verniedlicht, vermonstert

in (05.05.2010)

Nach den Attentaten in der Moskauer U-Bahn: Zum Diskurs über weibliche Terroristinnen ein Interview mit der Politologin Claudia Brunner.

Mit den jüngsten Selbstmordanschlägen in der Moskauer U-Bahn, die Ende März Russland erschütterten, sind Frauen als Terroristinnen wieder verstärkt ins Licht der Medien gerückt. Auf der Suche nach Erklärungen wird das Privatleben der Täterinnen durchleuchtet, während der politische Konflikt im Kaukasus dekontextualisiert wird, erklärt die Politikwissenschaftlerin Claudia Brunner. Ein Interview von Vina Yun


an.schläge: Das Auftauchen von Selbstmordattentäterinnen wird meist als historische Neuheit diskutiert. Ist „weiblicher Terrorismus” tatsächlich ein neues Phänomen oder hat sich die Wahrnehmung und Definition von „Terror” verschoben?

Claudia Brunner: Es stimmt, dass Selbstmordattentate von Frauen in der heute auftretenden Form ein relativ junges Phänomen sind – allerdings auch nicht viel jünger als Selbstmordattentate überhaupt. Vorausgesetzt, dass wir dieselbe Definition verwenden, was ein Selbstmordattentat ist. Der nachrichtenwirksame Wert eines solchen Anschlages wird allerdings durch den Faktor „Weiblichkeit” verstärkt: Physische Gewalttätigkeit passt noch immer nicht so recht in die vergeschlechtlichte Dichotomie von „Krieg/Gewalttätigkeit” und „Frieden/Gewaltlosigkeit”. Dieser Gegensatz ist – aus wissenssoziologischer Sicht betrachtet – allerdings schon Teil des Problems, nämlich wie legitimierte als auch nicht legitimierte politische Gewalt wahrgenommen und verhandelt wird. Von „männlichem” oder „weiblichem” Terrorismus zu sprechen, ist auf einer anderen Ebene problematisch, weil man damit nicht nur die AkteurInnen bezeichnet, sondern das Phänomen an sich.

In der Berichterstattung über die jüngsten Selbstmordanschläge in Russland fällt auf, dass bei den Täterinnen vor allem persönliche Motive aufgezählt werden, zum Beispiel Rache für den getöteten Partner oder Familienmitglieder. Wie typisch ist diese mediale Darstellung von weiblichen „suicide bombers”?

Sehr typisch. Sie zieht sich durch unser mediales, wissenschaftliches und Alltagswissen über alle Konflikte, in denen Frauen gewaltvoll die politische Arena betreten. Diese Personalisierung, Individualisierung und Privatisierung von Gründen und Motiven ist dabei nicht nur auf Selbstmordattentate beschränkt. In allen Fällen trägt die Definition von „privat” versus „politisch” zu diesem Verständnis bei.
Wenn eine Frau zu extremer Gewalt greift und dies vielleicht auch deshalb tut, weil Teile ihrer Familie durch vorangegangene kriegerische oder antiterroristische Gewalt ums Leben gekommen sind, dann kann man meines Erachtens nicht mehr von ausschließlich „persönlichen” oder „privaten” Motiven sprechen. Wenn diese Erklärung in den Vordergrund gerückt wird – und das ist meist bei Frauen der Fall –, dient das vor allem der historischen und politischen Dekontextualisierung des Konflikts, in den diese Anschläge eingebettet sind. Gewalttätige Frauen sind offensichtlich schwerer „auszuhalten” als Männer, die dieselben Taten verüben. Ihre Rückbindung an die Privatsphäre schließt sie – sei es durch Verniedlichung oder durch Vermonsterung – aus dem Raum des Öffentlichen, des Politischen, des Legitimen und Rationalen wieder aus.

Die Selbstmordattentäterinnen aus dem Kaukasus-Gebiet werden wiederholt als „Schwarze Witwen” benannt – eine Bezeichnung aus dem Tierreich, wie sie bei männlichen Tätern nicht zu finden ist …

Diese Bezeichnung, die meines Wissens in russischen Medien erstmals formuliert wurde, beinhaltet eine zweifache Problematik. Zum einen verweist sie bereits auf die angesprochene Rückbindung der Frauen an ihre Privatsphäre, die in erster Linie sexualisierte Konturen aufweist. Zum anderen sorgt ein Tiername für einen Aspekt der Entmenschlichung, der die Vorstufe zur legitimierten „Auslöschung” und physischen Vernichtung der Betreffenden darstellt – sowohl Putin als auch Medwedjew, aber auch zahlreiche andere Terrorismus-BekämpferInnen, verwenden immer wieder diese Bezeichnung, ohne dafür kritisiert zu werden.

Bemerkenswert ist auch, dass im Zusammenhang mit Selbstmordattentäterinnen immer wieder von „rückständigen Traditionen” wie Blutrache, religiösem Zwang und archaischen Geschlechterverhältnissen die Rede ist. Umgekehrt wird im „War on Terror”-Diskurs unter anderem die Befreiung der „unterdrückten Frau” im Islam propagiert.

Es ist eine Kulturalisierung von politischen Konflikten festzustellen, die in zwei Richtungen funktioniert. Die US-amerikanische Theoretikerin Wendy Brown hat dies mit dem treffenden Satz „We have culture, but culture has them” (1) in einem anderen Zusammenhang sehr gut zum Ausdruck gebracht. Während die einen also über eine „gute”, das heißt westliche, Kultur verfügen und diese intentional und wohltätig einsetzen können, kommen dieser Logik nach „die anderen” über eine traditionsgebundene, archaische Variante von Kultur erst gar nicht hinaus und bleiben in ihr passiv verhaftet. Frauen dienen dabei als Grenzsteine zwischen den so abgesteckten Zonen des Kulturellen und des Politischen.

Gibt es denn so etwas wie eine „feministische Terrorismusforschung”, und inwiefern unterscheidet sich diese von der Mainstream-Forschung?

Es gibt Terrorismusforschung, die sich um sogenannte „Frauenfragen” kümmert bzw. manche Fragenkomplexe zu solchen macht. Das sind zumeist Männer und nur vereinzelt Frauen, die sich jedoch nicht als Feministinnen bezeichnen würden. Dann gibt es Feministinnen, die zu Terrorismus und politischer Gewalt arbeiten, aber nicht im engeren Sinne Teil der Terrorismusforschung sind. Viele von ihnen vertreten differenzfeministische Positionen und einen unpräzisen Gender-Begriff, was vom Mainstream der Terrorismusforschung leichter rezipiert und an dominante Zugänge anschlussfähig gemacht werden kann. Auch das ist problematisch und endet oft wiederum in der Krieg-und-Frieden-Dichtomie. Da Terrorismusforschung insgesamt ein politiknahes, äußerst genderresistentes und maskulinisiertes Feld darstellt, ist eine feministische Verortung darin nur sehr schwer möglich.
Aus meiner Sicht kann eine feministische Terrorismusforschung schon allein aufgrund eines notwendigerweise weiten Gewaltbegriffs, der auch strukturelle Gewalt mit einschließt, nicht am Gegenstand „Terrorismus” stehenbleiben. Sie muss sich vielmehr den Prämissen und Möglichkeitsbedingungen widmen, auf deren Basis politische Gewalt nicht nur ausgeübt, sondern auch definiert, beforscht und bekämpft wird. Dann ist sie aber keine Terrorismusforschung im engeren Sinne mehr – und will vermutlich auch keine sein.

(1) Brown, Wendy 2006: Regulating Aversion. Tolerance in the Age of Identity and Empire. Princeton: Princeton University Press.
Audiolink zum Buch auf http://philosophybites.com/2008/11/wendy-brown-on-tolerance.html

Claudia Brunner ist Politologin und Universitätsassistentin am Zentrum für Friedensforschung und -pädagogik der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Österreich.

Eine Langfassung des Interviews lesen Sie auf www.migrazine.at

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin, www.anschlaege.at