Für die AN, seit 1995 domestizierte Nachfolgepartei des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI), hat die letzte Stunde geschlagen: Auf ihrem letzten Parteikongreß zum Frühlingsanfang in Rom löste sie sich auf, um direkt in Berlusconis zur Freiheitspartei (PdL) vergrößerte FI einzutreten. Der kommentierte von ferne: »Das wird eine Volkspartei, die sich an die Leute wendet - an alle Italiener, die die Freiheit lieben und frei sein wollen, nicht an die selbst-referenziellen überheblichen Eliten (...) und sie wird die Geschichte Italiens noch stärker prägen als das, was während der letzten 15 Jahre geschah.«
Während der letzten 15 Jahre hat sich nach der Auflösung der Christdemokraten (DC), die den Kalten (Nach-)Krieg beherrscht hatten, das bürgerliche Lager neu formiert: Berlusconi gründete »Forza Italia«, die ihn 1994 erstmals an die Macht brachte, während die »Lega« seit 1991 dem Unmut des aufstrebenden Kleinunternehmertums im Norden gegenüber dem römischen Zentralismus Ausdruck geben konnte. Gianfranco Fini, Nachfolger des MSI-Chefs Giorgio Almirante, hatte rechtzeitig die Chance erkannt, die Ex-Faschisten hoffähig zu machen; inzwischen ist er Parlamentspräsident. Auf dem Parteitag von Fiuggi 1995 ersetzte er das kompromittierende faschistische Erbe durch einen »italienischen Weg zur Moderne«, dem von Benedetto Croce und Giovanni Gentile über die Futuristen (denen zur Zeit große Ausstellungen und Kongresse gewidmet sind) bis zu Federico Fellini und Luciano Pavarotti nahezu alles zugerechnet wird. Noch viel weiter in die Vergangenheit zurückgreifend erhebt die neue Volkspartei - laut Programm - den Anspruch, »die gesamte politische Kultur zu vertreten, die Ausdruck des nationalen Gedankens und der katholischen Identität ist, von der Renaissance über das Risorgimento (die italienische Einigungsbewegung des 19. Jahrhunderts) bis zur Moderne des 20. Jahrhunderts«.
Von diesem Panorama sollen sich denn auch möglichst alle Italiener angesprochen fühlen. »Volk der Freiheit« zeigt schon in seinem Namen den Anspruch auf das gesamte Volk, setzt sich also in Widerspruch zum eigentlichen, das Partielle betonenden Partei-Begriff und macht es sich zur Aufgabe, ihn zu überwinden. Außen vor bleiben dann höchstens jene Unbeirrbaren, die (ich zitiere weiter aus dem Programm) dem »Projekt des Relativismus und der Massifikation« anhängen, »einst marxistischer und dann jakobinisch-ökonomistischer Prägung« - womit man zugleich die eigene Kehrtwende markiert. Die »Ideologien des Marktes und der Globalisierung« gelten nun plötzlich als »irreführend«. Stattdessen propagiert man gemeinsam mit dem Finanz- und Wirtschaftsminister Giulio Tremonti von der »Lega« eine soziale Marktwirtschaft innerhalb einer gemeinschaftlichen »Identität der Italiener«, weniger im »nationalen« Sinne, sondern mit »kultureller, passionaler und präpolitischer Konnotation«.
Eine aus AN und FI zusammengefügte Partei, die schon jetzt über mehr als 40 Prozent der Wählerstimmen verfügt und 51 Prozent anstrebt, wird, wie der letzte Statthalter der AN und derzeitige Verteidigungsminister Ignazio La Russa verlauten ließ, eine breite Rechte bilden wie unter Aznar in Spanien oder unter Sarkozy in Frankreich. In der Regierungskoalition steht sie zusammen mit der »Lega«, die das rechte Spektrum um den Bereich offener Fremdenfeindlichkeit mit stark rassistischen Einschlägen erweitert. Damit ist der rechte Rahmen fast komplett; Heraklit zitierend bringt es La Russa auf den Punkt: »Nichts wird neu geschaffen, nichts geht verloren, alles ist im Werden.«
Führungskonflikte in der neuen Partei gibt es nicht, denn »es ist folgerichtig und gerecht, daß Berlusconi den Vorsitz bekommt« (La Russa). Und am demokratischen Charakter der Partei ist auch nicht zu zweifeln, denn Berlusconi wurde auf dem Gründungskongreß am letzten März-Wochendende von den Delegierten »ernannt«. Und da er sich seit seinem politischen Anfang als gottgesandter Auserwählter fühlt, kann man sich auch nicht über seine Bemerkung wundern, die PdL sei »keine Monarchie«, denn ihre Wähler sähen laut Umfragen als Leader Berlusconi und Fini gemeinsam - und daneben auch Bossi im Norden. Also gewissermaßen eine Dreieinigkeit.
Ob sich so viel Harmonie auch bei der Neuorganisierung auf lokaler Ebene zeigen wird, steht dahin, denn FI und AN sind sehr unterschiedlich strukturiert und verankert. Letztere hat tiefere Wurzeln und verfügt über ein beachtliches, in über 60 Jahren gewachsenes Parteivermögen.
Jedenfalls kann sich Berlusconi nun rechtzeitig zur Europawahl landesweit mit seinem Konterfei auf allen Wahlplakaten als Vertreter des »Volkes der Freiheit« präsentieren - ein in Europa wohl einmaliger Vorgang, dennoch wird sich kein europäischer Widerstand gegen eine fortgesetzte Zugehörigkeit der PdL in der Europa-Partei der Konservativen regen.
Rechts von AN bleibt eine Vielzahl rechtsradikaler Organisationen, allein fünf offizielle Parteien, die damals die »Wende von Fiuggi« nicht mitvollzogen haben (Forza Nuova, Fiamma Tricolore, la Destra, Azione Sociale, Fronte Sociale Nazionale), die immerhin zusammen 1,8 Prozent der Wählerstimmen erhielten (mehr als 450.000), und andere eindeutig neofaschistische Gruppen, die gut 150.000 Jugendliche unter 30 Jahren in ihren Bann geschlagen haben, in Schulen wie in Fußballstadien. Drei Viertel der Fußball-Fanclubs sind diesem Milieu zuzurechnen, das sich durch entsprechende Embleme kenntlich macht: Von Liktorenbündeln über Hakenkreuze und keltische Kreuze bis zu Hymnen auf Hitler und den Duce ist alles präsent. Mehrheitlich konzentriert sich diese Szene im Norden (Lombardei, Veneto) und in Latium, also Rom und Umgebung. Über die Querverbindungen zwischen diesem Extremisten-Laboratorium und AN-Politikern (auch im Ministerstand) berichtet ausführlich das soeben erschienene Buch »Bande Nere« von Paolo Berizzi.
Die AN hat sich schon zur »moralischen Reserve« des Berlusconismus stilisiert, dessen Inspirator ja nicht ewig sein wird - im Gegensatz zu ihren »rechten Werten«. Ob diese Rechnung aufgehen wird, steht dahin. Die katastrophalen Folgen der Wirtschaftskrise in Italien lassen nichts Gutes hoffen.