Es gibt mehr als zwei Geschlechter
„Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Zwitter!" Dieser Satz müsste
eigentlich bei einer von 1000 Geburten zu hören sein. In der
überwiegenden Zahl dieser Fälle wird allerdings schnell behauptet, mit
dem Neugeborenen „stimme etwas nicht" und es müsse etwas „korrigiert
werden".
Durchschnittlich jeder tausendste Mensch kommt ohne eindeutig
einzuordnende Geschlechtsteile oder ohne eindeutig bestimmbaren
Chromosomensatz auf die Welt. Dieses Phänomen wird in der Medizin
„Intersexualität" genannt. Es zeigt sich auf verschiedenste Art und
Weise; zum Beispiel darin, dass das Baby zwar die äußeren Merkmale des
einen, jedoch die inneren Körperteile des anderen Geschlechts aufweist.
Dass ein als Junge definierter Mensch in der Pubertät aufgrund seiner
Hormonverteilung plötzlich Brüste entwickelt. Oder aber auch einfach
darin, dass die Klitoris beziehungsweise der Penis des Babys als „zu
groß" bzw. als „zu klein" empfunden wird.
Durch den Begriff „Intersexualität" (=„Zwischengeschlechtlichkeit")
wird deutlich, dass viele Mediziner_innen davon ausgehen, dass diese
Menschen zwischen den Geschlechtern stünden und vor allem, dass es nur
zwei Geschlechter gebe. Für eines davon sollen sich die Eltern dann
entscheiden. Der überwiegende Teil dieser Neugeborenen muss sich - vom
Kleinkindalter an - geschlechtsangleichenden
Operationen und Hormontherapien unterziehen, die oft sehr schmerzhaft
sind und manchmal eine lebenslange medizinische Behandlung und
körperliche Versehrtheit nach sich ziehen. Alles, um die Menschen auf
ein Geschlecht festzulegen.
Hauptsache einzuordnen?
Doch es gibt auch Eltern, die das Kind entscheiden lassen, ob es sich
später einmal einem Geschlecht zuordnen möchte und eventuell auch
operieren lassen möchte.
Viele der Angehörigen des „dritten Geschlechts" sehen aber auch gar
keine Notwendigkeit, sich zu „entscheiden". Sie kritisieren die
unflexible Sichtweise in der westlichen Welt, die vom Christentum
geprägt ist. Diese mache das Menschsein abhängig von der Zugehörigkeit
entweder zum männlichen oder zum weiblichen Geschlecht. Daneben oder
dazwischen wird nichts gelten gelassen.
Heute wird in vielen Kulturen verlangt, dass sich Menschen einer normgemäßen geschlechtlichen Identität und einer damit angeblich einhergehenden kulturellen und gesellschaftlichen Rolle fügen. Sie sollen sich „typisch männlich" oder „typisch weiblich" verhalten und sozialen Geschlechterrollen entsprechen, um „natürlich" zu sein.
Vertreter_innen der „queer theory" und Transgenderpersonen, die sich
nicht einem (sozialen) Geschlecht zuordnen lassen wollen, wollen das
ändern. Sie kritisieren, dass ein zweiteiliges Geschlechtssystem alle,
die in irgendeiner Form davon abweichen, als „unnormal" oder
„widernatürlich" abwertet und ihnen grundlegende Lebensbedürfnisse wie
zum Beispiel die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit verwehrt.
Dabei bedeutet „natürlich" immer auch Vielfalt - und die kann nicht auf zwei Geschlechter begrenzt sein!
-----
Die Artikel können gerne weiterverbreitet werden, unter folgenden Bedingungen: Nennung der Autorin bzw. des Autors und des Erscheinens in der utopia; keine kommerziellen Zwecke; keine Bearbeitung. (Lizenz)