Der vergessene Standort
Neben den Resten des ehemaligen Atomkraftwerks (AKW) Greifswald, entstand ab 1992 ein etwa 20.000 m² großes Gebäude mit acht Hallenabschnitten, das für den Rückbau und die Zwischenlagerung von atomaren Abfällen der ostdeutschen AKWs Greifswald und Rheinsberg vorgesehen war.
Der Stolz der Betreiber sind Konditionierungsanlagen zur Separierung und Verpackung von hoch-, mittel- und schwachradioaktiven Substanzen. Die Größe der Anlage überschreitet die benötigten Kapazitäten der beiden AKWs deutlich. Bereits Anfang der 90er Jahre gab es kritische Stimmen, die eine Ausrichtung der Lagerkapazität nach dem Bedarf der westdeutschen Atomindustrie vermuteten.
Die Landespolitiker Mecklenburg-Vorpommerns stimmten 1991 dem Bau eines Zwischenlagers in Lubmin zu, unter der Bedingung, dort nur atomare Abfälle aus ostdeutschen AKWs zu lagern.
Da es keine exakte Abschätzung des radioaktiven Inventars gab, blieb die tatsächlich benötigte Größe des Lagers jedoch im Dunkeln und die damalige Umweltministerin Angela Merkel positionierte sich mit der Aussage, die langfristige Nutzung des Zwischenlagers sei derzeit nicht verbindlich festlegbar.
Zwanzig Jahre später wird die Vermutung bestätigt, dass in Lubmin auch Atommüll aus westdeutschen Atomanlagen gelagert werden soll. Noch in diesem Jahr wird hochradioaktiver Müll aus den Forschungszentren Karlsruhe und dem französischem Cadarache erwartet. In Cadarache lagern derzeit Abfälle vom Forschungsschiff Otto Hahn aus Geesthacht.
In den letzten Jahren wurde nach 30-jähriger Probezeit deutlich, dass die Endlagerung radioaktiven Mülls in Salzbergwerken, wie Asse oder Morsleben, nicht funktioniert.
Ca. 126.000 Fässer Atommüll drohen im Bergwerk Asse das Grundwasser zu kontaminieren und müssen unter Gefahren geborgen werden. In Gorleben lagert der Atommüll zwar noch oberirdisch, die Bundesregierung versucht aber gesetzliche Rahmenbedingungen für eine Einlagerung zu schaffen. Dagegen sprechen Studien, die auch für dieses Salzbergwerk Wassereintritte und damit erhebliche Gefahren im Falle der Einlagerung von Atommüll prognostizieren.
Wohin der Müll gebracht werden soll, ist also weiterhin unklar. Eine Möglichkeit ihn wenigstens etwas aus dem Fokus der öffentlichen Diskussion herauszubekommen, wäre die Zwischenlagerung in Lubmin.
Die Zwischenlagerung in Lubmin ist derzeit bis 2039 genehmigt. Da aber in den nächsten Jahrzehnten nicht mit der Lösung der Frage nach der Endlagerung atomaren Mülls zu rechnen ist, bleibt die Zukunft des Mülls und deren Unterbringung ungewiss.
Der Betrieb eines AKWs, sowie die damit verbundenen Produktion von Atommüll, wird lediglich dadurch ermöglicht, dass die Betreiber von AKWs, im Gegensatz zu Betreibern jedweder anderer Unternehmen, die Entsorgung ihrer umweltschädlichen Abfälle nicht nachweisen müssen. Es reicht für die Entsorgung von Atommüll bereits ein sogenannter Entsorgungs"vorsorge"nachweis.
Die Vorsorge ersetzt das Entsorgen, das es bisher nicht gibt und mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nie geben wird. Da es keine sichere Entsorgung gibt und auch in absehbarer Zukunft die Lösung des Problems nicht in Sicht ist, heißt für viele Menschen die logische Konsequenz die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen weltweit. Die Bundespolitik sieht anders aus und so ist mit weiterem Atommüll, auch und vielleicht vor allem nach Lubmin, zu rechnen.
Über die Lagerungsproblematik hinaus wird vermutet, dass vor allem ein Grund bei der Standortwahl Lubmin die Hauptrolle gespielt hat. Wie schon zuvor in Gorleben zugegeben, werden von der Politik bevorzugt Standorte in strukturschwachen Gegenden, in denen mit wenig Protest zu rechnen ist, gewählt.
Der Schriftsteller Andreas Meier hat dies auf den Punkt gebracht: "Was man wegwirft, ist zwar weg, aber immer noch da. Nur nicht hier, sondern woanders. Wegwerfen und hinwerfen, und vorher produzieren und dann hin und her, damit die Leute glauben, es gäbe eine Lösung".
Hier wird nach einem Prinzip gehandelt, das wir auch aus anderen Bereichen wie z. B. der Gentechnik oder bei Tiermastfabriken kennen: Immer dorthin, wo der Widerstand als am geringsten einzustufen ist.
Sie werden sich aber hier kräftig irren. Die Proteste gegen das "Bombodrom" oder das geplante Kohlekraftwerk in Lubmin haben gezeigt, dass Widerstand möglich und erfolgreich sein kann. Ein breites Bündnis mit über 60 gesellschaftlichen Organisationen ruft bereits jetzt dazu auf, am TAG X des Castortransportes von Karlsruhe nach Lubmin bunt und vielfältig Protest zu gestalten, darauf aufmerksam zu machen, dass hinter den Transporten ein riesiges ungelöstes Problem steht und der Bundesregierung das alte indianische Sprichwort beizubringen: "Wenn Dein Pferd tot ist, steig ab!"
Fakten zum Zwischenlager Lubmin:
Lubmin: ca. 15km Luftlinie östlich von Greifswald
Größe der Leichtbauhalle: 20.000 m²
Zwischenlagerung von schwach-, mittel- und hochradioaktivem Atommüll, z.Zt. 65 Castor-Behälter eingelagert bis Ende 2010 Genehmigung für fünf Castorbehälter aus Karlsruhe und für vier Behälter aus dem französischen Cadarache *
1990: Abschaltung der fünf AKW-Blöcke; drei weitere wurden nie fertig gestellt
1991: Zustimmung des Schweriner Landtags mit den Stimmen aller Fraktionen für den Bau des Zwischenlagers, wenn ausschließlich Atommüll aus den ostdeutschen AKWs eingelagert wird
1992: Beschluss zur Beschränkung auf Abfälle aus Greifswald und Rheinsberg wird durch die Regierungskoalition (CDU/FDP) verhindert
1993: "Umwidmung" zur Einlagerung von hochradioaktivem Müll; Teillager für hochradioaktive Abfälle ist dreimal so groß wie nötig
1995: 15.000 Einwendungen gegen das Zwischenlager
1999: Fertigstellung und Inbetriebnahme des gesamten Zwischenlagers
2006: Einlagerung der letzten Castor-Behälter aus Rheinsberg und Greifswald
2007: Transport des Reaktordruckbehälters aus dem AKW Rheinsberg
2039: Ende der gültigen Genehmigung für 40 Jahre Zwischenlagerung
Die voraussichtlichen Kosten für Rückbau und Lagerung betragen 5,4 Mrd. €
Rebecca Südmersen, Adelwin Bothe und Daniel Daedlow
* Infos und Benachrichtigung gibt es über die TagX-Alarmliste:
www.lubmin-nix-da.de
Castoralarm in Lubmin: Kurz vor Weihnachten wird ein Transport von vier Castoren mit hochradioaktivem Abfall aus Cardarache (Südfrankreich) in das Zwischenlager Lubmin erwartet. Wir stellen uns dem Castor entgegen. Auftaktdemo: 11.2010, 13 Uhr, Greifswald. Mögliche Transportermine sind 16.-18.12.2010 oder 21.-23.12.2010.
Artikel aus: Graswurzelrevolution, Monatszeitung für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft, Nr. 353, 39. Jahrgang, November 2010, www.graswurzel.net