Sich armarbeiten

Das feste Land ist mit einer unübersehbaren Mauer umgeben, ein Zuchthaus für die, die drinnen sind, ein Totenschiff oder eine Fremdenlegion für die, die draußen sind. Es ist die einzige Freiheit, die ein Staat noch hat, der sich zum Extrem seines Sinnes entwickeln will und muß, dem einzelnen Menschen, der nicht numeriert werden kann, zu bieten vermag, wenn er ihn nicht mit kühler Geste ermorden will. Zu dieser kühlen Geste wird der Staat noch kommen müssen. Vorläufig aber hat Caesar Capitalismus an diesem Mord noch kein wesentliches Interesse, weil er den Kehricht, der über die Zuchthausmauern geworfen wird, noch gebrauchen kann. Und Caesar Capitalismus läßt nichts verkommen, solange es noch Profit verspricht."

B. Traven

 

Sagt man einem Arbeitslosen, er solle nicht arbeiten, so wird er sich augenblicklich rot verfärben, in Demut versinken, sich an die Gemeinschaft der Beitragszahler erinnern, aus deren Taschen er lebt, und mit voller Überzeugung verkünden: Er wolle ja arbeiten. Ich glaube es ihm. Es steht auf jedem Merkblatt: Ein Erwerbsloser weiß nun, daß er nur leben darf, wenn er arbeiten will. Dafür erzählt man es ihm jeden Tag aufs neue. Der Witz daran: Sie wollen ja wirklich arbeiten! Wenigstens so viel, daß man davon leben kann.

Aber das ist nicht alles, es kommt noch schlimmer: Wird vermutet, ein Arbeitsloser sei arbeitslos, nicht weil er über die Zuchthausmauer geworfen wurde, sondern selbst gesprungen ist, so wird Bestrafung gefordert. Verschärfte Haft für den Entflohenen. Das gilt für alle, die draußen sind. Sind schließlich selbst schuld: Wer Arbeit will, der kriegt auch welche. Wer drinnen bleiben will, der schafft das auch. Dabei durfte man schon lange vorher nicht mehr "nicht wollen". Verbessert hat sich dadurch nichts. Jedenfalls nicht für die Wollenden. Jetzt heißt es wieder und noch lauter: Die wollen nicht arbeiten, sonst würden sie ja gewollt. Nirgendwo sonst ist es so einfach, das Wollen und Nichtwollen von Menschen zu erkunden wie bei Arbeitslosigkeit. Und es werden immer mehr. Von manchen hätte man es nie gedacht. Wie Menschen sich verändern können: heute noch erwerbstätig, morgen schon Schmarotzer. Sowas sollte verboten werden. Aber jedes Verbot braucht eine Gefahr. Was ist aber an Arbeitslosigkeit gefährlich? Was wäre daran gefährlich, wenn wieder einer eine Stelle freimacht, die ein anderer so dringend braucht? Sogar gemeingefährlich, wenn der "Arbeitsverweigerer", weil arbeitslos, mit ökonomischen Druck und per Gesetz umerzogen werden muß? Resozialisiert und zurück ins Zuchthaus: verschärfte Haftbedingungen. Aber nur, wenn statt der Arbeit staatliche Fürsorge fällig ist. Echten Inhaftierten geht es da besser: Wer nicht arbeiten will, wird nicht entlassen.

Welches gemeinschaftliche Interesse haben also die Beitragszahler an der Abhängigkeit der Arbeitslosen, wenn diese zukünftig den Großteil ihres Lebensunterhaltes doch aus staatlichen Leistungen beziehen? Ein rein pädagogisches? Ist das nötig? Oder ist es doch nur das eigene Materielle: lieber Beiträge sparen zu wollen, statt in Notzeiten auszugeben? Was wird aus der Gemeinschaft, wenn es keinen Gemeinsinn mehr gibt? Aber am wichtigsten: Sind plötzlich die Urgesetze des Kapitalismus in Gefahr? Jeder will für sich am meisten, nur Arbeitslose nicht, die sollen nur arbeiten wollen? Für und um jeden Preis. Arbeit macht frei? Wovon? Gut bezahlte Arbeit macht frei, so ein bißchen, von den Nachstellungen der Behörden. Schlecht bezahlte muß genommen werden.

Als Alternative zur Arbeit steht jetzt Verhungern statt arbeitsloses Leben. Gezwungen werden kann niemand. Mit der Verweigerung leben, kann aber auch keiner. Das ist nicht neu, aber modern. Moderne Zivilisation eben. Wir sind doch keine Barbaren: materieller Druck statt offener Repression. So funktioniert das heute. Wer nicht arbeiten will, darf hungern! Und was Sie wollen, das sagen Wir ihnen. Mit freundlichen Grüßen, Ihre BfA.

Armut ist nicht gewollt, aber es ist deswegen für Erwerbslose nicht gleich besonders lohnenswert, für ‘nen Appel und ein Ei in Lohn und Brot zu stehen und doch noch vom Staat alimentiert zu sein. Da muß man schon ein bißchen nachhelfen: Hartz IV!

Damit fängt man dann die wieder ein, die ohne Arbeit trotzdem überlebten. Sowas geht nicht: Arbeit muß sich wieder lohnen. Arbeitskräfte müssen sich wieder lohnen.

Caesar Capitalismus verwertet alles, entsorgt nichts. Bis sich selbst Humanrecycling nicht mehr lohnt. Alles verliert schließlich an Wert. Auch Humanität wird wertlos. So etwas kann man schlecht recyclen. Pfand gibtÂ’s für Erwerbslose, die zurückgebracht werden, in Lohn und Knäcke: Wer einen zurücknimmt, kriegt ihn billiger.

Viele lehnen diese Sklaverei ab. Doch das ist verboten, nicht die Sklaverei, sondern das Ablehnen. Arbeiten um jeden Preis heißt es: Auch wenn es dafür weniger gibt als ohne Arbeit, denn unterm Strich bietet Hartz IV nichts anderes, als eine weitere Möglichkeit, sich kaputt zu schuften und dafür Geld zu lassen. Arbeiten wird zur Bürgerpflicht. Für Bürger in einem Wirtschaftsstandort.

Es soll dazuverdient werden, zu den kläglichen Bezügen des ALG II, nicht statt dessen. Die Idee der existenzsichernden Arbeit ist für all jene nicht verboten, nur ausgeschlossen: Wer für so wenig arbeitet, kann nichts wert sein. Vom Zuverdienst dürfe man dann auch etwas behalten. Abzüglich der Praxisgebühr, die man dann regelmäßig zu bezahlen hat. Abzüglich der Fahrtkosten, die Arbeit nun mal nötig macht. Und abzüglich all jener Aufwendungen, die mit Arbeit unumgänglich sind: Kinderbetreuung, Freizeitausgleich, Beiträge zu Gewerkschaften, Geburtstagslagen, Berufsbekleidung.

Man arbeitet ja, da muß man sich auch was leisten können. Sofern man eben nicht die Arbeit verweigert. Wie jene, die Arbeit haben und streiken, wenn sie einen Grund haben. Natürlich ganz ordentlich, mit Gewerkschaft und so und auch nur dann, wenn man es ihnen erlaubt. Ansonsten bekommen sie kein Streikgeld, und dann geht es ihnen danach so wie denen, die keine Arbeit mehr haben, weil sie eben nicht wollen: die Ärmsten! Da lehnt man sich nicht so weit aus dem Fenster und hält lieber den Mund. Das macht einen Arbeitenden eben aus: Nichts eigenes, keinen Protest, stillhalten - auf Lohntüte komm raus! So will man eben heute arbeiten.

Wer streikt, wenn er arbeitslos ist, darf hungern. Streikgeld gibt es keines. Gewerkschaften scheren sich einen Dreck um Erwerbslose: recht- und ratlos. Die Gemeinschaft der Beitragszahler steht da fest zusammen: Gegen jeden, der keine Beiträge zahlt. Solidarität ist keine Einbahnstraße, sagt der Kanzler.

 

in: Des Blättchens 8. Jahrgang (VIII) Berlin, 17. Januar 2005, Heft 2

 

weitere Artikel im Heft:
Ines Fritz: Sich armarbeiten; Erhard Crome: Gepflegte Unbildung; August Bebel: Materielle Unabhängigkeit; Wolfgang Geier: Amoral; Rainer Vangermain: MachÂ’s doch; Günter Krone: Patriotismus; Achim Engelberg: Fremder Nachbar; M. R. Richter, Kiew: Nach der Wahl; André Brie: Reisetagebuch II; Klaus Hart, Rio de Janeiro: Chico Buarque; Hermann-Peter Eberlein: Die Pflicht; Mathias Iven: Musik und Literatur; Peter Jacobs: Leuchtendes Mecklenburg; Jens Knorr: Alexander meets Hannibal Lecter: Thomas Rüger: Früchte des Fortschritts;