Es ist ein gemeinsamer Kampf

Von 1.-5. April fand in London die erste „Sex Worker Open University“ (SWOU) statt. Ko-Organisatorin Carrie Hamilton über die Ziele der SWOU und das politische Selbstverständnis der Sexarbeiter_innen-Bewegung in

in (30.04.2009)

Von 1.-5. April fand in London die erste „Sex Worker Open University" (SWOU) statt. Ko-Organisatorin Carrie Hamilton über die Ziele der SWOU und das politische Selbstverständnis der Sexarbeiter_innen-Bewegung in Großbritannien.

 

an.schläge: Was ist die „Sex Worker Open University"?

Carrie Hamilton: Die „Sex Worker Open University" hat den Zweck, Sexarbeiter_innen, Akademiker_ innen, Aktivist_innen, Künstler_innen und andere Verbündete zusammenzubringen, um die Bandbreite und Vielfalt, aber auch die Widersprüche in der Sexindustrie zu ergründen. Wir wollen Sexarbeiter_innen eine Stimme geben und herrschende Stereotype ebenso wie den Sensationalismus der Medien kritisch hinterfragen. Unser Ziel ist auch, dass Sexarbeiter_innen ihr Wissen, ihre Ideen und Erfahrungen miteinander teilen und gemeinsam Strategien für die Zukunft entwerfen, einschließlich des Kampfes gegen die Kriminalisierung von Sexarbeit. Die Eröffnung der SWOU fand an der Queen Mary Universität von London statt, mit Präsentationen und Filmen über Sexarbeiter_innen-Bewegungen aus der ganzen Welt, von Argentinien über Costa Rica und Neuseeland bis hin zu Kanada, Kambodscha, Dänemark, Deutschland und Großbritannien. Danach wurde die Fotoausstellung „Prostitutes of Europe" von Mathilde Bouvarde eröffnet, die Sexarbeiter_innen in zwölf europäischen Städten fotografiert hat.

Von wem wurde die SWOU organisiert? Und welches Publikum ist gekommen?

Die Konferenz wurde von Luca Raven und mir organisiert. Luca ist Sexarbeiter, ich bin Aktivistin und war früher als Sexarbeiterin tätig. Die meisten, die zur „Sex Worker Open University" kamen - insgesamt waren es an die 200 Personen -, sind Sexarbeiter_innen aus unterschiedlichen Bereichen der Sexindustrie: Escorts, Tänzer_innen, Pornodarsteller_innen, Pro-Doms und Pro-Subs, Sexarbeiter_innen, die auf der Straße und in Wohnungen arbeiten. Es waren aber auch Aktivist_innen, Akademiker_innen, Journalist_innen und Studierende da sowie Leute, die allgemein mehr über Sexarbeit, die Sexindustrie und deren (künstlerische) Repräsentation erfahren wollten. 

In der feministischen Auseinandersetzung zu Sexarbeitlassen sich zwei gegensätzliche Positionen ausmachen: Zum einen die Abolitionistinnen, die Prostitution primär als Ausbeutung und patriarchales Gewaltverhältnis sehen. Diese Position betont auch sehr stark die Existenz des Frauenhandels, besonders im Zusammenhang mit migrantischen Sexarbeiter_innen. Zum anderen die Aktivist_innen aus der Sexarbeiter_innen-Bewegung, die den abolitionistischen Ansatz kritisieren und vor allem die Rechte von Sexarbeiter_innen bzw. die Legalisierung von Sexarbeit in den Mittelpunktstellen. Sie argumentieren, dass Sexarbeit (meistens) frei gewählt ist. Im Rahmen der SWOU haben Sie einen Workshop geleitet1, der sich eben diesem Disput widmet.

Die Polarisierung zwischen den so genannten Abolitionistinnen und Feministinnen, die die Rechte von Sexarbeiter_innen stärken wollen, bringt weder Feministinnen noch Sexarbeiter_innen weiter. Zudem simplifiziert diese Dichotomie die Debatte. Als Sexarbeiter_innen und Aktivist_innen, die für deren Rechte kämpfen, stellen wir natürlich die Behauptung, dass Sexarbeit Gewalt gegen Frauen sei, in Frage. Denn Sexarbeit ist in erster Linie Arbeit, und diese beinhaltet ein bestimmtes Wissen und Können, auch wenn sie mit Ausbeutung verbunden ist. Das Thema Menschen- bzw.Frauenhandel ist in der Debatte über Sexarbeit zu einem Ablenkungsmanöver geworden: Die Obsession in dieser Frage offenbart eher die Ängste des Westens vor Massenmigration sowie den Drang, Frauen vor der Sexarbeit „retten" zu wollen, statt die unterschiedlichen Beweggründe, warum Frauen, Männer und Transpersonen in die Sexindustrie gehen, zu verstehen und zu analysieren, welche anderen Möglichkeiten ihnen sonst offen stehen und welche nicht. Wenn man die Debatte derart angeht, bringen einige Feministinnen, die sich gegen Prostitution äußern, durchaus legitime Einwände ein, was das Problem von Klassenausbeutung, Sexismus und Rassismus in der Sexindustrie angeht. Wir Aktivist_innen müssen uns diesen Themen direkt stellen, wenn wir eine starke Bewegung aufbauen wollen. Der Workshop war ein Anfang, und ich hoffe, dass die Diskussion weitergeht. 

Seit einigen Jahren ist im akademischen feministischen und queeren Diskurs ein gesteigertes Interesse an Pornografie und ein regelrechter Hype um „Post-Porno" zu beobachten. Gibt es eine gemeinsame Basis zwischen Akademiker_innen, feministisch-queeren Aktivist_innen und Sexarbeiter_innen? 

Ich denke, es gibt viele Gemeinsamkeiten unter jenen Sexarbeiter_innen, die sich als queer und/oder als „sex radicals" definieren. Allerdings ist das für den Großteil der Sexarbeiter_innen nicht der Fall - sie sehen ihren Job primär als  Arbeit und nicht als Ausdruck eines sexuellen Begehrens oder einer Identität. Solche Differenzen sollte die Sexarbeiter_innen-Bewegung jedenfalls erkennen und mit einbeziehen. 

Inwiefern unterscheidet sich denn die Situation der Sexarbeiter_innen in Großbritannien von der in anderen EU-Ländern?

Die Frage ist sehr komplex. Die gesetzliche Lage sieht in fast jedem Land anders aus, wie auch die Präsentationen aus Dänemark, Deutschland, Frankreich und England beim Eröffnungsabend der SWOU deutlich machten. Derzeit wird in Großbritannien versucht, die Nachfrage nach Sexarbeit zu kriminalisieren, d.h. es werden die Kunden (statt der Prostituierten) strafrechtlich belangt. Vorbild dafür ist das schwedische Modell, das 1999 eingeführt wurde. Das ist ein großes Thema. Dieses Modell ist aktuell sehr populär unter ProstitutionsgegnerInnen, und Aktivist_innen der Sexarbeiter_innen-Bewegung in ganz Europa kämpfen dagegen an.

Wie können Aktivist_innen trotz der unterschiedlichen gesetzlichen, politischen und sozialen Rahmenbedingungen gemeinsam Bündnisse schmieden?

Wir tun es bereits - mit Veranstaltungen wie der SWOU undunserem geplanten neuen Vernetzungsforum im Internet2, mit Konferenzen,Websites und Blogs. Trotz der Differenzen ist es ein gemeinsamer Kampf.

Der Großteil der Sexarbeiter_innen in der EU sind Migrant_innen, oft mit illegalisiertem Aufenthaltsstatus. Versteht sich die Sexarbeiter_innen-Bewegung demnach auch als eine antirassistische, proMigrations-Bewegung?

Absolut - sie muss es sogar sein. Die Anerkennung der Rechte von undokumentierten migrantischen Sexarbeiter_innen ist eines der wichtigsten und kritischsten Ziele der heutigen Sexarbeiter_innen-Bewegung. Daher müssen wir auch mit Aktivist_innen aus den verschiedenen migrantischen Communitys, den Bewegungen für die Rechte von Migrant_innen und anderen Gruppen zusammenarbeiten. In Großbritannien ist das schon der Fall - und der Kampf geht weiter!

 

1 Diskussionsworkshop „Taking the feminist anti-prostitutionargument seriously" am 4. April, London Action Ressource Center

2 Siehe www.swarm-up.org

3 Siehe www.xtalkproject.net undhttp://sexworkeropenuniversity.blogspot.com

 

Dieser Artikel erschien in: an.schläge, das feministische Magazin,  www.anschlaege.at