzwerke entlang der Kastenzugehörigkeit aufzubauen. Die Macht dieser Händler-Geldverleiher wuchs unter britischer Kolonialherrschaft stark an und wurde bis ins frühe 20. Jahrhundert in keiner Weise reguliert (Bagchi 1992: 38; Hardiman 1996: 121). Zudem erlaubten die neuen Verhältnisse eine zunehmende Landkonzentration in der Hand einer relativ kleinen ländlichen Klasse, die sich zumeist aus den höheren Kasten rekrutierte. Diese Großbauern und Großgrundbesitzer, die von der Kommerzialisierung der Landwirtschaft und der Reform von Eigentum an Grund und Boden profitierten und immer mehr Land kontrollierten, stellten das wachsende Heer an Landlosen sowie Teile der verarmten Bauernschaft als Landarbeiter*innen an und vergaben Kredite an diese (Washbrook 1994:152). Der Punjab, der lange als Land von Kleinbäuerinnen und -bauern galt, zeigt die Auswirkungen der zunehmenden Landkonzentration anschaulich. Am Ende der britischen Kolonialherrschaft gehörte ungefähr die Hälfte des Landes einer relativ kleinen Land besitzenden Klasse (ca. vier Prozent der ländlichen Bevölkerung), während 80 Prozent der Bevölkerung versuchten, ihre Existenz als verarmte Kleinbäuerinnen und -bauern, landlose Pächter*innen oder Lohnarbeiter*innen zu sichern (Hamid 1982). In der Madras Presidency, die damals große Teile des südlichen Indiens umfasste, stieg der Anteil der landlosen Landarbeiter*innen in den drei Jahrzehnten um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert von ungefähr 12 auf 52 Prozent (Patnaik 1983). Und in den besonders stark von Trockenheit und Missernten geplagten Regionen in Südindien, vergab ein Bruchteil der Land besitzenden Klassen (etwa 3 Prozent) fast die Hälfte der Kredite in ländlichen Gegenden (Washbrook 1994:154).

Bestehende Kastenhierarchien gewannen durch die Macht der (neuen) Großgrundbesitzer und der Händler-Geldverleiher an Bedeutung und schrieben sich in das „koloniale Klassensystem“ ein (Mukherjee 1999). In der Dekkan-Region stand diesen professionellen Geldverleihern sowohl eine große Masse an kleinbäuerlichen Haushalten gegenüber, die ihr Überleben durch chronische Verschuldung organisieren musste, als auch eine Klasse (vor allem niedrige Kasten und Dalit), die ohne genügend Subsistenzmitteln dazu gezwungen war, ihre Arbeitskraft auf dem Markt zu verkaufen, nicht selten durch Arbeitsmigration in andere Regionen (Banaji 1977). Insbesondere aus Letzteren speisten sich die schätzungsweise 30 Mio. Vertragsarbeiter*innen (coolies), die nach dem offiziellen Ende der Sklaverei im 19. Jahrhundert unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Zucker-, Tee- und Kaffeeplantagen in Assam, Sri Lanka oder Mauritius Waren für den Weltmarkt produzierten (s. z.B. Komlosy 2014). Obwohl die Verschuldung subalterner Klassen auch in vorkolonialen Zeiten existierte, gibt es zahlreiche Untersuchungen, die aufzeigen, dass das Ausmaß der Verschuldung unter britischer Kolonialherrschaft im 19. Jahrhundert dramatisch anstieg (Bagchi 1992; Banaji 1977; Saikia 2010). Historische Studien zur Verwendung von Krediten zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Landbevölkerung chronisch verschuldet war. Nur so konnten sie, angesichts hoher Grundsteuern, der Einhegung von Gemeinschaftsland und mangelnder Subsistenz durch eigene landwirtschaftliche Produktion das eigene Überleben irgendwie garantieren (Banaji 1977; Bose 1994). Kleinbäuerliche Haushalte, deren Landwirtschaft abhängig vom System der Geldverleiher war, „lebten von und durch Kredit“ (Washbrook 1994: 150, Übers. AS). Paradoxerweise gewährleisteten die Geldverleiher das Überleben der subalternen Klasse durch Kredite, während sie diese gleichzeitig weiter in Armut und Abhängigkeit trieben (Cheesman 1982: 462). In der Region Andhra etwa stieg gegen Ende des 19. Jahrhunderts die ländliche Verschuldung innerhalb von zwanzig Jahren auf das Zweieinhalbfache, von 45 Mio. Rupien im Jahr 1880-1881 auf 112 Mio. Rupien in 1900-1901 (T.V. Kumar 2018: 210). Da der Kolonialstaat weder die strukturelle Subsistenzkrise der subalternen Klassen bekämpfte, noch die Macht der Geldverleiher einschränkte, geriet die Verschuldungsdynamik vielerorts außer Kontrolle:

„Ein Bauer hat sich 10 Rupien geliehen und zehn Jahre, nachdem er den Kredit aufgenommen hatte, sah sein Konto folgendermaßen aus: Er hatte 110 Rupien bezahlt und schuldete noch 220 Rupien; so dass sich in der kurzen Zeitspanne von zehn Jahren, durch Umschuldung, hohe Zinsraten und Zinseszins die Schuld gegenüber der ursprünglich geliehenen Summe auf das 33-fache erhöht hat.“ (Bagchi 1992: 38, Übers. AS)

Im Gegensatz zum heute vorherrschenden Entwicklungsdiskurs, in dem informelle Geldverleiher meist als ausbeuterisches Übel aus vormodernen Zeiten erscheinen (s. z.B. GPFI 2020), war der Aufstieg dieser Geldverleiher eng mit der Macht des Kolonialstaats sowie der kastengeprägten Klassenformierung verknüpft. Einerseits war der Zugang zu Krediten für große Teile der bäuerlichen Haushalte ein wichtiges Instrument, um ihre Subsistenz zu garantieren und Steuern an den Staat zahlen zu können. Waren sie nicht in der Lage die Steuern zu begleichen, drohte ihnen Enteignung, Vertreibung und oft auch Gefängnisstrafe (inklusive Zwangsarbeit). Andererseits wurden die informellen Kreditbeziehungen durch das neue Justizsystem de facto formalisiert, weil Geldverleiher sicher sein konnten, dass die Gerichte die Zahlung des Schuldendienstes mit Staatsgewalt garantieren würden, so lange die Gläubiger ein schriftliches Dokument vorlegen konnten. Die informellen Geldverleiher waren damit zentral für das Funktionieren des Kolonialstaates. In Surat beispielsweise, einem Verwaltungsbezirk nördlich von Bombay (heute: Mumbai), wurden im Jahr 1900 ungefähr 85 Prozent der von subalternen Klassen zu zahlenden Grundsteuern von Geldverleihern vorgeschossen (Reinhard 2017: 796).

Unter britischer Kolonialherrschaft entwickelte sich im 19. Jahrhundert also ein Staat-Geldverleiher-Nexus, der die gewaltsamen Logiken von Kolonialismus, Kapitalismus und Kastensystem verband und dabei die Lebensweise subalterner Klassen fundamental veränderte. Dieser Nexus beschreibt die gleichzeitige Vertiefung politischer Macht auf Seiten des Kolonialstaates (u.a. durch neue Gesetze, relativ stabile Steuereinnahmen sowie Unterdrückung jedweden Widerstands) und ökonomischer Macht in der Fusion von Kapital und Kastenwesen - ein Prozess, der insbesondere Händlerkasten und (aufstrebende) Großgrundbesitzer begünstigte, die nun zu professionellen Geldverleihern wurden. Mit anderen Worten beschreibt der Geldverleiher-Staat-Nexus einen kolonialen Klassenkompromiss, der auf dem vorherrschenden Kastenhierarchien aufbaute. Amiya Kumar Bagchi hat diesen Prozess treffend zusammengefasst: „Mit der wachsenden Herrschaft der Briten über die ländliche Ökonomie wuchs auch die Macht der Geldverleiher“ (Bagchi 1992: 29). Die gewaltige Zunahme des ländlichen Kreditwesens in dieser Zeit war nicht zuletzt deshalb möglich, weil die koloniale Bürokratie bis zum Ende des 19. Jahrhundert nichts dagegen unternahm, die Vergabe von Krediten in irgendeiner Form zu regulieren, während die Gläubiger sicher sein konnten, dass ihnen der liberale Rechtsstaat die Zahlung der Schulden inklusive Zinsen garantierte, so lange der Kreditvertrag schriftlich festgehalten war (T.V. Kumar 2018: 209).

Kredit-Kooperativen und die umkämpften Wurzeln der Unbanked

Periodisch wiederkehrende Missernten und Hungersnöte verschärften sowohl die Subsistenzkrise als auch die chronische Verschuldung subalterner Klassen. Dabei war für viele Bäuerinnen und Bauern klar, dass die Kolonialpolitik ihre Verwundbarkeit entscheidend verstärkte. In einer Petition von 1840 heißt es dazu:

„Unter der gegenwärtigen Regierung werden wir durch den Verkauf von Grundbesitz in einen Zustand von Hunger und Elend gedrängt, ganz so wie ein Baum, der stirbt, weil seine Wurzeln ausgerissen wurden.“ (zit. n. R. Kumar 1965: 616, Übers. AS)

Da die regionalen Kolonialverwaltungen auch in Zeiten von Missernten und Hungersnöten nicht von den festgelegten Steuerforderungen abwichen, kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts immer wieder zu größeren Revolten in unterschiedlichen Teilen des Subkontinents. Ranajit Guha spricht in seinem Klassiker Elementary Aspects of Peasant Insurgency in Colonial India von mindestens 110 Revolten, die er als „Antithese zum Kolonialismus“ beschreibt (Guha 1999: 2). Laut Kathleen Gough nahmen mehrere Tausend aktiv kämpfende oder unterstützende Menschen an den kleinsten dieser Aufstände teil, während viele zehntausende und einige sogar mehr als hunderttausend Menschen umfassten (Gough 1976).[8] Zahlreiche Studien der Subaltern Studies konnten nachweisen, dass es sich bei diesen Aufständen keinesfalls um vereinzelte, willkürliche Gewaltausbrüche handelte. Vielmehr spricht David Arnold von einer „etablierten Form von Protest, Nötigung und Rache, zu der die Armen und Unterprivilegierten häufig griffen um ihre materiellen Interesse und ihre künftige Subsistenz zu beschützen“ (Arnold 1979: 114, Übers. AS). Viele Revolten, wie die deccan riots Mitte der 1870er Jahre, wurden von einem kollektiven Klassenbewusstsein getragen. Dabei richteten sich die Revolten gegen den beschriebenen „kolonialen Klassenkompromiss“ zwischen Kolonialstaat (sarkar), Geldverleihern (sahukar) und Großgrundbesitzern (zamindar) (Guha 1999: 27; Rao 2009: 56). Schuldverhältnisse spielten in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Häufig wurden während der Aufstände nicht nur Institutionen der Kolonialgewalt, wie Polizeistationen oder Regierungsgebäude, angegriffen. Vielmehr zerstörten sie Aufzeichnungen und Kreditverträge sowohl in Gerichten und anderen Behörden als auch in den Häusern der Geldverleiher und Großgrundbesitzer (Gough 1976; R. Kumar 1965). In diesem Sinne waren die Bauernaufstände nicht nur anti-koloniale Kämpfe in der Zeit vor der organisierten Unabhängigkeitsbewegung. Sie waren auch ein Mittel des von unten erzwungenen Schuldenerlasses.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts spitzten sich die Verhältnisse derart zu, dass die koloniale Verwaltung, die inzwischen vollständig an die britische Krone übergegangen war, reagieren musste. So wurde ein öffentliches Kreditsystem für ländliche Haushalte eingeführt, das kurz- und langfristige Investitionen in der Landwirtschaft ermöglichen sollte.[9] Trotz großspuriger Ankündigungen blieb die Wirkung des Programms allerdings marginal und machte schätzungsweise bis 1940 nie mehr als ein Prozent der in ländlichen Regionen vergebenen Kredite aus (T.V. Kumar 2018: 228). In diesem Kontext wurden Kredit-Kooperativen als zentrales Instrument geschaffen, mit der die britischen Kolonialherren zeigen konnten, dass sie sich des Problems der Massenverschuldung, der wachsenden Macht der Geldverleiher und der Verelendung breiter Bevölkerungsschichten annahmen. Anders als beispielweise von Mader (2015: 44f) behauptet, handelte es sich jedoch nur scheinbar um eine Intervention gegen die Macht der Geldverleiher. Vielmehr waren die Kredit-Kooperativen wichtige Institutionen, um Massenunruhen und anti-kolonialen Widerstand zu unterminieren und sich scheinbar mit der Subsistenzkrise subalterner Klassen zu beschäftigen - ohne dabei viel zu investieren (Iqbal 2017; Kamenov 2019; Unger 2018).

Obwohl von den Briten eingeführt, orientierte sich das Modell der Kredit-Kooperativen an dem deutschen Modell von Raiffeisen, das sich wenige Jahrzehnte zuvor in ländlichen Regionen Deutschlands im Kampf gegen Hungersnöte und stagnierendes Wachstum bewiesen hatte. Die Einführung fügte sich perfekt in die rassistische Zivilisationsmission der Briten ein, in der sie der kolonisierten Bevölkerung vermeintlich ökonomische Rationalität, rechtschaffenes Verhalten und „eine ordentliche Dosis viktorianische Moral“ beibrachten (Robert 1970: 167). Die Verbreitung der Kredit-Kooperativen nach der Einführung des Credit Cooperative Societies Act von 1904 zeigte auf den ersten Blick beachtliche Erfolge. Waren im Jahr 1906 ungefähr 2.000 Kooperativen registriert, hat sich die Zahl in kürzester Zeit vervielfacht und lag 1930 bei ungefähr 100.000. Allerdings konnte dieses Wachstum weder die massiv vertieften sozio-ökonomischen Ungleichheiten ausgleichen, noch kehrte es den Trend der Massenverschuldung um. Dies kann zum einen dadurch erklärt werden, dass Kooperativen in erster Linie der Festigung des oben beschriebenen kolonialen Klassenkompromiss dienten. Einerseits spiegelte die Führung der Kooperativen häufig die vorherrschende Klassenstruktur wider, in der Großgrundbesitzer und teilweise auch professionelle Geldverleiher dominierten, so dass Kredite entlang von Kastenzugehörigkeit vergeben wurden. Dadurch vertieften sich lokale Ungleichheiten tendenziell weiter, indem landlose Arbeiter*innen, Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Pächter*innen weitgehend vom Zugang zu Krediten ausgeschlossen wurden (Iqbal 2017: 231; Shah u.a. 2007). Andererseits galt es, Teile der indischen Unabhängigkeitsbewegung zu integrieren, indem beispielsweise führende Persönlichkeiten der Swadeshi-Bewegung auch „kompetente Führer“ für die Kredit-Kooperativen auswählen durften (Iqbal 2017: 228).[10] Darüber hinaus kann die begrenzte Wirkung der Kredit-Kooperativen auf die Lebensverhältnisse subalterner Klassen damit erklärt werden, dass das System die Macht der Geldverleiher nie brechen konnte. Trotz schnellen Wachstums machten die von Kooperativen vergebenen Kredite in ländlichen Regionen schätzungsweise lediglich ein Zehntel des Kreditvolumens in ländlichen Regionen aus (T.V. Kumar 2018; Robert 1970). Und im Gegensatz zu den „informellen“ Geldverleihern waren die Kooperativen in puncto überfälliger Kredite und Umschuldung keineswegs so flexibel, da sie selbst mit geborgtem Kapital operierten (Kamenov 2019: 227). Als die Briten Anfang der 1930er Jahre die Finanzierung der Kooperativen nach dem Ausbruch der Großen Depression in den USA drastisch reduzierten, offenbarte sich, dass der Großteil der von den Kooperativen vergebenen Kredite nicht bedient werden konnte. In den meisten Distrikten von Bengalen beispielsweise lag die Ausfallquote Mitte der 1930er bei 80 Prozent (Iqbal 2017). Die Tendenz zur Exklusion von formalen Finanzinstitutionen aufgrund von Kaste, Klasse Indigenität und Geschlecht, die am Beispiel der Kredit-Kooperativen nur kursorisch aufgezeigt werden konnte, kennzeichnete schließlich auch das entstehende (anglo-)indische Bankensystem (s. z.B. Bagchi 1985).

Ausblick: Kann die Subalterne zahlen?

Der historische Rückblick zeigt, dass die zunehmende Kommerzialisierung der Landwirtschaft, die Reform des Steuer- und Justizsystems, die Erosion vorkolonialer Subsistenzsysteme und die kastenbasierte Klassenformierung unter britischer Kolonialherrschaft auf dem indischen Subkontinent im 19. Jahrhundert gemeinsam eine Vergesellschaftungsdynamik in Gang setzten, im Zuge derer subalterne Klassen ihr Überleben zunehmend über den Zugang zu Krediten organisieren mussten. Eine entsprechende Finanzierung konnten sie jedoch nur durch Geldverleiher erhalten, die selbst meist Händler oder Großgrundbesitzer waren, und deren Macht sich während dieser gesellschaftlichen Umwälzungen vertiefte und damit auch die Kasten- und Klassenunterschiede weiter forcierte. Von sogenannten formalen Finanzinstitutionen, die sich vornehmlich ab Ende des 19. Jahrhunderts auf dem indischen Subkontinent entwickelten, wie Kredit-Kooperativen, wurden subalterne Klassen qua Klassen- und Kastenstruktur ausgeschlossen. Dieser kursorische Überblick über die Massenverschuldung subalterner Klassen auf dem indischen Subkontinent unter britischer Kolonialherrschaft kann an vielen Stellen der Komplexität historischer Entwicklungen nicht gerecht werden. So gilt zu beachten, dass die geschilderten Entwicklungen ungleich verliefen, sowohl was ihre regionale Ausbreitung als auch die Intensität angeht. Gleichwohl beschreibt die Tendenz dieser Vergesellschaftungsdynamik eine verallgemeinerbare Erfahrung subalterner Klassen auf dem indischen Subkontinent. Vor diesem Hintergrund erscheint der vorherrschende Entwicklungsdiskurs der finanziellen Inklusion, der sich durch diskursiv konstruierte Dichotomien wie formell/informell, Inklusion/Exklusion und banked/unbanked rechtfertigt, in neuem Licht.

Erstens ist die Trennung zwischen formellen und informellen Finanzinstitutionen wesentlich widersprüchlicher und problematischer als sie zunächst erscheinen mag. Im Gegensatz zur weitverbreiteten Annahme, dass Geldverleiher vorrangig eine Art vormodernes Überbleibsel sind, war der Aufstieg von Händlerkasten und neuen Großgrundbesitzern als professionelle Geldverleiher eine genuin moderne Entwicklung, die sowohl mit dem gewaltsamen Ausbau des Kolonialstaates als auch mit der Herausbildung des kapitalistischen Weltmarkts verbunden war. De facto formalisierte der Kolonialstaat die Geschäfte lokaler Geldverleiher durch die Reform des Steuer- und Justizwesens und gründete seine Herrschaft auf einen kolonialen Klassenkompromiss. Die Macht informeller Geldverleiher ist daher ein koloniales Erbe, auch wenn es als solches nicht im Entwicklungsdiskurs der finanziellen Inklusion anerkannt wird. Darüber hinaus erscheint die Dichotomie formell/informell auch in anderer Hinsicht widersprüchlich. Der rapide Aufstieg des Mikrofinanzwesens in den letzten Dekaden, der zweifelsohne das Rückgrat des Entwicklungsprojekts der finanziellen Inklusion bildet, war über Jahre hinweg kein regulierter, sondern ein informeller Teil des Banken- und Finanzsystems. Weder die Höhe von Zinsraten noch andere Konditionen wurden von staatlichen Behörden kontrolliert oder beschränkt. Erst mit der zunehmenden Kommerzialisierung und Finanzialisierung des Sektors sowie daraus resultierenden größeren Krisen, wie 2010 in Andhra Pradesh, wurden Mikrofinanzinstitutionen von der indischen Zentralbank reguliert (s. Beitrag von Paula Haufe in diesem Heft, S. 227ff).

Zweitens haben die vorangehenden Abschnitte herausgearbeitet, wie eng die Massenverschuldung ab dem 19. Jahrhundert mit einer strukturellen Subsistenzkrise subalterner Klassen zusammenhing. Es wäre nicht übertrieben zu behaupten, dass diese Entwicklungen, im Fall von Südasien, als koloniale Wurzeln gegenwärtiger Tendenzen der Finanzialisierung sozialer Reproduktion beschrieben werden können. Dabei drückt sich die gegenwärtige Krise sozialer Reproduktion in Indien vor allem dadurch aus, dass subalterne Klassen häufig weder durch Einkommen aus Subsistenzproduktion noch durch prekarisierte Lohnarbeitsverhältnisse (bspw. durch Arbeitsmigration) ihre notwendigen Ausgaben decken können (s. z.B. Naidu & Ossome 2016). In diesem Kontext entsteht der Druck auf kleinbäuerliche und lohnabhängige Haushalte, sich bei unterschiedlichen Geldgebern[11] zu verschulden, um strukturelle Versorgungslücken immer wieder zu überbrücken. Im Gegensatz zu einer vornehmlich auf Finanzinstitutionen fokussierten Perspektive, die vor allem die Unterschiede zwischen „informellen“ Geldverleihern, Kredit-Kooperativen und Mikrofinanzinstituten hervorhebt, erlaubt die hier vorgestellte Perspektive, das Verhältnis von Schuld- und Lebensverhältnissen subalterner Klassen genauer zu verstehen. Statt Armut primär als Ergebnis von Geldmangel und Bedarf an Finanzdienstleistungen zu begreifen, welche durch den Ausbau eines inklusiven Finanzwesens behoben werden kann, erklären gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse entlang von Klasse, Kaste, Indigenität und Geschlecht den ungleichen Zugang zu und Bedarf an Krediten.

Drittens ermöglicht die vorliegende Untersuchung Fragen der finanziellen Inklusion anders zu stellen und dabei das vorherrschende Entwicklungsparadigma grundsätzlich zu hinterfragen. Obwohl die internationale Entwicklungsgemeinschaft feiert, dass mehrere hundert Millionen Menschen nun ein Bankkonto besitzen, bleibt offen, inwiefern dies die Lebensverhältnisse subalterner Klassen wirklich verändert. Befürworter*innen betonen vor allem die Vorteile davon, wie die Subalterne zahlen kann, also auf welche vermeintlich sicheren und effizienten Finanzquellen sie zugreifen kann, wenn sie in das globale Banken- und Finanzsystem integriert wird. Aus materialistisch-postkolonialer Perspektive erscheint die Argumentation wenig schlüssig. Ob mit oder ohne Bankkonto: Die Subalterne muss zahlen, um leben zu können. Denn am strukturellen Zwang, sich verschulden zu müssen, um Zugang zu Essen, sauberem Trinkwasser, Strom, Gesundheitsversorgung oder Bildung zu haben, ändert finanzielle Inklusion nichts.

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Anschrift des Autors:
Anil Shah
shah@uni-kassel.de

https://doi.org/10.3224/peripherie.v41i2-3.02

 

[1]       Neben internationalen Organisationen, Finanz- und Entwicklungsministerien aus OECD-Staaten, transnationalen Finanzinstitutionen und philanthropischen Denkfabriken gehören zunehmend auch Zentralbanken und Finanzministerien im globalen Süden zu entschiedenen Befürwortern der neuen Entwicklungsagenda (Soederberg 2013), etwa in der Alliance for Financial Inclusion oder der Global Partnership for Financial Inclusion.

[2]       Laut der Global Findex Database der Weltbank leihen sich immerhin 44 % der Erwachsenen in Entwicklungsländern Geld. Doch der Großteil greift dabei auf private Arrangements zurück, etwa Freund*innen, Verwandte oder lokale Geldverleiher, während nur 15 % Kredite von Banken oder anderen Finanzinstituten aufnehmen (können) (Demirgüç-Kunt u.a. 2018).

[3]       Laut den Zahlen der Weltbank hat sich der Anteil der Menschen, die täglich zwischen 1,25 und 2 US$ verdienen, zwischen 1981 und 2008 verdoppelt (Phillips 2017: 429).

[4]       Soziale Reproduktion wird hier in einem breiten Sinne verwendet und bezieht sich sowohl auf physische als auch auf emotionale (Sorge-)Arbeit, die sowohl die Reproduktion von Arbeitskraft als auch das tägliche und intergenerationale Überleben von Gemeinschaften ermöglicht, etwa durch Kinderbetreuung, Altenpflege oder die Sorge um arbeitende Körper. Aus dieser Perspektive zeichnen sich kapitalistische Gesellschaften durch die Tendenz einer strukturellen Trennung zwischen Produktion und Reproduktion aus, in der Sorgearbeit abgewertet und weitgehend unbezahlt verrichtet wird, obwohl sie für erfolgreiche Kapitalakkumulation, insbesondere durch die Reproduktion von Arbeitskraft, unerlässlich ist. Soziale Reproduktion bezeichnet daher keine autonome Sphäre. Sie lässt sich nur durch historsich wechselnde Formen vergeschlechtlichter Arbeitsteilung, Kapitalakkumulation, Staatlichkeit und Zivilgesellschaft verstehen (Katz 2001: 711).

[5]       Für die Hintergründe zur Verbriefung von Mikrokreditportfolios s. Stichwort „Verbriefung“ von Jenny Simon in diesem Heft (S. 324ff). Juvaria Jafri erläutert in diesem Heft (S. 201ff), wie MIVs dazu beigetragen haben das Mikrofinanzwesen in Schattenbankennetzwerke und -praktiken zu integrieren.

[6]       Für einschlägige Beispiele im Bereich der kritischen politischen Ökonomie, die wegweisende Analysen vorgelegt haben, dabei aber eine systematische Untersuchung der Kolonialgeschichte ausblenden, s. z.B. Aitken 2015; Bateman 2010; Karim 2011.

[7]       Im Osten des Subkontinents (Bengalen, Bihar und Odisha) wurde mit dem Permanent Settlement Act 1793 das Zamindari-System eingeführt, nachdem die Zamindars zu Landadel nach britischem Vorbild deklariert wurden, die Eigentum an großen Ländereien hatten und verantwortlich dafür waren, Steuern einzutreiben und an den Kolonialstaat weiterzugeben. Zwar sicherte diese Einbindung der lokalen Eliten die Herrschaft der Briten in gewisser Hinsicht ab. Gleichzeitig wurde das System jedoch, insbesondere von liberalen Kolonisten, für seine feudalen Züge kritisiert. Diese setzten sich mit dem Ryotwari-System durch, in dem Bauern das Land effektiv besaßen, so lange sie die Grundsteuer zahlen konnten. Im Norden des Subkontinents entstand das Mahalwari-System, in dem die Dorfgemeinschaft für die Abgaben verantwortlich war und bäuerliche Haushalte anteilig zur Größe ihres Landbesitzes beitragen mussten. Allen Steuersystemen war gemein, dass die Produzierenden direkt von ihren Subsistenzmitteln getrennt werden konnten, sofern sie nicht in der Lage waren, die Grundsteuer zu zahlen. Für einen Überblick s. z.B. Bagchi 1992.

[8]       Zu den Revoltierenden gehörten neben Bäuerinnen und Bauern auch andere Teile der subalternen Klassen, etwa Handwerker*innen, Fischer*innen, Hirt*innen, indigene Gemeinschaften oder Söldner*innen.

[9]       Paradoxerweise baute dieses Kreditsystem auf den taccavi-Krediten des Mogulreichs auf, welches in der ersten Phase der britischen Kolonialherrschaft, bis ins späte 19. Jahrhundert, weitgehend stillgelegt wurde und Landwirt*innen dadurch de facto zwang, Kredite von Geldverleihern aufzunehmen.

[10]      Die Swadeshi-Bewegung entstand zu Beginn des 20. Jahrhunderts, war Teil der nationalistischen indischen Unabhängigkeitsbewegung und eng mit der Kongresspartei (Indian National Congress) verknüpft. Sie verband ihre Kritik am britischen Kolonialismus und die Förderung nach nationaler Selbstbestimmung mit der (Wieder-)Belebung der heimischen (Textil-)Industrie.

[11]      Dazu gehören beispielsweise Verwandte, lokale Geldverleiher, Großgrundbesitzer, Nichtregierungsorganisationen, Mikrofinanzinstituten, Kredit-Kooperativen und teilweise auch Geschäftsbanken.