Rezension: Die neuen Streiks - Geschichte. Gegenwart. Zukunft.

in (06.02.2009)

Das Buch “Die neuen Streiks” ist eine Textsammlung unterschiedlicher AutorInnen zum Thema (aktuelles) Streikgeschehen, Sabotage, Betriebsbesetzung und dem Arbeitskampf im World Wide Web. Es erschien kürzlich im Unrast-Verlag.

Warum “neue” Streiks?
Zunächst ist festzustellen: Es wird in Deutschland wieder gestreikt. Im Jahr 2006 verzeichnete mensch mit 429.000 Streiktagen einen Höchsstand seit 1993. 2007 wurde dieser sogar noch im ersten Halbjahr mit 530.000 Tagen übertroffen.
Mensch kann leider aber auch feststellen, dass der Arbeitskampf der bürgerlichen Gewerkschaften einer Langspielplatte mit all zu vielen Kratzern gleicht: Die Friedenspflicht läuft aus. Der Arbeitgeber macht ein Angebot, dass die Gewerkschaft “so nicht akzeptieren kann”. Es wird ein wenig gestreikt. Aber nur soviel, dass es dem Arbeitgeber nicht weh tut. Trotzdem macht er (vermeintliche) Zugeständnisse. Es kommt zu einem Tarifabschluss, den die Gewerkschaft als “großen Erfolg” feiert, die ArbeiterInnen mit dem Kapital versöhnt, die Löhne aber selten mehr als um die Inflationsrate steigen lässt.
Im Buch “Die neuen Streiks” hingegen geht es um die “anderen Streiks”. Diese anderen Streiks zeichnen sich dadurch aus, dass sie von ArbeiterInnen ausgingen, die mit dem oben beschriebenen Prozedere nicht mehr einverstanden waren und das sozialpartnerschaftliche Geplänkel zeitweise aufgekündigt haben. Das führte zu ganz unterschiedlichen Streikkonzepten, von denen im Buch drei thematisiert werden: Der wilde Streik (also der Streik, der autonom von den Gewerkschaften geführt wird - in Deutschland illegal), der Tarifstreik und der ständische Tarifstreik.
Namentlich sind das folgende Arbeitskämpfe: Wilder Streik bei Opel Bochum 2004, der Streik beim Flugzeugcaterer Gate Gourmet 2005/2006 in Düsseldorf, der GDL-Streik 2007 und die Besetzung der Fahrradwerke 2007 in Nordhausen.

Das AutorInnenkollektiv
Als zwiespältig stuft der Politikwissenschaftler und Herausgeber Torsten Bewernitz im Vorwort die Distanz der AutorInnen zu den beschriebenen Geschehnissen ein. Alle entstammen mehr oder weniger einem Links-Intellektuellen Spektrum. Sie haben das Streikgeschehen beobachtet, außer Uwe Krug hat aber niemand aktiv daran teilgenommen. Sie selbst haben also kein Wissen über Streiks, sondern das Wissen der Streikenden gesammelt, um diese Erfahrungen (für sich) nutzbar zu machen. Zudem sehen sich die AutorInnen selber als Teil der Ausbeutungsverhältnisse, also Teil der Klassengesellschaft und haben damit ein (Eigen-)Interesse daran, einen Erfahrungsaustausch “über geographische und ideologische Grenzen hinweg …” zu führen (Bewernitz).
Auch die Perspektiven auf die jeweiligen Streikgeschehnisse sind durch die Verschiedenartigkeit der AutorInnen geprägt. Die Palette geht von einer syndikalistischen und operaistischen Perspektive, über eine marxistische bis hin zu einer bürgerlich, gewerkschaftlichen Sichtweise.

Mehr als ein Streikbuch
Während es sich im ersten Teil des Buches um die Analyse des aktuellen, sprich des “neuen” Streikgeschehens und entsprechende Streikbeispiele handelt, wartet das Buch im zweiten Teil mit einer Ergänzung dessen auf. Bewernitz: “Die Art und Weise, die Motivation, die Ziele und die Akteure heutiger Streiks haben sich … massiv verändert und vielerorts erscheint Streik zwar als gute Idee, aber immer noch nicht durchführbar. Im zweiten Teil dieses Buches sollen daher aus der Veränderung des Streikgeschehens praktische Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden. Betriebsbesetzungen, Sabotage, Online-Aktivismus und das Konzept des ‚Organizing’ werden diskutiert”.

Sabotage, Arteitskampf im world wide web und Organizing
Mag Wompels Text “Sabotage - Arbeitskampf mit Strategie und Spaß” ist vielleicht das radikalste Kapitel des Buches. Die Labournet-Redakteurin (www.labournet.de) schreibt: “Wer Sabotage betreibt, will Lohnarbeit bekämpfen, nicht um sie kämpfen” Und weiter unten: “Wer auch nur den kleinsten Krümel möchte, muss die ganze Bäckerei fordern und die Drohung muss glaubwürdig sein.” Sabotage, so Wompel, bietet auch demjenigen eine Möglichkeit zum Widerstand, der vereinzelt ist, weil kein kollektiver Arbeitskampf zustande kommt - wenngleich die Sabotage die Kollektivaktionen nicht ausschließt.
Weniger radikal in der Theorie, aber nicht minder effektiv in der Praxis ist das Internetforum “chefduzen.de”, das Markus Lawrenz vorstellt. Unter dem Motto “Online Zusammenschließen - Offline Kämpfen” vernetzt das Forum Lohnabhängige, gleich welcher Couleur (lediglich “Faschisten und Neoliberale müssen draussen bleiben”) und ermuntert diese zu einem Austausch über ihre Erfahrungen mit und in ihrem Betrieb. Betriebe, denen “chefduzen.de” ein Dorn im Auge ist, nicht zuletzt weil sie um einen Imageschaden für ihre Firma fürchten, verklagen das Forum mit aller Regelmäßigkeit. Der amüsante Effekt davon ist, dass das Forum dadurch nur an Popularität gewinnt, da mittlerweile auch die bürgerliche Presse auf den Arbeitskampf im world wide web aufmerksam geworden ist und der Druck auf die diskutierten Betriebe dadurch automatisch erhöht wird.
Mit dem Kapitel “Nicht mehr unsichtbar - No more Invisible” bringt Hae-Lin Choi einen Arbeitskampf aus den USA (der Kampf der Reinigungskräfte 2006 in Houstoen/Texas) mit ins Spiel. Der Streik ist eine Erfolgsgeschichte des hier zu Lande noch wenig bekannten “Organizing”, durch welches es geschafft wurde, den größten und längsten Streik von vormals Unorganisierten in den USA zu initiieren und auch die Menschen zu organisieren, die bis dahin als “unorganisierbar” galten. Dabei ist mit Organizing die ” … konkrete, durchaus langfristige Erforschung von Arbeitsbedingungen und das konkrete Ansprechen von ArbeiterInnen, die in prekären Arbeitsverhältnissen arbeiten” (Bewernitz) gemeint.

Erweiterter Streikbegriff
Im letzten Teil des Buches versucht Stefan Paulus die Lesenden für weitere Belange der ArbeiterInnen zu sensiblisieren, in dem er auf die Bedeutung der Reproduktionstätigkeit für die Produktion und die Kapitalakkumulation, sowie auf Geschlechterverhältnisse und die im Kapitalismus angelegte Heteronormativität hinweist. Des Weiteren wirft er die Frage auf, ob die Bedeutung der Reproduktion im Produktionsprozess nicht auch Chancen für die ReproduzentInnen beinhaltet, den Kapitalverkehr in ihrem Interesse zu stören.

Fazit
Das Buch macht Mut: Gerade in Zeiten der Rezession, in denen sich nicht wenige als ohnmächtige Opfer von gierigen FinanzspekulantInnen fühlen und in denen Gewerkschaften bis zur völligen Wirkungslosigkeit verkommen zu sein scheinen, sagt das Buch zweierlei: Erstens geht es bei einem Arbeitskampf nicht um die Vertreibung von sog. Heuschreckenplagen und einem amoralisch gewordenen ManagerInnentum, sondern schlicht weg um unterschiedliche Klasseninteressen, die auf einander prallen. Im Streik wird diese Machtfrage erneut gestellt. Und zweitens, wie Mag Wompel es formuliert: Einem Klassenkampf von oben muss man etwas entgegen setzen. Und das ist der Klassenkampf von unten. Stark an dem Buch ist, dass es die Lohnabhängigen wieder in eine aktive Rolle versetzt, anstatt ihnen bloß nahe zulegen, sie sollten ihre Interessen vertrauensvoll in den Schoß der bürgerlichen Gewerkschaften legen, abwarten und auf das Beste hoffen.

Die neuen Streiks - Geschichte. Gegenwart. Zukunft.
Hrsg. Torsten Bewernitz
broschiert., 192 Seiten
ISBN-13: 978-3-89771-480-9
14.80 Euro